• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Der Arzt als Operncharakter: Vom Wund(er)heiler zum Wissenschaftler" (06.05.1994)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Der Arzt als Operncharakter: Vom Wund(er)heiler zum Wissenschaftler" (06.05.1994)"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

olidarität und Wettbewerb müß- ten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung keine Gegen- sätze sein; vielmehr diene der Wett- bewerb allen, falls er auf Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit ausge- richtet ist und nicht in einen preis- treibenden Service-Wettbewerb aus- arte. Dies erklärte Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer vor dem „Ersatzkassenforum 1994". Im Zuge der dritten Stufe zur Struktur- reform im Gesundheitswesen müßten präventivmedizinische Leistungen so- wie die Qualitätssicherung Priorität erhalten. Auch der medizinische Fortschritt müsse rasch innerhalb des

Solidarität &

Wettbewerb

Leistungssystems implementiert wer- den. Eine Ausgrenzung der High- Tech-Medizin wäre der sicherste Weg in eine Zwei-Klassen-Medizin.

Das tragende Solidaritätsprinzip und das der Umlagefinanzierung dürften nicht in Frage gestellt wer- den. Allerdings müßten Solidarität und Eigenverantwortung zu einem

„untrennbaren Geschwisterpaar"

vereinigt werden. Eine Durchfor- stung des Leistungskatalogs der Krankenversicherung sei akut. Wer dies unterlasse, betreibe zugleich ei- nen Qualitätsverfall und steuere das gegliederte Gesundheitswesen in ei- nen staatlichen Gesundheitsdienst, in welchem alle gleich und alle gleich schlecht versorgt würden.

Seehofer plädierte für eine plu- ralistische Vielfalt innerhalb der ge- gliederten Krankenversicherung. Es müßten soviel Wettbewerb wie mög- lich und soviel Regulierung wie nötig installiert werden. Die Spielregeln des Wettbewerbs innerhalb der Kran- kenkassen müßten durch einen von der Selbstverwaltung entwickelten Kodex festgelegt werden; hier seien gesetzliche Vorschriften obsolet. Je mehr Verantwortung die Selbstver- waltung übernehme, desto mehr Au- tonomie könne ihr eingeräumt wer- den, desto mehr erübrigten sich staat- liche Vorgaben, Ersatzvornahmen und Kontrollvorschriften. HC

E

ine systematische Suche in gängigen Nachschlagewerken ergab ungefähr 40 Opern aus drei Jahrhunderten, in denen Ärzte erscheinen. In Anbetracht von rund 400 zum Standardrepertoire zählenden Werken entspricht das im- merhin zehn Prozent der Opern.

Überraschenderweise fanden sich bei einer umfangreichen Literaturre- cherche sowohl im medizinischen als auch musiktheoretischen Bereich nur wenig Berichte zu diesem Thema.

Exemplarisch wurden einige Opern ausgewählt, die wichtige Aspekte des Themas verdeutlichen.

Dabei wurde von den Prämissen ei- nes zeitlichen Längsschnitts durch die Operngeschichte und der Fokus- sierung auf Opern mit relativ promi- nenten Arztrollen ausgegangen. Zu- nächst wurde die Rolle und Funktion des Arztes unter bestimmten Katego- rien analysiert, wie Charakter und Bedeutung der Arztrolle, die Funkti- on und Wissensbasis des Arztes und seine soziale Stellung in der Oper.

Der Arzt und seine Rolle werden als bedeutungstragende Elemente, als

Text im weiteren Sinn, aufgefaßt und dadurch inhaltlichen Interpretatio- nen zugänglich (24).

Dieser strukturalistische Ansatz wird durch eine historische Betrach- tung ergänzt. Da die konkrete Ge- staltung des Arztbildes auch in einem künstlerisch bearbeiteten Kontext zeitbedingte Urteile, Werte wie indi- viduelle Sichtweisen des Künstlers transportiert, ist der Rückgriff auf den historischen Hintergrund hilf- reich. Zudem müßte neben die struk- turalistische und historische Analyse als ein weiterer Zugangsweg zu der inhaltlichen Interpretation noch die biographische Analyse des jeweiligen Künstlers treten. Die Stellung der entsprechenden Oper im Rahmen ei- ner Gesamtentwicklung des Werkes wie auch individuelle Erfahrungen des Künstlers mit Gesundheit, Krankheit und der ärztlichen Betreu- ung können wesentliche Komponen- ten einer künstlerischen Schöpfung darstellen. Dieser letztgenannte Aspekt wird allerdings in der vorlie- genden Arbeit nur in Ansätzen be- rücksichtigt.

Der Arzt als Operncharakter

Vom Wund(er)heiler zum Wissenschaftler

Stefan N. Willich, Heinz-Peter Schmiedebach

Musik galt lange Zeit an deutschen Universitäten als eine der sieben „artes liberales" — neben Grammatik, Dialek- tik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie —, deren Studium den Besuch weiterführender Fakultäten ermöglichte. In jüngerer Zeit spielt die Musik erneut eine zunehmende Rolle in der Medizin, zum Beispiel bei anxi- olytischen Ansätzen, in Bereichen der Psychotherapie und indirekt auch bei berufsspezifischer medizinischer Versor- gung für Künstler (5, 18). Wie verhält es sich jedoch um- gekehrt mit der Repräsentation der Medizin in der Musik? Besteht eine solche und, wenn ja, mit welcher möglichen Bedeutung? Dieser Frage sind die Autoren am Beispiel des Arztcharakters im Operngenre nachgegangen.

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 18, 6. Mai 1994 (27) A-1271

(2)

Komponist Titel Uraufführung Arzt 18. Jahrhundert

Haydn, J.

Mozart, W. A.

v. Dittersdorf, C. D.

Mozart, W. A.

