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Archiv "Es tut mir leid, daß ich mit vollem Gepäck scheiden muß': Die Krankheiten Béla Bartóks" (04.10.1979)

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Die Columbia Universität ernannte Bartök am 25. November 1940 zum Ehrendoktor. Anläßlich dieses feier- lichen Festaktes brachte die „New York Times" einen Auszug der An- sprache, die Bartök würdigte als

. . . ausgezeichneten Lehrer und Er- zieher; international anerkannte Au- torität auf dem Gebiet ungarischer, slowakischer, rumänischer und ara- bischer Volksmusik; mit seinen Kompositionen Schöpfer eines mu- sikalischen Stils, der allgemein als eine der großen Leistungen der Mu- sik des 20. Jahrhunderts anerkannt ist"; und tatsächlich läßt sich sein Stellenwert an vier großen Musi- kern dieses Jahrhunderts bemessen

— Strawinsky, Schönberg, Berg, Webern.

Mit Debussy, Strawinsky und Schön- berg zählt er zu den Erneuerern der

Musik des 20. Jahrhunderts, doch ähnlich wie bei Richard Strauss und Maurice Ravel waren seine Kompo- sitionen nicht ausschließlich ge- prägt vom Diktat der Schönberg- schen Zwölftontechnik. Sein CEuvre umfaßt die Klavier- und Kammermu- sik, die Orchester- und Bühnenmu- sik sowie das pädagogische und wissenschaftliche Werk.

Kindheit und Jugend

In einer kleinen unbedeutenden Ort- schaft in der Pußta wurde Böla Bar- tök am 25. März 1881 geboren. Früh zeigte sich die erstaunliche Bega- bung Bölas. Im Alter von sechs Jah- ren begann sich Böla systematisch musikalische Grundkenntnisse an- zueignen — er erhielt regelmäßigen Klavierunterricht. Zwei Jahre später

entdeckte man sein absolutes Ge- hör. Und mit neun Jahren bereits entstanden die ersten Kompositio- nen. Ähnlich wie sein Landsmann Franz Liszt wurde er noch nicht zehnjährig der staunenden musikali- schen Öffentlichkeit als Wunderkind vorgestellt (10).

Bereits in den ersten Lebensjahren stellten sich verschiedene Krankhei- ten ein, so daß die körperliche Allge- meinverfassung nicht altersentspre- chend war. Böla erweckte sogar den Eindruck eines „schwächlichen Kin- des" (2), und er begann erst spät zu laufen und zu sprechen. Mit drei Mo- naten wurde er gegen Pocken im- munisiert. Als Folge trat ein chroni- sches Ekzem auf, und erst im Alter von fünf Jahren stellte sich eine Bes- serung dieser unangenehmen Haut- erkrankung ein. Seine Mutter be- richtete darüber:

„. . als er drei Monate alt war, be- kam er nach der Pockenimpfung

. . . einen Ausschlag im Gesicht, . . . , der später auf den ganzen Kör- per überging. Das arme Kind hat viel gelitten . . . Besonders nachts quäl- te ihn das Jucken, erst morgens nach sechs konnte er endlich schla- fen . . . Er versteckte sich vor den Menschen, weil es ihm unangenehm war, wenn sie immer sagten: Armer kleiner Bölal .. Dieser Ausschlag dauerte bis zu seinem fünften Le- bensjahr . . .".

Die chronische Hauterkrankung führte zwangsläufig zu einer Isolie- rung. Wenn seine Eltern Besuch empfingen, wurde das erkrankte Kind in sein Zimmer eingeschlossen.

Später, als er diese Maßnahmen ver- stand, mied er sogar selbst den Kon- takt mit fremden Menschen (5). Kin- derspiele waren ihm fremd, Spielka- meraden hatte er keine. Mit fünf Jah- ren erkrankte Böla an einer Lungen- entzündung. Nach deren Abklingen quälte ihn fast ein Jahr lang eine chronische Bronchitis, und erst mit sechs Jahren besserte sich sein Ge- sundheitszustand.

