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Archiv "Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie: Über das Für und Wider des Fortschritts" (22.04.1994)

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HEMEN DER ZEIT TAGUNGSBERICHT

Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie

Über das Für und

Wider des Fortschritts

„Die Ambivalenz des Fortschritts — ist weniger mehr?" Unter dieses Leitmotiv hatte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Professor Dr. Mi- chael Trede, den 111. Kongreß seiner Gesellschaft in München gestellt. Er wol- le auf keinen Fall larmoyantem Fortschrittspessimismus Ausdruck verleihen, sagte Trede bei der Eröffnung der Veranstaltung im Münchner Prinzregenten- theater. Doch „steht es uns allen gut an, einmal innezuhalten", fügte der Mannheimer Chirurg hinzu, „um uns der Frage zu stellen, ob nicht doch bei vielem weniger mehr sein könnte".

W

ie ein roter Faden zog sich die von Trede aufgeworfe- ne Frage „Ist weniger mehr?" durch die Veran- staltungen der vier Kongreßtage.

Trede selbst hatte in seiner von Nachdenklichkeit geprägten Eröff- nungsansprache auf den Januskopf des chirurgischen Fortschritts hinge- wiesen. Auf der einen Seite die im- mer größeren, komplizierteren heroi- schen Verfahren, die in der Multior- gan-Transplantation ihren wohl vor- läufigen Höhepunkt erreicht haben, und auf der anderen Seite die scho- nenden, einfachen, sparsamen und naheliegenden Methoden.

Schonend sind beispielsweise die Verfahren der minimal-invasiven Chirurgie, weil der Zugang zum Ope- rationsgebiet klein gehalten werden kann. Doch ist in diesem Fall weniger wirklich mehr? Diese Frage beant- wortete Trede mit dem Hinweis auf längere Operationszeiten, höhere Komplikationsraten und häufigere Rezidive bei onkologischen Resek- tionen.

Was die Kosten betreffe, so habe eine aktuelle Erhebung im US-Bun- desstaat Pennsylvania gezeigt, daß ei- ne laparoskopische Cholezystekto- mie zwar um 25 Prozent billiger sein kann als der offene Eingriff, daß aber die Gesamtkosten für alle Cholezyst- ektomien um 11,4 Prozent angestie- gen sind. Der Grund: Die Gesamt- zahl dieser Operationen sei mit der Einführung der laparoskopischen Technik geradezu emporgeschnellt.

„Hier haben wir sie, die Ambivalenz des Fortschritts", sagte Trede.

Auch die Mechanisierung der Diagnostik mit ihren labortechni- schen, apparativen und teilweise auch invasiven Methoden habe in den vergangenen Jahren in der Chir- urgie zu einem „Mehr" geführt, sagte Trede. Doch bestehe nicht die Ge- fahr, daß angesichts der eindrucks-

vollen Großgeräte die einfachen We- ge der Diagnostik wie Anamnese, Befunderhebung und die ;,heute oft mitleidig belächelte Erfahrung" ver- nachlässigt werden?, fügte er fragend hinzu. Statt sich bei der Diagnose ei- ner akuten Appendikitis auf die So- nographie zu verlassen, reiche oft auch die einfache klinische Beobach- tung — was zeige, daß sich die Erfah- rung eben doch als zutreffender er- weise als alle komplizierten Verfah- ren.

Unter der Fragestellung „Ist we- niger mehr?" stand auch eine zusam- men mit dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen veranstaltete Podiumsdiskussion, die klären sollte, ob es zu viele chirurgische Kongresse und zu viele Publikationen gebe. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl der allgemeinchirurgi- schen Kongresse, Tagungen, Sympo- sien etc. im deutschsprachigen Raum von 56 im Jahre 1983 auf 174 im ver- gangenen Jahr erhöht, berichtete der Hamburger Chirurg Professor Dr.

Hans W. Schreiber. Rechne man noch die unfallchirurgischen und ge- fäßchirurgischen Fortbildungsveran- staltungen hinzu, finden jede Woche sechs chirurgische Kongresse oder Tagungen statt. Angesichts dieser Fülle sei es dann wohl naheliegend zu sagen: Es ist zuviel.

Doch damit wollte sich Schrei- ber nicht zufrieden geben: „Wenn es

zuviel ist, was ist dann zuviel?" Wer diese Frage beantworten wolle, müs- se sich zumindest über den Stellen- wert des Instrumentes „Kongreß" im klaren sein. Das gesprochene Wort des Kongresses sei mit seiner Motiva- tions- und Suggestionskraft immer noch das wirksamste Antidot gegen die häufig beschworene Langeweile.

„Auf dem Forum regiert das gespro- chene Wort", betonte Schreiber.

Ebenso wichtig wie das Tagungs- programm sei aber auch das „zweite Kongreßprogramm", das nirgends ausgedruckt werde. Schreiber meinte damit die Möglichkeit zu persönli- chen Kontakten und Gesprächen am Rande eines Kongresses, die für viele Teilnehmer das eigentlich prägende Erlebnis seien.

Aus der Sicht der Industrie be- leuchtete der Vorsitzende des Bun- desverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Professor Dr. Hans Rüdi- ger Vogel, das ihm gestellte Thema.

