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underte Patienten hätten ohne die Arbeit der Ambulanz gar nicht oder erst viele Jahre später entlas- sen werden können“, so beurteilen die Richter der Strafvollstreckungskam- mer am Landgericht Marburg die Be- deutung der Nachsorgeambulanz im hessischen Haina. Bereits 1988 wurde sie an der Klinik für forensische Psych- iatrie Haina eingerichtet und betreut seitdem Sexualstraftä- ter und Gewalttäter nach ihrer Entlassung aus dem Maßregel- vollzug – sie gilt als Pionier. Das Team besteht aus zwei Ärzten, einem Psychologen, vier Sozial- arbeitern und einem Kranken- pfleger. Zur ambulanten Nach- betreuung gehören therapeuti- sche Gespräche, die Verabrei- chung von Medikamenten, so- ziale Unterstützung. Die Am- bulanz arbeitet eng mit der Be- währungshilfe zusammen.Ambulanzen sind dringend notwendig, um den enormen Bedarf an psychotherapeutischer Nach- betreuung von Tätern nach der Entlas- sung aus Maßregelvollzug und Strafhaft zu decken, so der Tenor des Symposi- ums „Aufgaben und Möglichkeiten am- bulanter Kriminaltherapie“ am 22. Fe- bruar in Berlin. Prof. Dr. med. Hans- Ludwig Kröber, Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie am Univer- sitätsklinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin und Veran- stalter der Tagung, erklärt: „Es geht nicht um eine Pflichtbehandlung für je- den oder um blinden therapeutischen Optimismus. Es geht um die Straftäter, bei denen Nachbetreuung das Rückfall- risiko wesentlich vermindern kann.“
Bewährungshelfer schätzen, dass über die Hälfte ihrer Klientel psycho- therapeutische Behandlung benötigte, so das Ergebnis einer Münchner Studie.
Ein Drittel der aus Haft oder Maßregel- vollzug Entlassenen konnte sich eine re-
gelmäßige psychotherapeutische Be- treuung vorstellen. Nur 20 Prozent be- fanden sich in ambulanter Behandlung, die Hälfte davon in typischer Psycho- therapie. Bei mehr als zwei Drittel der Probanden, die zu einem früheren Zeit- punkt eine Psychotherapie erhalten hat- ten, ging diese über maximal 40 Stun- den. Waren die Behandlungen Bestand- teil gerichtlicher Weisungen, dann dau- erten sie tendenziell länger und wurden mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht abgebrochen, als Therapien ohne Wei- sung. Nur etwa die Hälfte der Therapien basierte jedoch auf einer Weisung, und weniger als ein Drittel wurde durch In- stitutionen vermittelt, die sich professio- nell mit Straftätern befassen. Die Stu- die, so Kröber, zeige, dass selbst in einer Stadt wie München, in der es sehr vie- le ambulant tätige Psychotherapeuten gibt, der Behandlungsbedarf von Straf- tätern keineswegs gedeckt sei.
Christian Zürn, Leiter der sozialthe- rapeutischen Anstalt in der Justizvoll- zugsanstalt Berlin-Tegel, bestätigt diese Erfahrung. Es gebe zwar niedergelasse- ne Psychotherapeuten, die ins Gefäng- nis kommen, um mit Inhaftierten eine Psychotherapie zu beginnen, und diese dann nach Entlassung ambulant wei- terführen. Die Chance, Haftentlasse- ne an niedergelassene Therapeuten zu vermitteln, sei sehr gering. Auch die Institutsambulanzen der allgemein- psychiatrischen Kliniken weisen immer wieder auf ihre fehlende Fachkompe- tenz bei der Nachbetreuung von Foren- sikpatienten hin. Zweifellos sei der Pati- entenkreis problematisch, urteilte Prof.
Dr. med. Friedemann Pfäfflin, Abtei- lung Psychotherapie am Uni- versitätsklinikum Ulm. Um sie erfolgreich behandeln zu kön- nen, müsse sich ein Psychothe- rapeut unbedingt im Fachgebiet Forensik weiterbilden. Welches psychotherapeutische Verfah- ren er mitbringe, hält Kröber für sekundär. Eine enge Zusam- menarbeit mit Psychiatern wird von der Stuttgarter psychothe- rapeutischen Ambulanz für Se- xualstraftäter angestrebt, auch im Hinblick auf flankierende medikamentöse Maßnahmen wie beispielsweise die Verord- nung von Anti-Androgenen.
Dass ambulante Psychotherapie die Rückfälligkeit von Sexualstraftätern reduzieren kann, wurde in einer Viel- zahl wissenschaftlicher Studien belegt.
Die seit 1998 bestehende Stuttgarter Ambulanz bestätigt dies: In den ersten beiden Jahren seit der Gründung wur- den zehn (3,5 Prozent) der insgesamt 167 Klienten rückfällig. Ohne Behand- lung wäre eine Rückfallwahrschein- lichkeit von 20 Prozent zu erwarten ge- wesen.
Auch unter ökonomischen Aspekten ist das Konzept der ambulanten Nach- betreuung von Straftätern sehr aktuell.
Die Richter der Strafvollstreckungs- kammer fordern, die Mittel dafür dau- erhaft bereitzustellen: „Die Erfahrun- gen in Hessen zeigen, dass der Betrieb einer forensisch-psychiatrischen Am- bulanz um ein Vielfaches kostengünsti- ger ist als die andernfalls notwendige weitere Vollstreckung.“ Thomas Heim P O L I T I K
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A762 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002
Forensische Psychiatrie
Ambulanzen dringend notwendig
Ambulante Nachbetreuung kann verhindern, dass Patienten vielleicht lebenslang hinter Gittern sitzen. Foto: epd