19. Jahrhundert Gyrowetz, A.

Rossini, G.

Spohr, L.

Donizetti, G.

Donizetti, G.

Lortzing, A.

Berlioz, H.

Verdi, G.

Nicolai, 0.

Verdi, G.

Verdi, G.

Cornelius, P.

Gounod, C.

Verdi, G.

Boito, A.

Offenbach, J.

Reinecke, C.

Kienzl, W.

Verdi, G.

Pfitzner, H.

20. Jahrhundert Debussy, C.

Strauss, R.

Puccini, G.

Prokofieff, S. S.

Berg, A.

Gurlitt, M.

Gershwin, G.

Berg, A.

Prokofieff, S. S.

Poulenc, F.

Henze, H. W.

Henze, H. W.

Henze, H. W.

Debussy, C.

Nyman, M.

Die Welt auf dem Monde Figaros Hochzeit

Doktor und Apotheker Cosi fan tutte

Der Augenarzt Der Barbier von Sevilla Pietro von Abano Der Liebestrank Don Pasquale Der Waffenschmied Fausts Verdammnis Macbeth

Die lustigen Weiber von Windsor La Traviata

Sizilianische Vesper Der Barbier von Bagdad Margarete

Die Macht des Schicksals Mefistofele

Hoffmanns Erzählungen Gouverneur von Tours Heilmar der Narr Falstaff

Der arme Heinrich

Pe1l6as und WHsande Der Rosenkavalier Gianni Schicchi

Die Liebe zu den drei Orangen Wozzeck

Wozzeck Porgy und Bess Lulu

Der feurige Engel

Les dialogues des Carmaites Elegie für junge Liebende Ein Landarzt

Wir erreichen den Fluß La chute de la Maison Usher

The man who mistook his wife for a hat

1777 Eisenstadt 1786 Wien 1786 Wien 1790 Wien

1811 Wien 1816 Rom 1827 Kassel 1832 Mailand 1843 Paris 1846 Wien 1846 Paris 1847 Florenz 1849 Berlin 1853 Venedig 1855 Paris 1858 Weimar 1859 Paris 1862 Petersburg 1968 Mailand 1881 Paris 1891 Schwerin 1892 München 1893 Mailand 1895 Mainz

1902 Paris 1911 Dresden 1918 New York 1921 Chicago 1925 Berlin 1926 Bremen 1935 New York 1937 Zürich 1955 Venedig*

1957 Mailand 1961 Schwetzingen 1965 Frankfurt 1976 London 1977 New Haven 1986 London

Doktor aus Bologna, Bariton Doktor Bartolo, Baß Doktor Krautmann, Baß Despina (verkleidet), Sopran

Berg, Tenor Doktor Bartolo, Baß Pietro, Bariton

Doktor Dulcamara, Baß Doktor Malatesta, Bariton Hans Stadinger, Baß Faust, Tenor Arzt, Baß

Doktor Cajus, Baß Doktor Grenvil, Baß Procida, Baß

Abul Hassan Ali Ebn Bekar, Baß Faust, Tenor

Chirurgus, Tenor Faust, Bariton Doktor Mirakel, Baß Doktor Marteau, Baß Heilmar, Bariton Doktor Cajus, Tenor Arzt, Baß

Arzt, Baß Arzt, Statist Spinelloccio, Baß 3 Ärzte, Tenor und Baß Doktor, Baß

Doktor, Baß Doktor Archdale Medizinalrat, Sprechrolle Arzt, Bariton

Javelinot, Bariton Arzt, Bariton Landarzt, Bariton Arzt, Bariton Arzt, Bariton Doktor S, Bariton

Historischer Überblick Die Operngeschichte beginnt in der ausgehenden Renaissance und dem Barockzeitalter (21, 28). In den Opern von Monteverdi, Gluck und Händel kommen keine Ärzte vor, un- ter anderem weil oft mythologische oder antike Stoffe zugrundeliegen.

Allerdings tritt in einigen Opern Apollon auf, der griechische Gott der Heilkunde und der Musik. Im 18.

Jahrhundert gibt es in der Blütezeit der Klassik einige Opern mit Arztrol- len, die alle der Komischen Oper zu- gerechnet werden (Tabelle). Die Mo- zartoper „Cosi fan tutte" ist nur in Klammern zu nennen, da das Kam- mermädchen Despina als Arzt ver- kleidet auftritt, um Patienten zu hei- len, die, ebenfalls nur zum Schein, Gift zu sich genommen haben.

Die für Mozart typische Mi- schung von Ernst und Humor, der

Reichtum der einander jagenden und kreuzenden Einfälle (14) trifft auf ei- ne höfische Festkultur des 17. und 18. Jahrhunderts, in der Maskeraden und allegorische Spiele einen festen Platz besaßen. Anläßlich des Ge- burtstages des brandenburgischen Kurfürsten im Jahr 1700 fand in Charlottenburg ein Fest statt, das ei- nen Dorfmarkt mit all den üblichen Marktschreiern, Taschenspielern und Zahnbrechern nachstellte, wobei

Tabelle: Wichtige Opern mit Ärzten als Personen

* Teilaufführung 1928 Paris

(3)

die Kurfürstin in der Verkleidung ei- ner Doktorin, die Wundertränke ver- kaufte, an der Maskerade teilnahm (26). Die zeitgenössische Satire er- laubte es, die Arztrolle sowohl von einem Kammermädchen als auch von einer Kurfürstin darstellen zu lassen.