Als der Vater knapp 33jährig an den Folgen der sogenannten Bronze- krankheit starb, war Böla sieben

„Es tut mir leid, daß ich

mit vollem Gepäck scheiden muß'

Die Krankheiten Böla Bartöks

Gerhard Böhme

Medizinische Darstellungen über Krankheiten und Tod berühmter Komponisten werden von Lesern unterschiedlich aufgenommen. Ein Teil der Musikliebhaber wünscht keine medizinischen Deutungsversu- che, da er sich hauptsächlich nur für das musikalische Werk interes- siert. Dagegen vertritt eine nicht unbeträchtliche Zahl von Lesern die Ansicht, daß das Leben eines Komponisten und damit auch seine Krankheiten und Lebensumstände eng mit dem musikalischen Werk verknüpft sein können und erwartet auch darüber Informationen. Sind Biographien allgemein ein problematisches Unterfangen, so sind es Pathographien im besonderen. Zahlreiche berühmte Komponisten werden durch unkritische Darstellungen oder Fehldeutungen sehr belastet. So ranken sich viele Legenden um deren Krankheiten; Bei- spiel sind u. a. Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart.

Zu leichtfertig wird von Syphilitikern, Säufern und Homosexuellen gesprochen, nur, um ein unklares Krankheitsbild zu erklären. Um die Wahrheit anzustreben, neigt der Verfasser des folgenden kleinen Beitrages zu einer wissenschaftlichen Versachlichung. Letztendlich kann dadurch der Einblick des Musikinteressenten in das unvergäng- liche Werk Böla Bartöks erweitert und vertieft werden, obwohl zahlrei- che Details sicherlich nicht mehr deutbar sind. GB

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Jahre alt. Die Mutter übernahm nun den Klavierunterricht des hochta- lentierten Knaben. Nach Schulab- schluß entschied sich Böla Bartök für eine musikalische Laufbahn.

Trotz eines günstigen Stipendium- angebotes der Wiener Musikschule wählte er Budapest. Nach den be- standenen Aufnahmeprüfungen er- krankte der gerade 18jährige auf der Heimreise von Budapest nach Pozsowy.

Es muß sich um eine schwere, wenn nicht sogar lebensgefährliche Krankheit gehandelt haben. Näheres über die Krankheit ließ sich weder in Bartöks autobiographischen Skiz- zen noch in Briefen und Zeitdoku- menten ersehen (1). Lediglich einige Details konnten ermittelt werden.

Böla mußte wochenlang das Bett hüten (5). Der behandelnde Arzt ver- bot ihm sogar das Klavierspielen, und am Schulunterricht durfte er nur ein bis zwei Stunden täglich teil- nehmen. Trotzdem gelang es ihm, das Abitur mit der Note „gut" abzu- legen.

Im Sommer 1899 reiste Böla mit sei- ner Mutter zur Beschleunigung der Rekonvaleszenz nach Eberhard in Kärnten, und erst hier trat eine völli- ge Genesung ein (6).

Doch kaum hatte Böla Bartök mit dem Musikstudium begonnen, er- krankte er im Oktober an lang anhal- tenden Temperaturerhöhungen. Die besorgte Mutter reiste sofort nach Budapest und stellte ihren Sohn ei- nem bekannten Arzt vor. Dieser ver- mutete bei dem asthenischen Stu- denten eine Lungentuberkulose (6).

Er riet Böla sogar, die Pianistenlauf- bahn aufzugeben. Ähnliches emp- fahl ihm auch ein Professor der Mu- sikakademie. Sie argumentierten, daß er keineswegs die nötige Kraft für eine Laufbahn als Pianist besäße.

Allmählich setzte eine Besserung ein, die erhöhten Temperaturen klangen ab, und schon im Dezember 1899 nahm Böla Bartök trotz gegen- teiliger Ratschläge seine Ausbildung als Pianist wieder auf. Die Sommer- ferien 1900 verbrachten Mutter und Sohn gemeinsam in Herberstein (Steiermark). Gegen Ende des Fe-

rienaufenthalts stellten sich wieder lang anhaltende Temperaturerhö- hungen ein. Ein einheimischer Arzt diagnostizierte eine Lungen- und Rippenfellentzündung. In der Phase einer kurzfristigen Besserung konn- te Böla Bartök die Rückreise nach Budapest antreten, doch, kaum an- gekommen, stellte sich eine lebens- bedrohliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes ein. Einzelhei-

Abbildung 1: Ein Jugendbildnis Bartöks aus dem Jahre 1901 — (Titelbild der Böla- Bartok-Schallplatte: Rhapsody für Piano und Orchester. op. 1 Hungaroton. Repro- duktion von Gyula Holics nach dem im Budapester Bartök-Archiv befindlichen Lichtbild)

ten über die Symptome sind nicht bekannt, wahrscheinlich handelte es sich bei der „Lungen- und Rippen- fellentzündung" um ein Rezidiv ei- ner Lungentuberkulose, die bereits im Herbst 1899 aufgetreten war. Der behandelnde Arzt empfahl einen längeren Kuraufenthalt, und von Ok- tober 1900 bis April 1901 hielt sich Böla zu einer Höhenkur in Meran auf.

