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Archiv "Wahlfreiheit für Patient und Arzt: Nauheimer Gespräch der FDP über Gesundheitspolitik" (15.07.1976)

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Die Information:

Bericht und Meinung

73. Jahrgang / Heft 29 15. Juli 1976

Postverlagsort Köln

Redaktion:

Dieselstraße 2 Postfach 40 04 30 5000 Köln 40 (Lövenich) Ruf: (0 22 34) 70 11 - 1 Fernschreiber 8 89 168

Verlag und

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Wahlfreiheit

für Patient und Arzt

Nauheimer Gespräch der FDP über Gesundheitspolitik

Eines hat die FDP mit anderen Parteien gemein: sie hält für die Wahlkampfzeit ein Spezial-Papier zur Gesundheitspolitik parat, das kein gesundheitspolitisches Parteiprogramm ist. Denn dem

„Gesundheitspolitischen Programm der FDP", das Ende Juni in einem Kreis von Fachleuten und Journalisten in Bad Nauheim er- örtert wurde, fehlt der Segen von oben. Dieser wird erst vom näch- sten Parteitag im November 1976 erwartet. Also nach der Wahl.

Der Grad von Verbindlichkeit des Programmentwurfs, für den der FDP-Bundesfachausschuß für Soziales, Jugend, Familie und Ge- sundheit unter seinem Vorsitzenden Hansheinrich Schmidt (Kempten) zeichnet, ist demnach noch relativ niedrig. Immerhin, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Mischnick, der sich seit einiger Zeit zunehmend für eine klare FDP-Gesund- heitspolitik einsetzt (so im November 1974, als er sich im schles- wig-holsteinischen Wahlkampf nachdrücklich und gegen Wider- stände aus der eigenen Partei für die Förderung der freien Praxis verwandte), versicherte in Nauheim: auch nach der Wahl werde sich seine Partei an das halten, was sie vorher versprochen habe.

Zudem enthält die Wahlplattform der FDP, die am 30. Mai 1976 auf dem Wahlkongreß in Freiburg verabschiedet wurde, eine Festle- gung hinsichtlich des „verbesserten Belegarztsystems".

Dieses und die FDP-Idee „Wahltarife" standen in Bad Nauheim im Mittelpunkt der Diskussionen. Es war schon fast überraschend, wie beharrlich sich die FDP-Vertreter und vor allem Hansheinrich Schmidt für diese „Wahlfreiheit durch das Angebot flexibler Bei- tragssätze" in der gesetzlichen Krankenversicherung einsetzten.

Diese Idee war zwar von FDP-Politikern schon vor Monaten in die , Welt gesetzt worden; doch nach heftigen Reaktionen aus der eige- nen Partei sowie von seiten der Jungdemokraten schien es so, als hätte sich der Erkundungstrupp aus diesem Gelände wieder zurück- gezogen. In der Wahlplattform ist von Wahltarifen nicht die Rede;

im Entwurf des Gesundheitsprogramms der FDP tauchen sie ledig- lich in der Begründung zur These 11 (Krankenversicherung) auf und dort eher versteckt. In Nauheim jedoch konnten selbst Wider-

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Die Information:

Bericht und Meinung

Gesundheitspolitik bei der

FDP

sprüche in der Arbeitsgruppe, die sich mit der These 11 beschäftigte, Hansheinrich Schmidt und seine Freunde nicht davon abbringen, zumindest Modellversuche mit Wahltarifen zu propagieren. Die Renaissance einer Idee. Doch hat sie eine Realisierungschance? Die Frage wurde in Nauheim des häufi- geren gestellt — und letztlich nicht beantwortet.

