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Archiv "Psychiatrie in der Ex-DDR: Eine schockierende Reise durch deutsche Anstalten" (26.09.1991)

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ärzte mit Berufsverbot belegt wur- den, wenn sie den Ausreiseantrag gestellt hatten? ( ... ) Wenn ein sich auf die Hochschullaufbahn vorberei- tender junger Mensch den (immer aktiven) Schritt getan hat, Mitglied der SED zu werden, so muß man fra- gen, ob sein Denk- und Urteilsver- mögen für eine Hochschullehrer- Laufbahn ausreichend war."

Auch Michael Gerber, Facharzt für Radiologie aus Groß Gerau, stimmt der Initiative der CDU-Frak- tion zu: "( ... ) So ergaben Überprü- fungen des Lehrkörpers ehemaliger DDR-Universitäten, Medizinische Fakultät, SED-Mitgliedschaften der Ordinarien von durchschnittlich 90 Prozent, und die Zahl der mit dem Ministerium für Staatssicherheit Li- ierten lag bei fast 50 Prozent. Das zeigt natürlich auch, daß es Ausnah- men gegeben hat, und läßt hoffen, daß nicht mit dem Rasenmäher gear- beitet wird. Daß aber ,fachliche und wissenschaftliche Kompetenz' sowie ,menschliche' Nähe herausragende Eigenschaften der Masse der ost- deutschen Ordinarien gewesen wä- ren, vermag ich, bis auf schon er- wähnte Ausnahmen, beim besten Willen nicht nachzuvollziehen."

~ Der Dekan der Berliner Charite, Prof. Dr. Harald Mau, hatte in einem Aufsatz (Heft 31/32, 1991) den Erneuerungsprozeß an den Uni- versitäten in den neuen Bundeslän- dern beschrieben. Dazu schrieb Dr.

Manfred Wolf aus Berlin:

"Mir ist aus meiner Oberarztzeit

aus der Charite noch gut bekannt, mit welchem Eifer sich einige SED-Ordi- narien vor den alten Staatskarren spannen ließen und regimekritische Gegner, sie waren keine Kollegen mehr, bremsten, ihnen die Facultas docendi verweigerten, sie nicht habili- tieren ließen beziehungsweise sogar die Professur entziehen ließen. Selt- samerweise hat Herr Prof. Dr. Mau das nicht mitbekommen. Erfaßt hat er auch nicht, daß sein ärztlicher Direk- tor der Chari te, Prof. Dr. Zeumer, IM- Stasi-Mitarbeiter war und bis vor we- nigen Wochen bei ihm gearbeitet hat."

Prof. Dr. H.-J. Maurer schreibt aus Malaysia zur Vergangenheitsbe- wältigung in den neuen Bundeslän- dern: "Es taucht natürlich bei den Älteren unter uns die gleiche Frage

wie nach dem Zweiten Weltkrieg auf, was habt Ihr getan, um das Re- gime zu verhindern und es zu beseiti- gen? Diese Frage hat damals einen Generationenkonflikt herbeigeführt, der nicht ohne weiteres beseitigt werden konnte, wenn überhaupt. Be- vor also Klagen vorgetragen werden

und nach Revision ,ungerechter' Lö- sungen gerufen wird, sollte die Situa- tion selbstkritisch überdacht werden.

Im übrigen sind die mir als zumin- dest ,Mitläufer' bekannten ,Kolle- gen' nach wie vor in Amt und Wür- den; Schwemmgut landet immer am sicheren Ufer!" WA

Psychiatrie in der Ex-DDR

Eine schockierende Reise durch deutsche Anstalten

Die Lage in der Psychiatrie im Osten Deutschlands ist "brutal", wenn nicht "fatal". Das sagt Dr. med. Eugen Wolpert, Chefarzt der psychia- trischen Kliniken am Elisabethenstift in Darmstadt. Er hat an der Stu-

die "Zur Lage der Psychiatrie in der früheren DDR" mitgewirkt. Die

Arbeit wurde nach einer Reise west- und ostdeutscher Experten durch die neuen Länder, die im Dezember 1990 begann, geschrieben und En- de Mai dem Auftraggeber, der Bundesgesundheitsministerin, überge- ben. Jetzt liegt der 201 Seiten starke Bericht vor.