„Von seinem Aufenthalt in Me- ran . . . kehrte er so dick geworden

zurück, daß die Charakterologie ihn in den pyknischen Typ eingereiht hätte", stellte der ungarische Kom- ponist, Musikforscher und Pädago- ge Zoltän Kodäly fest.

In den folgenden Jahren stabilisierte sich Böla Bartöks Gesundheit, und eine Wiederholung der Lungentu- berkulose kann ausgeschlossen werden. Allerdings blieb Bartök zeit seines Lebens anfällig für entzündli- che Lungenerkrankungen (Abbil- dung 1).

Kompositorische Erfolge

In den folgenden Jahren stellten sich erste kompositorische Erfolge ein. Bereits während seines Stu- diums komponierte Böla Bartök die

„Etüde für die linke Hand", die an die Technik des Vortragenden große Anforderungen stellt. Die sinfoni- sche Dichtung „Kossuth" (1904), be- gründete seinen Ruf als Komponist.

Im Juni 1903 beendete Bartök sein Musikstudium an der Budapester Musikakademie. Einige Monate spä- ter begab er sich mit mehreren Emp- fehlungsschreiben ausgestattet auf Konzertreise nach Berlin und Wien.

Von hier berichtete er am 3. Dezem- ber 1903 der Mutter über seinen Ge- sundheitszustand:

„In Berlin fühle ich mich großartig, so wie in keiner anderen Stadt.

Zweifellos wirken hier auch das Kli- ma und die Luft besser auf mich als zum Beispiel in Budapest. Als ich wieder in Pest angekommen war, fing ich gleich an zu niesen und al- lerlei Unannehmlichkeiten zu füh- len; hier hat das alles sofort aufge- hört. Ich kann im Schneegestöber auf der Siegesallee spazieren, kann bei matschigem, windigem Wetter vor der Kasse des Opernhauses ste- hen: nichts schadet mir."

In diesen Zeilen wird offenkundig, daß bei dem jungen Komponisten klimatisch abhängige Symptome der oberen und unteren Luftwege auch noch im Jahre 1903 vorlagen. Die Beschwerden lassen sich durch die vermutete Lungentuberkulose und

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chronische Bronchitis 1899 und 1900, vielleicht sogar durch eine All- ergie, erklären.

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Strauss in Berlin an „Salome". Bar- tök suchte zwar mit dem Vorbild sei- ner früheren Schaffensperiode in Kontakt zu kommen, doch wurde er enttäuscht. Der anschließende Auf- enthalt in Wien dagegen vermittelte ihm die Bekanntschaft mit dem ita- lienischen Komponisten und Diri- genten Ferruccio Busoni - zur glei- chen Zeit hatte Schönberg in Wien gerade seine Lehrtätigkeit aufge- nommen.

1907 erfolgte die Ernennung zum Professor für Klavier an der Budape- ster Musikakademie, eine ange- sichts Bartöks Jugend fast unerhör- te Ehrung. Obgleich sich der Kom- ponist nie für die Lehrtätigkeit be- geistern konnte, gewann jetzt seine Arbeit in der Heimat einen geordne- ten Rahmen. Die öffentliche Stel- lung enthob Böla Bartök vorerst der materiellen Sorgen. Nun konnte er sich vier Tätigkeiten, als Komponist, Klaviervirtuose, Klavierpädagoge und Volksliedforscher, widmen.

In den folgenden Jahren finden sich kaum Hinweise, die für das medizini- sche Porträt Böla Bartöks von Inter- esse sein könnten. Erst am 20. Mai 1915 entnehmen wir einem Brief ei- nen für die Krankengeschichte wichtigen Befund: Er sei wegen ei- ner „allgemeinen Körperschwäche"

bei der Musterung für untauglich befunden; er wog damals nur noch 45 Kilogramm.