Unvereinbare Gegensätze zwischen den Koalitionspartnern

Denn daß sich die Wahltarife — ein Gleiches gilt für das reformierte Belegarztwesen — mit dem Koali- tionspartner SPD in die Tat umset- zen lassen, ist nicht wahrschein- lich. Hat sich doch die SPD apo- diktisch gegen alle Formen von Selbstbeteiligung — und die Wahl- tarife sind darunter zu subsumie- ren — ausgesprochen. Auch in der FDP sind die Wahltarife keines- wegs unumstritten. Das trifft auch zu für das FDP-Modell zur Versorgung im ambulanten und stationären Be- reich (Thesen 2 und 3 des Ent- wurfs). Die von der FDP empfohle- ne Einführung des verbesserten Belegarztsystems in Krankenhäu- ser der Grund- und Regelversor- gung sowie die kassenärztlich-frei- berufliche Nebentätigkeit von Krankenhausfachärzten muß auf den harten Widerstand des Koali- tionspartners (SPD) stoßen — je- denfalls dann, wenn dieser sich an seine eigenen, bislang vorliegen- den gesundheitspolitischen Aussa- gen hält. Denn ideologisch ist das SPD-Modell eines integrierten Ge- sundheitswesens den FDP-Vorstel- lungen, wie sie in Nauheim präsen- tiert wurden, diametral entgegen- gesetzt.

Die Gesundheitspolitik gehört dem- nach nicht zu dem „Vorrat an Ge- meinsamkeiten", der die Koali- tionsparteien zusammenhält. Im Gegenteil, die Vorstellungen blok- kieren sich gegenseitig. Angesichts dessen wird eine neuaufgelegte Koalition in der Gesundheitspolitik bestenfalls erreichen, daß nichts grundlegend Neues geschieht (und

das wäre ja auch schon was ...);

schlimmstenfalls wäre die FDP ge- zwungen, der SPD auf dem Neben- schauplatz Gesundheit gelegent- lich ein paar Konzessionen zu ma- chen (was sich bei der Verabschie- dung des Kassenarztrechtes stu- dieren läßt).

Gemeinsamkeiten lassen sich weit eher mit Vorschlägen aus der Op- position herstellen, so ungern FDP und Union das derzeit vielleicht hö- ren mögen, weil es nicht ins Freund-Feind-Schema des Wahl- kampfes paßt. Denn die politische Haltung, die beispielsweise hinter der „Beleggruppenpraxis" (einem Vorschlag von CDU-Mann Beske) oder hinter der „Praxisklinik" (ei- nem Favoriten des CDU-Mannes Geißler) steht, läßt sich mit der FDP-Vorliebe für das reformierte Belegarztwesen durchaus verein- baren. Vielleicht ist eine solche Gemeinsamkeit auch der Grund, daß die gesundheitspolitischen Passagen der FDP-Wahlplattform in Freiburg umstritten waren und daß die offizielle FDP erst kürzlich von ihrer inoffiziellen Jugendorga- nisation, den Jungdemokraten, wieder heftige Vorwürfe einstecken mußte. In Nauheim verwiesen die FDP-Politiker, vor allem Schmidt und Mischnick, immer wieder dar- auf, daß die Jungdemokraten keine Parteigliederung seien und sich die Jungen, wenn sie einmal in der Verantwortung seien, schon beru- higen würden. Außerdem habe in Freiburg auch der gesundheitspoli- tische Teil des Wahlkampfpro- gramms noch eine beachtliche Mehrheit gefunden.

Bleibt zu hoffen, daß auch das ausführliche gesundheitspolitische Programm, das noch einigen Zünd- stoff mehr enthält als die Freibur- ger Plattform, eine beachtliche Mehrheit finden wird, wenn es im November 1976 auf dem Parteitag in Frankfurt auf der Tagesordnung steht. Bis dahin wird der Text si- cherlich noch zahlreiche Änderun- gen erfahren. Dann jedenfalls, wenn die FDP das wahr macht, was sie mit der Veranstaltung in Bad Nauheim vorhatte: sich näm-

lich von Vertretern der Ärzteschaft und anderer Heilberufe, von Ver- bänden und gesellschaftlichen Gruppen und nicht zuletzt auch von Fachjournalisten sachlich und offen über die Zielsetzung und ihre Formulierung beraten zu lassen.

