Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 40⏐⏐6. Oktober 2006 A2643
M E D I Z I N
Prozent jährlich) einherging. In dem Artikel wird nicht über klinische Endpunkte berichtet, denn dies entspricht nicht dem Studiendesign und ist nicht vor- werfbar. Dass aber eine so häufige Komplikation wie schwere Hypoglykämien bei Erzielen eines identi- schen HbA1c wie in der UKPDS (sieben Prozent) nicht erwähnt werden, ist nicht zu entschuldigen.
Zudem wurde offensichtlich ein hoch selektiertes Kollektiv behandelt: Rekrutiert wurde ausschließlich in diabetologischen Schwerpunkt- und nicht in Haus- arztpraxen. Die Praxen entschieden selbst, wie viele Patienten in die Schulung einbezogen wurden. Wie viele Patienten hierbei durch das Raster fielen, wird nicht mitgeteilt.
Eine breite Anwendbarkeit der erzielten Ergebnisse bleibt fraglich. Interessanter scheinen hier Ansätze, die auf Bevölkerungsebene in einem hausärztlichen Setting den Nutzen einer individualisierten Interventi- on untersuchen (3).
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Inter- national Committee of Medical Journal Editors besteht.
LITERATUR
1. UK Prospective Study Group: Intensive blood-glucose control with sulfonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 339:
Lancet 1998; 352: 837–51.
2. Ewart RM The case against aggressive treatment of type 2 diabe- tes: critique of the UK prospective diabetes study. BMJ 2001; 323:
854–8.
3. Loivarius NdF, Beck-Nielsen H, Helms Andreasen A et al.: Rando- mised controlled trial of structured personal care of type 2 diabe- tes mellitus. BMJ 2001; 323: 1–9.
Günther Egidi
Huchtinger Heerstraße 41, 28259 Bremen E-Mail: familie-egidi@nord-com.net
Schlusswort
Schwere Hypoglykämien wurden in unserer Studie bei keinem Probanden berichtet. Die UKPDS-Analy- se publiziert eine Hypoglykämiefrequenz von 2,2 Pro- zent pro Jahr bei HbA1c-Werten von < 7,0 Prozent.
Diese Ergebnisse sind nicht verwunderlich, weil die UKPD-Studie, geplant anfangs der 1970er-Jahre, in keiner Weise den Anforderungen eines heutigen
„Schulungs-Settings“ nachkommt. Systematische und strukturierte Schulungen wurden seinerzeit nicht durchgeführt, waren auch kein Studienziel, sodass un- serer Meinung nach der Vergleich hier nicht zulässig ist.
Neuere Untersuchungen stellen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes lediglich eine deutliche Zunahme der biochemischen (das heißt klinisch nicht nachgewiesen) Hypoglykämien bei HbA1c-Werten unter sechs Pro- zent und Nüchternblutzuckerwerten von < 5 mmol/L (90 mg/dlL) her (1). Schwerste Hypoglykämien sind bei geschulten Typ-2-Diabetikern eine Rarität. Dabei ist argumentativ noch nicht berücksichtigt, dass eine Standardisierung der HbA1c-Werte (anfangs HbA1a-c) in der UKPDS nicht vorgenommen wurde.
Das so genannte „hoch selektionierte Patientenkol- lektiv“ wurde zu Ungunsten des Studienergebnisses ausgewählt, weil diese Patienten in der Regel eine eher ungünstige Prognose haben: Der Patient in der Schwerpunktpraxis nach Überweisung durch den Hausarzt gilt als ein „schwierigerer“ Diabetiker.
Als Teilnahmegrund an unserer Studie wurde von 91 Prozent der Patienten eine unzureichende Stoff- wechseleinstellung genannt. 72,5 Prozent spritzten schon Insulin, 30 Prozent sind zuvor mit einem aner- kannten Schulungsprogramm strukturiert geschult worden, ohne davon langfristig profitiert zu haben.
Trotz der eher ungünstigen Selektion in Richtung schlechter Compliance konnte der mittlere HbA1c von eingangs 8,7 Prozent auf 7,1 Prozent ein halbes Jahr nach Ende der Schulung gesenkt werden. 65 Pro- zent der Teilnehmer hatten einen Hauptschulab- schluss. Die Reduzierung der HbA1c-Werte konnte unabhängig von vorausgegangenen Schulungen oder vom Bildungsgrad erreicht werden.
Das patientenzentrierte Gruppenschulungsprogramm Diabetes und Verhalten wurde auf seine Effektivität ge- prüft. Eine Selektion von Patienten fand dabei nicht statt. Es wurden Schwerpunktpraxen gewählt, um zu ge- währleisten, dass durch die dort tätigen, schulungserfah- renen Diabetesberaterinnen der verhaltensmedizinische patientenzentrierte Ansatz nach vorausgehendem Trai- ning gelebt wird.
Kontrollierte Studien, in denen in einem hausärztli- chen Setting der Nutzen einer individualisierten Inter- vention untersucht viele Diabetespatienten realistisch und erfolgreich therapiert werden, sind den Autoren nicht bekannt und werden in der Diabetologie derzeit nicht diskutiert.
Interessenkonflikt
Die hier vorgestellte Studie wurde von Roche Diagnostics GmbH gefördert.
Roche Diagnostics stellte der Medizinischen Hochschule Hannover eine Pro- jektstelle Bat IIa (besetzt mit Dipl.-Psych. Alexander Tewes) und Sachmittel zur Verfügung. Roche Diagnostics erstattete die dienstlich genehmigten Rei- sekosten und Honorare für geleistete Fortbildungsveranstaltungen im Rah- men der Studie. PD Tegtbur hat keinen Interessenkonflikt erklärt.
LITERATUR
1. Yki-Jarvinen H, Ryysy L, Nikkila K, Tulokas T, Vanamo R, Heikkila M:
Comparison of bedtime insulin regimens in patients with type 2 diabetes mellitus. A randomized, controlled trial.Ann Intern Med 1999; 130: 389–96.
PD Dr. med. Matthias Frank Innere Abteilung, Saarland Klinik
Kreuznacher Diakonie, Theodor-Fliedner-Straße 12 66538 Neunkirchen
Dr. rer. biol. hum. Ulrich Brinkmeier
Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Medizinische Psychologie Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover
Dr. med. Alexander Tewes
Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Medizinische Psychologie Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover