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Kleine archäologische Erträge einer Missionsreise
nach Zangskar in Westtibet.
Von Missionar A. U. Francke.
(Naclitrag zu Bd. 60, S. 645 tf.).
Seit ich den oben bezeichneten Aufsatz schrieb, sind mir noch
zwei historische Notizen über Zangskar zu Gesicht gekommen. Die
eine findet sich in Scblagintweit's „Könige von Tibet", Tabelle I.
Auf dieser Tafel werden acht Generationen der Nachkommen des
ersten Zangskönigs Lde btsug mgon genannt, offenbar nach mon- 5
golischen Quellen. Es sind die folgenden Namen:
Lde btsun mgon
Khorre Srong[t]de, (wurde Lama
und nahm den Namen Yeshes od an).
Klui rgyalpo Lhai rgyalpo lo
Zhiba od Byang chub od, (soll 'Od lde (folgte
den AtiSa geholt haben). seinem Bruder)
I rTse lde.
, \
aBar lde
I.
bKrashis lde i5
Bha lde.
Wir würden also durch die Namenreihe dieser Könige 200 bis
250 Jahre über das Jahr 1000 n. Chr. hinausgeführt werden. Eins
fällt an dieser kurzen Königsliste auf den ersten Blick auf: Das
häufige Vorkommen der Silbe lde in den Königsnamen. (Lde ist 20
wahrscheinlich eine Nebenform des Wortes bde. Glück, welches in
Westtibet rde ausgesprochen wird.) Wir finden diese Silbe bei
sieben Namen innerhalb der acht Generationen und haben deshalb
ein Recht, anzunehmen, daß Lde der Dynastiename der Könige von
Zangskar war. — Es ist nun interessant, zu sehen, daß in den von 25
646 Franche, Kleine archäol. Erträge einer Missionsreise etc.
mir entdeckten und im oben genannten Artikel (ZDMG. Bd. 50
p. 645) besprochenen Königsinschriften von Zangskar die Silbe lde
ebenfalls in vier Königsnamen auftritt. Das gibt uns ein Recht,
zu vermuten, daß die ic?e-dynastie bis in das siebzehnte Jahrhundert
5 hinein gedauert hat. Die von mir entdeckten Inschriften weisen
aber auch das Wort rnam rgyal, den dynastischen Namen der
Könige von Leb, auf und sprechen dadurch für die Richtigkeit der
Nachricht, daß im siebzehnten Jahrhundert der jüngste Bruder
bDe Idan mam rgyal's, des Königs von Leh, als Vasallenkönio-
10 von Zangskar eingesetzt wurde. Während des letzten Winters hatte
ich nun das Vergnügen, die Bekanntschaft eines Fürsten von Teasta
in Zangskar zu machen. Diese Fürsten sind ihrer Aussage nach
nahe Verwandte des während des Dograkrieges nach Dschamu
transportierten letzten Zangskarkönigs Rinchen dongrub mam rgyal
15 und im Besitz einer Chronik. Mein Wunsch, Einsicht in dieselbe
zu erhalten, konnte wegen der weiten Entfernung Teastas von
Kyelang nicht erfüllt werden. Doch machte mir der Pürst folgende
interessante Mitteilung über die Chronik: Der erste Teil stimmt
mit dem rGyal rabs von Ladakh überein. Der zweite Teil enthält
20 die Namen der letzten Könige von Zangskar. Als nämlich einer
der alten Könige von Zangskar (wahrscheinlich im siebzehnten Jahr¬
hundert) nur eine Tochter hinterließ, heiratete diese Tochter einen
Königssohn von Leh. Diese Nachricht erklärt zweierlei: 1) Das
Übereinstimmen des ersten Teils der Teastachronik mit dem rGyal
26 rabs von Ladakh ; 2) Das friedliche Nebeneinander der Dynastie¬
namen IDe und rNam rgyal in den Königsnamen der von mir
entdeckten Inschriften. Gelingt es also noch einmal, der Chronik
von Teasta habhaft zu wei-den, so wird es wohl möglich werden,
auch die von mir entdeckten und später noch zu entdeckenden
30 neueren Inschriften annähernd zu datieren. —
Die zweite Nachricht findet sich in Sarat Chandra DaS 'Life
of Atisa' und in Ssanang Ssetsen's 'Geschichte der Ostmongolen',
Kapitel III; am Schluß. Aus diesen beiden Nachrichten, welche
wenigstens in den wesentlichen Punkten übereinstimmen, ergibt sich
35 mit Gewißheit, daß es die Zangskarkönige waren, welche mehrere
Kashmirgelehrte nach Westtibet zogen, und welche den berühmten
Atisa bewogen, nacb Tibet zu kommen. Yeshes bd, der Gründer
des mTho gling-klosters, war der Zeitgenosse des in Westtibet
wohlbekannten Lotsava Rinchen bzangpo und lud Ratnavajra von
40 Kashmir ein, nach Zangskar zu ziehen. Byang chub ""od aber gelang
es, den Atisa für Tibet zu gewinnen. Von Gründungen aus dieser
Zeit wird nur das mTho gling-Viostex am oberen Sutlej genannt.