Das Interesse der damaligen Gebil- deten am medizinischen Wissen und die verstärkte Teilnahme an der Arz- neikunst wurde durch die Erkenntnis relativiert, daß die Menschen schließlich und endlich doch sterben müssen, obwohl es Ärzte gibt, oder wie es die zahlreichen satirischen Pamphlete formulierten, weil sich die Menschen den Ärzten anvertrauen (11). Ein einheitlicher Ärztestand mit einem allgemein verbindlichen Ausbildungscurriculum existierte da- mals nicht. Neben den akademisch gebildeten Ärzten waren es vor allem handwerklich ausgebildete Chirur- gen und Barbiere, die äußere Krank- heiten behandelten, abgesehen von den zahlreichen Laienheilern, wie Schäfer und Scharfrichter, denen teilweise auch königliche Privilegien zur Behandlung kleinerer chirurgi-

scher Erkrankungen erteilt wurden.

Dieser Unterschiedlichkeit entsprach eine gewisse Beliebigkeit des ärztli- chen therapeutischen Handelns, die in dem künstlerisch gestalteten wech- selnden Rollen- und Verwirrspiel ei- ne Korrespondenz erhält.

Im 19. und 20. Jahrhundert gibt es viele Opern mit Arztrollen (Tabel- le), darunter zunächst einige komi- sche Opern, später dann tragische ro- mantische Opern, lyrische und ex- pressionistische Opern und moderne Werke. Einige bekannte Komponi- sten fehlen allerdings in dieser Rei- he, zum Beispiel Richard Wagner.

Bestenfalls könnte Brangäne aus

„Tristan und Isolde" wohl als Kran- kenschwester interpretiert werden (8, 15).

18. Jahrhundert

„Die Hochzeit des Figaro" ist ei- ne von Wolfgang Amadeus Mozarts großen italienischen Opern (Libret- to: da Ponte, nach Beaumarchais) Nach dem Vorspiel werden die

Hauptfiguren eingeführt, so auch Dr. Bartolo, ein Arzt aus Se- villa, wie es in der Personenaufstel- lung heißt. Der Arzt tritt hier nicht in seiner charakteristi- schen heilenden Aufgabe auf, sondern in einer gegenteiligen Funktion. Dr.

Bartolo grollt Fi- garo (der Haupt- figur der Oper) und schwört skrupellos Rache dafür, daß mit Fi- garos Hilfe einst sein Mündelkind Rosina entführt wurde, das er selbst gern gehei- ratet hätte. Ge- gen Ende der Oper steht Dr.

Bartolo dann je- doch auf Figaros

Seite, aber erst, nachdem zufällig herauskommt, daß Figaro sein verlo- rengeglaubter Sohn ist, der im Säug- lingsalter von Räubern entführt wor- den war. Dr. Bartolo und die geschil- derten Handlungsabläufe sind insge- samt Nebenschauplatz. Die Oper handelt primär von der geplanten Hochzeit der Hauptfigur Figaro und den feudalistischen Bestrebungen seines Dienstherrn, des Grafen Al- maviva, das ius primae noctis bei Su- sanna, der zukünftigen Ehefrau, wahrzunehmen — sehr zum Ärger der Gräfin, die sich dafür mit Cherubino, dem Pagen des Grafen, vergnügt.

Im selben Jahr wie die Mozart- oper und ebenfalls in Wien wurde die Oper „Doktor und Apotheker" von Carl Ditters von Dittersdorf (Libret- to: Stephani der Jüngere) uraufge- führt, wohl das bekannteste seiner rund 40 Bühnenwerke und ein wich- tiges Werk in der Entwicklung der deutschen Komischen Oper. Dr.

Krautmann ist Arzt in einer deut- schen Kleinstadt und stellt in der Eingangsarie seine Bedeutung her- aus (Libretto Beispiel 1). Die parodi- stische Art, in der dies geschieht, läßt an seinem wirklichen Ansehen zwei- feln. Dr. Krautmann und der Apo- theker Stößel leben in grimmiger Feindschaft. Dafür jedoch lieben sich der Sohn des Doktors und die Toch- ter des Apothekers. Als der Apothe- ker davon erfährt, will er seine Toch- ter mit einem alten Freund verheira- ten. Das wollen die jungen Lieben- den mit einer Verkleidungskomödie verhindern. Der Plan allerdings miß- lingt zunächst, und zwischendurch treffen der Doktor und der Apothe- ker immer wieder wütend aufeinan- der (Libretto Beispiel 1). Beide zwei- feln substantiell die beruflichen Fä- higkeiten des anderen an und drohen sogar mit juristischen Konsequenzen.

Der Konflikt zwischen Arzt und Apotheker war aufgrund der sich häufig überschneidenden professio- nellen Kompetenzbereiche vorpro- grammiert, was durch Regierungser- lasse teilweise auch noch gefördert wurde (25). So hat die Regierung des Hofstifts Osnabrück zum Beispiel im Jahre 1784 einem Apotheker im Ge- gensatz zur bestehenden Apotheker- ordnung erlaubt, kleine Fleischwun- den und Geschwüre zu behandeln

Libretto Beispiel 1: Doktor und Apotheker, v. Dittersdorf, C. D., 1786

2. Akt, aus 1. Szene, Arie (C-Dur), Doktor Krautmann Ein Doktor ist bei meiner Ehr'

der größte Mann im Staate!

Denn wer nützt außer ihm wohl mehr?

Selbst keiner aus dem Rate.

Denn diese können weiter nichts, als projektieren, konsultieren, referieren, kontrollieren, kondemnieren, exequieren . . .

2. Akt, aus 17. Szene, Duett (e-moll), Doktor Krautmann, Apotheker Stößel

D: Sie sind ein Scharlatan, ein Ignorant!

A: Ich bin ein weiser Mann, ein Laborant!

D: Ein Schrecken für Gesunde, ein Doktor für die Hunde.

A: Das spricht der Neid aus Ihnen, es zeigens Ihre Mienen.

Beide: Doch Sie bekommen schon noch ihren Lohn.

In Ihrem Sohn räch' ich mich schon, .. . Verdammter Scharlatan! Nun halt ich mich nicht mehr, Ich will bei meiner Ehr Dir schon das Handwerk legen, du sollst Dich nicht mehr regen. Zu Boden, Ignorant. Du Pillen Fabri- kant! Rezepten Fabrikant!

Stephani d. J.

A-1274 (30) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 18, 6. Mai 1994

(4)

Libretto Beispiel 2: Der Liebestrank, Donizetti, G., 1832 1. Akt, 5. Szene, aus Kavatine (A-Dur), Doktor Dulca- mara

Ei move i paralitici Spedisce gli apopletici, gli asmatici, gli asfitici gl'isterici, i diabetici guarisce timpanitidi, e scrofole e rachitidi e fino il mal di fegato che in moda diventö.

mirabile pe' cimici, mirabile pel fegato guarisce i paralitici spedisce gli apopletici.

Comprate il mio specifico!

Voi, vedove e donzelle voi, giovani galanti per poco ve lo dö.

Avanti, avanti, vedove, avanti, avanti, bamboli!

Comprate il mio specifico per poco ve lo dö.

Es bewegt die Gelähmten hilft bei Apoplex, Asthma, Asphyxie, Hysterie und Diabetes, es heilt Trommelfellent- zündung,

Scrofulose und Rachitis, und selbst Leberkrankhei- ten,

die heute so häufig sind.

Es wirkt Wunder bei Wan- zen,

und bei Leberkrankheiten heilt die Gelähmten hilft den Apoplektikern.

Kauft mein Spezifikum!

Ihr Witwen und Mädchen ihr hübschen Jungen, für wenig gebe ich es euch.

Vorwärts Witwen vorwärts Damen!

Kauft mein Spezifikum, für wenig gebe ich es Euch.

Romani, F., übers. Willich, S. N.

und im Fall der Not auch zur Ader zu lassen. Im Juli 1796 erhielt ein Apo- theker in Essen die behördliche Ge- nehmigung, sich mit der Chirurgie zu befassen, nachdem ihm in einem At- test seine Tüchtigkeit als Apotheker und seine Geschicklichkeit als Chir- urg bestätigt worden waren (4). Mit solchen Privilegien trugen die Behör- den zu einem erheblichen Teil dazu bei, die professionellen Streitigkeiten zu verschärfen, die dann auf juristi- schem Weg geklärt werden mußten.

Von Dittersdorf greift diesen Konflikt als gestaltendes Element seines Werkes auf und läßt den Arzt zwar in seiner Profession, aber in grotesker parodistischer Weise auf- treten. Zudem war die Tätigkeit der Wanderärzte, die meistens von hand- werklich ausgebildeten Chirurgen, Zahnbrechern, Starstechern oder Steinschneidern auf den Jahrmärk- ten in aller Öffentlichkeit ausgeübt wurden, nur sehr schwer einer über- zeugenden Kontrolle zu unterziehen.

Zwar mußten sich diese Heiler eine Konzession von der zuständigen lo- kalen Verwaltungsbehörde beschaf- fen, reisten aber recht bald nach Be- endigung des Marktes zum nächsten Ort weiter. Diese Mobilität wurde in verschiedenen Fällen leicht dazu ge- nutzt, bei einer drohenden Strafver- folgung wegen einer Schädigung des Patienten die Stadt fluchtartig zu ver- lassen.

19. Jahrhundert

In der Romantik erwachte das Interesse an alten mythologischen In- halten, so dem Tristan und Isolde- Stoff, in dessen Mittelpunkt der Lie- bestrank steht, der (ursprünglich als Todestrank gedacht) unwiderstehli- che Liebe entstehen läßt (13). In der Oper „Der Liebestrank" von Gaeta- no Donizetti (Libretto: Romani) ist der einfache Bauer Nemorino in die Gutsherrin Adina verliebt, die jedoch vom Militär beeindruckt ist und mit Hauptmann Belcore flirtet. Nemori- no kennt die alte Sage von Tristan und Isolde und erinnert sich, als der Wanderarzt Dr. Dulcamara in der Stadt eintrifft, an die Wirkung des Liebestranks In Anbetracht der oben beschriebenen Konkurrenz auf

dem Markt der Gesundheitslei- stungen kam der eigenen Wer- bung eine be- trächtliche Be- deutung zu (Lib- retto Beispiel 2).

Enge Regle- ments in dieser Hinsicht existier- ten im Vergleich zur heutigen Zeit nicht. Zudem war die Einhal- tung der wenigen und sehr allge- meinen Regeln kaum zu überwa- chen.

Nemorino fragt Dr. Dulca- mara nach einer Arznei, die Liebe bewirkt. Der Arzt ist nicht zu verblüffen und verkauft ihm ein Fläschchen Bor- deaux als Liebes-

trank. Nach der ersten Dosis ist zwar die Traurigkeit verschwunden, aber noch keine Wirkung auf Adina zu er- zielen. Erst nach einer höheren Do- sierung wird Nemorino selbstbewuß- ter und tanzt mit der Erwartung der Liebeswirkung mit anderen Dorf- mädchen (Dr. Dulcamara vertraut hier offenbar auf die Wirkung des Alkohols). Adina wird durch Nemo- rinos Verhalten eifersüchtig und ver- liebt sich tatsächlich in ihn. Wie in der italienischen Opera buffa üblich heiraten die beiden, und dann wird sogar bekannt, daß Nemorino dank eines Todesfalls zum Erbe eines gro- ßen Vermögens wurde. Dr. Dulca- mara läßt auch diese Chance nicht aus, seinen Ruf zu mehren und versi- chert, auch der plötzliche Reichtum sei der Medikation zu verdanken.

Dr. Dulcamara ist einer der er- sten Ärzte als Hauptfigur einer Oper, und in ihm spiegelt sich die Situation der Medizin im frühen 19. Jahrhun- dert wider (1, 2). Noch existieren tra- ditionelle Vorstellungen, die auf die Säftelehre Galens zurückgehen. Die- se Humoralpathologie stand einer Gesamttherapie nahe (und eine sol-

che preist Dulcamara an) und wurde im weiteren Verlauf des Jahrhun- derts durch die Entwicklung der Soli- darpathologie und Zellularpatholo- gie und der damit verbundenen neu- en Bestimmung von Diagnose und Therapie bald abgelöst. Dieser Pro- zeß begann nicht abrupt im 19. Jahr- hundert, sondern in gewisser Weise steht bereits Paracelsus am Beginn dieser Entwicklung (17).

Im 19. Jahrhundert wurde die Chirurgie, die bis dahin häufig von Barbieren mitversorgt wurde, in die Medizin integriert. In der Oper

„Macht des Schicksals" von Guisep- pe Verdi tritt ein Chirurg auf, der zwar nicht viel zu singen hat, aber für den Handlungsfortgang wichtig ist.

Er entfernt eine Kugel aus Don Alva- ros Brust; eine Prozedur, die der Pa- tient auch übersteht, allerdings nur, um am Ende der Oper trotzdem in tragischer Verstrickung zu sterben.

Auch in der Oper „Don Pasquale"

von Donizetti (Libretto: Anelli) wer- den die zunehmenden Fähigkeiten des Arztes dargestellt. Er heißt in dieser Oper bezeichnenderweise Dr.

Malatesta (Kopfschmerz) und „zieht

(5)

klug die Fäden", indem er Norina zur Scheinheirat mit dem alten Don Pas- quale bewegt.

Eine der bekanntesten tragi- schen Opern des 19. Jahrhunderts ist

„La Traviata" von Guiseppe Verdi (Libretto: Piave, nach Dumas). Al- fredo, aus gutem Haus, hat sich in Violetta verliebt, einen Stern der Pa- riser Halbwelt. Der Vater fürchtet um den Ruf der Familie und fordert Violetta auf, sich von seinem Sohn zu trennen. Sie kommt seiner Bitte nach, jedoch ohne Alfredo die wirkli- chen Gründe zu nennen. Dieser stellt Violetta rasend vor Eifersucht wäh- rend eines Festes als Prostituierte bloß. In der Folgezeit verschlechtert sich Violettas gesundheitlicher Zu- stand rasch, vermutlich infolge einer

progredienten Tuberkulose. Dr.

Grenvil ist ihr behandelnder Arzt, steht ihr zur Seite, aber prognosti- ziert auch ihr baldiges Ende. Schließ- lich kommt auch Alfredo, inzwischen vom Vater über die wirklichen Ab- läufe aufgeklärt. Nach ihrer Sterbe- szene am Ende der Oper reiht sich der Arzt in die Klage der Trauern- den. Er weiß, daß er seine Patientin nicht mehr retten kann, aber er be- gleitet sie tröstend in den Tod. Im Hinblick auf den gut vorbereiteten und öffentlich in Szene gesetzten ge- sellschaftlichen Tod von Violetta wird die Rolle des Arztes, der auch gegenüber diesem sozialen Tod hilf- los ist, um einen mitfühlenden und tröstenden Aspekt erweitert.

„Hoffmanns Erzählungen" von Jaques Offen- bach (Libretto:

Barbier) spielt in Lutters Weinkel- ler, einer „Knei- pe". Die Haupt- figur ist nach E.

T. A. Hoffmann gezeichnet, der in Berlin im frü- hen 19. Jahrhun- dert ein buntes berufliches Le- ben als Dichter, Musiker, Maler, Designer und Ju- rist führte. Hoff- mann erzählt in der Oper die drei unglücklichsten Liebeserlebnisse seines Lebens.

Die erste große Liebe, Olympia, stellt sich als au- tomatisierte Puppe heraus, die zweite, Giu- lietta, als Kurti- sane großen Stils. Hoffmanns dritte Geliebte ist Antonia. Ihre Mutter starb be- reits früh an ei- ner Herzerkran- kung, und von ihr

hat sie nicht nur eine herrliche Stimme, sondern

auch die Krankheit geerbt. Hier wird das im letzten Jahrhundert aufkom- mende Konzept von Heredität aufge- griffen. Dr. Mirakel tritt auf, angeb- lich um Antonia mit einem Medika- ment zu helfen. Hoffmann vermutet aber das Unheil in der Gestalt des Doktors. Auch Crespel, den Vater von Antonia, befällt eine dunkle Vor- ahnung, als Dr. Mirakel seine Toch- ter zunächst untersucht und sie dann auffordert, zu singen (Libretto Bei- spiel 3).

Dr. Mirakel diagnostiziert in der Oper eine kardiale Arrhythmie, der Puls von Antonia ist schnell und un- regelmäßig Dies wird auch musika- lisch dargestellt, an der entsprechen- den Stelle sind in der Begleitstimme unterbrochene 16tel (jeweils drei mit einer Pause) notiert, einer regelmä- ßigen Arrhythmie entsprechend. Die Darstellung des Pulses in muskali- schen Dimensionen geht auf Hero- philus zurück, der bereits im 4. Jahr- hundert v. Chr. den Puls als Rhyth- mus interpretierte (3). Galen entwik- kelte die Theorien über den Zusam- menhang zwischen Pulsqualität und musikalischem Rhythmus weiter, und Franwis Marquet veröffentlichte 1769 sogar eine spezielle Notation zur Pulscharakterisierung (17). In ei- nem kürzlich erschienenen Artikel hat Dauber die forensische Differen- tialdiagnose von hereditären Ursa- chen kardialer Arrhythmien in bezug auf Antonia in Offenbachs Oper er- läutert (10). Von den drei Möglich- keiten — verlängertes QT-Syndrom, hypertrophische Kardiomyopathie und Mitralklappenprolaps — erschei- nen die ersten beiden eher unwahr- scheinlich als sehr seltene, autosomal dominant vererbte Erkrankung, gele- gentlich mit neuraler Taubheit ver- bunden (Romano-Ward-Syndrom).