Trotz der polemischen Angriffe in der Presse gegen Bartök konzen- trierte er sich wieder auf seine kom- positorischen Arbeiten. Im Februar 1916 entstand die erste größere zy- klische Arbeit, die Suite für Klavier op. 14, im Herbst beendete er das Ballett „Der holzgeschnitzte Prinz"

op. 13. Dank der einsatzfreudigen Arbeit des Dirigenten Böla Baläzs - er bestand auf dreißig Proben -wur- de die Premiere am 12. Mai 1917 zu einem durchschlagenden Ereignis, das endlich auch die Inszenierung der Oper „Herzog Blaubarts Burg"

entschied. Die Uraufführung knapp ein Jahr später brachte den endgül- tigen Durchbruch.

Mit dieser offiziellen Anerkennung setzte die größte schöpferische Pe- riode ein, gekennzeichnet durch den endgültigen Bruch mit der Tonalität (Bagatellen) und unter dem Vorzei- chen der ersten Begegnung mit Strawinsky - einem Klavierauszug aus „Le Sacre du Printemps". Die- ses war der direkte Anstoß für ein

Abbildung 2: Der vorzeitig gealterte 57jährige Bäla Bartök im Jahre 1938 - (Bönis, F.: His life in pictures. Booscy a.

Hawkes, London 1964)

neues, gleichzeitig das letzte Büh- nenwerk „Der wunderbare Man- darin".

Von den zwanziger Jahren an drang Bartök allmählich in Europa und da- nach auch in Amerika durch. Er be- reiste Amerika, Belgien, Dänemark, England, Frankreich, Holland, Ita- lien, die Sowjetunion, Spanien und die Schweiz.

Bartök reiste im Januar 1929, also im strengsten Winter, zu Konzerten u. a. nach Moskau, Leningrad, Kiew, Charkow und Odessa. Wahrschein- lich vertrug er das rauhe Klima nicht und erkrankte oft an „Erkältungen".

Als er ziemlich überanstrengt wieder in Budapest eintraf, schrieb die Zei- tung Pesti Naplö: „Böla Bartök lang- te zu Hause gänzlich erschöpft an.

Während seiner Rußlandreise erkäl- tete er sich mehrmals. In Pest kam er mit Fieber an, heute hat aber das Fieber nachgelassen, und jetzt klagt er hauptsächlich über die Erschöp- fung."

Habitus

„Seine Persönlichkeit hatte eine starke Ausstrahlung; er war sehr feingliedrig, mit schöner Kopfform und wunderbaren Augen, wenig ge- sprächig, ein stiller, introvertierter Mensch. Er wirkte fast wie ein Ge- lehrter" (13) beschrieb ihn Paul Sa- cher, Begründer des Basler Kam- merorchesters und Präsident der Sektion Schweiz der Internationalen Gesellschaft für neue Musik.

Thomas Mann erinnerte sich: „Wo immer ich Bäla Bartök sah, mit ihm sprach, ihm lauschte, war ich aufs tiefste berührt, nicht nur von seiner Liebenswürdigkeit, sondern von sei- nem hohen und reinen Künstlertum, dessen Wesen sich schon in dem schönen Blick seiner Augen aus- drückte (13)."

Ein reichhaltiges Photomaterial läßt den Habitus des Komponisten von der Kindheit bis kurz vor dem Tod verfolgen (Abbildung 2). Er bot gera- dezu das klassische Beispiel eines Asthenikers, war klein von Statur und fast immer untergewichtig. Er schrieb zum Beispiel am 20. Mai 1915 über eine ärztliche Muste- rungsuntersuchung: „Ich wurde bei der Musterung für untauglich befun- den (Schwäche); das stimmt auch - mein Körpergewicht beträgt ca. 45 Kilo, damit könnte man bepackt schwerlich große Märsche und Vorwärts-(oder Rückwärts-) Läufe schaffen."

Nun ist verständlich, weshalb man bereits zu Beginn des Musikstu- diums erklärte, daß er keineswegs die nötige körperliche Kraft für eine musikalische Laufbahn als Pianist hätte. [>

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Lebensgewohnheiten

Von besonderem medizinischen In- teresse sind die Lebensgewohnhei- ten Böla Bartöks. Nur durch fanati- sche und intensive Arbeit konnte er als Komponist, Klaviervirtuose und Volksliedforscher sein selbstgesetz- tes Programm erfüllen.

