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Archiv "IV-Vertrag Schizophrenie: Pharmatochter ist Vertragspartner" (28.01.2011)

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A 146 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 4

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28. Januar 2011

IV-VERTRAG SCHIZOPHRENIE

Pharmatochter ist Vertragspartner

Die AOK Niedersachsen kooperiert im Rahmen eines Integrationsvertrags mit einer Tochter von Janssen-Cilag. Schizophreniepatienten sollen leitlinienbasiert und besser als zuvor versorgt werden, heißt es. Dennoch gibt es reichlich Kritik.

S

chizophrene besser zu versor- gen – dieses Ziel verfolgen bereits mehrere Akteure im Gesund- heitswesen mit speziellen Vertrags- konstruktionen. So haben die Kas- senärztliche Vereinigung Nordrhein und die AOK Rheinland/Hamburg vor kurzem eine Vereinbarung zu de ren besseren Langzeitbetreuung geschlossen. Etabliert sind Integra - tionsansätze wie die des Netzwerks

Seelische Gesundheit Aachen und des Vereins für Psychiatrie und seeli- sche Gesundheit in Berlin.

Die AOK Niedersachsen geht nun nicht inhaltlich, aber bei der Wahl der Partner neue Wege in der Versor- gung von schizophrenen Patienten.

Sie hat Ende November 2010 einen Integrationsvertrag (IV-Vertrag) nach

§ 140 b Sozialgesetzbuch V mit dem Unternehmen I3G GmbH vorgestellt, einer Tochtergesellschaft der Janssen- Cilag GmbH. Janssen gehört zum weltweit tätigen Konzern Johnson &

Johnson und stellt Medikamente für an Schizophrenie Erkrankte her.

Der Vertrag hat wegen der un - gewöhnlichen Partnerschaft für Aufsehen gesorgt. Die Bundesre- gierung hat aber im Arzneimittel- marktneuordnungsgesetz sogar eine Passage verankert, wonach Phar- mafirmen selbst Partner in einem Integrationsvertrag sein dürfen.

I3G übernimmt im Rahmen des IV-Vertrags die Budgetverantwor- tung. Dritter Partner ist die Care for Schizophrenia GmbH (Care4S), de- ren einer Geschäftsführer, Dr. med.

Matthias Walle, als Psychiater mit Schizophreniepatienten vertraut ist.

Care4S übernimmt die Umsetzung der einzelnen ergänzenden Versor- gungselemente und bemüht sich um die Vernetzung mit Vertragsärzten und Krankenhäusern. Eingeschrie- benen Patienten sollen erweiterte ambulante Behandlungsoptionen wie Psychoedukation, Fachpflege, Soziotherapie, aufsuchende Be- handlung und Angehörigenbetreu- ung zur Verfügung stehen.

Das Stammkapital der Care4S stammt nach Recherchen des „KV- Blatts Berlin“ zu 90 Prozent von einer Schweizer Investmentgesell- schaft namens Turgot Ventures AG.

Die Deutsche Gesellschaft für So- ziale Psychiatrie findet ein solches Engagement bedenklich. „Ein Un- ternehmen, das neben Kommunika- tionstechnik und Verkehrsentwick- lung auch psychiatrische Versor- gung als Investitionsfeld bearbeitet, lässt bezweifeln, dass hier außer dem Interesse an einer maximalen

Rendite irgendein inhaltliches Mo- tiv eine Rolle spielt“, heißt es im KV-Blatt dazu.

Die IV-Vertragspartner argumen- tieren anders. Walle hat als niederge- lassener Psychiater Erfahrungen mit Versorgungsmodellen für psychisch Kranke. Er verweist auf die Defi - zite der herkömmlichen Versorgung Schizophrener: „Ich habe keine Zeit für Patienten gehabt unter den Bud- getbedingungen, vor allem nicht, wenn sie in der Krise waren.“ 30 be- zahlte Minuten pro Patient und Quar- tal seien einfach zu wenig. Zudem gebe es „keine ambulante Struktur hinter den Krankenhausmauern“.

Psychiatrische Fachpfleger und an- dere Therapeuten, die Schizophrene in der Klinik mitversorgten, stünden ambulant nicht zur Verfügung.

Der Plan: Gleiches Geld, aber eine bessere Versorgung Im Rahmen des Integrationsver- trags soll es für eingeschriebene schizophrene Patienten neben den angeführten Angeboten einen Kri- sendienst rund um die Uhr geben.

