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Archiv "Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie: Die klinische Forschung ist in Deutschland defizitär" (18.04.1997)

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A-1033

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 16, 18. April 1997 (17)

Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie

Die klinische Forschung ist in Deutschland defizitär

Über die Situation der klinischen Forschung wird in Deutschland schon seit Jahren heftig und kontrovers dis- kutiert. Inzwischen werden die Stimmen lauter, daß er- hebliche Defizite schnell abgebaut werden müssen. Auf dem 114. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirur- gie in München wurde deutlich, daß Deutschland auf dem

Gebiet der klinischen Forschung – mit wenigen Ausnah- men – längst nicht mehr auf dem internationalen Parkett mitspielt. Die Verknappung der Ressourcen im Gesund- heitssystem kann jedoch nur zu einem geringen Teil dafür verantwortlich gemacht werden. Strukturelle und men- tale Probleme stehen vielen Wissenschaftlern im Wege.

V

on den Wandlungsprozessen, die sich derzeit in unserem Wirtschaftssystem abspielen, ist in ganz besonderer Weise die Forschung bedroht. Unter dem Diktat der Mittelverknappung sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in unserem Land in we- niger als einem Jahrzehnt um mehr als ein Viertel auf jetzt 2,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes gesun- ken“, erklärte Prof. Dr. Hartwig Bauer (Altötting) als Präsident des 114. Kongresses der Deutschen Ge- sellschaft für Chirurgie in München.

„Deutschland steht damit am Ende der OECD-Skala.“

Versäumnisse und Fehlentwick- lungen seien aber nicht nur durch zu geringe Mittelzuweisungen zu er- klären, sondern ganz wesentlich durch eine Überlast an Vorschriften und Genehmigungsverfahren, wel- che die Forschung hierzulande stär- ker behindern als in anderen Län- dern. „Das Manifest gegen den Nie- dergang in der Forschung, das An- fang des Jahres deutsche Wissen- schaftler an die Politik gerichtet ha- ben, beschreibt eindrücklich die der- zeitigen bedrohlichen Defizite in un- serem Bildungs- und Forschungswe- sen“, so Bauer. Nach einer Studie der Firma Boston Consulting kommen nur etwa sechs Prozent der weltwei- ten klinischen Publikationen aus Deutschland, aber 15 Prozent aus Großbritannien – „obwohl der In- selstaat nicht mehr Geld für die kli-

nische Forschung zur Verfügung hat als Deutschland“, erklärte Dr. Peter Lange, am Bundesforschungsmini- sterium (BMBF) in Bonn verant- wortlich für medizinische Forschung und Projekte.

Für Prof. Dr. Matthias Roth- mund (Marburg) stellen die Nieder-

lande ein gelungenes Beispiel dar, wie auch ein bevölkerungsarmes Land hochwertige und angesehene Forschung betreiben kann. Nach sei- nen Angaben werden deutsche Stu- dien von renommierten, interna- tionalen Fachjournalen immer öf- ter wegen Qualitätsmängeln nicht zur Publikation angenommen. Die Mehrzahl der Forscher begnüge sich sowieso mit einer Veröffentlichung in deutscher Sprache. „Es ist not- wendig, auf englisch zu publizieren, um eine weltweite Verbreitung zu erreichen. Eine Studie, die keine Be- achtung findet, ist eine vergebliche“, erklärte Lange. Er widersprach der Ansicht, daß Geldknappheit die Ur- sache für Defizite der klinischen

Forschung ist: „Zumindest auf dem Papier stehen Mittel in erheblicher Größenordnung zur Verfügung, nur werden diese nicht für die For- schung verwendet, sondern ander- weitig eingesetzt.“ So stellen die Länder etwa sieben Milliarden DM für den Mehraufwand für Forschung und Lehre an ihren 37 Universitäts- kliniken zur Verfügung; die Summe, die das einzelne Klinikum tatsäch- lich als Zuführungsbeitrag erhalte, schwanke zwischen 190 Millionen und – vor allem in den Ostländern – 50 bis 60 Millionen DM.