In einem Brief aus dem Jahre 1938 schildert er sein tägliches, immen- ses Arbeitspensum: „Ich arbeite fast täglich zehn Stunden, ausschließ- lich mit Volksmusikmaterial; sollte aber 20 Stunden arbeiten, um eini- germaßen weiterzukommen. Peinli- che Lage — ich möchte so gern die Arbeit vor der neuen in der Luft schwebenden Weltkatastrophe be- enden. Und bei diesem Tempo dau- ert es noch einige Jahre!"

Es war bezeichnend für den Kompo- nisten, daß er nur sprach, wenn er angesprochen wurde — und dann antwortete er nur knapp — Bekannt- schaften hatte er weder gesucht noch gepflegt. Zeitweise war er ein starker Raucher, trank dagegen kaum Alkohol und besuchte prak- tisch nie Kaffeehäuser.

Als ausgesprochenes Sprachtalent eignete er sich außer der engli- schen, deutschen und französi- schen nicht nur die rumänische und slowakische Sprache an, sondern lernte auch Russisch, Ukrainisch, Italienisch, Spanisch, Türkisch und Arabisch. Unbestritten war er neben seiner musikalischen Begabung ein Sprachgenie.

Letzte Lebensjahre

Seit Kriegsausbruch erwog Bartök die Möglichkeit einer Emigration und wählte als neue Wirkungsstätte die Vereinigten Staaten. Am 29. Ok- tober 1940 trafen er und seine Frau Ditta in New York ein. Bereits einen Monat später, am 25. November, er- hielt der Komponist die Ehrendok- torwürde der Columbia-Universität.

Eine Berufung von dieser Universi- tät, die bis Dezember 1942 zweimal verlängert wurde, ermöglichte einen bescheidenen Lebensunterhalt.

Während seiner Tätigkeit an der Co- lumbia-Universität beschäftigte sich Bartök mit der musikwissenschaftli- chen Bearbeitung von serbisch- kroatischen Volksliedern. Regelmä- ßige Einnahmen durch Konzerte konnte er bis zu seinem Lebensende nicht mehr erzielen, dazu fehlte ihm die Kraft. Seine Position als Kornpo- nist in den USA war zudem kaum profiliert — ganz entgegen der eines Schönberg oder Strawinsky, die es sicher eher verstanden, das ameri- kanische Publikum zu interessieren und begeistern.

Etwa in den April 1942 fällt der Be- ginn der chronischen Erkrankung, die schließlich zum Tode führte (Ab- bildung 3). Bartök teilte in einem Brief mit, daß er sich seit Anfang April nicht wohl fühle, jeden Abend Fieber habe und die Ärzte keine Er- klärung und infolgedessen auch kei- ne Abhilfe wüßten. „Ist das nicht sonderbar?", fragte er. Die behan- delnden Ärzte erkannten bald als Ur- sache der chronischen fieberhaften Erkrankung eine Leukämie (3, 4, 10) und verheimlichten Bartök bis zu seinem Lebensende die wahre medi- zinische Diagnose.

Die „unerklärlichen Krankheitssym- ptome" schränkten die Schaffens- kraft weitgehend ein. „Meine Karrie- re als Komponist ist so gut wie zu

Privatdozent Dr. med. Gerhard Böhme. Kantonsspital St. Gal- len, hat über die Krankheiten Böla Bartöks in seinem Buch _Medizinische Porträts be- rühmter Komponisten" aus- führlich berichtet. Die Publi- kation, die außer Bartöks Por- trät die Lebensgeschichte der Komponisten und Musiker Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber, Fröderic Chopin, Peter Iljitsch Tschai- kowski enthält, ist im Frühjahr 1979 im Gustav Fischer Ver- lag, Stuttgart/New York. er- schienen. Der Band enthält 29 Abbildungen auf 191 Seiten und kostet 39 DM.

Ende", schrieb Bartök am Silvester- abend 1942. Gelenkbeschwerden im Bereich des linken Armes (2) mach- ten ein Konzertieren fast unmöglich.

