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Bericht über den 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie

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Bericht über den 42. Kongreß

der Deutschen Gesellschaft für Psychologie

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Bericht über den 42. Kongreß

der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Jena 2000

“Psychologie 2000”

im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Psychologie herausgegeben von

R. K. Silbereisen, M. Reitzle

Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie Friedrich-Schiller-Universität Jena

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CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

„Psychologie 2000“ / im Auftr. der Deutschen

Gesellschaft für Psychologie hrsg. von R. K. Silbereisen und M. Reitzle. – Lengerich ; Berlin ; Riga ; Rom ; Wien ; Zagreb : Pabst Science Publishers, 2001

(Bericht über den ... Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie ...; 42)

ISBN 3-935357-33-8

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer- tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek- tronischen Systemen.

© 2001 Pabst Science Publishers, D-49525 Lengerich Konvertierung: Claudia Döring

Lektorat: Erika Wiedenmann

Druck: Krips bv, NL-7944 HV Meppel ISBN 3-935357-33-8

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Veranstalter

Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V.

Vertreten druch den Vorstand Prof. Dr. Rainer Kluwe (Präsident) Prof. Dr. Manfred Amelang (1. Vize- präsident)

Prof. Dr. Klaus Grawe (2. Vizepräsident) Prof. Dr. Ursula Piontkowski (Schrift- führerin)

Prof. Dr. Hartmut Wandke (Schatzmeister) Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen (Beisitzer)

Programmkomitee

Prof. Dr. Manfred Amelang, Heidelberg Prof. Dr. Jens Asendorpf, Berlin Prof. Dr. Urs Baumann, Salzburg Prof. Dr. Dr. Jürgen Bengel, Freiburg Prof. Dr. Klaus Boehnke, Chemnitz Prof. Dr. Jochen Brandtstädter, Trier Prof. Dr. Rainer Bromme, Münster PD Dr. Axel Buchner, Trier

Prof. Dr. Werner Deutsch, Braunschweig Prof. Dr. Rainer Dollase, Bielefeld Prof. Dr. Georg Eckardt, Jena Prof. Dr. Günter Esser, Potsdam Prof. Dr. Roman Ferstl, Kiel Prof. Dr. Klaus Fiedler, Heidelberg Prof. Dr. Michael Frese, Gießen Prof. Dr. Angela D. Friederici, Leipzig Prof. Dr. Gabriele Gloger-Tippelt, Düssel- dorf

Prof. Dr. Carl-Friedrich Graumann, Heidel- berg

Prof. Dr. Gudela Grote, Zürich Prof. Dr. Onur Güntürkün, Bochum Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Braunschweig Prof. Dr. Alfons Hamm, Greifswald Prof. Dr. Bettina Hannover, Dortmund Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, Göttingen Prof. Dr. Martin Hautzinger, Tübingen PD Dr. Jutta Heckhausen, Berlin Prof. Dr. Dirk Hellhammer, Trier

Dr. Bärbel Knäuper, Berlin Prof. Dr. Günter Köhnken, Kiel Prof. Dr. Barbara Krahé, Potsdam Prof. Dr. Günter Krampen, Trier Prof. Dr. Andreas Krapp, München Prof. Dr. Werner Krause, Jena PD Dr. Kurt Kreppner, Berlin Prof. Dr. Lenelis Kruse, Hagen Prof. Wolf Lauterbach, Ph.D., Frankfurt Prof. Dr. Detlev Leutner, Erfurt Prof. Dr. Arnold Lohaus, Marburg PD Dr. Dr. Andreas Maercker, Dresden Prof. Dr. Heinz Mandl, München Prof. Dr. Gerold Mikula, Graz Prof. Dr. Wolfgang H. R. Miltner, Jena Prof. Dr. Gisela Mohr, Leipzig Dr. Helmut Moser, Hamburg Prof. Dr. Amélie Mummendey, Jena Prof. Dr. Dr. Petra Netter, Gießen Prof. Dr. Jürgen R. Nitsch, Köln Prof. Dr. Peter Noack, Jena Prof. Dr. Rolf Oerter, München Prof. Dr. Dr. h. c. Fritz Oser, Freiburg Prof. Dr. Margit Oswald, Bern Dr. Sabine Otten, Jena PD Dr. Rolf Plötzner, Freiburg Prof. Dr. Siegfried Preiser, Frankfurt Dr. Matthias Reitzle, Jena

Prof. Dr. Alexander Renkl, Freiburg Prof. Dr. Rainer Riemann, Jena Prof. Dr. Lutz von Rosenstiel, München Prof. Dr. Jürgen Rost, Kiel

Dr. Eva Schmitt-Rodermund, Jena Prof. Dr. Axel Schölmerich, Bochum Prof. Dr. Angela Schorr, Eichstätt Prof. Dr. Heinz Schuler, Hohenheim Prof. Dr. Ralf Schwarzer, Berlin Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen, Jena (Vorsitz)

Prof. Dr. Beate Sodian, München Prof. Dr. Sabine Sonnentag, Amsterdam Prof. Dr. Gottfried Spangler, Gießen Dr. Regina Steil, Jena

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Prof. Dr. Fritz Strack, Würzburg Prof. Dr. Bernhard Strauß, Jena Prof. Dr. Dieter Vaitl, Gießen

Prof. Dr. Alexander von Eye, East Lansing PD Dr. Sabine Walper, München Prof. Dr. Hannelore Weber, Greifswald Prof. Dr. Bernd Weidenmann, München

Planung und Ausrichtung Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen

Wissenschaftliches Kongreßsekretariat Jena

Katrin Müller Dr. Matthias Reitzle

Dipl.-Psych. Karina Weichold Annett Weise

Meet the Scientists Dr. Eva Schmitt-Rodermund

Kongress-Logo

GUDMAN DESIGN Weimar

Abstract-CDROM Pabst Science Publishers

perzept informationsdesign Rheinbach

Stadt- und Raumpläne Bräsecke & Nawrotzki, Jena

EDV und Technik Horst Heinrich Andreas Hoellger Steffen Jupe

Jacqueline von Lipinski Jörg Peuckert

Andreas Prässler Dr. Jens-Uwe Voigt

Die studentischen Helferinnen und Helfer

Koordination Presse und Öffentlichkeits- arbeit

Dr. Wolfgang Hirsch

Kongressorganisation

CPO HANSER SERVICE GmbH, Berlin Präsentation im Internet

GLOBIT GmbH Darmstadt

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Vorwort

Vorwort

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie fand vom 24. bis 28.

September 2000 in Jena statt. Angesichts dieser Jahreszahl bedurfte es keines beson- deren Mottos – es war der Kongreß „Psychologie 2000“. Wie auch sonst haben wir natürlich nach vorn in die Zukunft der Psychologie geblickt und ebenfalls in die Zu- kunft der Gesellschaft. Selbstverständlich ging es auch um die Gegenwart und damit die aktuelle Forschung.

Jena als Kongreßort zu wählen hatte eine besondere Bedeutung: für unser seit An- fang der 90er Jahre wiederaufgebautes Institut war es eine Anerkennung des bisher Geleisteten. Darüber hinaus durften sich Stadt und Universität in ihrer Rolle beim Beginn der Psychologie als akademische Disziplin erfreuen. William Thierry Preyer, der Autor des berühmten „Die Seele des Kindes“, hat als Physiologe an der hiesigen Universität gewirkt. Ernst Haeckel, der nicht unumstrittene Vermittler des Darwinisti- schen Denkens, hatte Jena zum Arbeits- und Lebensmittelpunkt. Die stark ausgebaute Entwicklungspsychologie des Institutes ist sich der Verpflichtung bewußt, die aus der langen Tradition einer dynamischen und evolutionären Perspektive in Jena folgt. Die Psychologie als Universitätseinrichtung wurde 1923 durch Wilhelm Peters gegründet, einem Schüler Wilhelm Wundts. Nach 1933 folgte ihm, der von den nationalsozialisti- schen Machthabern entlassen wurde und dann mit großem Erfolg in der Türkei wirkte, Friedrich Sander, ein bedeutender Vertreter der Ganzheitspsychologie, der aber ge- genüber dem Regime mehr als gefällig war. Unter seinem Vorsitz fand auch 1936 ein Kongreß in Jena statt, gegen dessen ungute Erinnerung wir die Weltoffenheit und Wissenschaftlichkeit des Kongresses 2000 setzten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Psychologie als Fach für Jahre eingestellt, um dann von Friedhard Klix und Hans Hiebsch neu begründet zu werden. Jena war das Zentrum der Sozialpsychologie in der ehemaligen DDR. Ab 1992 erfuhr die Psy- chologie einen beeindruckenden Ausbau und gehört jetzt von der Größe her zum oberen Drittel der deutschsprachigen Institute, mit zahlreichen internationalen For- schungskooperationen und wissenschaftlich wie in der Öffentlichkeit geachteten Pro- jekten. Daß sich die umfangreichen Investitionen in Forschungsgruppen und For- schungsstätten gelohnt haben, erweist sich auch in den jüngst bekannt gewordenen Evaluationen.

Der jetzt vorgelegte Kongreßbericht spiegelt viele Höhepunkte und Besonderhei- ten des Programms in Jena. Um das Gesamtbild zu skizzieren, dienen die folgenden Anmerkungen. Ein wissenschaftlicher Kongreß soll zuerst und vor allem die Möglich- keit zur unkomplizierten Kommunikation unter den Forscherinnen und Forschern ermöglichen, die sich um neue Einsichten in menschliches Handeln und Erleben be-

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Vorwort

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haltens und die Rolle der subjektiven Sichtweisen ein. Beide haben durch jüngste Umwälzungen in den jeweiligen Forschungsgebieten bedeutsame Veränderungen erfahren, seien es die vertieften Einsichten in Struktur und Funktion des Gehirns, sei es das bessere Verständnis der Weise, in der sozialer Wandel auf Entwicklung Einfluß nimmt.

Das farbige Programm enthielt die bewährten Formen des Austauschs und der Be- gegnung, so eine Reihe herausgehobener Beiträge zu persönlichen Positionen in der Psychologie und zur integrierenden Übersicht über Forschungsergebnisse. Für beide Aufgaben standen neben Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus dem deutschsprachigen Raum geladene Gäste aus dem Ausland zur Verfügung. Die Einla- dungen waren in Konsultation mit allen Fachgruppen der Gesellschaft erfolgt, aber natürlich wurden auch für Jena wichtige Akzente gesetzt. Wie gewohnt gab es zahl- reiche Symposien und Arbeitsgruppen und darüber hinaus, wichtiger als bislang und auch vom Ort hervorgehoben, Posterausstellungen.

Die Auswahl der eingereichten Beiträge erfolgte durch ein alle Fachrichtungen re- präsentierendes Programmkomitee, das sich große Mühe gab, eine qualitätsvolle Auswahl zu treffen und insbesondere dafür zu sorgen, daß es vergleichsweise wenige umfangreiche mündliche Präsentationen von besonderer Sichtbarkeit und dafür sehr viele interaktive Präsentationsformen gab. Der Jenaer Kongreß brachte auch einige Neuerungen, wozu die Wiederbegegnung mit Deutschen zählte, die eine wissen- schaftliche Karriere im Ausland gemacht haben. Dies war angesichts der Debatte über Internationalisierung und mancher Bedenken, daß uns die Besten verlassen könnten (ohne daß diese Beziehung zum Ausland symmetrisch erwidert würde), besonders wichtig. Zudem haben wir gerade für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (einschließlich der Studierenden) Gelegenheiten geschaffen, um wichtige Persönlich- keiten der wissenschaftlichen Psychologie kennenzulernen, anders und ausführlicher, als dies durch Zuhören bei einem Vortrag möglich wäre, nämlich bei Kaffee und Ku- chen in kleinen Gruppen mit lebhaften Diskussionen.

Anläßlich des Kongresses kam es zur Verleihung mehrerer Preise, die genannt sein sollen: Charlotte-und-Karl-Bühler-Preis 2000 an Prof. Dr. Ulrich Mayr und PD Dr. Sabi- na Pauen; Heinz-Heckhausen-Jungwissenschaftlerpreis 2000 an Dr. Arndt Bröder;

Wissenschaftspublizistikpreis 2000 an Hans-Herbert Holzamer und Dipl.-Psych. Jo- chen Paulus; Wilhelm-Wundt-Medaille 2000 an Prof. Dr. Niels Birbaumer und Prof. Dr.

Frank Rösler. Der Deutsche Psychologiepreis, der gemeinsam vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen und der Gesellschaft vergeben wird, ging an Prof. Dr. Klaus Fiedler und Prof. Dr. Max Steller.

Die gesamte Anmeldung und Registrierung zur Teilnahme an dem Kongreß erfolg- te über das Web mittels Congress Online. So waren sämtliche Informationen zugäng- lich und über die Geschehnisse konnte man sich über eine Volltextsuche in den Ab- stracts informieren. Dies war eine Innovation, die auch genutzt wurde, um die Presse- arbeit zu verbessern. Zahlreiche Informationen für Journalisten waren auf dem Web erhältlich, und wir wissen, daß hiervon reichlich Gebrauch gemacht wurde. Die Be- richterstattung war erfreulich, und es ergaben sich viele Gelegenheiten, um mit den Medien Kontakte zu knüpfen.

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Vorwort

Statt des üblichen Gesellschaftsabends gab es einen „Jahrmarkt Psychologie“ mit einem großen Fächer an kulturellen Angeboten, von Pantomime-Gruppen bis zu klei- nen und großen musikalischen Darbietungen. Selbstverständlich kam auch das Kulina- rische zum Zuge. Wir wissen von vielen Gästen, daß der Kongress als informativ, die Atmosphäre als locker und anregend und die Stadt als charmant wahrgenommen wurde. Wer dies sehen möchte, kann ein Video gegen einen kleinen Unkostenbeitrag erwerben (ein Bestell-Formular liegt diesem Band bei), welches authentisch und in einer erfrischenden künstlerischen Gestaltung über den Kongreß und seine Besuche- rinnen und Besucher berichtet.

Neben den geladenen Referentinnen und Referenten aus dem Ausland gab es zahlreiche Besucher, vor allem aus Ländern östlich und südöstlich von uns, die zum Teil alte Kontakte zur Region wieder auffrischten. Insbesondere lag uns aber daran, den Nachwuchs aus diesen Ländern nach Jena zu holen. Für alle diese Programme danken wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und natürlich der Friedrich-Schiller-Universität Jena für ihre umfangreiche Unterstützung. Die Universität hat die Durchführung des Kon- gresses mit erheblichen eigenen Mitteln unterstützt und war stets aufgeschlossen gegenüber unseren Wünschen, Jena zu einem Erlebnis zu machen. Viele Studierende des Instituts und zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mitgewirkt. Das ganze wäre nicht möglich gewesen ohne die umfassende organisatorische Unterstüt- zung durch CPO Hanser Service, einem international tätigen Kongreßausrichter, der nicht erst seit Jena in der Psychologie Erfahrung hat.

Weiterhin ist es uns gelungen, zahlreiche Sponsoren zu finden, die den Kongreß unterstützt haben: Beltz, Psychologie Verlags Union; Berufsverband Deutscher Psy- chologinnen und Psychologen e. V.; BSS- Büro für Softwareentwicklung Sozialfor- schung, Berlin; Electric Paper GmbH, Lüneburg; Fachbuchhandlung für Psychologie, Frankfurt; Folkmanis, Altertheim; W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart; Management Innovation, Dresden; Dr. Gernot Schuhfried GmbH, Mödling, Österreich; Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg; Swets Test Services, Frankfurt; Waxmann Verlag GmbH, Münster; ZPID, Trier und der Verlag Pabst Science Publishers, dem wir auch für sein Engagement bei der Publikation des Kongreßberichts danken.

Die wachsende Bedeutung der neuen Medien könnte dazu führen, daß dies der letzte Kongreßbericht der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in klassischer Auf- machung ist (unser Beitrag zur Innovation war Congress Online, und natürlich haben wir die Abstracts zudem noch als CD-ROM zur Verfügung gestellt). Wir haben des- halb darauf geachtet, eine gehaltvolle Zusammenstellung zu erreichen. Im Band fin- den sich der traditionelle Eröffnungsvortrag des Ausrichters, die Wolfgang-Köhler- Gedächtnisvorlesung, ebenfalls ein Eckstein des Programmes unserer Kongresse.

Während von den Referentinnen und Referenten aus dem Ausland nicht alle bei die- ser deutschsprachigen Publikation vertreten sind, sind die Überblicksreferate und Positionsreferate vollständig repräsentiert. Wie für den Kongreßbericht üblich, haben

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Vorwort

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erstellt von ciando

Díe Mitgliederversammlung der Gesellschaft hatte wie stets die Aufgabe, einen neuen Vorstand zu wählen. Im Ergebnis ist es so, daß ich diesen Kongreßbericht als Organisator des Kongresses mit herausgebe und Sie außerdem als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie grüßen kann.

Mein besonderer Dank gilt Dr. Matthias Reitzle und Dipl.-Psych. Karina Weichold, die als wissenschaftliche Mitarbeiter die Vorbereitung wesentlich getragen haben, sowie Katrin Müller und, last but not least, Annett Weise, die uns in jeder Hinsicht mit ihrer Arbeit und mit ihrem Optimismus unterstützt haben.

Rainer K. Silbereisen

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Information zur Eröffnung ...19

Verleihung der Wilhelm-Wundt-Medaille an Prof. Dr. Niels Birbaumer ...21

Verleihung der Wilhelm-Wundt-Medaille an Prof. Dr. Frank Rösler ...22

Verleihung des Preises für Wissenschaftspublizistik an Hans-Herbert Holzamer ...23

Verleihung des Preises für Wissenschaftspublizistik an Jochen Paulus...24

Verleihung des Deutschen Psychologiepreises an Prof. Dr. Klaus Fiedler ...25

Verleihung des Deutschen Psychologiepreises an Prof. Dr. Max Steller...25

Eröffnungsvortrag

Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter: Ergebnisse eines entwicklungspsychologischen Forschungsprogramms R. K. Silbereisen...29

Wolfgang-Köhler-Gedächtnisvorlesung

Über das Elektrenkephalogramm des Menschen: Hirnelektrische Spuren des Wort-, Satz- und Textverstehens F. Rösler...39

Mittagsvorlesungen

Adult Intelligence from Knowledge and Trait Complex Perspectives P. L. Ackerman...57 New Approaches to Structural Equation Models with Missing Data

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Inhaltsverzeichnis

12

The Repeated Assembly of Human Sociality

L. R. Caporael...89 Vierzig Jahre Item-Response-Theorie – Überblick und Ausblick

G. H. Fischer...99 Developmental-Behavioral Initiation of Evolutionary Change

G. Gottlieb... 114 Motivation and Self-Regulation: A Trait-Skill Conceptualization

R. Kanfer... 124 Motivation Gains in Performance Groups: Explorations of the Köhler Effect

N. L. Kerr, G. Hertel, L. A. Messé... 135 Social dynamics of Biological Upheavals: Exploring Trauma, Language,

and Health

J. W. Pennebaker... 151 We can Create a Different World: The Origins and Prevention of Genocide

and Mass Killing

E. Staub... 159 Human Longevity: Trends and Determinants

H. Maier, J. W. Vaupel... 174 The Children of Kauai: Pathways from Birth to Midlife

E. E. Werner... 184 The Question of Media Influence

D. Zillmann... 195

Homecoming

A Different Kind of Normative Pathway – The Development of Resilience in High-Risk Young Mothers

