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Archiv "Neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sterilisation" (18.11.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

AUS DER RECHTSPRAXIS

Neue Entscheidung

des Bundesgerichtshofs zur Sterilisation

Ein Arzt, der eine 34jährige Frau und Mutter von drei Kin- dern unfruchtbar macht, wenn sie das wünscht, weil sie keine weiteren Kinder ha- ben will, handelt nicht rechtswidrig.

Nach der im juristischen Schrifttum sehr umstrittenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.

Oktober 1964 zur Straffreiheit von Gefälligkeitssterilisationen (BGHSt 20,31) hat der Bundesgerichtshof mit der Entscheidung vom 29. Juni 1976 — VI ZR 68/75 — erstmals Gelegenheit erhalten, sich — dies- mal in einer Schadenersatzklage

— erneut mit den Voraussetzun- gen für eine legale Sterilisation zu befassen.

Dieser Entscheidung des Bundes- gerichtshofs kommt deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil der Gesetzgeber im Strafrechtsreform- ergänzungsgesetz vom 21. 6.

1976 durch Einfügung eines § 200 f Reichsversicherungsordnung zwar einen Anspruch der Versicherten der gesetzlichen Krankenversiche- rung auf Durchführung einer „nicht rechtswidrigen" Sterilisation zu La- sten der Krankenkassen eingeführt hat, anders als bei dem im glei- chen § 200 f RVO eingeführten An- spruch auf einen „nicht rechtswi- drigen" Schwangerschaftsabbruch, im Strafgesetzbuch bisher keine strafrechtlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen einer le- galen Sterilisation aufgenommen worden sind.

Wer allerdings von dieser neuen Entscheidung des Bundesgerichts- hofs, losgelöst von der im Leitsatz wiedergegebenen Entscheidung des konkreten Einzelfalles, eine grundsätzliche Klärung der Vor- aussetzungen einer nicht rechtswi- drigen Sterilisation im Sinne des § 200 f RVO erwartet hat, muß sich enttäuscht fühlen. Der Bundesge- richtshof hat nämlich insoweit nur die Feststellung getroffen, daß es

— solange es an einer verbindli- chen Entscheidung des Gesetzge- bers fehlt — der Entscheidung des

Einzelfalles vorbehalten bleiben muß, wann eine freiwillige Sterili- sation, die weder medizinisch, kri- minologisch oder genetisch noch soziologisch indiziert ist, als

rechtswidrig zu mißbilligen ist.

Damit wird die bestehende Rechts- unsicherheit über die Vorausset- zungen einer nicht rechtswidrigen Sterilisation nicht beseitigt und die Entscheidung hierüber — wie be- reits durch das Urteil des Bundes- gerichtshof in Strafsachen vom 20.

10. 1964 — erneut auf den Gesetz- geber verlagert.

Etwas anderes konnte allerdings von dieser Entscheidung des Bun- desgerichtshofs auch nicht erwar- tet werden. Trotzdem enthalten die Entscheidungsgründe allgemeine Abwägungen von Entscheidungs- kriterien für einen nicht rechtswi- drigen Schwangerschaftsabbruch, die dem Arzt — neben den für ihn nach wie vor maßgeblichen Be- stimmungen des Standesrechts (§

6 BOÄ) — wichtige Grundlagen für seine Entscheidung über die Vor- nahme einer Sterilisation bieten können und bei deren Beachtung davon ausgegangen werden kann, daß die gesetzliche Krankenversi- cherung die Kosten nach § 200 f RVO zu übernehmen hat.

Deswegen sind die Entscheidungs- gründe im folgenden im vollen Wortlaut wiedergegeben.

1.

1. Die Beurteilung der Rechtmä- ßigkeit einer Sterilisation hat sich an dem allgemeinen Grundsatz zu orientieren, daß jeder selbst dar- über bestimmen kann, ob er einen ärztlichen Eingriff an sich vorneh- men lassen will, ein Grundsatz, der

nur dann eine Ausnahme erleidet, wenn der Eingriff trotz seiner Ein- willigung gegen die guten Sitten verstößt. Das folgt aus dem Grund- recht der Persönlichkeit und ihrer Entfaltung in Selbstbestimmung und Freiheit (Art. 1, 2 Abs. 1 GG).