Die wichtigsten Schlagworte, nach denen die

FDP

ihr Gesundheitspo- litisches Programm ausrichten will, waren schon im Titel der Bad Nau- heimer Veranstaltung enthalten:

„Freiheit — Fortschritt — Leistung in der Gesundheitspolitik." Diese Schlagworte nahm der Stellvertre- tende Bundesvorsitzende und Frak- tionsvorsitzende Wolfgang Misch- nick in seinem einleitenden Referat

„Die liberale Gesundheitspolitik heute" auf, indem er sie in die für diese Partei wichtigen Beziehun- gen zueinander setzte: Die in so- ziale Verantwortung eingebundene Freiheit sei die wirksamste Motiva- tion zu individueller und gesell- schaftlicher Leistung; und die Lei- stung vieler, miteinander in Wett- bewerb stehender einzelner schaf- fe am ehesten den gesellschaftli- chen Fortschritt.

Prinzip Freiheit und die Folgen für die

Gesundheitspolitik

Mischnick wies eingangs den Vor- wurf der Jungdemokraten zurück, die

FDP

habe mit ihrem Programm- entwurf den Ärzten ein „Standes- papier" angedient. Im Mittelpunkt stehe nämlich nicht etwa der Arzt, sondern der freie, sozial verant- wortliche Bürger, wobei in erster Linie an den Bürger zu denken ist, der medizinische Hilfe sucht, aber ebenso auch an den, der diese Hil- fe leistet, sei es als Arzt, Pflege- kraft, Apotheker oder in einer an- deren Funktion im Gesundheitswe- sen. Auf diesen Bürger als Person komme es an, denn Freiheit sei für die FDP eine personenbezogene Kategorie. Die Institution, in wel- cher der Bürger tätig ist, sei dage- gen zweitrangig.

Unter diese Kategorie der Freiheit ordnete Mischnick eine Reihe der

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Die Information:

Bericht und Meinung

gesundheitspolitischen Forderun- gen nach dem Programmentwurf ein, so zum Beispiel die Aufklärung und Information des Bürgers, die zu gesundheitsbewußterem Verhal- ten führen und damit zur Gesund- heitsvorsorge motivieren müßte;

die Stärkung des Kostenbewußt- seins; der größere Spielraum für eigenverantwortliche Entscheidun- gen in der Krankenversicherung.

Hier fielen natürlich die Stichworte Wahlfreiheit und Selbstbeteiligung des Sozialversicherten, die Misch- nick keineswegs als Allheilmittel für die Kostenentwicklung betrach- tet sehen wollte: „Man kann doch nicht — ohne inkonsequent zu wer- den — etwa die erweiterte Mitbe- stimmung des Arbeitnehmers im Betrieb durchsetzen, sich aber ge- gen bescheidene zusätzliche Mit- gestaltungsrechte desselben Ar- beitnehmers im Bereich seiner Krankenversicherung sträuben."

Und die Freiheit, fügte Mischnick hinzu, sei auch im Gesundheitswe- sen unteilbar: Man könne die all- seits beschworenen Freiheiten der ärztlichen Berufsausübung, der Niederlassung des Kassenarztes oder die Arztwahl des Patienten nicht erhalten, wenn man „den Krankenversicherten in der Dulder- rolle des stummen Beitragszah- lers" halte.

Mit der Betonung des Leistungs- gedankens begründete Wolfgang Mischnick die Tatsache, daß im FDP-Programmentwurf der ambu- lante Bereich vor der stationären Versorgung steht. Er erklärte dazu:

„Die Schlacht um die Kosten muß zwar auf beiden Feldern geschla- gen werden, gewonnen aber wird sie — wenn überhaupt — von den niedergelassenen Ärzten." Es kön- ne jedoch nicht einfach darum ge- hen, soviel medizinische Aufgaben wie möglich vom Krankenhaus zur freien Praxis zurückzuverlagern.