G. G. Noam, M. Kia, I. Abderhalden... 207 Risk and Resources: A Developmental-Contextual Approach to the

Study of Adaptation in the Face of Adversity

I. Schoon... 220

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Inhaltsverzeichnis

Metacognition in Social Judgment: The Interplay of Experiential and Declarative Information

N. Schwarz... 239 Zur Analyse von Urteilerübereinstimmung

A. von Eye... 250 The Childhood Antecedents of Adult Careers: Theoretical and

Empirical Considerations

F. W. Vondracek... 265 Entwicklung von Risikokindern: Biologische, familiäre oder individuelle

Risikofaktoren

D. Wolke... 277

Charlotte-und-Karl-Bühler-Preis 2000

Laudatio zur Verleihung des Charlotte-und-Karl-Bühler-Preises an

Prof. Dr. Ulrich Mayr ... 295 Selektion mentaler Sets

U. Mayr... 296 Laudatio zur Verleihung des Charlotte-und-Karl-Bühler-Preises an

Dr. Sabina Pauen ... 306 Wie entstehen Konzepte? Antworten der experimentellen Säuglingsforschung

S. Pauen... 307

Heinz-Heckhausen-Jungwissenschaftlerpreis 2000

Laudatio zur Verleihung des Heinz-Heckhausen-Jungwissenschaftler-

Preises an Dr. Arndt Bröder ... 321

“Naturverbundene Theorie sucht bodenständige Daten für gemeinsame Zukunft” – Die Take The Best-Heuristik als Modell der Entscheidungsfindung

A. Bröder... 322

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Inhaltsverzeichnis

14

Abendvorlesung

Reale Arbeit in einer virtuellen Welt

H.-J. Bullinger... 335

Überblicksreferate

Die Behandlung des Generalisierten Angstsyndroms

E. Becker... 347 Dissoziative Identitätsstörungen – Überblick zum aktuellen Forschungsstand

K. M. Dornbusch, E. R. Straube... 355 Erholungsforschung: Neue Perspektiven zum Verständnis von Streß

K. W. Kallus... 364 Selbstbezogene Fähigkeitskognitionen im Kontext Schule:

Die Rolle unterschiedlicher Referenzrahmen

O. Köller, J. Möller... 380 Biologische und klinische Aspekte bei der Diagnostik und Therapie der

Demenz

K. W. Lange, O. Tucha... 391

“Mediengefühle” – Zum Stand der emotionspsychologischen

Fundierung medienpsychologischer Nutzungs- und Wirkungsforschung

R. Mangold... 400 Erklärungsansätze kontraproduktiven Verhaltens im Betrieb

B. Marcus... 414 Manisch-depressive Patienten – eine in der Forschung und Praxis

vernachlässigte Gruppe

T. D. Meyer, M. Hautzinger... 426 Sozialpsychologie der Selbstschädigung

H. D. Mummendey... 435 Lügen-Techniken

J. Schmid... 446

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Inhaltsverzeichnis

Lernen mit Multimedia: Pädagogische Verheißungen aus kognitions- psychologischer Sicht

W. Schnotz, T. Seufert, M. Bannert... 457 Positives Denken und Illusionen – Nützlich oder schädlich?

A. Schütz... 468 Arbeitsorganisation und betriebliche Verkehrssicherheit

R. Trimpop... 480 Psychologische Forschung zum Erleben gegenüber Sterben und Tod:

Der Stand der Dinge

J. Wittkowski... 495

Positionsreferate

Zeitliche Dissoziationen in Wahrnehmung und Handlungssteuerung

G. Aschersleben... 509 Prägt unsere Persönlichkeit unsere sozialen Beziehungen – oder umgekehrt?

J. B. Asendorpf... 518 Berufliche Kompetenzentwicklung

B. Bergmann... 530 Experten-Laien-Kommunikation als Gegenstand der Expertiseforschung:

Für eine Erweiterung des psychologischen Bildes vom Experten

R. Bromme, R. Rambow... 541 Episodisches Erinnern: Systeme und Prozesse

J. Engelkamp... 551 Ein psychologisches Modell unternehmerischen Erfolgs und empirische

Ergebnisse

M. Frese... 559 Strafbedürfnisse von Kriminalitätsopfern

U. Gabriel... 568 Planen in Organisationen: Forschungserfordernisse und -ansätze

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Inhaltsverzeichnis

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Variationen der funktionellen cerebralen Asymmetrie: Modulationen durch gonadale Steroidhormone

M. Hausmann... 587 Von der Leistungsevaluation zur Unterrichtsentwicklung –

Neue Herausforderungen für die Pädagogische Psychologie

A. Helmke, F.-W. Schrader... 594 Die Entstehung und Aufrechterhaltung realitätsfremder Überzeugungen

auf Individual- und Gruppenebene: Eine Anwendung sozialpsychologischer Überlegungen auf den Kontext von Falschbeschuldigungen bei

sexuellem Kindesmißbrauch

S. Schulz-Hardt, E. Höfer, G. Köhnken... 607 Kontrolliertes Trinken

J. Körkel... 618 Mechanismen räumlicher Perspektivenwechsel

M. May... 627 Vom ziemlichen Unvermögen der Psychologie, das Tun der Experten zu

begreifen: Ein Plädoyer für Professionalisierung als psychologische Kategorie und einen interaktionsorientierten Expertenbegriff

H. A. Mieg... 635 Die Allgemeine Hedonistische Motivationstheorie der Sozialpsychologie

R. Reisenzein... 649

“Perceived Reality” als Teilbereich von Realitäts-Fiktions-Unter- scheidungen: ein integratives Modell

M. Schreier, J. Rothmund, N. Groeben... 662 Wahrheitssuche statt Wunschdenken: Eine kognitive Alternativerklärung

für verzerrte Informationsselektion

S. Schulz-Hardt, D. Frey, E. Jonas... 674 Gesichterwahrnehmung: Evidenz für analytische oder

holistische Verarbeitungsprozesse?

G. Schwarzer... 685 Dynamische Modelle der Gesundheitsverhaltensänderung

R. Schwarzer, B. Knäuper... 693 Die Statistikausbildung kann von der Urteilsforschung profitieren

P. Sedlmeier... 702

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Inhaltsverzeichnis

Wissensorganisation und Wissen in der Organisation –

Aufgaben der Psychologie im prozeßorientierten Wissensmanagement

M. Spies... 712

Datenauswertung ohne Annahmen über Populationen und Zufallsauswahl: Permutationstests und Bootstrapping R. Westermann, M. Siemer... 724

Chronologie ... 736

Autorenindex... 738

Stichwortverzeichnis... 740

Subject Index ... 755

Autorenverzeichnis ... 761

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Information zur Eröffnung

Information zur Eröffnung

Montag, 25.9.2000

Volkshaus Jena 8.45 Uhr

ERÖFFNUNG DES 42. KONGRESSES DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGIE

Musik

Sonate für Violine und Generalbaß "La Folia"

Arcangelo Corelli

BEGRÜSSUNG

Kongreßausrichter Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen

Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Thüringen Dr. Bernhard Vogel

Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Jena Dr. habil. Peter Röhlinger

Grußwort des Rektors der Friedrich-Schiller-Universität Prof. Dr. Karl-Ulrich Meyn

Grußwort des Präsidenten des BDP Dipl.-Psych. Lothar J. Hellfritsch

Musik

Trio in D-dur für Klavier, Violine und Violincello op. 70, Nr. 1, "Geistertrio" (Erster Satz) Ludwig van Beethoven

BERICHT DES PRÄSIDENTEN

DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGIE

Prof. Dr. Rainer H. Kluwe - Pause –

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Information zur Eröffnung

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EHRUNGEN

Musik Triosonate Johann Sebastian Bach

Verleihung des Charlotte und Karl Bühler-Preises 2000 an Prof. Dr. Ulrich Mayr

PD Dr. Sabine Pauen

Verleihung des Heinz-Heckhausen-Jungwissenschaftlerpreises 2000 an Dr. Arndt Bröder

Verleihung des Wissenschaftspublizistikpreises 2000 an Hans-Herbert Holzamer – Redakteur der Süddeutschen Zeitung

Dipl.-Psych. Jochen Paulus

Verleihung der Wilhelm Wundt-Medaille 2000 an Prof. Dr. Niels Birbaumer

Prof. Dr. Frank Rösler Musik

Trio E-moll für Violine, Violincello und Klavier op. 102 (Zweiter Satz) Max Reger

- Pause – 12.00-12.45 Uhr

ERÖFFNUNGSVORTRAG

Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter: Ergebnisse eines entwicklungspsychologischen Forschungsprogramms

Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen - Pause –

13.00-13.45 Uhr

WOLFGANG KÖHLER-GEDÄCHTNISVORLESUNG

Über das Elektrenkephalogramm des Menschen: Hirnelektrische Spuren des Wort-, Satz- und Textverstehens

Prof. Dr. Frank Rösler Einführung: Prof. Dr. Gerd Lüer

Musikalische Umrahmung Jenaer Solisten

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Wilhelm-Wundt-Medaille 2000

an Herrn Prof. Dr. Niels Birbaumer, Tübingen

Laudatio

Mit Prof. Dr. Niels Birbaumer wird ein innovativer und erfolgreicher Erforscher der physiologischen und neurobiologischen Grundlagen des normalen und des krankhaft veränderten Verhaltens ausgezeichnet, ein im deutschen Sprachraum und internatio- nal anerkannter Wissenschaftler und akademischer Lehrer, ein Psychologe, der auch außerhalb der engen Fachgrenzen für psychologische Erkenntnisse Interesse geweckt und Aufmerksamkeit gefunden hat.