Zudem soll ihnen jeweils ein „Be- zugstherapeut“ zur Seite stehen, der sich verantwortlich fühlt, in der Re-

In Zukunft können gewinnorientierte Unternehmen die Behandlung von psychisch kranken Menschen mitgestalten.

Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer

Das Netzwerk „Integrierte Versorgung Seelische Gesundheit“ in Aachen hat zum Ziel, in der Region Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung psychisch kranker Patientinnen und Patienten zu verbessern. Dafür koope- rieren zurzeit circa 60 Ärztinnen und Ärzte der haus- und fachärztlichen ambulanten Versorgung mit Mitarbei- tern des Klinikums Aachen und drei psychiatrischen Fachkliniken.

Ziel ist eine enge, institutsübergrei- fende Zusammenarbeit. Als Vorteile werden unter anderem eine erwei- terte Diagnostik, häufigere Arzt - kontakte, kürzere Wartezeiten und ein Notfallmanagement aufgeführt.

Vertragspartner aufseiten der Kran- kenkassen sind: AOK Rheinland/

Hamburg, DAK, KKH Allianz, Verei- nigte IKK, LKK NRW, Krankenkasse Gartenbau.

SEELISCHE GESUNDHEIT IN AACHEN

P O L I T I K

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28. Januar 2011 gel ein Psychiatrischer Fachpfleger.

Die AOK Niedersachsen setzt dar - auf, dass sie nicht mehr Geld als bisher ausgeben muss, Schizophre- ne aber besser versorgt werden. Un- ter ihren Versicherten gebe es circa 13 000 Betroffene, erläuterte Frank Preugschat, Leiter der AOK-Abtei- lung Versorgungsmanagement. Aus dem Gesundheitsfonds erhalte man etwa 4 000 Euro pro Patient. Insge- samt stünden also 52 Millionen Eu- ro zur Verfügung. Damit sollen die Regelversorgung finanziert werden und – organisiert über Care4S und I3G – die zusätzlichen Angebote.

Nach Auffassung der AOK lässt sich so Geld bei der stationären Behandlung einsparen. Für I3G ha- be man sich entschieden, weil das Unternehmen die notwendigen In- vestitionen zum Beispiel für EDV- Vernetzungen aufbringen könne.

Basis der IV-Versorgung sollen die S3-Leitlinie „Schizophrenie“

und die S1-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Störungen“ sein. Die Bundespsy- chotherapeutenkammer hat ange- merkt, dass neben medikamentöser Behandlung und Psychoedukation in der S3-Leitlinie Psychotherapie empfohlen wird, insbesondere in der Vorphase und zur Rückfallprophyla- xe. „Wir werden darauf achten, ob diese Leitlinienempfehlung umge- setzt wird“, betonte Kammerpräsi- dent Prof. Dr. Rainer Richter. „Denn Psychotherapie kommt die Manage- mentgesellschaft teurer als Pharma- kotherapie mit Psychoedukation.“

Die Kammer kritisiert den Vertrag, ebenso die Neuerung, wonach Phar- mafirmen nun unmittelbar Partner in Integrationsverträgen sein dür- fen. „In Zukunft können gewinnori- entierte Unternehmen, die im Ge- gensatz zu Ärzten und Psychothera- peuten nicht an eine Berufsordnung gebunden sind, die Behandlung von

psychisch kranken Menschen mit- gestalten“, monierte Richter.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hält die Vertragskonstruktion ebenfalls für problematisch. Man kritisiere „aus grundsätzlichen Erwägungen das Engagement der pharmazeutischen Industrie in diesem Bereich “, heißt es. Psychisch kranke Menschen sei- en häufig weniger in der Lage als andere Patienten, Alternativen zu suchen und zu wählen. Deshalb sei- en IV-Ansätze wie in Niedersach- sen „besonders kritisch“ zu sehen.

Nicht überzeugt ist auch die niedersächsische Ärztekammerpräsi- dentin, Dr. med. Martina Wenker.

„Die AOK Niedersachsen will das finanzielle Risiko der Behandlung ihrer Schizophreniekranken ausla- gern. Wenn auch andere chronisch Kranke ausgelagert werden, dann sehe ich die Gefahr, dass die Kas se ihrem Versorgungsauftrag nicht mehr nachkommt“, sagte sie.

