D
ie Präimplantationsdiagnostik (PID) ist in Deutschland nach dem Em- bryonenschutzgesetz verboten, und zahlreiche Versuche, dieses Gesetz aufzuweichen, sind bisher gescheitert.Schließlich haben Kritiker gute Argu- mente, um die PID abzulehnen. Auch die Delegierten des 105. Deutschen Ärztetages hatten sich 2002 in Rostock gegen die Präimplantationsdiagnostik ausgesprochen. Sie kamen zu dem Er- gebnis, dass sie ethisch nicht vertretbar und medizinisch höchst fragwürdig sei.
Aus juristischer Sicht gibt es ebenfalls Bedenken. So vertritt der frühere Bun- desverfassungsrichter Prof. Dr. iur. Dr.
phil. Ernst-Wolfgang Bockenförde die Ansicht, dass die Anerkennung der Würde des Menschen, wie das Grundge- setz sie ausspricht, „nach ihrem norma- tiven Gehalt auch auf die ersten Anfän- ge des Lebens eines jeden Menschen zu erstrecken ist“ (DÄ, Heft 19/2003).
Ganz anderer Auffassung ist dagegen der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Prof. Dr. jur. Reinhard Merkel. Für den Rechtsphilosophen be- sitzt der Embryo keinen grundrechtli- chen Schutzstatus. Das Bundesverfas- sungsgericht habe im Jahr 1993 zwar be- tont, dass der Embryo Inhaber der Menschenwürde nach Artikel 1 und des Lebensgrundrechts nach Artikel 2 Ab- satz 2 des Grundgesetzes sei, räumte Merkel auf einem Symposium Ende Ja- nuar in Gießen ein. Bloß beratene, also indikationslose, Schwangerschaftsab- brüche seien daher rechtswidrig. Doch dagegen spreche, dass das Gericht eine staatliche Pflicht zur „Sicherstellung“
eines „ausreichenden und flächen- deckenden Angebots sowohl ambulan- ter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschafts- abbrüchen“ angeordnet habe, und zwar
für alle, also auch für die 97 Prozent bloß „beratener“ Abbrüche. Wenn sol- che Abtreibungen als Tötungen grund- rechtsgeschützter Personen rechtswid- rig seien, dann sei auch ihre „flächen- deckende“ Ermöglichung und Förde- rung rechtswidrig. Der Staat sei also zum Unrecht verpflichtet.
Die Rechtslage zur Abtreibung lasse zwar keinen Schluss auf die Zulässig- keit der PID zu. Sie zeige aber, dass es einen grundrechtlichen Schutzstatus für den Embryo nicht gebe. Merkels Auf- fassung nach ist der Embryo als „hohes Gut“, nicht aber als Rechtsperson zu schützen. Dem hielt Prof. Dr. med. Gerd Richter, Marburg, entgegen, dass in ei- ner von ihm vorgestellten Umfrage (DÄ, Heft 6/2004) eine überwältigende Mehrheit der genetischen Hochrisiko- paare den präimplantativen Embryo als
„mein Kind“ oder „eher mein Kind“
bezeichnet hatte. Die hohe Zustim-
mung zur PID gehe demnach nicht mit einer moralischen Geringschätzung des präimplantativen Embryos einher. Und durchaus nicht alle genetischen Hochri- sikopaare hätten sich für eine Legalisie- rung der PID ausgesprochen.
Der Düsseldorfer Philosoph Prof. Dr.
phil. Birnbacher stimmte Merkel grundsätzlich zu. Wenn man dem Em- bryo von der Zygote an Lebensrecht zu- gestehe, müsse man die Haltung des Vatikans annehmen, um wirklich konse- quent zu sein. „Man kann nicht gleich- zeitig Spätabtreibungen akzeptieren und Präimplantationsdiagnostik ablehnen“, sagte der Philosoph. Er warnte jedoch davor, den Embryo generell für schutz- los zu erklären. Auch der Neonatologe Prof. Dr. med. Volker von Loewenich, Frankfurt am Main, lehnte eine unkriti- sche Ausweitung der PID ab und verwies auf eine Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Darin fordern die Kin- der- und Jugendärzte „eine qualitätsgesi- cherte individuelle Beratung auf gesetz- licher Grundlage, eine Begrenzung der vorgeburtlichen Diagnostik auf schwer- wiegende Erkrankungen, eine lücken- lose statistische Erfassung, eine langfri- stige Nachuntersuchung und eine kon- trollierte Zertifizierung der Labore“. Bei der Beratung von Eltern sollten im Rah- men einer vorgeburtlichen Diagnostik Kinder- und Jugendärzte im Einzelfall zur Beurteilung der kindlichen Prognose hinzugezogen werden.
Doch wann kann von einer unkriti- schen Ausweitung der Präimplantations- diagnostik gesprochen werden? Birn- bacher und von Loewenich lehnten ein- mütig so genannte Indikationslisten für PID ab. „Mukoviszidose ist beispiels- weise für PID nicht zugänglich“, sagte von Loewenich. Merkel sprach zwar ebenfalls von „frivolen“ Indikationen, bei denen eine Präimplantationsdia- gnostik nicht gerechtfertigt sei. Er hält es hingegen für diskutabel, die Präimplan- tationsdiagnostik zur Geschlechtsaus- wahl in Erwägung zu ziehen. Schließlich hätten seit Jahrtausenden Ehepaare versucht, das Geschlecht ihres Kindes zu beeinflussen. Gisela Klinkhammer T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 713. Februar 2004 AA401
Präimplantationsdiagnostik
Keine unkritische Ausweitung
In Gießen diskutierten Ärzte, Philosophen und Juristen über den grundrechtlichen Status des Embryos.
Die Stellungnahme zur PID aus pädiatrischer Sicht der Deut- schen Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin ist unter www.aerzteblatt.de/plus0704 abrufbar.
Präimplantationsdiagnostik: Eizellensondie- rung am Erasmus Hospital Brüssel
Foto:laif