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22

Wilhelm-Wundt-Medaille 2000

an Herrn Prof. Dr. Frank Rösler, Marburg

Laudatio

Mit Prof. Dr. Frank Rösler wird ein innovativer Experimentalpsychologe ausgezeichnet, dessen Forschungsarbeiten zu einem vertieften Verständnis der Funktionsgesetzmä- ßigkeiten kognitiver Prozesse beigetragen haben, ein anerkannter Allgemeinpsycholo- ge, der wesentlich dazu beigetragen hat und beiträgt, traditionelle Grenzen des Fa- ches zu überwinden, und ein auch außerhalb des Faches angesehener Lehrer und Forscher.

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Preis für Wissenschaftspublizistik 2000 an Herrn Hans-Herbert Holzamer, München

Laudatio

Herr Hans-Herbert Holzamer schreibt seit Jahren über vielfältige Themenbereiche der Psychologie und Pädagogik. Er vermittelt hierdurch neue wissenschaftliche Befunde sowie aktuelle Fragestellungen der Forschung an eine große Öffentlichkeit. Herr Holzamer vermag die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien klar und transparent darzustellen, ohne daß sie dabei in unzulässiger Weise vereinfacht werden. Seine Berichte und Artikel werden sowohl von potentiellen Nutzanwendern als auch von Wissenschaftlern gelesen.

Als hauptamtlicher Redakteur der Sparte „Bildung und Beruf“ der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht Herr Holzamer nicht nur selbst Beiträge zu diesem Themenbe- reich; vielmehr ermuntert er darüber hinaus Wissenschaftler und Journalisten, ihrer- seits zu den Themenfeldern "Psychologie" und "Pädagogik" im weitesten Sinne zu veröffentlichen. Herr Holzamer trägt auch in dieser Funktion in hervorragender Weise dazu bei, wissenschaftliches Know-how sowohl den Wissenschaftlerkollegen der Nachbardisziplinen als auch potentiellen Nutzanwendern transparent zu machen.

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Preis für Wissenschaftspublizistik 2000 an Herrn Dipl.-Psych. Jochen Paulus, Frankfurt

Laudatio

Der Wissenschaftsjournalist Jochen Paulus hat sich seit mehreren Jahren mit seiner kontinuierlichen Berichterstattung über neue empirische Forschungsarbeiten der Psy- chologie für das Fach verdient gemacht. Der Autor, dessen Publikationen sich durch eine hohe Qualität der Darstellung komplexer Sachverhalte auszeichnen, erzielt einen hohen Impact beim Publikum, weil er seit ein paar Jahren beständig und konsequent Berichte in hochangesehenen und meinungsbildenden Printmedien und für mehrere Rundfunkanstalten verfaßt. Bei seinen Veröffentlichungen handelt es sich in den mei- sten Fällen um fundierte Hintergrundberichte, die solide Fachkenntnisse verraten und einzelne Befunde allgemeinverständlich in den großen Forschungshintergrund einrei- hen. Die Wahl der Themen wird bei Herrn Paulus von der inhärenten Dynamik des Forschungsfortschritts diktiert, nicht vom platten journalistischen Wunsch nach aufrei- zenden Themen. Seine Arbeit verdient es, hervorgehoben zu werden, weil sie die in den Medien oft übliche Trivialisierung des Faches Psychologie transzendiert und neue Maßstäbe für die Behandlung psychologischer Themen setzt.

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Deutscher Psychologiepreis

Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie, der Berufsverband

Deutscher Psychologinnen und Psychologen und die Christoph-

Dornier-Stiftung verleihen den Deutschen Psychologie-Preis im Jahr

2000 an Prof. Dr. Klaus Fiedler, Heidelberg und Prof. Dr. Max Steller,

Berlin.

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E RÖFFNUNGSVORTRAG

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Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter

Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter:

Ergebnisse eines entwicklungspsychologischen Forschungsprogramms

1

R. K. Silbereisen

Die deutsche Vereinigung stellt einen besonderen sozialen Wandel dar, der oft als nachgeholte Modernisierung bezeichnet wird, gekennzeichnet durch eine Demokrati- sierung der Gesellschaft, Umwälzung der Technologien und Individualisierung der Lebensbewältigung. Der politische Ansatzpunkt nach der Wende 1989 bestand im Transfer sozialer Institutionen von West nach Ost, deren Fehlen als Grundübel des zusammengebrochenen Systems angesehen wurde. Dies führte einerseits zu einer Vermehrung persönlicher Freiheit, andererseits hatten die Veränderungen den Preis zahlreicher Beeinträchtigungen in der Teilhabe am gesellschaftlichen Wiederaufbau, wie beispielhaft angezeigt an der steigenden Arbeitslosigkeit. Für den einzelnen läßt sich das Geschehen im Gefolge der Vereinigung als ein mehr oder weniger deutliches Mißverhältnis zwischen neuen Herausforderungen und vorhandenen Bewältigungs- möglichkeiten deuten, noch überlagert von der persönlichen Bilanz zwischen indivi- duellen Freiheiten und sozialer Teilhabe (vgl. Abbildung 1).

Im Mittelpunkt unserer Anfang der 90er Jahre begonnenen Forschung stand die Frage, inwiefern sich Zeitpunkte psychosozialer Übergänge (etwa hinsichtlich Auto- nomie im Handeln), welche das Jugendalter charakterisieren, unter den neuen objek- tiven Konstellationen und subjektiven Imperativen verändern. Solche „developmental timetables“ sind bekannt für eine gelinde Plastizität unter Bedingungen sozialen Wan- dels (zumeist untersucht bei Immigranten), wobei aber nur dort Veränderungen er- wartet wurden, wo die gewandelten sozialen Institutionen tatsächlich einen nachvoll- ziehbaren Einfluß auf die Taktung der Entwicklungsübergänge ausüben. Ungeachtet der vielfältigen Formen sozialen Wandels im vereinigten Deutschland wurde deshalb überwiegend Konstanz erwartet, weil viele Veränderungen die biografische Organisa- tion im Übergang zum Erwachsenenalter nur sehr vermittelt oder gar nicht erreichen.

Der prinzipielle Untersuchungsansatz bestand in einem Vergleich äquivalenter Kohorten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, erfaßt 1991 und damit über-

(31)

R. K. Silbereisen

30

Abb. 1: Vereinigungsprozeß

wiegend die Zeiten vor der Vereinigung repräsentierend, und erneut 1996, nachdem die neuen sozialen Institutionen ihre Wirksamkeit entfalten konnten. Dieser Zeitraum war einerseits durch eine Verbesserung und Angleichung an den Westen in Lebens- zufriedenheit und Glück repräsentiert, andererseits zeigte im Osten das Empfinden für Machtlosigkeit einen Gipfel etwa in der Mitte der Periode, und die Desorientierung lag beständig höher als im Westen. Insgesamt wurden 1991 knapp 4000 und 1996 ungefähr 3000 Teilnehmer(innen) befragt, ausgewählt nach einer Reihe stratifizieren- der soziobiographischer Merkmale.

1. Vergleich zum Zeitpunkt ausgewählter psychosozialer Übergänge 1991 gegenüber 1996

Je nach dem Alter der Befragten wurde zu unterschiedlichen psychosozialen Übergängen in persönlichen Interviews gefragt: „Hast Du (haben Sie) schon das erste Mal ... erlebt und, falls ja, in welchem Alter?“. Im einzelnen ging es um jeweils mehre- re Beispiele des Zeitpunkts von Autonomie im persönlichen Handeln, der Ausgestal- tung eigener sozialer Beziehungen und der Übernahme von Rollen in sozialen Institu- tionen.

Bei den 13- bis 19jährigen wird u. a. im folgenden der Zeitpunkt erster romanti- scher Beziehungen und erster beruflicher Präferenzen verglichen, denn diese Über- gänge sollten sich hinsichtlich der Rolle der neuen sozialen Institutionen unterschei-

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Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter

den. Die gewandelten Zielsetzungen der Schulen einschließlich der beruflichen Bil- dung sind ein Beispiel. Sie konnten praktisch keinen Einfluß auf den Zeitpunkt erster romantischer Beziehungen haben, wohl aber auf den Zeitpunkt erster beruflicher Interessen. Hier sollten sich die Zeitpunkte unterscheiden, denn berufliche Interessen wurden nach unserer Annahme 1991 im Osten früher als im Westen gebildet, dann aber einige Jahre nach der Vereinigung zu etwa dem gleichen Alter wie im Westen.

Diese Erwartungen wurden bestätigt, wobei die Unterschiede im Zeitpunkt beruf- licher Präferenzen 1991 besonders deutlich waren unter Jugendlichen, die während der Kindheit Belastungen gehäuft erlebten und folglich früher in Erwachsenenrollen gerieten (vgl. Abbildung 2).

Abb. 2: Zeitpunkt psychosozialer Übergänge in Ost und West (1996, 13- bis 19jährige)

Bei den 20 bis 29jährigen wurden die Zeitpunkte erster finanzieller Selbständigkeit

8 10 12 14 16 18

Berufl. Interessen Feste Beziehung Sex Verlieben Politik Disko Wegbleiben Essen wärmen Helfen Aussehen

West - Männlich West - Weiblich Ost - Männlich Ost - Weiblich

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tet, mutmaßlich im Zusammenhang mit dem Wegfall der im Osten von früher ge- wohnten öffentlichen Unterstützung für junge Familien.

2. An der individuellen Entwicklung beteiligte Mechanismen des Wandels

Die Befragungen enthielten leider keine direkten Messungen der für den individu- ellen Wandel angenommenen Mechanismen, wie beispielsweise die tatsächlich erleb- ten situativen Imperative. Indirekte Hinweise auf individuelle Unterschiede hinsichtlich der Vulnerabilität gegenüber dem sozialen Wandel ergeben sich aber aus Gescheh- nissen und Erfahrungen wie den folgenden: Ungeklärte Eigentumsverhältnisse der Wohnung, Alleinerzieher, Arbeitslosigkeit von Eltern und/oder Kindern, Umschulung, abgebrochene Lehrstelle.