Ob § 226 a StGB, der ebenfalls von diesem Grundsatz ausgeht, bei der strafrechtlichen Beurteilung einer freiwilligen Sterilisation deshalb nicht anzuwenden ist, weil solcher Eingriff seit Aufhebung des § 226 b StGB durch den Kontrollrat im Jah- re 1946 nicht mehr unter Strafe steht, wie der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 20, 81 angenommen hat, berührt hier nicht; auf die Strafwürdigkeit der freiwilligen Sterilisation kommt es hier nicht an. Weitergehende ge-

setzliche Einschränkungen der frei- willigen Sterilisation bestehen ge- genwärtig nicht; sie lassen sich insbesondere nicht aus § 14 Abs. 1 des Erbgesundheitsgesetzes vom 14. Juli 1933 — RGBI. 1529 — i. d.

F. vom 26. Juni 1935 — RGBI. 1 773

— entnehmen, sofern man von der (wenigsten partiellen) Fortgeltung dieser Norm ausgeht (vgl. BGBl. III Nr. 453 — 6). Nach heutigem Ver- ständnis verbietet diese Vorschrift freiwillige Sterilisationen, seien sie auch aus anderen als aus medizini- schen Gründen vorgenommen, nicht (vgl. Schönke/Schröder StGB, 18. Aufl. § 226 a Rdnr. 12;

Hanack. Die strafrechtliche Zuläs- sigkeit künstlicher Unfruchtbarma- chung, 1959 S. 71, 95; Schwalm in Mergen, Die juristische Problema- tik in der Medizin 1971, Bd. III S. 205 m. w. Nachw.; Urbanczyk NJW 1974, 425). Eine Regelung der frei- willigen Sterilisation hat der Regie- rungsentwurf eines Fünften Geset- zes zur Reform des Strafrechts

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sterilisation

(BT-Drucks. Vl/3434) vorgeschla- gen; er sieht vor, die freiwillige Sterilisation von Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, strafrechtlich freizugeben und sie für Personen unter 25 Jahren an Beschränkungen (entweder medizi- nische oder genetische Indikation oder Vorhandensein von 4 Kindern, außerdem Beratung durch eine Be- raterstelle) zu knüpfen. Doch ist dieser Entwurf bisher nicht Gesetz geworden.

2. Jedenfalls in Fällen wie dem vor- liegenden verletzt die freiwillige Sterilisation nicht die Grundvor- stellungen von dem, was nach den herrschenden Anschauungen unse- res Rechts- und Kulturkreises in- nerhalb der sozialen Gemeinschaft vom einzelnen an sittlichem Ver- halten verlangt wird. Daher kann auch nicht gesagt werden, daß die Einwilligung der Klägerin, wollte man auf sie die Bestimmung des § 138 BGB analog anwenden (vgl.

dazu BGHZ 29, 33, 36) nichtig wäre.

a) Nach den herrschenden Moral- vorstellungen ist weder Empfäng- nisverhütung als solche noch ärzt- liche Mithilfe dazu verwerflich. Im Gegenteil wird die freie Entschei- dung für oder gegen eine Eltern- schaft als Möglichkeit zu einer hu- maneren Lebensführung verstan- den. Das entspricht der Wertord- nung unserer Verfassung, die der Einzelpersönlichkeit für diesen in- nersten Bereich der Lebensver- wirklichung einen Freiheitsraum gewährt, zu dem die Gemeinschaft keinen Zugang hat, sei es auch nur in der Form der moralischen Kritik.

Die sittlichen Werte von Ehe und Familie werden — jedenfalls nach den hier maßgebenden Moralvor- stellungen — durch solche Ent- scheidungsfreiheit nicht angeta- stet.

b) Freilich bedeutet Sterilisation mehr als ein Mittel zur (dauernden) Empfängnisverhütung. Der Eingriff in die Fortpflanzungsfähigkeit läßt sich in der Regel nicht wieder rückgängig machen; mit seiner Einwilligung begibt sich der Betrof- fene durchweg der Möglichkeit,

sich später für Kinder entscheiden zu können. Die Sterilisation betrifft so die Persönlichkeit in ihren Grundlagen; sie kann, je nach dem Gewicht der Fortpflanzungsfähig- keit für die Einzelperson nach Le- bensalter und nach der Gestaltung seines Lebens sowie der Konfliktsi- tuation, in die sie ihn stellt, zu ei- ner erheblichen Verkürzung seiner Selbstverwirklichung führen, um deretwillen ihm gerade Entschei- dungsfreiheit gewährleistet ist.