Zu dieser Zeit beendete Bartök auch seine Tätigkeit an der Columbia- Universität. Zwangsläufig ver- schlechterte sich die finanzielle La- ge des Komponisten. Anfang 1943 stellte sich eine weitere erhebliche Beeinträchtigung seines Allgemein- befindens ein.

Nach einem öffentlichen Konzert in New York am 21. Januar — es war Bartöks letzter öffentlicher Auftritt — konnte er das Bett nicht mehr ver- lassen. Ständige Temperaturerhö- hungen und Gelenkschmerzen führ- ten praktisch zu einer Berufsunfä- higkeit. Bartöks Mut und Energie, das Klavierkonzert überhaupt durchzuführen, sind bewunderns- wert, sicher haben dazu die dringen- den finanziellen Belastungen beige- tragen.

Im Verlauf seiner Krankheit konsul- tierte der Komponist mehrere Ärzte.

Einer der namhaftesten war der her- vorragende Internist Dr. I. Rappa- port. Als Bartok ihn aufsuchte, war er schon schwerkrank. Aus einem Bericht dieses Arztes geht hervor, welche Ärzte sich noch um den schon Todgeweihten bemühten:

Professor Dr. N. Rosenthal (Hämato- loge), Dr. S. Feinman (Röntgenolo- ge) und Professor Dr. E. Friedmann (Neurologe). Schließlich konsultier- te Bartök aufgrund einer Augener- krankung Professor Dr. H. Elwyn (Ophthalmologe) und Dr. F. Reiss (Urologe) (6).

Diese Ärzte und die „Amerikanische Gesellschaft der Komponisten, Au- toren und Musikverleger" (ASCAP) scheuten weder Mühe noch Kosten und setzten im Wettlauf mit dem To- de alles daran, das Leben des Pa- tienten zu verlängern. Alle Arztspe- sen, Kosten und Untersuchungen, Medikamente und der Krankenhaus- und Erholungsaufenthalt wurden von der ASCAP übernommen (5).

Die Behandlung erfolgte vor -allem mit Bluttransfusionen und Penicil- lininjektionen. Wahrscheinlich ist es nur dieser intensiven ärztlichen The-

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rapie zu verdanken, daß für den Komponisten eine Lebensverlänge- rung von etwa zweieinhalb Jahren erreicht wurde.

Der Bund Amerikanischer Komponi- sten befürwortete nach einer an- scheinend erfolglos gebliebenen Heilbehandlung in Saranc Lake (im Norden des Staates New York) noch eine Nachkur in Asheville/Nordkaro- lina.

In Asheville habe ich mich sehr wohl gefühlt. Jedoch meine Ge- sundheit ist nicht so gut, wie sie sein sollte, die Ärzte nudelr noch immer weiter, sie sagen, es sei mit meiner Milz, mit meinen Blutzellen, mit die- sem, mit jenem usw. etwas nicht in Ordnung ... der Himmel weiß (si- cher nicht die Ärzte), was mir fehlt ... ", berichtete er am 30. Juni auch dem berühmten Geiger Yehudi Menuhin.

Der weitere Krankheitsverlauf soll anhand brieflicher Mitteilungen in- terpretiert werden. In einem auf- schlußreichen, sehr sarkastischen Schreiben vom 17. Dezember 1944 schildert Bartök sein Verhältnis zu Ärzten: „... Sie schreiben in einem Ihrer Briefe, daß meine Genesung ein wahres Wunder sei. Das ist nur mit einigem Vorbehalt wahr: bloß ein hemisemidemi Wunder. Jene In- fektion in der Lunge verschwand al- lerdings auf eine genauso rätselhaf- te Weise, wie sie gekommen — das wissen sie bereits aus meinem letz- ten Brief. Es gibt aber — und das fast ununterbrochen — eine Art von klei- neren Unannehmlichkeiten, die man vielleicht nie völlig heilen kann und die jedwedes systematisches Arbei- ten oder Konzertieren usw. unmög- lich machen. Im April letzten Jahres z. B. begann nur die Milz zu revoltie- ren. Mein Arzt in Asheville dachte an Brustfellentzündung. Sehr zuvor- kommend wäre er bereit gewesen, mich zu behandeln, doch zu meinem Glück mußte ich nach New York zu- rück, wo man das Übel gleich er- kannte und meine Milz mit einer bru- talen Röntgenbestrahlung bestrafte.