Unter Einschluß dieser Merkmale wurde für die 13- bis 19jährigen versucht, die Trends von 1991 auf 1996 bei den Übergängen „hinweg“ zu erklären, wobei für romantische Beziehungen ein schwacher, für erste berufliche Präferenzen aber ein starker Effekt erwartet wurde. Die Schätzungen der Übergangsalter mittels Cox- Regression bestätigten diese Erwartung aber nicht. Entweder waren die Indikatoren zu unspezifisch, oder die Teilnehmer blieben durch externale Attributionen der Ge- schehnisse vor persönlicher Unbill geschützt, oder aber persönliche Erfahrungen wa- ren für die Veränderungen nicht so ausschlaggebend wie gedacht.

Diesen alternativen Deutungen konnten wir bei den 20- bis 29jährigen etwas ge- nauer nachgehen. Verglichen wurde hier das Alter beim Auszug aus dem Elternhaus, für welches ein schwacher Effekt sozialen Wandels erwartet wurde, mit dem Alter bei Gewinnung finanzieller Unabhängigkeit, und zwar für Absolventen berufsorientierter Schulzweige, die nachhaltig von den veränderten sozialen Institutionen beeinflußt sein sollten. Da Berufskarrieren 1996 im Osten im Vergleich zu 1991 nicht länger durch gebahnte Wege von der Schule in den Arbeitsplatz garantiert waren, und ohnehin individuelle Verantwortung im Mittelpunkt stand, sollten Arbeitslosigkeit und andere arbeitsbezogene Schwierigkeiten die Trends hin zu einer späteren ökonomischen Selbständigkeit aufklären helfen. Die Cox-Regressionen ergaben in der Tat, daß etwa ein Drittel der Verzögerung im Übergangsalter gegenüber 1991 durch die genannten Vulnerabilitätsfaktoren erklärt werden konnte. Ausschlaggebend waren vor allem eigene Arbeitslosigkeit und, davon unabhängig, zusätzlich die Arbeitslosigkeit der Eltern. Dieses Ergebnis verweist auf die zusätzliche Bedeutung familiärer Belastungen.

Hinsichtlich des Auszugs aus dem Elternhaus ergaben sich keine Effekte, wie dies auch angesichts der geringen Relevanz der Vulnerabilitätsindikatoren in diesem Fall erwartet worden war. Freilich ließen sich andere Merkmale interindividueller Unter- schiede ausfindig machen, welche unter den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen im Osten an Bedeutsamkeit gewannen. Während 1991 häufigere Aktivitäten mit Gleichaltrigen (positive wie negative), anders als im Westen, den Zeitpunkt des Aus- zugs aus dem Elternhaus im Osten nicht betrafen, war dies 1996 ganz anders. Damit wird die wachsende Rolle von Lebensstilfaktoren belegt, welche im Osten den Staat

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Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter

als vornehmlichen Zeitgeber für entsprechende Entwicklungsaufgaben abgelöst ha- ben. Analoge Analysen für die finanzielle Selbständigkeit ergaben wie erwartet gerin- ge Effekte von Sozialisationserfahrungen während der Jugend.

3. Beispiele zur Rolle der Vereinigung für weitere Aspekte der Sozialentwicklung

Sozialer Wandel äußert sich nicht nur im Zeitpunkt psychosozialer Übergänge, sondern ebenso auch im Inhalt mancher Entwicklungsaufgaben. Hier kommt es dann zu einer Ungleichzeitigkeit der Veränderung zwischen den Generationen, denn das Vorbild der Alten zählt nicht mehr, wenn die Jungen unter ganz anderer Bedingungen aufwachsen. Wir erwarteten vor diesem Hintergrund eine stärkere Unähnlichkeit von Beruf bzw. beruflicher Orientierung zwischen Eltern und Jugendlichen im Osten 1996, verglichen mit 1991. Obwohl sich der Zeitpunkt erster beruflicher Interessen nicht wesentlich verändert hatte, ergaben sich nachhaltige Änderungen der inhaltlichen Präferenzen. Anders als ihre Eltern zeigten die Jugendlichen im Osten 1996 deutlich weniger Interesse an traditionellen industriellen Berufen und favorisierten statt dessen Handel und Dienstleistungen, die nach der Wende ausgebaut wurden. Solche Unter- schiede gab es nicht im Westen.

Die Menschen sind für Effekte des sozialen Wandels unterschiedlich empfänglich, und zwar abhängig von Beschränkungen und Gelegenheiten in ihrer jeweiligen Le- benslage, wofür Geschlecht und Bildung Beispiele sind. Wir erwarteten wegen dieses Prinzips der Differentiellen Betroffenheit, daß Frauen aus dem Osten mit niedriger Bildung feste Partnerschaft und Familienbildung verzögern, weil sie weniger Ressour- cen haben und stärker von den Beschneidungen an gewohnten Unterstützungen betroffen sind. Während die Abfolgen der Übergänge in Partnerschaft und Familien- bildung 1991 mit 1996 vergleichbar blieben, kam es aber in der Tat zu beeindrucken- den Verzögerungen und einer größeren Spreizung der familienbezogenen Übergänge unter den Frauen aus berufsbildenden Schulzweigen. Im Westen gab es Vergleichba- res nicht. Interessant ist weiterhin, daß weder im Osten noch im Westen analoge Effekte unter Männern beobachtbar waren (vgl. Abbildung 3).

Wir sind bei unseren Untersuchungen im Prinzip davon ausgegangen, daß sozialer Wandel über die situativen Imperative im Leben der einzelnen sich durchgängig aus- wirkt, wobei eine weitgehende Plastizität der menschlichen Entwicklung unterstellt wird. Dies muß freilich qualifiziert werden, denn aus der Lebensspannenpsychologie ist eine Abhängigkeit vom Entwicklungsstand bekannt. Hinsichtlich der Entwicklung von Werthaltungen behauptet beispielsweise das „impressionable years“ Konzept, daß jüngeren Kohorten eine stärkere Anpassung an die mit der Vereinigung propa- gierten Werte gelingt. Wir erwarteten, daß 1991 kollektivistische Werte im Osten

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Abb. 3: Abfolge der psychosozialen Übergänge bei Frauen (Altersmedian)

Die Ergebnisse fielen etwas anders aus. Während 1991 alle Altersgruppen zwi- schen 15 und 29 Jahren kollektivistische Werte, wie Sicherheit durch die Familie oder Achtung vor der Tradition bevorzugten, waren 1996 diese Unterschiede abge- schwächt, doch präferierten junge Leute aus dem Osten unerwarteterweise individua- listische Werte weniger als 1991. Macht über andere, individuelle Freiheit oder Aus- übung persönlicher Autorität war ihnen nunmehr weniger bedeutsam, wohl als Aus- druck des Unbehagens über den Verlust an Gemeinschaft, der vielfach bestätigt wur- de.

Am wichtigsten war jedoch, daß bei den älteren zwischen 1991 und 1996 prak- tisch keine Unterschiede bestanden, während die jüngeren Kohorten eine deutliche Anpassung zeigten. Diese Ergebnisse verweisen erneut auf die Rolle der geänderten sozialen Institutionen, die auch für die Entwicklung von Werthaltungen bedeutsam sind. Greifen sie wegen des fortgeschrittenen Alters nicht mehr, weil beispielsweise die Schule abgeschlossen wurde, sind Anpassungen an das geänderte Umfeld weniger wahrscheinlich.

Wo aber Veränderungen stattfinden, sind sie nach unseren Vorstellungen durch

„proximale Prozesse“ bedingt, welche sozialen Wandel und individuelle Entwicklung verbinden. Ein Beispiel sind Korrekturen in der Haushaltsführung und deren Folgen für das Wohlbefinden von Eltern und Kindern, die in Reaktion auf ökonomische Belastun- gen aus Studien in westlichen Gesellschaftssystemen bekannt sind. Freilich gilt hier die Spezifität der Vermittlungsmechanismen, denn wir finden solche Effekte bei den von uns im Osten untersuchten Familien nicht. Dies scheint daran zu liegen, daß die An- passungen weniger als persönliches Versagen wahrgenommen werden, welches dann die Niedergeschlagenheit fördert, sondern als kollektives Schicksal. Solch eine Schutz- funktion ist sicherlich von Vorteil, wiewohl sie auch dazu führen kann, daß erforderli- che Anpassungen an die geänderten Verhältnisse unterbleiben.

Zusammengefaßt muß man davon ausgehen, daß die Veränderungen des Gesell- schaftssystems keineswegs das gesamte Leben und die Entwicklung der Persönlichkeit

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Sozialer Wandel in Deutschland und Übergänge zum Erwachsenenalter

im umfassenden Sinne betreffen, sondern jedenfalls für die hier untersuchten biogra- phischen Übergänge vor allem dort greifen, wo die gewandelten sozialen Institutionen neue Herausforderungen und zeitliche Vorgaben an die Organisation des Lebenslaufs stellen. Hier gilt Beständigkeit im Wandel, denn keineswegs alle Unterschiede zwi- schen den ehemals getrennten Staaten werden sich annähern. Manche haben eine Geschichte, die weit in die Vergangenheit reicht und nur scheinbar als Ost-West- Unterschied imponiert, andere sind in der Zwischenzeit gegenüber ihrem ursprüngli- chen Hintergrund funktionell autonom geworden, wie die ungeschmälert starke Nach- frage nach der Jugendweihe zeigt. Darüber hinaus entstehen im Osten, wie bei allen gesellschaftlichen Veränderungen, aus der Verschmelzung von alten und neuen Ver- haltensweisen innovative Inhalte und Formen der Auseinandersetzung mit den Anfor- derungen.