D

ie deutsch-deutschen Psychia- triefachleute haben auf ihrer Reise durch die oft baufälli- gen psychiatrischen Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser und die Landeskrankenhäuser der früheren DDR Schockierendes gesehen und aufgeschrieben. Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen leben in den großen Anstalten zu- sammen: psychisch Kranke, Sucht- kranke, hirnorganisch Geschädigte, Altersverwirrte, geistig Behinderte jeden Alters. Eine spezifische Förde- rung, Strukturierung des Tages oder eine Arbeit gibt es nicht. Ein großes Heim war mitten im Winter ohne Heizung. In einem anderen wurden viele Bewohner nachts in ihren Zim- mern eingeschlossen. Weil damit der Weg zur Toilette versperrt war, wur- den Nachtstühle in die Zimmer ge- stellt. Manche Patienten wurden fi- xiert, einige dauernd.

Eine "einsame Nachtwache"

mußte zusehen, wie sie mit angetrun- kenen Alkoholikern, die vom Knei- penbesuch heimkehrten, in der Nacht fertigwerden sollte. Das Waschen be- gann um 3.30 Uhr, und für bettlägerige Patienten gab es außer der Grund- pflege keine weiteren Hilfen. "Das

Personal in diesen Heimen", stellen die Berichterstatter der Gesundheits- ministerin fest, "ist völlig überfordert und alleingelassen."

Wie die Autoren schildern, fehlte -und fehltes-im Osten Deutschlands an einer begleitenden, sozial-integrie- renden Unterstützung der Patienten, gab - und gibt es - nach den Worten Eugen Wolperts "kaum Alternativen zu den Dauerasylen der Psychiatrie", in denen im Durchschnitt 60, im Ein- zelfall 80 Prozent der Plätze fehlbe- legt sein sollen-mit Patienten, denen mit betreuten Wohngemeinschaften, Tagesstätten oder Kontaktstellen besser geholfen wäre.

Die Großkliniken gleichen oft Verwahranstalten, die an wenigen Stellen im Land konzentriert und da- her nur nach langer Fahrzeit zu er- reichen sind. Das fördert die Chroni- fizierung der Krankheit zusätzlich.

Pfleger, Ärzte und vor allem die Patienten hatten unter einem System zu leiden, das wissenschaftliche Er- kenntnisse durch die ideologische Brille nicht sah oder nicht sehen wollte und dessen ökonomische Un- fähigkeit die ohnehin Benachteilig- ten obendrein in ärmlichste Verhält-

nisse zwang. C>

A-3200 (28) Dt. Ärztebl. 88, Heft 39, 26. September 1991

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Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, gab es im Sozialismus keine Alkoholiker. Da die Realität dem Programm aber widersprach, wurde die Wirklichkeit dem Wunsch angepaßt, der Suchtkranke allzuoft in der Anstalt eingesperrt.

Auch während politischer Ver- anstaltungen oder wichtiger Besuche wurden psychiatrische Patienten in den Kliniken zurückgehalten. Der Mißbrauch der Psychiatrie reichte bis hin zu Stasidiensten, wie im säch- sischen Waldheim, wo nach den Worten Eugen Wolperts "im Über- maß forensische Patienten gehalten wurden", bei denen die bestimmen- den Fakten aber nicht erfüllt waren.

"Waldheim" sei aber nicht überall gewesen. Die Verhältnisse in der DDR waren nach seinem Eindruck nicht mit denen in der UdSSR zu vergleichen, "nicht im entfernte- sten".

Erblast der SED

Eugen Wolpert beurteilt die La- ge in den Kliniken der früheren DDR differenziert. Es habe einige

"rote Socken" gegeben, die auch zum Teil noch in Amt und Würden seien. Ebenso habe es aber auch "er- staunlich viele integre Persönlichkei- ten gegeben, die zum Wohl des Pa- tienten gehandelt und dabei persön- liche Risiken auf sich genommen ha- ben". Nicht jeder Arzt hat zum Bei- spiel gemäß der SED-Maßgabe den Patienten den Wochenendurlaub verwehrt, wenn im Heimatort politi- sche Prominenz erwartet wurde.

Der Darmstädter Klinikchef spricht den Kollegen und deren Mit- arbeitern im Osten auch nicht die Motivation oder Qualifikation ab.

Die sei oft außerordentlich hoch.

Dem Pflegepersonal fehle allenfalls das Know-how in modernen Metho- den, etwa der gemeindenahen Psych- iatrie oder der rehabilitativen Thera- pie, in der nicht-verwahrenden Psychiatrie also.