Viele Patienten mit hypertophischer Kardiomyopathie haben Zeichen ei- ner chronischen Herzinsuffizienz.

Die klinischen Zeichen des Mitral- klappenprolaps umfassen einen sy- stolischen Klick, einen fragilen psy- chischen Habitus, gelegentlich Atem- not, Angstzustände und Ermüdungs- zustände. Der plötzliche Herztod ist selten, aber als Komplikation be- schrieben (9). Bei Antonia treffen of- fenbar viele dieser Symptome zu, so daß sie möglicherweise Mitralklap-

Libretto Beispiel 3: Hoffmanns Erzählungen, Offenbach, J., 1881

3. Akt, Nr. 21, aus Terzett (as-moll, g-moll), Doktor Mi- rakel, Crespel, Hoffmann, Antonia (hinter der Bühne) M: Quel äge avez-vous, Wie alt seid Ihr, bitte?

je vous prie?

C: Qui? Moi? Ich? Wieso?

M: Je parle ä votre enfant. Ich spreche mit Eurem Kind.

H: Antonia! Antonia!

M: Quel äge? Repondez! Wie alt? Antwortet!

Je le veux! Vingt ans! Ich will es! Zwanzig Jahre!

Le printemps de la vie! Im Frühling des Lebens!

Voyons, voyons la main? Nun laßt Eure Hand sehen!

C: La main 7 Die Hand?

M: Chut! Laissez-moi Still! Laßt mich zählen.

compter.

H: Dieu! Suis je le jouet 0 Gott, träume ich?

d'un reve?

Est-ce un fantöme? Täuscht mich ein Phantom?

M: Le puls est inegal et vif, Der Puls ist unregel- Mauvais symptöme! mäßig und schnell, Chantez! Schlechtes Symptom!

Singt!

C: Non, non, tais-toi! Ne la Nein, Nein! Laßt fais pas chanter! sie nicht singen,

M: Chantez! Singt!

A: Ah! — Ah! —

M: Voyez, son front s'anime, Seht, Ihre Stirn belebt sich et son regard flamboie. und ihr Blick ist erregt.

Elle porte la main ä son Sie hält die Hand auf ihr coeur agite! zitterndes Herz.

C: Que dit-il? Was sagt er?

M: 11 serait dommage Es wäre wahrlich schade,

en verite dem Tod eine so

de laisser ä la mort une schöne Beute si belle proie! zu lassen!

Barbier, J., nach Hoffmann, E. T. A., übers. EMI Re- cords

A-1280 (36) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 18, 6. Mai 1994

(6)

penprolaps und ein erhöhtes Risiko für plötzlichen Herztod hat. Trotz der Herzerkrankung fordert Dr. Mi- rakel sie zum Singen auf, mit der Verlockung, ein Künstlerleben sei doch aufregender, als ein bürgerli- ches Eheleben mit Hoffmann. Anto- nia singt und bricht auf der Bühne zusammen. Der eilig herbeigerufene Arzt (der dubiose Dr. Mirakel ist er- neut zur Stelle) stellt den Tod fest.

Die Anstrengung des Singens könnte möglicherweise das kardiale Ereignis ausgelöst haben (6, 27).

Es ist die Frage, ob die Arrhyth- mie bei Antonia nicht etwas symboli- siert, was man vielleicht als „aus dem Rhythmus gekommen" bezeichnen könnte. Die drei unglücklichen Lie- beserlebnisse kennzeichnen eine ge- wisse Desorientierung. Wenn hier aber eine im Hinblick auf die Liebe übergeordnete, vielleicht sogar etwas pessimistische Disproportion oder sogar Chaos dargestellt wird — auch in Verbindung mit einem aufregen- den, aber anstrengenden Künstlerle- ben — ist die Rolle des Doktors mit diesem Szenario zu verbinden. Er steht als Wissenschaftler dem Künst- ler gegenüber, hilft allerdings nicht, das Chaos aufzulösen oder den betei- ligten Personen eine Stütze zu geben, sondern vollendet geradezu die tödli- che Konsequenz.

Ein weiteres dramatisches Bei- spiel für einen Arzt findet sich in

„Lulu" von Alban Berg (nach Erd- geist, Büchse der Pandora, Wede- kind), diesmal stirbt er selbst — ver- mutlich am plötzlichen Herztod. Im 1. Akt steht die Hauptfigur Lulu ei- nem Maler Modell, der ihren Ver- führungskünsten erliegt. In flagranti überrascht der Medizinalrat, Lulus Gatte, die beiden in kritischer Situa- tion. Er will noch den Stock gegen sie erheben, bricht jedoch zusammen und stirbt.

20. Jahrhundert

In einigen Opern des frühen 20.

Jahrhunderts tritt der Arzt in klei- nen, teilweise nur Sprechrollen auf, jedoch in seiner praktischen Funkti-

on (19, 20). In „Pelkas und M6lisan- de" von Claude Debussy (Libretto:

Maeterlinck) kann der in der

Schlußszene hin- zugezogene Arzt der sterbenden M6lisande nicht mehr helfen. Im

„Rosenkavalier"

von Richard Strauss (Libret- to: von Hof- mannsthal) wird der Baron Ochs von Lerchenau bei der Ausein- andersetzung mit Oktavian am Oberarm leicht verletzt und vom Arzt verbunden.

