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Archiv "Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs: Entscheidungshilfe – aber kein Freibrief" (09.07.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 27

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9. Juli 2010 A 1335 GRUNDSATZURTEIL DES BUNDESGERICHTSHOFS

Entscheidungshilfe – aber kein Freibrief

Ärzte und Politiker begrüßen die Entscheidung, weil sie zu mehr Rechtssicherheit im Umgang mit Patienten führt. Aber es gibt auch kritische Stimmen.

D

er Abbruch lebenserhalten- der Maßnahmen ist künftig nicht mehr strafbar, wenn ein Patient dies zuvor verfügt hat.

Das entschied der Zweite Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe. Es hob die Verurteilung des Medizinrechtlers Wolfgang Putz auf, der seiner Mandantin ge- raten hatte, den PEG-Schlauch ihrer Mutter zu durchtrennen. Die Wach- komapatientin hatte kurz vor ihrer Erkrankung ihrer Tochter gegen- über mündlich geäußert, dass sie keine künstliche Ernährung wün- sche (dazu DÄ, Heft 26/2010).

Den Patientenwillen beachten

Von der Ärzteschaft wurde die Ent- scheidung des BGH vorwiegend be- grüßt. So hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe, festgestellt, dass das Urteil mit den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbe- begleitung übereinstimme. Denn auch darin heiße es, dass der Patien- tenwille auf jeden Fall beachtet wer- den solle. Palliativmediziner teilen diese Einschätzung: „Das Urteil er- möglicht engagierten Palliativmedi- zinern nun endlich, Menschen am Lebensende entsprechend ihrem Willen würdevoll zu versorgen – oh- ne den Staatsanwalt fürchten zu müssen“, kommentierte Dr. med.

Matthias Thöns vom Palliativnetz Bochum. In Altenheimen träfen Ärzte oft Entscheidungen gegen das Pflegepersonal. Jetzt müssten sie nicht mehr befürchten, strafrechtlich belangt zu werden, sagte Thöns dem Deutschen Ärzteblatt. Der Erste Vor- sitzende des Marburger Bundes, Ru- dolf Henke, hatte dagegen darauf hingewiesen, dass der Freispruch kein Freibrief für eigenmächtiges Vorgehen bei der Entscheidung über die Fortsetzung von lebenserhalten- den Maßnahmen sein dürfe.

Bei Politikern stieß das Urteil quer durch die Parteien auf ein posi- tives Echo. „Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit bei einer grundlegenden Frage im Spannungs- feld zwischen zulässiger passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe.

Es geht um das Selbstbestimmungs- recht des Menschen und damit um eine Kernfrage menschenwürdigen

Lebens bis zuletzt“, erklärte Bundes- justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP). „Niemand macht sich strafbar, der dem explizit geäußerten oder dem klar fest - gestellten mutmaßlichen Willen des Patienten, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, Beach- tung schenkt.“

Kirchen: Geteiltes Echo

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sieht ebenfalls „eine wichtige Grenze zwischen erlaubter und straf- barer Sterbehilfe gezogen“. Es sei schlicht nicht vermittelbar gewesen, weshalb das Abschalten eines Be - atmungsgeräts durch einen Arzt eine zulässige Unterlassung sei und straf- frei bleiben sollte, während das Durchschneiden eines Schlauchs unzulässig und eine Straftat sein sollte, betonte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Jens Petermann.

Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland kommen zu unterschiedlichen Bewertungen des

Urteils. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt, dass das Recht des Patienten auf die Umsetzung seines Willens gestärkt wird. „Nach Auffassung der christ- lichen Ethik gibt es keine Verpflich- tung des Menschen zur Lebensver- längerung um jeden Preis und auch kein ethisches Gebot, die therapeu- tischen Möglichkeiten der Medizin

bis zum Letzten auszuschöpfen“, erklärte die EKD. Einen Menschen sterben zu lassen, sei bei vorher verfügtem Patientenwillen nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten.

Die Deutsche Bischofskonferenz äußerte dagegen „Grundbedenken“.

Für die katholische Kirche sei die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe maßge- bend. „Sie ist eine unentbehrliche ethische Entscheidungshilfe und scheint uns in dem Urteil nicht ge- nügend berücksichtigt zu sein.“

Auf scharfe Kritik stieß das Ur- teil bei der Deutschen Hospiz-Stif- tung. „Wenn zur Ermittlung des Patientenwillens wie in diesem Fall ein beiläufiges Vieraugengespräch ohne Zeugen ausreicht, ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet“, sagte deren Geschäftsführender Vorstand, Eugen Brysch. Das Urteil sende ein fatales Signal aus, das dem Grundrecht Schwerstkranker auf Selbstbestimmung und Für - sorge nicht gerecht werde. ■

Gisela Klinkhammer

Foto: ddp

Rechtsanwalt Wolfgang Putz hatte der Tochter von einer im Wachkoma liegenden Patienten geraten, den Schlauch der PEG-Sonde zu durch- trennen. Dafür wurde er zunächst vom Landgericht Fulda wegen versuchten Totschlags verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hat ihn jetzt freigesprochen.

P O L I T I K

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