Hinsichtlich der Generalisierbarkeit auf andere Transformationsgesellschaften muß bedacht werden, daß unsere Befunde vor allem durch einige Besonderheiten der deutschen Situation geprägt sind. Zu nennen sind der Institutionentransfer, bei wel- chem (überwiegend) bewährte Strukturen und Prozeduren übertragen wurden, wei- terhin die vergleichsweise große wirtschaftliche Prosperität ungeachtet der Schwierig- keiten und schließlich die Tatsache, daß eine etablierte Zivilgesellschaft bestand, die teilweise den Zusammenbruch der politischen Eliten ausgleichen konnte. Dies ist so in zahlreichen anderen Transformationsgesellschaften nicht gegeben.

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W OLFGANG -K ÖHLER -G EDÄCHTNISVORLESUNG

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Über das Elektrenkephalogramm des Menschen

Über das Elektrenkephalogramm des Menschen:

Hirnelektrische Spuren des Wort-, Satz- und Textverstehens

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1. Prolog

Mit dem Titel “Über das Elektrenkephalogramm des Menschen“ überschrieb Hans Berger (1873-1941) 1929 eine Veröffentlichung, in der er erstmals über die Registrie- rung hirnelektrischer Potentiale von der Skalpoberfläche des Menschen berichtete (Berger, 1929). Mit aus heutiger Sicht unglaublich einfachen technischen Mitteln - einem Saitengalvanometer und einem Fotoregistriersystem - gelang es ihm, die aus Tierversuchen bereits bekannten Hirnströme zunächst bei Patienten mit Trepanatio- nen und vernarbter Kopfschwarte aufzuzeichnen, wenig später dann auch von der ungeöffneten Schädelkapsel gesunder Probanden, dies waren zunächst einige seiner Assistenzärzte und seine Kinder. In insgesamt 14 Mitteilungen berichtete Berger zwi- schen 1929 und 1938 über diese Registrierungen, und 1938 faßte er all diese Beob- achtungen in einem großen Übersichtsreferat zusammen, das in Nova Acta Leopoldi- na erschien (Berger, 1938). Berger wurde während des Krieges und noch einmal da- nach für seine Entdeckungen für den Nobelpreis vorgeschlagen, aber dieser Lohn erreichte ihn nicht. 1941 schied er in einer Phase tiefer Depression freiwillig aus dem Leben.

Hans Berger war Psychiater an der Universitätsklinik hier in Jena. Er gilt als der be- deutendste Schüler Binswangers, war aber von der Veranlagung her wohl weniger ein Psychiater als eher ein akribischer Naturforscher. In seiner zusammenfassenden Veröf- fentlichung zum EEG berichtet er über die Motivation seiner Forschungen: “Als ich mich dann dem Studium der Medizin zuwandte, waren es die Erkrankungen des Großhirns und die psychischen Erkrankungen, die mich vor allen Dingen anzogen, weil ich glaubte, da dieser mich besonders beschäftigenden Frage nachgehen zu kön- nen. Die Psychophysiologie, das Grenzgebiet, in dem sich Physiologie und Psycholo- gie berühren, oder die Wissenschaft, die sich die Aufgabe gesetzt hat, den Zusam-

1 Ich danke ganz herzlich allen Kolleginnen und Kollegen, Studentinnen und Studenten, die in den vergangenen 10 Jahren zum Erfolg der Arbeitsgruppe für Kognitive Psychophysiologie an der Philipps-

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menhang, in dem die Hirnvorgänge und die zugehörigen psychischen Vorgänge ste- hen, im einzelnen genauer festzustellen, das sollte mein Forschungsgebiet werden!“

(Berger, 1938, S. 173). Womit wir dann endlich beim Thema wären, der Psychophysio- logie, dem Zusammenhang zwischen Hirnvorgängen und den zugehörigen psychi- schen Vorgängen. Die Motivation, die Berger hier beschreibt, war auch die meine, als ich 1969 im Rahmen meiner Vordiplomarbeit bei Kurt Pawlik in Hamburg meine er- sten Erfahrungen mit dem EEG sammelte.

Und Wolfgang Köhler? Wo bleibt der Namenspatron dieser ehrenvollen Vorle- sung? Wolfgang Köhler (1887-1967) war ein Zeitgenosse Bergers, aber doch in seiner Art ein ganz anderer Forscher und Denker. Berger der Empiriker, ein Mann, dessen Begeisterung über das Phänomen als solchem aus seinen Texten spricht. Wolfgang Köhler dagegen ein Theoretiker par excellence. Von seiner Ausbildung her war Köhler Physiker und ist erst später zur Philosophie und Psychologie gekommen. Ihm schweb- te eine Theoretische Psychologie vor, vergleichbar einer Theoretischen Physik, und er entwickelte diesen Gedanken u.a. in seinem Buch “Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand“ (Köhler, 1920). Das Buch ist eine, wie es heißt “natur- philosophische Untersuchung“, in der nicht Phänomene wie bei Berger akribisch ge- nau beschrieben werden, sondern in der das Übergeordnete, Gemeinsame von Ge- stalten als ordnendes Prinzip herausgearbeitet wird - mit Bezügen zur Physik, insbe- sondere zur Thermodynamik und zur Elektrodynamik.

Kannte Köhler den von Berger als psychophysiologisch benannten Ansatz der For- schung und die schon seit 1875 durch Caton (1875) bekannt gemachten hirnelektri- schen Erscheinungen? Vermutlich, allerdings in den “Psychischen Gestalten“ (1920), ein Buch, das noch 1919 auf Teneriffa entstanden war, findet man bezüglich dieser Forschungsperspektive noch keine Hinweise. Dreizehn Jahre später, nach einem Auf- enthalt in den USA äußert sich Köhler über diesen Ansatz skeptisch. Im Zusammen- hang mit der Erforschung von Emotionen schreibt er (Köhler, 1933, S. 25): “Man hat viel für die Entwicklung pneumographischer, plethysmographischer, elektrographi- scher Methoden getan. Bisher jedoch ist das Ergebnis nicht gerade ermutigend; ... Alle diese Verfahren stellen also zur Zeit eher selbst Probleme als eine Hülfe für die Lö- sung psychologischer Fragen dar. Meistens wird es auch viel leichter sein, Ärger un- mittelbar dem Verhalten einer Person abzulesen, als etwa den Adrenalingehalt ihres Blutes festzustellen und zu messen.“ Wie wahr! Möchte man auch fast 70 Jahre nach dieser Aussage noch zustimmend bemerken. Und dennoch sieht auch Köhler die Grenzen einer rein der Verhaltensbeobachtung verpflichteten Psychologie. Wenige Seiten später stellt er fest (Köhler, 1933, S. 33): “Wir wissen z.B. ein wenig über die elementaren Wirkungen der Reize auf die Sinnesorgane unserer Versuchspersonen;

wir beobachten dann mit einiger Sicherheit deren Verhalten der äußeren Situation gegenüber, soweit es nach außen merklich wird. Aber zwischen den beiden Enden dieses Weges liegt mehr Terra incognita, als es vor sechzig Jahren auf der Karte von Afrika gab. Wenn das Verhalten eines Menschen aus inneren Gestaltungsvorgängen ebensowohl wie aus der jeweiligen äußeren Situation hervorgeht, so müssen wir ver- suchen, die Beschaffenheit und die Arten solcher inneren Prozesse zu erraten, welche aus der äußeren Lage und den Binnenkräften der Person entspringen“.

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Über das Elektrenkephalogramm des Menschen

Und hier treffen sich vielleicht die beiden Pioniere. Köhler sah, im Gegensatz zu den Behavioristen seiner Zeit, die Notwendigkeit, daß wir Annahmen über die zwi- schen Reiz und Reaktion intervenierenden Prozesse brauchen, über kognitive Prozes- se, und Berger ahnte, daß man solche intervenierenden Prozesse möglicherweise mit dem EEG objektiveren kann. Und damit wären wir dann wirklich beim Thema: Was passiert zwischen Reiz und Reaktion, wenn wir den Probanden kognitive Leistungen abverlangen? Und was können wir dann im EEG (und mittlerweile auch mit anderen sog. bildgebenden Verfahren der Hirnaktivität) sehen? Hilft uns die ganze Technik insoweit, daß wir nicht mehr, wie Köhler noch sagt, diese intervenierenden Prozesse nur erraten müssen, sondern daß wir sie vielleicht sogar messen können?

2. Methoden

Ehe ich mit einige Beispielen zeige, was wir heute mit dem EEG und bildgebenden Verfahren sehen können, zunächst ein paar Worte zur Methode (vgl. auch Elbert, Junghöfer, Rockstroh, & Roth, 2000; Rösler, 1996). Berger entdeckte, daß man von der ungeöffneten Schädeldecke die per Volumenleitung übertragene hirnelektrische Aktivität erfassen kann. Was er maß, nennt man heute Spontanaktivität. Sie ist charak- terisiert durch mehr oder weniger typische Wellenformationen, die, wie schon Berger beobachtete, mit dem allgemeinen Aktiviertheitszustand des Probanden zusammen- hängen, mit Schlafen und Wachen, mit dem Effekt von Narkotika usw. Diese Aktivität läßt sich nicht unmittelbar auf kognitive Prozesse, die nur wenige hundert Millisekun- den andauern, beziehen. Hierfür war noch eine weitere Entdeckung notwendig. G.C.

Dawson, einem englischen Neurologen, gelang um 1950 der Durchbruch. Er übertrug die aus der Nachrichtentechnik bekannte Methode der Signalmittelung auf das EEG und konnte zeigen, daß in dem Spontan-EEG noch sehr viel kleinere Spannungs- schwankungen versteckt sind, die systematisch sensorischen Reizen folgen, sog. evo- zierte, oder allgemeiner, ereigniskorrelierte Potentiale. Auch seine technischen Mög- lichkeiten waren begrenzt. Er baute dazu einen weitgehend mechanisch arbeitenden Mittelungsapparat, bei dem die Spannungsschwankungen über Kondensatoren auf- summiert wurden (Dawson, 1954). Registriert wurde meistens nur von einigen weni- gen Elektroden, obwohl auch schon Berger eine Reihe von Aufzeichnungen mit zwei Galvanometern gleichzeitig durchgeführt hatte.