Wie groß der Anteil ist, der hiervon für Forschungszwecke aus- gegeben wird, ist nahezu unbekannt.

Das Statistische Bundesamt meint, daß etwa 30 Prozent der Gelder der Forschung zufließen. „Es gibt in Deutschland schon jetzt Univer- sitätskliniken, die knapp ein Drittel des Zuführungebetrages in transpa- renter Weise für qualitätsgeprüfte Peer-review-Forschung aufwenden – das heißt, wo man mit diesen Mit- teln in der Lage ist, eine hohe For- schungsqualität zu erreichen“, er- klärte Lange.

„Ich bin sicher, daß diese Uni- versitätskliniken über kurz oder lang zu den führenden Einrichtungen gehören werden. Wenn ein Großteil der 37 Universitätskliniken nicht unheimliche Anstrengungen unter- nimmt, hier mitzuhalten, werden sie nicht mehr in der Lage sein, national und international im Forschungs-

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wettbewerb zu konkurrieren. Sie wer- den aus dem Wettbewerb ausscheiden müssen, mit allen sich daraus ergeben- den Konsequenzen – bis hin zur Schließung. Es ist bereits fünf nach zwölf, und es wird Verlierer geben“, wandte sich Lange an das Chirurgen- forum.

Wiederum aus der Studie der Bo- ston Consulting geht hervor, daß die Arbeitszeitstruktur der Professoren und Wissenschaftler in den deutschen Kliniken sich erheblich von den Ver- hältnissen in den USA unterscheidet:

Ein amerikanischer Kliniker ver- bringt 50 bis 70 Prozent seiner Ar- beitszeit mit Forschung, zehn Prozent mit Lehre und 20 bis 40 Prozent mit der Patientenversorgung. In Deutsch- land sind die Verhältnisse fast umge- kehrt: Hierzulande „verschlingt“ der klinische Betrieb 60 bis 80 Prozent der Arbeitszeit, aber nur zehn bis 20 Pro- zent entfallen auf die Forschung. Der Zeitaufwand für die Lehre ist in bei- den Staaten etwa gleich.

„Viele Klinikchefs sind auch aus ökonomischen Gründen mehr an der Patientenversorgung interessiert als an ihrem Forschungsauftrag“, meint Roth- mund. Und selbst für ambitionierte As- sistenzärzte ließe sich sagen, daß For- schung in Teilzeitfunktionen oder als Feierabend- oder Wochenendarbeit sich nicht bewährt habe. Hinzu kämen strukurelle Probleme der Universitäts- kliniken als Arbeitgeber des öffentli- chen Dienstes mit „Zwangsjacken“ wie Unkündbarkeit und forschungsfeindli- che Arbeitszeitregelung.

Eine fehlende „mentale For- schungskultur“ beklagte Prof. Dr.

Christian Herfahrt (Heidelberg): Kli- nische Studien müßten zunächst im kleinen Kreis in „schöpferischer At- mosphäre“ entwickelt werden; For- schung könne nicht von extern „ver- ordnet“ werden. Auch die Egozentrik der Patienten mache es zunehmend schwieriger, klinische Forschung zu betreiben. „Es sind immer weniger Patienten bereit, und meist nur nach langwierigen Erläuterungen, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Der einzelne will unbedingt sicherstellen, der Verumgruppe zuzugehören“, be- richtete Herfahrt. Angesichts dieser Erfahrungen habe sich die pharma- zeutische Industrie bereits stark in den osteuropäischen Ländern, vor al-

lem in Ungarn, engagiert. Als Lö- sungsansätze für die „Aufholjagd“ im internationalen Wettbewerb sehen die Referenten den Aufbau von inter- disziplinären Forschungszentren, ein für jede Hochschule spezifisches For- schungsprofil, den Mitteleinsatz nach Qualitätsgesichtspunkten sowie eine transparente Finanzierung von For- schung und Krankenversorgung. Da- zu Prof. Bauer: „Zu dieser Transpa- renz gehört auch eine klare Regelung und Offenlegung der für die For-

schung unverzichtbaren Drittmittelfi- nanzierung durch die Industrie, deren – sicher auch zum Teil selbstverschul- dete – Kriminalisierung wir derzeit wieder erleben.“ Laut Prof. Dr. H. G.