Der IV-Vertrag sehe „eine Men- ge Elemente vor, die eine Verbesse- rung der Versorgung bedeuten“, räumt Dr. med. Frank Bergmann ein, Vorsitzender des Berufsver- bands Deutscher Nervenärzte. „Ich sehe aber mit großer Skepsis, dass eine Pharmafirma involviert ist.“

Bergmann meint, die Interessen von Krankenkassen und Unterneh- men könnten Versorgungsentschei- dungen mittelbar beeinflussen.

Einweisungen nicht um jeden Preis vermeiden

So sind zum Beispiel die Zuweisun- gen, die Krankenkassen für die Ver- sorgung schizophrener Patienten im Rahmen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs aus dem Gesundheitsfonds bekommen, von der Verordnung bestimmter Mindest- dosen abhängig. Zudem ist aus bis- herigen IV-Verträgen für psychisch Kranke bekannt, dass manche Kasse großen Wert darauf legt, Einweisun- gen zu vermeiden. „Wenn es einem Patienten aber so schlecht geht, dass er in die Klinik muss, dann möchte ich ihn dort haben und nicht in einer Krisenwohnung oder suizidgefährdet zu Hause“, sagt Bergmann. ■ Sabine Rieser In Berlin hat der Verein für Psychiatrie und seeli-

sche Gesundheit seit einigen Jahren Integrations- verträge zur besseren Versorgung vor allem von Menschen mit schizophrenen und affektiven Er- krankungen abgeschlossen, darunter mit den Be- triebskrankenkassen und der DAK. Beide gelten seit kurzem auch für Versicherte in Brandenburg.

Mit der AOK verhandelt der Verein noch.

„Eine strukturierte Vernetzung zwischen Klini- ken, Fachärzten, Hausärzten, Psychotherapeuten, sozialpsychiatrischen Diensten und den regiona- len Krisendiensten soll die bislang noch nicht ausreichend koordinierten Versorgungssektoren zu neuer Kooperation und gemeinsamen Hand- lungsoptionen führen“, hat der Erste Vorsitzende, Dr. med. Norbert Mönter, das Ziel der Verträge beschrieben. Der Kern ist eine komplexe ambu- lante Behandlung unter Einbeziehung psychiatri- scher Pflege und Soziotherapie.

Derzeit sind circa 60 niedergelassene Nerven- ärzte/Psychiater und 35 psychosoziale Trägerver- eine/Pflegedienste eingebunden. Mit mehreren Kliniken und Hausärzten bestehen Kooperations- verträge. Auch Psycho logische Psychotherapeu- ten haben bereits Interesse signalisiert. Niederge- lassene Ärzte könnten im Rahmen der Integrati- onsverträge das Zwei- bis Dreifache ihres sonsti- gen Behandlungshonorars erzielen, sagt Mönter.

Wer sich an den Verträgen beteiligen will, muss

Mitglied im Verein werden. Um die Verträge abzu- wickeln, hat der Berliner Verein eine Manage- mentgesellschaft gegründet. Nur so sei man im Vertragsgeschäft mit den Kassen wirtschaftlich handlungsfähig, erläutert Mönter – auch wenn es ausgesprochen ungewohnt gewesen sei, eine Managementgesellschaft zu gründen.

Die Inhalte des umstrittenen IV-Vertrags in Niedersachsen lobt er: „Es gibt viele Berührungs- punkte mit dem dortigen Netz.“ Aber „eine Über- tragung von Verantwortung an eine Pharmatoch- ter wäre für uns nicht denkbar“, betont Mönter. Er könne aber nachvollziehen, dass am Vertrag inter - essierte Leistungserbringer die Übernahme der Budgetverantwortung von der AOK gescheut hät- ten. „Wirtschaftliche Verantwortung ja, Übernah- me des Morbiditätsrisikos nein“, erklärt Mönter.

„Wir setzen auf den konsequenten, aber nicht überstürzten Aufbau sinnvoller ambulanter Struk- turen und können mit dessen Wirtschaftlichkeit auch überzeugen.“

Eine Zwischenevaluation des Instituts für Sozial- medizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie am Berliner Universitätsklinikum Charité hat gezeigt, dass bei Schizophrenie und bipolaren Erkrankungen Einsparungen durch Integrationsverträge zu erzielen sind, und zwar umso größere, je mehr Klinikaufent- halte zuvor zu finanzieren waren. Im Fall der Diagno- se Depression entstanden höhere Kosten als zuvor.

IV-VERTRÄGE FÜR BERLIN UND BRANDENBURG

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