Heute hat uns die Technik andere Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. Wir kön- nen von 100 oder 200 Elektroden gleichzeitig registrieren. Die kontinuierlichen Ana- logsignale werden mit hoher Geschwindigkeit abgetastet und in Zahlenvektoren trans- formiert. Aus diesen Daten lassen sich topographische Karten erzeugen und die Po- tentialverteilung kann genutzt werden, um die Lokalisation der Generatoren zu schät- zen. Dabei kann man dann die Freiheitsgrade durch die individuelle Kortexanatomie, die als strukturelles Kernspinbild vorliegt, eingrenzen (Haan, Streb, Bien, & Rösler,

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tät (positiv, negativ), ihre Latenz in bezug auf das auslösende Ereignis und durch ihre Topographie auf dem Schädel, also durch die Position des Maximums, charakterisiert.

Einzelne Komponenten dieser sog. ERPs (von engl. event-related potentials) hängen systematisch mit Informationsverarbeitungsprozessen zusammen. Man kann also durch experimentelle Manipulationen bestimmte Verarbeitungsprozesse auslösen - z.B. Gedächtnisabruf - und dann mit Hilfe der ERPs nachschauen, wann und wo auf der Schädeloberfläche ausgeprägte Aktivitätsänderungen auftreten.

3. Sprachspezifische Komponenten im ereigniskorrelierten Potential

Die ersten Komponenten, die als Ausdruck kognitiver Prozesse angesehen werden können, wurden Mitte der 60er Jahre entdeckt: die eine Reizantizipation begleitende Contingent Negative Variation (CNV; Walter, Cooper, Aldridge, McCallum, & Winter, 1964), die von der subjektiven Reizerwartung abhängige P300 (Sutton, Braren, Zubin,

& John, 1965) und das einer Willkürbewegung vorangehende Bereitschaftspotential (BP; Kornhuber & Deecke, 1965). Inzwischen sind eine Reihe “kognitiver“ ERP- Komponenten entdeckt worden (vgl. Rösler & Heil, 1998), u.a. auch solche, die mit der Sprachverarbeitung zusammenhängen (Streb & Rösler, 2000).

3.1 Wörter

Wir lesen einen Text, wir hören eine Rede, und wir verstehen, was uns mitgeteilt wird. Ein höchst erstaunlicher Sachverhalt. Die Sprachpsychologie hat inzwischen durch eine Vielzahl von Experimenten und theoretische Analysen aufgedeckt, wie unglaublich vielfältig und komplex das Problem der Sprachverarbeitung ist (vgl. z.B.

Altmann, 1997; Garrod & Pickering, 1999; Kintsch, 1994; Levelt, 1989). Überspringen wir Phonologie und Orthographie, so ist es zunächst das einzelne Wort, das verstan- den werden muß. Der lexikalische Zugriff, die Aktivierung der Wortbedeutung durch einen geeigneten Reiz (eine Buchstabenfolge, ein Lautmuster) ist ein in hohem Maße kognitiver, d.h. in meiner Definition ein von der unmittelbaren physikalischen Informa- tion unabhängiger Prozeß. Die Orthographie allein ist bedeutungslos, wenn wir nicht bereits eine Repräsentation in unserem Gedächtnis für die Wortbedeutung haben.

Der visuelle Reiz sagt uns gar nichts, so lange wir nicht das kyrillische Alpha- bet kennen und die zugehörige Bedeutung der Buchstabenfolge. Der physikalische Reiz als solcher überträgt also keine Bedeutung. Wir verstehen nur, wenn wir eine zugehörige Repräsentation im Gedächtnis aktivieren können. Durch eine geeignete Manipulation kann man solche Reaktivierungsprozesse von semantischen Wissensbe- ständen akzentuieren und dann im EEG sichtbar machen.

Ein entsprechender Effekt wurde erstmals von Kutas und Hillyard (1980) beschrie- ben. Sie fanden, daß Wörter, die nicht optimal in einen zuvor aufgebauten semanti- schen Kontext passen, im EEG eine ausgeprägte Negativierung über dem zentralen bis parietalen Kortex auslösen, die etwa 200 ms nach der Darbietung des Wortes beginnt, bei etwa 400 ms ihren Gipfel erreicht und bis zu 800 ms andauern kann. Diese Nega-

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Über das Elektrenkephalogramm des Menschen

tivierung wird als N400-Komponente oder N400-Effekt bezeichnet, wobei die Charak- terisierung mit dem Begriff N400-Effekt zutreffender ist, da es sich nicht um eine ei- genständige Komponente handelt, sondern um einen Amplitudenunterschied, der erkennbar wird, wenn man die Bedingungen mit dem kontextkonformen und dem kontextinkonformen Wort vergleicht, bzw. wenn man das Differenzpotential beider Bedingungen berechnet (s. Abb. 1).

Zunächst liegt es nahe anzunehmen, daß es sich hier nicht um einen sprachspezi- fischen Effekt handelt, sondern um eine Veränderung, die allgemeiner, mit der Uner- wartetheit des auslösenden Reizes zusammenhängt. Aber bereits Kutas und Hillyard (1980) konnten dieses Argument entkräften, denn eine unerwartete Änderung eines rein physikalischen Merkmals (z.B. Schriftgröße) löst keinen N400-Effekt, sondern einen ausgeprägten P300-Komplex aus, also eine Veränderung im EEG, wie sie auch

Abb. 1: Nicht oder gering assoziierte Wörter lösen nach einem Bahnungsreiz eine stär- kere Negativierung im EEG um 400 ms aus als stark assoziierte Wörter. In diesem Expe- riment mußten die Pbn eine lexikalische Entscheidung treffen, der Effekt tritt aber unab- hängig von der zu bewältigenden Aufgabe auf und zeigt vermutlich zusätzliche Aktivie- rungen im semantischen Gedächtnis an. Dargestellt sind die gemittelten ereigniskorre- lierten Potentiale an den beiden Elektroden, an denen der Effekt am stärksten ausge-

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bei anderen seltenen physikalischen Reizabweichungen, die handlungsrelevant sind, beobachtet wurde (Johnson, 1986; Rösler, 1982).

Ein N400-Effekt tritt besonders deutlich beim Lesen von Wörtern auf, die nicht in einen vom vorangegangenen Satz etablierten semantischen Kontext passen. Dabei haben die Darbietungsmodalität (akustisch, visuell) und die Art der Sprache (Englisch, Deutsch, Wortsprache, Gestensprache) keine Bedeutung, der Effekt kann in allen Bedingungen gleichermaßen beobachtet werden (Holcomb, 1985; Neville, 1985; Van Petten, Kutas, Kluender, Mitchiner, & McIsaak, 1991). Entscheidend für die Auslösung ist ein durch sprachliche Restriktionen vorgegebener Kontext und eine wahrgenom- mene Information, die aufgrund semantischer Restriktionen nicht optimal in diesen Kontext paßt. Auch bereits der durch einzelne Wörter einer Wortliste vorgegebene Kontext oder der in einem Bahnungsparadigma durch das erste Wort eines Wortpaa- res vorgegebene Kontext reicht aus, um unter bestimmten Bedingungen einen N400- Effekt auszulösen. In diesen Untersuchungen hat sich gezeigt, daß Wörter, die seman- tisch nicht "gebahnt" worden sind, denen also nicht ein semantisch verwandtes Wort vorausging, einen deutlichen N400-Effekt auslösen (z.B. Bentin, McCarthy, & Wood, 1985; Münte, Künkel, & Heinze, 1989).

Diese und andere Befunde zeigen, daß sich im N400-Effekt die Organisation des semantischen Lexikons widerspiegelt. Die Amplitude ist sensitiv für alle Arten semanti- scher Assoziationen - kategoriale Relationen wirken sich ebenso aus wie aufgrund des häufigen Sprachgebrauchs etablierte assoziative Verbindungen. Die Amplitude des N400-Effektes erweist sich dabei als umgekehrt proportional zur Stärke der assoziati- ven Verknüpfung - je größer die Amplitude, um so entfernter sind die den Effekt auslö- senden Konzepte zum vorangegangenen Kontext (Satz oder Wort) (Rösler, Streb, &

Haan, 2001; vgl. Abb.1). Man kann das Phänomen des N400-Effektes als Ausdruck zusätzlicher Suchprozesse im semantischen Gedächtnis deuten.2

3.2 Sätze

Wörter machen noch keine Sprache, auch wenn sie für sich genommen Bedeu- tung übertragen. Sprache hat Struktur und diese Regelhaftigkeit überträgt selbst wie- der Bedeutung. Es macht einen Unterschied, ob wir hören “Arafat macht Barak ein Angebot“ oder “Barak macht Arafat ein Angebot“. Wir konstruieren ein unterschiedli- ches Textmodell mit unterschiedlich verteilten Rollen, je nachdem, wer in Subjekt- und wer in Objektposition steht. Und es ist nicht nur die Wortfolge, die dabei ausgewertet wird, sondern auch die Regelhaftigkeit, die durch Funktionswörter, z.B. Artikel, fest- gelegt wird. “Der Lehrer erteilt dem Schüler einen Tadel“ vs. “Dem Lehrer erteilt der Schüler einen Tadel.“

2 Ein vergleichbarer Effekt läßt sich auch für die Aktivierung arithmetischer Fakten nachweisen (Nie- deggen, Rösler, & Jost, 1999). Bei einfachen arithmetischen Gleichungen lösen nicht passende Ergeb- nisse eine relative Negativierung aus, deren Amplitude von der Distanz und der Assoziiertheit des inkorrekten Ergebnisses zum korrekten Ergebnis abhängt (Niedeggen & Rösler, 1999).