Trotz der "brutalen Mißstände"

in der Psychiatrie der versunkenen DDR erkennt Eugen Wolpert im Rückblick Positives, "was jetzt auch am Sterben ist". Bis zur Wende habe es ein breites Angebot an Arbeit für

die Behinderten gegeben. Das sei nun schlagartig entfallen, denn die Behinderten, die zuvor einen norma- len Lohn erhielten, seien in einer Marktwirtschaft nicht mehr konkur- renzfähig. Außerdem schlössen im- mer mehr Polikliniken, die zuvor die Gesamtverantwortung für die ge- sundheitliche Versorgung in einer Region gehabt hätten. Dort seien au- ßer den Ärzten auch Fürsorger, et- was geringer qualifizierte Sozialar- beiter, für die Patienten da gewesen, hätten Hausbesuche und Gespräche mit Familie oder Arbeitgeber über- nommen. Zu dieser nachgehenden Fürsorge sei der niedergelassene Nervenarzt, der die Polikliniken nun ersetze, nicht in der Lage. Der Kas- senarzt sei damit zeitlich, wirtschaft- lich und fachlich überfordert, denn er könne die Vielzahl rechtlicher Be- stimmungen, die Zuständigkeiten der Behörden nicht kennen. Und die Kassen zahlten nach dem westdeut- schen Recht den Fürsorger oder So- zialarbeiter nicht.

Für die Patienten, ja das ganze Versorgungssystem, sei der gleich- zeitige Verlust von Arbeit und Poli- kliniken "schmerzlich", urteilt Eugen Wolpert.

Während das alte System zusam- menbricht, ist das neue noch nicht aufgebaut. Ansätze für grundlegen- de Veränderungen gibt es bisher nur in den Köpfen engagierter Ärzte und in deren Studie zur Lage. Weg von der verwahrenden Psychiatrie, heißt das Ziel.

~ Alle Patienten, die nicht sta- tionär behandelt werden müssen, sollen in Wohnheime oder Wohnge- meinschaften verlegt werden. Die Kranken fänden zurück in ihren na- türlichen Lebensraum, und die Klini- ken würden entlastet.

~ Überall dort, wo es sinnvoll sei, sollten an den Allgemeinen Krankenhäusern wohnortnah psych- iatrische Abteilungen eingerichtet werden, zumal dort oft ein Betten- überhang herrsche.

~ Die Landeskrankenhäuser sollten schließlich verkleinert wer- den. 300, allenfalls 500 Betten will Eugen Wolpert als Obergrenze hin- nehmen. Gleichzeitig müsse deren Einzugsgebiet verkleinert werden, damit der Kontakt zwischen den Pa-

tienten und ihrer Ursprungsgemein- de erhalten bleibe.

~ Begleitend wären als Ersatz für die umfassenden Dienste der Po- likliniken sozialpsychiatrische Dien- ste in den Gemeinden aufzubauen.

In ihrer Studie gehen die Psych- iatrie-Experten noch weiter. Eine Zersplitterung des sozialen Siche- rungssystems und damit der Zustän- digkeit für die Psychiatrie wie in der früheren Bundesrepublik müsse ver- mieden werden. Zunächst sei ein Zweckverband zwischen Land, Krei- sen und Städten zu gründen, der die Psychiatrieplanung vorantreibe so- wie die Einrichtungen- und Kosten- träger in die Pflicht nehme. Die frei- en Träger dürften ihre Freiheit nicht als freie Wahl der eigenen Aufgabe mißverstehen, die sie selbst bestim- men, ohne sich in ein Konzept ein- binden zu lassen. Überhaupt seien regionale Zuständigkeiten zu schaf- fen, aus denen sich keine Einrich- tung zurückziehen dürfe. In Kommu- nen sollten ehemals Betroffene die Initiative für Vereine von Angehöri- gen oder Selbsthilfegruppen zünden.

Radikalkur notwendi

Noch ist nach den Worten Eu- gen Wolperts offen, wieviel das neue Konzept kosten wird und bis wann es umgesetzt sein könnte. Er weiß nur, daß die Psychiatrie in der ehemali- gen DDR einer Radikalkur bedarf, die keinen Aufschub duldet. Die neuen Länder oder die Kommunen wären hiermit überfordert; der Bund muß mit Geld helfen. Hieran werde sich entscheiden, ob der Wille der Politiker zur Veränderung ehrlich gemeint sei oder nicht.

Noch habe er, Eugen Wolpert, keine Rückmeldung von Bundesge- sundheitsministerin Gerda Hassel- feldt, doch er erwarte, daß die Arbeit nach der Sommerpause beginne. Die Studie sei an die Landesministerien weiterzuleiten, lokale Budgets seien zu bilden. "Wir hoffen, daß das so läuft", sagt Wolpert, im Grunde zu- versichtlich, aber nicht ohne eine Spur Skepsis. Schließlich sei die Psychiatrie-Reform auch im Westen nur sehr zögerlich umgesetzt wor- den. Alexander Görtz, Frankfurt Dt. Ärztebl. 88, Heft 39, 26. September 1991 (31) A-3203

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