Eines der bekanntesten Musikwerke die- ses Jahrhunderts ist „Wozzeck"

von Alban Berg nach dem fast 100 Jahre zuvor erschienenen gleichnamigen Drama von Büchner. Woz- zeck ist ein Sol- dat, ungebildet und etwas schwer von Begriff, Re- gimentsdiener des Hauptmanns seiner Truppe.

Um sich ein we- nig zum Unter- halt von Marie und ihrem ge- meinsamen un- ehelichen Kind zu verdienen, hat sich Wozzeck dem Doktor zur Verfügung ge- stellt, der ihn für medizinische Ex- perimente und

als Anschauungsmaterial für Medi- zinstudenten nutzt (Abb.). Bei einem diätetischen Versuch darf Wozzeck eine Woche lang nur Hülsenfrüchte essen, in der darauffolgenden nur Schöpsenfleisch (Libretto Beispiel 4).

Der Doktor bei Wozzeck scheint Züge von Justus von Liebig aufzuwei- sen, einem bedeutenden Chemiker und Agrarforscher des 19. Jahrhun-

derts (12). Der Arzt wird hier primär als Forscher vorgestellt, dem der wis- senschaftliche Erfolg wichtiger ist, als die Sorge um Wozzeck als Patienten.

Das wird deutlich, als Wozzeck ihm visuelle und stimmliche Wahnvorstel- lungen anvertraut. Der Doktor rea- giert in exaltierter und zynischer Wei- se, in der die Machtposition und De- mütigung dem Patienten gegenüber

Libretto Beispiel 4: Wozzeck, Berg, A., 1925

1. Akt, aus 4. Szene (atonal, Zwölftontechnik), Doktor und Wozzeck

D: Was erleb' ich Wozzeck? Ein Mann ein Wort? Ei, ei, ei!

W: Was denn, Herr Doktor?

D: Ich hab's geseh'n, Wozzeck, Er hat wieder gehustet, auf der Straße gehustet, gebellt wie ein Hund! Geb' ich ihm dafür alle Tage drei Groschen? Wozzeck! das ist schlecht! Die Welt ist schlecht, sehr schlecht! Oh!

W: Aber Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt!

D: Die Natur kommt! Die Natur kommt! Aberglaube, abscheulicher Aberglaube!

Hab' ich nicht nachgewiesen, daß das Zwerchfell dem Willen unterworfen ist. Die Natur, Wozzeck! Der Mensch ist frei! In dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit!

Husten müssen! Hat er schon seine Bohnen gegessen, Wozzeck? Nichts als Bohnen, nichts als Hülsenfrüch- te! Merk' Er sich's! Die nächste Woche fangen wir dann mit Schöpsenfleisch an. Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft: Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate, und zwar Oxyaldehydanhydride . . . Aber, Er hat wie- der gehustet! .. .

W: Herr Doktor. Wenn die Sonne im Mittag steht, und es ist, als ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredet.

D: Wozzeck, Er hat eine Aberratio.. .

W: Die Schwämme! Haben Sie schon die Ringe von den Schwämmen am Boden gesehen? Linienkreise, Figu- ren, wer das lesen könnte!

D: Wozzeck, Er kommt ins Narrenhaus. Er hat eine schöne fixe Idee, eine köstliche Aberratio mentalis partialis, zweite Spezies! Sehr schön ausgebildet!

Wozzeck, Er kriegt noch mehr Zulage! Tut Er noch Alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann? Fängt fleißig Molche? Isst seine Bohnen?

W. Immer ordentlich, Herr Doktor; denn das Menagen- geld kriegt das Weib: Darum tu' ich's ja!

D: Er ist ein interessanter Fall, halt' er sich nur brav!

Wozzeck, Er kriegt noch einen Groschen mehr Zula- ge. Was muß Er aber tun?

W: Ach, Marie!

D: Bohnen essen, dann Schöpsenfleisch essen, nicht hu- sten. Seinen Hauptmann rasieren, dazwischen die fi- xe Idee pflegen! Oh meine Theorie! Oh mein Ruhm!

Ich werd unsterblich!

Wozzeck, zeig' Er mir jetzt die Zunge!

nach Büchner, G.

(7)

deutlich wird, ein stilisiertes Beispiel einer mißlungenen Arzt-Patienten- beziehung (23). Die Oper endet tra- gisch, Wozzeck ermordet Marie und begeht anschließend, abweichend von dem Büchnerschen Drama, Selbstmord. Die historische Vorlage für die Figur des Wozzeck war ein Friseurmeister, dem in einem Mord- fall im psychiatrischen Gutachten Schuldzurechnungsfähigkeit beschei- nigt und der in Leipzig hingerichtet wurde (7).

Die Uraufführung von Wozzeck liegt mitten in den zwanziger Jahren.

Es ist genau die Zeit, in der sich un- ter der Ärzteschaft in Deutschland eine Diskussion um die „Krise" der Medizin entfaltete. Die Hintergrün- de dieser Debatte sind ausgespro- chen vielgestaltig. Im Vordergrund standen sowohl ständige Ängste vor einer „Proletarisierung" des Ärzte- standes als auch heftige Angriffe ge- gen eine Unfähigkeit der traditionel- len mechanistischen und naturwis- senschaftlichen Medizin. In dem sehr starken Zulauf zur Reform und Na- turheilkundebewegung sahen viele Ärzte einen Vertrauensschwund, ei- nen Autoritätsverlust und eine Infra- gestellung der Schulmedizin In die- sem Zusammenhang wurde sowohl von Ärzten als auch von Laien die Praxis der Humanexperimente als unmenschliche Methode zunehmend kritisiert und ausschließlich als Mit- tel zur persönlichen Karriere ohne großen Nutzen für die Patienten be- zeichnet (16, 22). Die Person des Doktors bei Wozzeck entspricht die- sem wissenschaftlichen Negativ-Ty- pus der zeitgenössischen Kritik: ein Arzt, der seiner Karriere willen die Interessen des Patienten mit Füßen tritt. Dieses Portrait scheint auch die Rolle der Medizin im nationalsoziali- stischen Regime wenige Jahre später in Ansätzen vorwegzunehmen.