Gefördert durch das Interesse der Industrie an einer raschen Einfüh- rung neuer Methoden und Innovatio- nen, habe sich die Zahl der Fortbil- dungsveranstaltungen in den vergan- genen Jahren laufend erhöht. Doch obgleich es inzwischen nur noch we- nige „Sprung-Innovationen" gebe, habe die Zahl der Kongresse nicht in gleichem Maße abgenommen, sagte Vogel. Offenbar habe ein Kongreß neben seiner fachlichen Aufgabe Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 16, 22. April 1994 (23) A-1103

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auch noch andere Funktionen, was allzu häufig in der Wahl attraktiver Veranstaltungsorte zum Ausdruck gekommen sei. Nach dem Inkrafttre- ten des Gesundheitsstrukturgesetzes habe allerdings auch in der Industrie ein Umdenken eingesetzt. Über die Teilnahme an Kongressen werde in der Industrie „nicht mehr so locker"

entschieden, „die Firmen wählen aus", sagte der BPI-Vorsitzende.

Heute werde von Ärzten und In- dustrie Wert auf wirkliche Fortbil- dung gelegt und auf Beiträge, die in Klinik und Praxis von Nutzen sind.

Mit der Entscheidung, an einem Kongreß teilzunehmen, für den auch ein Tagungsbeitrag erhoben wird, werde auch eine Wertschätzung für die Veranstaltung kundgetan.

THEMEN DER ZEIT TAGUNGSBERICHT / AUFSÄTZE

So wie es zu allen Zeiten eine Klage über die Kongreßflut gegeben hat, so wurde auch immer die Frage aufgeworfen: „Wer kann das alles noch lesen?" Der Heidelberger Ver- leger Dr. Heinz Götze gab den Ball in diesem Fall an die Mediziner zu- rück. Die Anregung zu einer neuen medizinischen Publikation werde häufig nämlich von den Autoren an den Verleger herangetragen.

Das freie Spiel der Marktkräfte entscheidet nach Götze über die Le- benszeit von Publikationen. Waren es in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem Hand- bücher, die von den Lesern nachge- fragt wurden, so setzten sich später Monographien durch, berichtete er.

Die heute zu beobachtende Zeit-

schriftenflut in der Medizin ergebe sich vor allem aus der Spezialisie- rung. Und das sei auch gut so, denn keiner könne sich nur aus Datenban- ken informieren. „Die Fakten müs- sen sinnvoll interpretiert werden", sagte Götze.

Auf die vom Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirur- gie, Professor Dr. Michael Trede, ge- stellte einfache Frage gebe es keine ebenso einfache Antwort, meinte denn auch der Hamburger Chirurg Schreiber. „Es gibt zu viele Kongres- se, aber es muß viele Kongresse ge- ben", sagte er. Welcher Kongreß schließlich erfolgreich sei, darüber entscheide letztendlich der „Souve- rän Kongreßbesucher", der mit den Füßen abstimmt. JS

Ärztliche Behandlung von

Albrecht Ulmer Drogenabhängigen

Drogenabhängigkeit ist fast immer eine schwere Krank- heit. Bei der großen Mehrheit der Betroffenen ist sie mit keiner uns bekannten Methode schnell endgültig zu durchbrechen. Suchtverläufe erstrecken sich — egal, wie behandelt wird — durchschnittlich über viele Jahre.

Wenn während dieser Zeit eine geduldige, über Jahre rei- chende Opiatbehandlung durchgeführt wird, hat dies eine entscheidende gesundheitliche wie psychosoziale Schutz- wirkung und verkürzt insgesamt den Krankheitsverlauf.

Deshalb ist diese Behandlung, die zudem für viel mehr Betroffene realisierbar ist als drogenfreie Therapieange- bote, als Regeltherapie der ersten Wahl durchzuführen, während alle anderen Behandlungswege ausgesuchten Einzelfällen zu reservieren sind. Diese Konsequenz stellt eine Abkehr von einer lange geltenden Lehrmeinung dar.

Aber ohne eine notwendige, grundlegende Neuorientie- rung zeichnet sich kein Weg ab, der einer größeren Zahl von Drogenabhängigen angemessene Hilfe ermöglicht.

S

uchtkrankenbehandlung ist eine große, neue Herausfor- derung für die Medizin.

Nachdem jahrzehntelang vie- les versäumt worden ist — mit fata- len Folgen für unsere Patienten —, findet jetzt um so mehr ein spannen- der Prozeß statt: Suchtmedizin be- ginnt, sich als eine eigenständige, enorm innovative medizinische Spe- zialdisziplin zu entwickeln. Es zeich- net sich schon jetzt ab, daß dabei noch sehr viel Neuland zu erforschen ist und viele Grundpositionen neu überdacht werden müssen. Dies ist

besonders deutlich bei dem schweren Krankheitsbild der Drogenabhängig- keit.

Lange Krankheitsverläufe Eine erste grundlegende Neuori- entierung betrifft die Dauer der Suchtverläufe: 'Bisher wurde meist davon ausgegangen, Drogenabhän- gigkeit lasse sich normalerweise durch irgendeine geeignete Therapie innerhalb kurzer Zeit endgültig durchbrechen, zum Beispiel in sechs

bis 18 Monaten. Dieser Irrtum hat schwerwiegende Konsequenzen:

Noch heute werden geduldigere Therapieansätze mit dem Attribut

„suchtverlängernd" versehen und entweder gar nicht oder nur in sehr engen Grenzen zugelassen. Das wie- derum hat zur Folge, daß die Mehr- heit derer, die unter diesem schwe- ren Krankheitsbild leiden, immer noch gar keine oder keine qualifizier- te Suchtkrankenbehandlung erhält.

Ein zweiter Irrtum, der mit dem ersten zusammenhängt, besagt: Dro- genabstinenz — je schneller, desto

A-1104 (24) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 16, 22. April 1994

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