aa) Infolge dieser Problematik ist die Zulässigkeit der freiwilligen Sterilisation umstritten. Die Lehr- meinungen der Kirchen lehnen sie im Grundsatz ab. Der Deutsche Ärztetag hat sich 1970 und 1976 in Entschließungen dafür ausgespro- chen, die Sterilisation nur aus me- dizinischen, genetischen oder schwerwiegenden sozialen Grün- den zuzulassen (vgl. Rieger DMedW 1973, 1781 sowie § 6 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte — ÄrztlMitt. 1976, 1543). Im strafrechtlichen Schrifttum will eine Mindermeinung ihre sittliche Rechtfertigung (§ 226 a StGB) schon dann verneinen, wenn sie nicht aus medizinischer, geneti- scher (eugenischer) oder krimino- logischer Indikation, sondern aus sozialen Rücksichten, mögen diese auch mit erheblichem Gewicht ge- gen weitere Nachkommenschaft

sprechen, vorgenommen wird (vgl.

Hanack, aaO S. 230 ff; derselbe JZ 1974, 393 ff; Schönke/Schröder aaO Rdnr. 20 m. w. Nachw.). Grö- ßer ist die Zahl der Autoren, die die Zulässigkeit einer Sterilisation jedenfalls über die Fälle einer so- zialen oder einer sonstigen „ver- nünftigen", „ernstzunehmenden"

Indikation hinaus als sog. „Gefäl- ligkeitssterilisation" in Zweifel zie- hen (vgl. W. Becker Med. Klinik 1972, 551, 553; Hirsch ZStrW Bd. 83 (1971), 140 ff, 170 ff; wohl weiterge- hend in LK 9. Aufl. § 226 a Rdnr. 31;

Hartwig GoltdArch. 1964, 289, 299;

Dürig in Maunz/Dürig/Herzog GG 3. Aufl. Art. 2 III Rdnr. 33; Noll ZStrW Bd. 77 (1965), 1, 25; Englisch in: Festschrift für Hellmuth Mayer 1965, 399, 414; Koffka in: Ehrenga- be für Heusinger 1968, 355, 358,

360; Schwalm aaO S. 236, 241 ff).

Demgegenüber ist eine Meinung im Vordringen, die die freiwillige Ste- rilisation von diesen Indikationsre- gelungen gelöst sehen möchte (vgl. BT-Drucks. VI/3434 S. 38; Ro- xin JuS 1964, 373, 380 ff; derselbe, Niedersächsisches Ärzteblatt 1965 Nr. 6; Gesenius Med. Klinik 1971, 1700; Bockelmann, Strafrecht des Arztes 1968, 53/54; Klug in: Festga- be für Ernst von Hippel 1965, 148 ff, 157 ff; Urbanczyk aaO; Adolf Arndt NJW 1973, 848 ff; Wulfhorst NJW 1967, 649 ff).

bb) Bereits die Diskussion um die freiwillige Sterilisation, die vor al- lem durch die erwähnte Entschei- dung in BGHSt 20, 81 ff vom 20. Ok- tober 1964 belebt worden ist, zeigt, daß in unserer Gesellschaft eine gesicherte Grundlage für ein sittli- ches Verdikt über eine freiwillige Sterilisation, die nicht schon gene- tisch (eugenisch), kriminologisch oder medizinisch indiziert ist, nicht besteht. Deshalb wurde die Ent- scheidung in BGHSt 20, 81 ff, mit der ein Arzt, der Frauen vorwie- gend aus anderen als den genann- ten Gründen auf ihren Wunsch ste- rilisiert hatte, aus Rechtsgründen freigesprochen worden ist, bei aller Kritik an ihrer rechtlichen Begrün- dung im Ergebnis durchweg be- grüßt. Seit diesem Urteil werden, soweit bekannt, freiwillige Sterilisa- tionen strafrechtlich nicht mehr verfolgt. Daß sie an Zahl zunehmen und daß sie u. a. auch aus anderen Gründen als den genannten, insbe- sondere bei erfülltem Kinder- wunsch vorgenommen und ihre Er- gebnisse diskutiert werden, nimmt die Öffentlichkeit zur Kenntnis, ohne daran Anstoß zu nehmen (vgl.

Darge, DÄrzteBl. 1974, 701 ff; W.