Nachher entdeckten sie irgendeine Anomalie im Blutbild, weshalb sie mich dementsprechend mit Arsen

vergifteten. Soll ich fortfahren? Viel- leicht doch nicht. Vor einigen Wo- chen sagte ich: Herr Doktor, sagen Sie mir genau, was meine Krankheit ist! Wählen Sie ein schönes lateini- sches oder griechisches Wort und sagen Sie es mir. Nach einigem Zö- gern erklärte er: Polyzythämie. Da sind wir ja wieder. Vor nun zwei Jah-

Abbildung 3: Der schwerkranke Künstler vor einem Konzert im Jahre 1942 — (Bö- nis, F.: Böla Bartok. Sein Leben in Bild- dokumenten. Corvina, Budapest 1973)

ren bedeutete es zu viele rote Blut- körperchen, jetzt aber zu viele weiße."

Im März 1945 stellte sich eine weite- re Erkrankung ein, eine Lungenent- zündung, die allerdings durch eine antibiotische Behandlung be- herrscht werden konnte (5, 6). Si- cher hatte die chronische Leukämie eine auslösende Funktion bei dieser akuten Erkrankung. Nach einer nur scheinbaren allgemeinen Genesung plante der Komponist mit Zustim- mung seines behandelnden Arztes eine Reise nach Kalifornien, um Ye- hudi Menuhin auf seinem Gut zu be- suchen. Die chronische Bluterkran- kung und auch die Schwäche nach der Lungenentzündung machten je-

doch die geplante Reise zunichte.

Statt dessen fuhr er in Begleitung seiner Frau nach Saranc Lake. In diesem Jahr, seinem Todesjahr, komponierte Bartök das 3. Klavier- konzert, lediglich die letzten 17 Tak- te der Partitur blieben unvollendet.

„Es tut mir leid, daß ich mit vollem Gepäck scheiden muß", sagte er in seinen letzten Lebenstagen zu dem behandelnden Arzt. Eine weitere Verschlechterung des Gesundheits- zustandes stellte sich ein, er mußte am 22. September zu einer stationä- ren Behandlung im West Side Hos- pital in New York aufgenommen werden. Am 26. September starb der bis zum Skelett abgemagerte 64jäh- rige Komponist. Die Presse widmete ihm ehrenvolle Nekrologe, obwohl man bezeichnenderweise nicht mit- teilte, daß Bartök auf Kosten der Amerikanischen Gesellschaft für Au- torenrechte bestattet wurde (9).

Literatur

(1) Bartök, B.: Selbstbiographie, Musikblätter des Anbruch 1921. — (2) Bonis, F.: Böla Bartök, Sein Leben in Bilddokumenten. Corvina Buda- pest 1973 — (3) Demöny, J.: Böla Bartök. Corvi- na, Budapest 1973. — (4) Fricsay, F.: Ober Mo- zart und Bartök. W. Hansen, Kopenhagen/

Frankfurt am Main 1962 — (5) Helm, E.: Böla Bartök. Rowohlt, Reinbek 1965 — (6) Lesznai, L.: Böla Bartök. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1961 — (7) Lindlar, H.: Böla Bartök. In:

Musik der Zeit. Boosey und Hawkes, Bonn 1953 — (8) Steegemann, M.: Der Mut zum Unge- wohnten — Mitgestalter und Anreger der Mo- derne. Musik und Medizin 2, Heft 3, 39-45 (1976) — (9) Moreux, S.: Böla Bartök. Atlantis, Zürich und Freiburg i. Br. 1950 — (10) Petzoldt, R.: Böla Bartök, Enzyklopädie, Leipzig 1958 — (11) Szabolcsi, B.: Böla Bartök. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1957 — (12) Szabolcsi, B.: Böla Bartök. P. Reclam jun., Leipzig 1968 — (13) Zielinski, T.: Bartök. Atlantis, Zürich und Frei- burg i. Br. 1973

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Gerhard Böhme FMH für

Ohren-Nasen-Hals-Krankheiten Leitender Arzt

der Abteilung für Gehör-, Sprach- und Stimmheilkunde der Klinik für Ohren-, Nasen-, Halsheilkunde und Gesichtschirurgie

Kantonsspital St. Gallen (Schweiz) Rorschacherstraße 95

CH-9007 St. Gallen

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