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Über das Elektrenkephalogramm des Menschen

Aus vielen Untersuchungen mit Patienten ist bekannt, daß für die Analyse von Wortbedeutungen und von Strukturmerkmalen einer Sprache sehr wahrscheinlich unterschiedlich spezialisierte Verarbeitungseinheiten genutzt werden. Es gibt Patien- ten, die Probleme beim Verstehen und beim Produzieren der Strukturmerkmale ha- ben, und es gibt Patienten, denen der Zugang zu Wortbedeutungen verloren gegan- gen ist. Die erste Gruppe hat, sofern es sich um Rechtshänder handelt, häufiger Läsio- nen in fronto-zentralen Hirnarealen, die zweite Gruppe häufiger in parieto-temporalen Hirnarealen der linken Hemisphäre. Aufgrund dieser und auch aufgrund rein psycho- linguistischer Befunde könnte man ein sehr vereinfachtes Sprachverstehensmodell mit mindestens drei Komponenten postulieren: eine Funktionseinheit, mit der Wortbedeu- tungen erschlossen werden, eine, mit der die syntaktischen Merkmale analysiert wer- den, und eine Einheit, in der die beiden Informationseinheiten integriert und zur Kon- struktion einer Bedeutung tragenden Repräsentation (einem Textmodell) zusammen- gefaßt werden.

Mittlerweile hat man mindestens drei ERP-Komponenten gefunden, die sensibel auf die Verarbeitung syntaktischer Informationen reagieren (Hagoort, Brown, &

Osterhout, 1999; Streb & Rösler, 2000). Ich möchte Ihnen eine dieser Potentialverän- derungen genauer erläutern. Sie erscheint mir besonders interessant, da sie die Verar- beitung rein syntaktischer Informationen, unabhängig von Wortbedeutungen, anzu- zeigen scheint.

Unser sprachverarbeitendes System ordnet die Rollen einer Aussage so zu, wie es die Artikel anzeigen. Wir lesen “Dann hat der Vater dem Sohn den Teddy gegeben“

und es ist klar, wer hier wem etwas gibt. Die Subjektposition ist der Agent, die Dativ- position der Rezipient und die Akkusativposition das Objekt einer Handlung. Die drei Nominalphrasen können im Deutschen umgeordnet werden, ohne daß wir dem Satz dann eine andere Bedeutung entnehmen, denn die Kasusmarkierer sind eindeutig.

Lediglich die Betonung ist verschoben und wir nutzen solche Umstellungen, um den Fokus der Aufmerksamkeit beim Hörer/Leser zu verschieben. In anderen Sprachen, z.B. dem Englischen, ist das anders. Da sind solche Umstellungen der Nominalphrasen zugleich mit einer Änderung der Rollenzuweisung verbunden. Im Deutschen sind dagegen alle 6 Möglichkeiten der Anordnung von Subjekt (S, Nominativ), direktem Objekt (DO, Akkusativ) und indirektem Objekt (IO, Dativ) zulässig und sinnvoll. Alle, außer der “kanonischen“ Ordnung (S-IO-DO), sind allerdings weniger geläufig. Sie verletzen sog. syntaktische Präferenzen, die vermutlich als Erwartungsschemata reprä- sentiert sind. Untersucht man die Lesezeit entsprechender Formulierungen, so bilden sich diese Präferenzen sehr deutlich ab (Pechmann, Uszkoreit, Engelkamp, & Zerbst, 1996). Die kanonische Formulierung wird am schnellsten verstanden, die mit den meisten Verletzungen der Präferenzregeln am langsamsten. Wir haben entsprechen- des Satzmaterial in einer EEG-Untersuchung vorgegeben, allerdings nicht als ganze Sätze, sondern wortweise, damit die hirnelektrischen Antworten auf jedes einzelne Wort erfaßt werden konnten. Am Ende eines jeden Satzes folgte noch ein Frage, um

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Abb. 2: Artikel, die eine unerwartete Phrasenstruktur anzeigen, lösen im EEG eine links- anteriore Negativierung aus (LAN-Effekt). In diesem Experiment mußten die Pbn wort- weise auf dem Bildschirm dargebotene Sätze lesen und anschließend nach jedem Satz eine Verständnisfrage beantworten. Dargestellt sind die mittleren ERPs auf den Artikel und das Nomen der ersten Nominalphrase (Daten aus Rösler, Pechmann, Streb, Röder,

& Hennighausen, 1998).

zu, so kann der Artikel entweder der,dem oder den sein. In Abb. 2 erkennt man, daß sich ERPs auf den ersten Artikel unterscheiden, u.zw. ab ca 300 ms. Dieser Unter- schied ist statistisch hoch signifikant (Rösler, Pechmann, Streb, Röder, & Hennighau- sen, 1998). Bildet man die Differenz zwischen dem kanonischen der und dem minde- stens zwei Präferenzregeln verletzenden den und zeichnet dann die Topographie dieses Differenzpotentials, so erkennt man, daß die nichtkanonische Form eine relativ stärkere Negativierung über dem linken fronto-zentralen Kortex auslöst. Bei dem ebenfalls nicht kanonischen dem ist die Differenz geringer, die Topographie aber die gleiche. Man beachte: Der Artikel überträgt nur strukturelle Information. Erst wenn das folgende Nomen gelesen worden ist, kann das System eine inhaltlich bedeutsame Rollenzuweisung vornehmen. D.h. wir sehen hier eine hirnelektrische Antwort, die von einem syntaktischen “Schalter“ ausgelöst wird. Erstaunlicherweise treten bei dem unmittelbar folgenden Nomen gar keine prominenten Potentialunterschiede auf.

Der Effekt ist statistisch zuverlässig, aber auch in dem Sinne reliabel, daß er an ei- ner vergleichbaren Stelle wieder auftritt. Wenn die erste Nominalphrase dem kanoni- schen Schema folgte, so kann dann die zweite Nominalphrase entweder ebenfalls das erwartete indirekte Objekt oder aber davon abweichend das direkte Objekt übermit- teln. Und genauso wie bei der ersten Nominalphrase sieht man hier, daß der nichtka-

-500 ms

F3

Bl 0

+5µV

Artikel

0 ms

Nomen S-x-x Dann hat der Vater...

IO-x-x Dann hat dem Sohn...

DO-x-x Dann hat den Teddy...

0

(48)

Über das Elektrenkephalogramm des Menschen

nonische Artikel den im Vergleich zum kanonischen dem eine relativ stärkere Negati- vierung über dem fronto-zentralen Kortex evoziert. Ein direkter Vergleich der drei Effekte zeigt, daß die Topographie sehr gut übereinstimmt, d.h. in allen drei Fällen scheint der gleiche Generator, der gleiche kortikale Zellverband aktiv zu sein. Und schließlich ist festzuhalten, daß der LAN-Effekt eine ganz andere Topographie hat als der zuvor beschriebene N400-Effekt, der mit dem Prozeß der semantischen Integrati- on in Zusammenhang gebracht wurde.

Ein entsprechender LAN-Effekt ist auch von anderen Autoren für andere Satzkon- struktionen beschrieben worden, z.B. von Kluender und Kutas (1993) für sog. Filler- Gap-Konstruktionen im Englischen, die sich bei wh-Fragen ergeben. Auch in diesen Fällen wurde die LAN von grammatisch salienten Satzelementen ausgelöst, nämlich bei Verarbeitung des Fillers und des Gap. Wichtig ist, daß die LAN auch in diesen Untersuchungen in syntaktisch korrekten Sätzen beobachtet werden kann. Es handelt sich also um ein Korrelat der normalen Sprachverarbeitung, bei der die auslösende Bedingung nicht ein grammatischer Fehler ist (wie z.B. bei andern ERP-Komponenten, etwa der SPS, vgl. Hagoort, Brown, & Groothusen, 1993; Kluender & Kutas, 1993).

Vielmehr handelt es sich um Strukturelemente, die korrekt sind, die aber zugleich anzeigen, daß zusätzliche Verarbeitungsschritte erforderlich sind. Und um es noch einmal zu sagen, die LAN kann nicht Ausdruck der eigentlichen Bedeutungszuwei- sung sein, denn diese ist erst möglich, wenn ein Inhaltwort, das zugehörige Nomen, verarbeitet worden ist. Wir denken, daß die LAN Ausdruck eines primären Syntax- analysators ist, der immer dann anspricht, wenn nicht-kanonische Strukturen aufge- nommen werden.

Inzwischen haben wir mit dem eben beschriebenen Satzmaterial auch eine funk- tionelle Kernspinuntersuchung durchgeführt (Stock, Röder, Neville, Bien, & Rösler, 2000). Gegenübergestellt wurden u.a. die schweren und die leichten Satzstrukturen, also die mit einer kanonischen Abfolge der Nominalphrasen und solche mit einer eher ungewöhnlichen Abfolge. Bei diesem Kontrast erkennt man sehr schön eine links- anteriore Aktivierung im Bereich des Broca-Areals. Darüber hinaus wurden in dieser Studie dann aber auch sinnhafte Sätze der beschriebenen Art und sinnlose, aber grammatisch korrekte Sätze verglichen. Es handelt sich dabei um - frei nach Lewis Carrol - sog. Jabber-Walkie Sätze. Bei diesem Kontrast sieht man ein anderes Aktivie- rungsmaximum, nämlich weiter posterior, in etwa im Bereich des Wernicke-Areals.

Der Vergleich beider Aktivierungsmuster zeigt sehr schön, daß das Gehirn bei der Verarbeitung von Satzstrukturen andere Areale rekrutiert als bei der Verarbeitung von semantischen Inhalten.

3.3 Texte

Am Anfang dieses Aufsatzes haben Sie u.a. gelesen “Hans Berger war Psychiater

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