Die Gründungen der Kashmirmönche (das Kanikakloster etc.) in
Zangskar sind bekannt. Siehe meinen Artikel 'Archaeology in
46 Western Tibet', Ind. Ant. September, 1906 fi' Über die von mir
entdeckten alten Skulpturen finden wir auch in Sara Ch. Das' 'Life
of AtiSa' und in Ssanang Ssetsen's Geschichtswerk keine Nachrichten.
Francke, Kleine archäol. Erträge einer Missionsreise etc. 647
Sie stammen möglicherweise aus früherer Zeit. Daß die Chronologie der Atlsazeit noch sehr im argen liegt, ist keine neue Behauptung.
Ich habe den Eindruck, daß hier gar manches Datum noch weiter
vorgerückt werden müßte.
Die tatsächliche Verbindung der Zangskarkönige mit AtlSa gibt 5
dieser bisher gering geachteten Königslinie eine große Bedeutung;
ähnlich wie die sonst kaum beachtete Stadt Mandi (tibetisch Zahor)
durch das Bekanntwerden ihrer Verbindung mit Padmasambhava an
Berühmtheit wuchs.
Soweit ich bis jetzt sehen kann, steht es mit den historischen lo
Nachrichten über Zangskar folgendermaßen: Von etwa 1000 n. Chr.
bis etwa 1250 n. Chr. sind einige dürftige Nachrichten vorhanden.
Von etwa 1250 bis etwa 1650 wissen wir nichts. Von etwa 1650
bis 1841 könnte durcb Erlangung der Chronik von Teasta unsere
Geschichtskenntnis einmal fast lückenlos werden. 16
Zeitschrift der D. M.d. Hd LXI.
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Über die einheimisclien Sprachen von Ostturkestan
im frühern Mittelalter.
Von Ernst Leumann.
Erster TeiL
Der Gang der Forschungen und ihre augenblickliche
Oesamtlage.
Marc Aurel Stein hat mit seinem monumentalen Werke
5 „Ancient Khotan", dessen zweiter Band nicht weniger als 119 Tafeln enthält, eine neue Wissenschaft gegründet: Die ostturkestanische Altertumskunde.
Bisher kannten wir, da die ersten Funde zu spärlich und zu
verzettelt eintrafen, nur ostturkestanische Einzelstudien — Studien,
10 die bloß vorstoßweise von benachbarten Disziplinen aus auf die
terra incognita von Ostturkestan übergriffen. Erst mit der gleich¬
zeitigen und umfassenden Bearbeitung der Resultate einer größern
Expedition, wie sie Marc Aurel Stein während des Winters 1900/1
im Auftrage der indischen Regierang unternommen hät, ergeben
15 sich jene Fülle und jene Geschlossenheit von Einsichten und Kennt¬
nissen, die für die Konstituierung eines selbständigen Studiengebietes
erforderlich sind. Überwunden ist jetzt das Vielerlei disparater
Teilbeschäftigungen, die in Ermangelung eines eigenen und gemein¬
samen Schwerpunktes sich da und dort an gewisse Nachbargebiete,
20 an die indische, chinesische, türkische oder irgend welche andere
Altertumswissenschaft haben anschließen müssen.
Freilich fehlt auch jetzt noch etwas, das dem neuen Forschungs¬
gebiete endgültig nach innen seine Pestigung und nach außen seine
Abgrenzung sichern kann. Dunkelheit schwebt noch über den Sprachen,
25 die dem Gebiete allein angehören, also über seinem Eigensten.
Helligkeit hat sicb vorerst begreiflicherweise bloß über die fremd¬
sprachigen, die sanskritischen, chinesischen, tibetischen und sonstigen
Teile der ostturkestanischen Kultur verbreiten können. Allein die
Zeit ist im Kommen, wo auch die Landessprachen verstanden werden,
so und der gegenwärtige Aufsatz hat eben zum Zweck, auf Grund
der Stein'schen und der schon vorher bekanntgewordenen Materialien die Aufklärung anzubahnen.
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