Das psychiatrische Element spielt in mehreren zeitgenössischen Werken eine wichtige Rolle, so in der Oper „Wir erreichen den Fluß" von Hans Werner Henze. Die Hauptfigur (ein General) ist im zweiten Teil der Oper Patient in einer psychiatrischen Klinik Die Henze-Oper wurde 1976 in London uraufgeführt und zeigt mit der Aufnahme des psychiatrischen Elementes ebenfalls einen starken

Aus „Wozzeck", Alban Berg. Wozzeck: Lenus Car- lon, Doktor: Frido Meyer-Wolt, Inszenierung: Otto Schenk, Deutsche Oper Berlin Nm: Kranich-Photo®

Bezug zur damaligen Diskussion über medizinische Probleme in Deutschland. Seit Beginn der siebzi- ger Jahre war eine verstärkte Kritik an den Verhältnissen der psychiatri- schen Versorgung in Deutschland ge- äußert worden, besonders auch aus den Reihen der dort Beschäftigten.

Der 1973 veröffentlichte Zwischen- bericht der Sachverständigenkom- mission zur Erarbeitung der Enquete über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland zeich- net ein deutliches Bild der Unzuläng- lichkeiten. Auf dem Deutschen Ärz- tetag 1974 bildete die Lage der Psychiatrie eines der Hauptthemen.

Diese auch in der medialen Öffent- lichkeit intensiv geführte Debatte hat offensichtlich verschiedene Opern- inszenierungen beeinflußt. So führte die Freiheit des Regisseurs in der Berliner Inszenierung (Götz Fried- rich) von „Fausts Verdammnis" von Hector Berlioz zur Darstellung von Faust, nach Goethe selber unter an- derem Arzt, als Patient in einer psychiatrischen Abteilung, und Me- phisto wurde als behandelnder Arzt interpretiert.

Resümee

Ein Arzt tritt in ungefähr zehn Prozent der etablierten Opern auf.

Seine Funktion, Bedeutung, Wis- sensbasis, soziale Stellung und sein Charakter in der Oper ändern sich im Verlauf der Operngeschichte deutlich. Im 18. Jahrhundert ist der Arzt nicht in heilender Funktion tä- tig, in der Regel ein komödiantischer Buffocharakter, sozial eher unterge- ordnet und meist in einer Nebenrolle dargestellt. Im 19. Jahrhundert tritt der Arzt zunächst noch als Wunder- heiler und Quacksalber auf, später auch als auf modern naturwissen- schaftlicher Basis differenziert ein- greifende ärztliche Person, teilweise allerdings mit dem Anschein des Dä- monischen. Der Kompetenzzuwachs des Arztes geht einher mit einer grö- ßeren Macht, und diese kann auch mißbräuchlich eingesetzt werden. Im 20. Jahrhundert nimmt der Arzt häu- figer eine Hauptrolle ein, ist in der Regel eine übergeordnete, zumin- dest sozial hochstehende Figur und wird neben der klinischen Tätigkeit auch als Forscher dargestellt, teilwei- se zynisch überzeichnet. Die Dyna- mik der Arztrolle in der Opernge- schichte reflektiert einerseits die Entwicklung in der Medizin und zeigt andererseits, wie sich die gesell- schaftliche Stellung der Ärzte und die Rezeption der Medizin entwik- keln.

Deutsches Ärzteblatt

91 (1994) A-1271-1282 [Heft 18]

Literatur im Sonderdruck

Anschriften der Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Stefan N. Willich Medizinische Klinik

Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin

Hindenburgdamm 30 12200 Berlin

Prof. Dr. med.

Heinz-Peter Schmiedebach Abteilung für

Geschichte der Medizin Ernst-Moritz-Arndt-Universität 17487 Greifswald

Danksagung: Herrn Riesterer von Kranich-Photo, seit vielen Jahren Photograph der Deutschen Oper Berlin, stellte Photographien verschiedener Inszenie- rungen zur Verfügung, und gab auch vielerlei wert- volle und unterhaltsame Hintergrundinformationen.

A-1282 (38) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 18, 6. Mai 1994

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Kritik hat es in den Delegierten- kreisen vor allem nach den letzten Wahlgängen auf vorangegange- nen Ärztetagen deswegen gege- ben, weil die Mehrheit der gültig abgegebenen

United Kingdom prospective diabetes study (UK- PDS) 13: relative efficacy of randomly allocated diet, sulphonylurea, insulin, or metformin in patients with newly diagnosed

Und da wird es dann ziemlich mager: Pro Jahr wird eine Mindestverzin- sung von einem Prozent per an- num offeriert, es könnte even- tuell auch mehr werden, wenn ein

A ls Dienstleister für Ärzte und Psychotherapeuten im Rheinland stellt sich die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNo) in ihrer Broschüre „Qualität und Effi- zienz in

Nicht zuletzt kann diese Serie für eine neue Diskussion über das Berufsverständnis des Arztes und das Arzt- Patienten-Verhältnis anregend sein. Helmut Zobl wurde 1941 in

Walther wörtlich: „Nur mit Entset- zen können wir Ärzte zur Kenntnis nehmen, daß hier nicht ärztlicher Sachverstand und nicht Arzneimit- telwirkung gefragt sind, sondern ei-

Internist seit 17 Jahren tätig — Fragen zur freien Niederlassung 21 Berufsjahre als FA — Fragen zur Niederlassung Wunsch: Praxisgründung — Kontakt zu

Pro-Symbioflor®: 1 ml Suspension enthält: Steriles Autolysat von Escherichia coli und Enterococcus faecalis humaner Herkunft (Autolysat aus 10'