A K T U E L L
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A436 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003
Pockenimpfung
70 Millionen Dosen bis März
Bund und Länder einig über weitere Details eines Stufenplans
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ir wissen nicht, ob es eine Gefährdung gibt, aber es gibt ein Risiko.“ Damit be- gründete Marion Caspers- Merk am 14. Februar die Be- vorratung des Bundes und der Länder mit Pockenimpfstof- fen. Nach Angaben der Parla- mentarischen Staatssekretä- rin im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Si- cherung verfügt Deutschland derzeit über 45 Millionen Do- sen an Impfstoff. Bis Ende März sollen 70 Millionen Do- sen vorhanden sein, bis Ende September 100. Das Ministe-rium hatte als Erstes einen Impfstoff aus der Schweiz auf- gekauft, der vor Jahren in der Praxis seine Wirksamkeit belegt hatte (Vacciniavirus- Stamm Lister-Elstree).Außer- dem wurde ein neuer Impf- stoff bestellt, der sich noch in der Zulassung befindet.
Das Bundesverteidigungs- ministerium hat zusätzlich rund eine Million Dosen Impfstoff mit dem „modifi- zierten Vacciniavirus Ankara“
(MVA) beschafft. Er wurde in den 70er-Jahren zur Vor- impfung in einer so genannten
Stufenimpfung eingesetzt, um Komplikationen der Pocken- impfung zu verringern. Prof.
Dr. Johannes Löwer, Präsi- dent des Paul-Ehrlich-Insti- tuts, verwies jedoch darauf, dass die erhofften Effekte nicht eindeutig belegt seien.
Zurzeit wird geprüft, ob MVA bei exponierten Schwangeren
und Risikopatienten einge- setzt werden könnte.
Eine Bund-Länder-Arbeits- gruppe hat sich auf weitere Details verständigt. Im Grund- satz wird in Phase 1 die Imp- fung von 500 bis 1 000 Men- schen empfohlen, die wahr- scheinlich als Erste Kontakt mit Erregern oder Erkrankten hätten, zum Beispiel Mitarbei- ter bestimmter Labors. Träte weltweit ein Pockenfall auf (Phase 2), würde die Impfung medizinischen Personals be- trieben und all jener, die für die Aufrechterhaltung des öf- fentlichen Lebens zuständig sind. Phase 3 umfasste Szena- rien von der Riegel- bis zu Massenimpfungen (siehe DÄ, Heft 4/2003).
Gesundheitsreform
Union legt Konzept vor
Mehr Selbstbeteiligung der Patienten gefordert
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ie CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ein eigenes Kon- zept zur Gesundheitsreform vorgelegt. Darin fordert sie, Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen einzuschränken und die Patienten stärker zu belasten. Die Höhe der Selbst- beteiligung soll sich nach dem Einkommen richten, wird aber nicht näher beziffert. Die Union erhofft sich, den Kranken- kassenbeitrag von heute durchschnittlich 14,4 auf 13 Prozent senken zu können. Der Arbeitgeberanteil soll zwischen sechs und sieben Prozent eingefroren werden. Mit ihrem Beschluss trug die Fraktion die Vorschläge der CDU-Gesundheitsex- perten Annette Widmann-Mauz und Andreas Storm nur zum Teil mit. So soll die in deren Papier aufgeführte Strei- chung der Zahnbehandlung aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen zunächst nur „geprüft“ werden.Die Reaktionen auf das Unions-Papier waren unter- schiedlich. Aus Regierungskreisen hieß es, Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt stehe den Vorschlägen reser- viert gegenüber. Die Grünen-Gesundheitsexpertin Birgitt Bender warf der Union vor, einseitig Versicherte und Patien- ten zu belasten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung be- grüßte dagegen den Vorstoß.
Trotz zahlreicher Differenzen mit den Reformeckpunk- ten der Bundesregierung sieht CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer Chancen auf eine Einigung. Er betonte al- lerdings, Verhandlungen werde es erst geben, wenn Rot- Grün einen Gesetzentwurf vorgelegt habe.
Urteil
Recht auf Anonymität
Gerichtshof für Menschen- rechte billigt anonyme Geburten.
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s gibt kein Grundrecht auf Auskunft über die leibli- chen Eltern. Mit dieser Ent- scheidung billigte der Eu- ropäische Gerichtshof für Menschenrechte am 13. Fe- bruar erstmals anonyme Geburten und wies die Beschwerde einer Fran- zösin zurück, die seit Jah- ren vergeblich Einsicht in ihre Geburtsakten for- dert. Das Gericht ver- weist in seiner Entschei- dung auf die „schwer zu vereinbarenden Interes- sen“ zwischen den be- troffenen Kindern und ihren Müttern. Einerseits habe jedes Kind für seine Entfaltung ein „vitales Interesse“ an Informatio- nen über die Identität der bio- logischen Eltern. Zum ande- ren müsse eine Frau aber das Recht haben, anonym zu blei- ben und dabei unter angemes- senen medizinischen Bedin- gungen zu entbinden. Ange-sichts der „komplexen und heiklen“ Fragen, die die an- onyme Geburt aufwirft, habe der Gesetzgeber die Pflicht, zwischen den Interessen der Betroffenen abzuwägen. Die- sem Anspruch werde die fran- zösische Regelung gerecht.
In Frankreich können Frau- en verlangen, dass in der Ge- burtsurkunde an Stelle ihres Namens ein „X“ steht. Nach der Freigabe des Kindes zur Adoption können sie den Kontakt für immer unterbin- den.
Das Grundsatzurteil ist auch für Deutschland von Be-
deutung, weil im Bundesrat seit Juni ein Gesetzentwurf Baden-Württembergs für die Legalisierung der anonymen Geburt beraten wird. Weitere Informationen im Internet unter www.echr.coe.int.
Bis Ende 2003 soll der Vorrat an Pockenimpf- stoff auf 100 Millio- nen Dosen aufgestockt sein. Foto: dpa
Die Französin Pascale Odievre unter- lag vor Gericht. Foto: dpa