Auf lange Sicht will die FDP viel- mehr die Grenze zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich in beiden Richtungen durchlässiger machen. Deshalb der Vorschlag, in Krankenhäusern der ersten und teilweise auch der zwei-

ten Versorgungsstufe das modifi- zierte Belegarztsystem einzuführen und umgekehrt allen Krankenhaus- fachärzten die Zulassung zur kas- senärztlichen Versorgung zu eröff- nen: „Wir betrachten die fachliche Verbindung beider Behandlungs- formen bei möglichst vielen Ärzten des Krankenhauses als einen wich- tigen Vorteil gerade für die ärztli- che Versorgung des Patienten. Auf diese Weise wollen wir statt des heutigen Nur-Angestellten und Nur-

-ZITAT

Aufgabe des Gesetzgebers

„Solange nicht der Gesetzge- ber seiner Verpflichtung nachkommt, den gesetzlich fixierten Leistungskatalog im Rahmen unseres Versiche- rungssystems derart zu be- messen und zu strukturieren, daß unser Gesundheitswesen finanzierbar bleibt, solange kann es keine durchgreifen- de Lösung der Kosten- und Strukturprobleme unseres Systems der gesundheitli- chen Sicherung geben. Der Arzt, der Apotheker, das Krankenhaus können nicht den Platz des Gesetzgebers einnehmen ..."

Dr. med. Fritz Beske, Vorsit- zender des Bundesfachaus- schusses für Gesundheitspo- litik der CDU, in Deutschland- Union-Dienst Nr. 104

Beamten im Krankenhaus ein Be- rufsbild des Klinikarztes schaffen, das freiberufliche Züge trägt."

Zum Schlagwort Fortschritt wandte sich Mischnick deutlich gegen ideologisch ausgerichtete „Ge- samt-Gesund heits-Versorg ungs-Sy- steme". Die FDP wolle vielmehr das Bestehende ständig überprü- fen und Schritt für Schritt verbes- sern. Im einzelnen nannte er hier

die Förderung der allgemeinärztli- chen Aus- und Fortbildung, Arzt- rechnungen für jeden Patienten, Einrichtung von Sozialstationen mit Teilfinanzierung durch Kranken- kassen, Soforthilfen zur Besserung der Verhältnisse in psychiatrischen Anstalten, mehr berufliche Selb- ständigkeit in den qualifizierten Gesundheitsberufen.

Zu der detaillierten Diskussion der zwölf gesundheitspolitischen The- sen und ihrer Begründungen im Programmentwurf bildeten sich drei Arbeitskreise (unter der Lei- tung der Bundestagsabgeordneten Friedrich Hölscher, Kurt Spitzmül- ler und Hansheinrich Schmidt), de- ren wesentliche Anregungen mit weiteren Argumenten am nächsten Morgen in einer Podiumsdiskus- sion besprochen wurden. Unter der Moderation des Medizinjournali- sten Dr. med. Georg Schreiber hat- ten sich hierfür neben den Arbeits- kreisvertretern Wolfgang Mischnick und der Vorsitzende der Arbeits- gruppe Gesundheitspolitik im Lan- desverband Hessen der FDP, Dr.

med. Wolfgang Weimershaus, zur Verfügung gestellt.

Es ist unmöglich, alle Diskussions- beiträge, Anregungen und Vor- schläge im einzelnen wiederzuge- ben, zumal ja auch der Bundes- fachausschuß der Partei viele von ihnen noch einmal eingehend wird beraten müssen und man nicht vor- aussagen kann, was das endgülti- ge Ergebnis dieses Prozesses und der Schlußberatung im November sein wird. Doch eins läßt sich fest- stellen: Die Diskussionen in den Arbeitskreisen und beim Podiums- gespräch waren offen und für die Partei sicherlich fruchtbar; die in Bad Nauheim versammelten etwa 90 Teilnehmer stellten ihren Sach- verstand für dieses Experiment ei- ner „Mitbestimmung am Pro- gramm" einer politischen Partei zur Verfügung und blieben dabei sachbezogen — trotz mancher Kri- tik im Detail und trotz deutlicher Zweifel, ob die FDP in der Lage sein wird, ihre Absichten in die ge- sundheitspolitische Praxis umzu- setzen. gb/NJ

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