Becker aaO; Hirsch ZStrW Bd. 83 [1971], 140, 170).

cc) Auch die Wechselwirkungen der verfassungsrechtlichen Wert- entscheidung mit der Sittenord- nung dürfen nicht außer Betracht bleiben, wenn es darum geht, ob die Gerichte solcher Entscheidung aus dem innersten Bereich der Persönlichkeit aus Gründen der Sittlichkeit Beachtung zu versagen haben. Die Verfassung legt der

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 18. November 1976 3057

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sterilisation

staatlichen Gemeinschaft gegen- über Entscheidungen aus diesem Bereich Toleranz und Zurückhal- tung auf. Deshalb ist für die Beur- teilung, inwieweit die Gesell- schaftsordnung die mit der Sterili- sation verbundene Verkürzung der

Persönlichkeit des einzelnen hin- zunehmen hat, der Entscheidungs- freiheit des Betroffenen, die auch das Risiko des „unrichtigen Ge- brauchs" zum Nachteil der eigenen Interessen mit umfaßt, besonderes Gewicht einzuräumen. Sie muß ab- gewogen werden mit dem, was der Betroffene durch den irreversiblen Verzicht auf seine Fortpflanzungs- fähigkeit an Persönlichkeit aufgibt;

das Ergebnis solcher Abwägung kann nach Lebensalter und jeweili- ger Lebensgestaltung verschieden ausfallen. Ist aufgrund dieser ob- jektiven Kriterien ein Verstoß ge- gen die guten Sitten nicht festzu- stellen, dann kann auch der Be- weggrund, der dem Wunsch nach Sterilisation zugrundeliegt, ein sitt-

liches Verdikt nicht rechtfertigen.

Wo es um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geht, muß die Rangordnung in der Motivation zu- nächst der Einzelpersönlichkeit überlassen bleiben; dies gilt umso mehr, als dem Arzt nicht zugemutet werden kann, den Gründen für den Entschluß im einzelnen nachzuge- hen und sie auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Andererseits darf nicht aus den Augen gelassen wer- den, daß die Verfassung dem ein- zelnen das Recht auf freie Entfal- tung seiner Persönlichkeit insoweit

nicht gewährt, als er gegen das Sittengesetz verstoßen würde (Art.

2 Abs. 1 GG).

3. Wann eine freiwillige Sterilisa- tion, die weder medizinisch, krimi- nologisch oder genetisch noch so- zial indiziert ist, aufgrund solcher Abwägung zu mißbilligen ist, muß, solange es an einer verbindlichen Entscheidung des Gesetzgebers fehlt, der Entscheidung des Einzel- falles vorbehalten bleiben. Die Rechtsprechung kann im gegen- wärtigen Zeitpunkt Grundsätze al- lenfalls nach Fallgruppen an die Hand geben. Jedenfalls bei einer Frau, die wie die Klägerin im Zeit-

punkt des Eingriffs mit 34 Jahren die Mitte des Lebens erreicht hat, seit ihrem 27. Lebensjahr Mutter ist und vor der Geburt ihres 3. Kindes steht, kann unbedenklich ange- nommen werden, daß sie soviel Le- benseinsicht in die Bedeutung der Mutterschaft für das eigene Le- bensschicksal und das ihrer Ehe und Familie hat, um diese Ent- scheidung selbstverantwortlich tref- fen zu können. Jedenfalls in die- sem Lebensabschnitt und bei dieser Lebensgestaltung haben sich bereits weitgehend die Mög-

lichkeiten, die in der Fortpflan- zungsfähigkeit der Frau für die Ent- faltung ihrer Persönlichkeit liegen, verwirklicht. Der freiwillige, irrever- sible Verzicht auf sie verkürzt die Persönlichkeit der Klägerin nicht derart, daß dies für die Sittenord- nung nicht mehr tragbar wäre.

In solchen Fällen kann der Arzt — eingehende Aufklärung über Be- deutung und Folgen der Sterilisa- tion vorausgesetzt — davon ausge- hen, daß die Entscheidung der Be- troffenen sittliche Geltung bean- spruchen kann. Ebensowenig kann anerkannt werden, daß der Arzt, wenn er auf dieser Grundlage eine Sterilisation nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchführt, unge- achtet der Einwilligung der Betrof- fenen gegen die guten Sitten ver- stieße. Freilich muß er sich der mit dem Eingriff übernommenen Ver- antwortung bewußt sein und alle Umstände bedenken, die aus ärztli- cher Sicht im Einzelfall für und ge- gen einen solchen Eingriff spre- chen, wobei auch die künftige psy- chische Gesundheit seiner Patien- ten eine Rolle spielen wird. Er soll- te in jedem Einzelfall bedenken, ob ein derart endgültiger Eingriff an- gesichts der Lebensverhältnisse der Betroffenen verantwortet und ob nicht ein weniger schwerwie- gender Weg beschritten werden kann. Die Sittenordnung fordert je- doch von ihm nicht, daß er der Frau denWunsch, sterilisiert zu wer- den, unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen abschlägt.