Beger (Ulm) stellt die Industrie 20 Prozent aller Mittel für die chirurgi- sche Forschung, hauptsächlich in der Traumatologie und Viszeralchirurgie.

In anderen Fachgebieten liegt der Anteil der industriegeförderten For- schung sogar noch höher.

Dr. med Vera Zylka-Menhorn

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(18) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 16, 18. April 1997

Nach mehr als fünfjährigen Bera- tungen und äußerst kontroversen De- batten hat der Europarat am 4. April 1997 in Oviedo (Spanien) seine „Kon- vention über Menschenrechte und Biomedizin“ zur Unterschrift ausge- legt. 21* der 40 Mitgliedsländer unter- zeichneten das Abkommen noch am selben Tag, die meisten anderen kün- digten ihren Beitritt an. Die Bundes- regierung war nicht unter den Unter- zeichnern. Wegen schwerwiegender Bedenken will Bonn, so das Bundes- justizministerium, zunächst eine

„breite öffentliche Debatte“ über die Konvention ermöglichen. Erst da- nach solle entschieden werden, ob Deutschland dem Vertrag beitritt, sagt der Sprecher des Ministeriums, Bernhard Böhm.

Die Bioethik-Konvention legt erstmals einen international verbind- lichen Verhaltenskodex für Embryo- nenforschung, Gentechnik und Or- gantransplantationen fest. Er tritt in Kraft, wenn er von mindestens fünf Mitgliedsländern ratifiziert wurde.

Ziel des 38 Artikel umfassenden Völ- kervertrags ist es, der medizinischen Forschung da Grenzen zu setzen, wo die Würde und die Rechte des Men- schen angetastet werden könnten.

Das Abkommen verbietet beispiels-

weise, daß Teile des menschlichen Körpers zu Profitzwecken vermarktet werden. Eingriffe in das menschliche Genom sind nur für Zwecke der Dia- gnose, Prävention und Therapie er- laubt. Sie dürfen „auf keinen Fall“ auf eine Änderung der Keimbahn ab- zielen. Pränatale Diagnosen dürfen nicht verwendet werden, um das Ge- schlecht des Kindes vorherzubestim- men – es sei denn, um schweren Erb- krankheiten vorzubeugen.

Untersagt wird ferner die Her- stellung menschlicher Embryonen ei- gens zu Forschungszwecken. Dagegen ist die Forschung mit Embryonen, die etwa nach In-vitro-Befruchtungen

„überzählig“ sind, erlaubt. Unter be- stimmten Umständen läßt der Text Experimente mit „nichteinwilligungs- fähigen Personen“ auch dann zu, wenn diese davon keinen direkten therapeutischen Nutzen zu erwarten haben. Vor allem diese Bestimmun- gen waren in Deutschland auf heftige Kritik gestoßen. Bonn will sich nach Aussage des Bundesjustizministeri- ums dafür einsetzen, daß diese Fragen in den geplanten Zusatzprotokol- len besser geregelt werden, sagte Böhm. Vorgesehen sind Zusatzpro- tokolle zur Embryonenforschung, zur Organtransplantation und zur Gentherapie. Mit der Beratung dieser Protokolle will der Bioethik-Aus- schuß des Europarats, in dem Exper- ten aus den 40 Mitgliedsländern ver- treten sind, noch in diesem Jahr be- ginnen. Elisabeth Braun

„Bioethik-Konvention“

Ohne deutsche Unterschrift

* Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Makedo- nien, Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, San Marino, Slowakei, Slowe- nien, Schweden, Spanien, Türkei

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