4. Zu Recht hält das Berufungsge- richt den Eingriff nicht schon des-

halb für rechtswidrig, weil sich der Beklagte nicht auch der Einwilli- gung des Ehemanns der Klägerin versichert hat.

Gegenüber der Entscheidung des seine Sterilisation Wünschenden müssen, falls er verheiratet ist, etwa entgegenstehende Wünsche und Interessen seines Ehegatten zurücktreten. Solche Entscheidung trifft jeder kraft eigener Selbstbe- stimmung für sich. Daß sich der Betroffene u. U. mit seiner Ent- schließung dem Vorwurf einer Ehe- verfehlung aussetzt, muß er mit sich selbst abmachen; es ist jeden- falls im Grundsatz nicht Sache des Arztes, solches zu verhindern. Al- lerdings entspricht es gutem ärztli- chen Brauch, den Ehegatten zu be- fragen und sich bei dessen Weige- rung — je nach den von ihm ins Feld geführten Gründen — zurück- zuhalten. Ob sich der Arzt einem sittlichen Vorwurf aussetzt, wenn er den Eingriff vornimmt, obwohl er weiß, daß der Ehepartner dem wi- dersprochen hat und die künftige Lebensführung des Sterilisierten somit zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sein wird, kann im vor- liegenden Fall auf sich beruhen.

Hier konnte der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsge- richts davon ausgehen, daß die Klägerin ihr Vorhaben, so wie sie es dem Beklagten gesagt hatte, ein- gehend mit ihrem Ehemann bespro- chen hatte und von dieser Seite Einwände gegen die Sterilisation nicht bestanden.

5. Ist demnach die Sittenwidrigkeit einer mit Einwilligung des Betroffe- nen nach den Regeln der ärztli- chen Kunst durchgeführten Sterili- sation in einem Fall wie dem vor- liegenden zu verneinen, so stellt sich die Frage nicht, ob sich die Klägerin nicht jedenfalls unter Ver- stoß gegen Treu und Glauben in Widerspruch zu ihrem eigenen Ver- halten setzen würde, wenn sie sich zur Begründung ihres Schmerzens- geldanspruchs auf die Sittenwidrig- keit eines ärztlichen Eingriffs be- ruft, den sie selbst gewünscht und veranlaßt hat.

DEUTSCHES ÄRZTE BLATT 3058 Heft 47 vom 18. November 1976

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sterilisation

II.

Wie oben wiederholt hervorgeho- ben, ist für die Rechtmäßigkeit ei- ner Sterilisation selbstverständlich Voraussetzung, daß die Einwil- ligung der Betroffenen vorliegt, und diese, soll sie rechtswirksam sein, in Kenntnis ihrer vollen Trag- weite erklärt worden ist. Diese Vor- aussetzungen hat das Berufungs- gericht entgegen der Auffassung der Revision ohne Rechtsfehler be- jaht.

1. Die Klägerin hatte zwar den in der Praxis des Beklagten für die Bestätigung der Einwilligung in solche Eingriffe sonst üblichen Vordruck nicht unterschrieben. Da- für gab es jedoch, wie das Beru- fungsgericht feststellt, eine ein- leuchtende Erklärung: Die Entbin- dung der Klägerin, bei der der Ein- griff zusammen mit einem Kaiser- schnitt vorgenommen werden soll- te, erfolgte früher als geplant; zu der vorgesehenen Unterschrift un- ter dem Vordruck ist es in der Eile nicht mehr gekommen. Nach den Feststellungen des Berufungsge- richts hat die Klägerin jedoch wäh- rend der vorangegangenen Schwangerschaftsuntersuchungen wiederholt den Wunsch nach einer Tubenligatur geäußert und noch bei der letzten Untersuchung auf dem Eingriff bestanden. Noch bei ihrer Entbindung hat sie der Heb- amme erklärt, der Beklagte habe ihr versprochen, gleichzeitig mit ei- nem Kaiserschnitt, der sonst nicht notwendig gewesen wäre, einen Eingriff vorzunehmen, denn sie wolle keine Kinder mehr haben und „habe jetzt ihre Pflicht getan".

a) Solch mündlich erklärtes Ein- verständnis in die Sterilisation ge- nügt; es braucht nicht schriftlich vorzuliegen, wenn letzteres auch dem Arzt aus Beweisgründen anzu- raten ist. Der Schriftform der Ein- verständniserklärung bedarf es entgegen dem Standpunkt der Re- vision nicht, um die Betroffene vor übereilten Entschlüssen zu bewah- ren; diese Vorsorge ist der Bera- tung vorbehalten, die der Arzt sei- nem Patienten zu gewähren hat.

Diese ist, ebenso wie die Verstän- digung über den sie betreffenden Wunsch des Betroffenen, von dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten bestimmt und darf nicht von Rechts wegen durch rechtsgeschäftliche Formen bela- stet werden (vgl. Senatsurteil vom 28. November 1972 — VI ZR 133/71 NJW 1973, 556 = VersR 1973, 277). Für die Annahme, daß die Klägerin ihre Einwilligung vor- schnell oder unter Schwanger- schaftsangst erklärt hat, fehlt es an jedem Anhalt; dagegen spricht ins- besondere, daß sie ihren Wunsch nach Sterilisation seit längerem und bei wiederholter Gelegenheit geäußert hat.

b) Daß einer Urkunde über das er- teilte Einverständnis unter Umstän- den höherer Beweiswert zukom- men kann, als den Bekundungen der bei dem Arzt tätigen Personen, und daß bei Fehlen einer sonst schriftlichen Bestätigung jenen Aussagen mit besonderer Vorsicht zu begegnen ist, hat das Beru- fungsgericht nicht verkannt. Nach seiner revisionsrechtlich nicht zu beanstandenen Würdigung sind je- doch die Aussagen der Zeugen be- weiskräftig und werden darüber hinaus durch weitere Indizien er- härtet, so daß trotz des Fehlens ei- ner solchen Urkunde an der Einwil- ligung der Klägerin Zweifel nicht bestehen.

2. Ebensowenig ist die Klägerin bei Erklärung der Einwilligung über Bedeutung und Tragweite des Ein- griffs im Zweifel gewesen.

Nach den Feststellungen des Tat- richters hat nicht nur der Beklagte die Klägerin bei seinen vorange- gangenen Schwangerschaftsunter- suchungen auf die Folgen einer

„Eileiterunterbindung" hingewie- sen; vielmehr hat diese den Eingriff auch mit ihrem Hausarzt einge- hend erörtert. Daß ihr die Bedeu- tung des Eingriffs klar gewesen ist, zeigt auch ihr Gespräch mit der Hebamme, bei der sie ihren Wunsch nach dem „Eingriff" damit begründet hat, sie wolle keine Kin- der mehr haben, sie „habe jetzt

ihre Pflicht getan". Selbst wenn der Beklagte sich auf die Er- klärung der physiologischen Bedeutung des Eingriffs be- schränkt und mit ihr über die mög- licherweise eintretende psychische Belastung künftig dauernder Un- fruchtbarkeit nicht gesprochen hat- te — das Berufungsurteil enthält hierüber keine Ausführungen —, so hätte er damit seine Aufklärungs- pflicht nicht in einer Weise verletzt, daß die Einwilligung der Klägerin rechtsunwirksam wäre. Zwar ist im Einzelfall von dem Arzt auch eine Belehrung über die psychische Si- tuation der Betroffenen nach dem Eingriff zu verlangen. Hier jedoch konnte der Beklagte mangels ent- gegenstehender Anhaltspunkte mit Rücksicht auf das Alter und die Mutterschaft der Klägerin, die er seit 12 Jahren frauenärztlich be- treute, davon ausgehen, daß sie

diese Folgen des Eingriffs für ihre künftige Lebensführung selbst ein- zuschätzen vermochte. Daß sie ei- nige Tage nach dem Eingriff den Beklagten um einen Ovulations- hemmer gebeten hat und, wie sie behauptet hat, einen Schock erlit- ten habe, als der Beklagte sie auf die erfolgte Sterilisation hinwies, steht diesen Feststellungen des Be-

rufungsgerichts nicht entgegen.

Die Deutung der Revision, diese Umstände hätten gegen eine ausrei- chende Aufklärung der Klägerin ge- sprochen, ist nicht zwingend. Das Berufungsgericht hat sich im übri- gen mit dem späteren Verhalten der Klägerin auseinandergesetzt.

Soweit die Revision mit ihrem Vor- bringen eine andere Beurteilung erstrebt, bewegt sie sich in dem ihr verschlossenen Bereich tat- richterlicher Würdigung.

Anschrift des Verfassers:

Rechtsanwalt Dr. Rainer Hess Haedenkampstraße 3 5000 Köln 41-Lindenthal

3060 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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