A2834 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 43⏐⏐27. Oktober 2006
P O L I T I K
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ach vier nationalen Protestta- gen der deutschen Ärzte – ohne direkte Beteiligung des Deut- schen Hausärzteverbands – haben die Primärversorger nun ihren eige- nen 1. Nationalen Aktionstag am 17.Oktober 2006 auf dem Hauptmarkt in Nürnberg veranstaltet. Von 5 000 (nach Angaben der Polizei) bis 10 000 (nach Angaben der Veran- stalter) Ärztinnen, Ärzte und Praxis- mitarbeiter protestierten gegen die zunehmende Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung.
Seine Zurückhaltung gegenüber den vorangegangenen Protesttagen der Ärzteschaft begründete der Vor- sitzende des Deutschen Hausärzte- verbands, Rainer Kötzle, mit deren Radikalforderungen nach Direkt- ausstieg aus dem GKV-System, Kos- tenerstattung statt Sachleistung und der Parole „Freiheit statt Sozia- lismus“. Diese Positionen könne der Verband nicht mittragen, er- klärte Kötzle in Nürnberg. Es sei keineswegs so, dass man sich durch die bisherige Zurückhaltung Vor- teile vonseiten der Politik verspro- chen habe.
Der Deutsche Hausärzteverband versteht sich Kötzle zufolge als Qua- si-Gewerkschaft und kämpft ähnlich wie der Marburger Bund für die In- teressen seiner hausärztlichen Mit- glieder. Als Verband mit 35 000 Mit- gliedern und einer großen Bandbrei- te von Meinungen sei er zur Neutra- lität verpflichtet. Das bedeute aber nicht, dass der Hausärzteverband nicht auch bereit wäre, notfalls Druck auszuüben. Doch wolle man ebenso zum Dialog bereit bleiben.
„Wir haben eine differenziertere Hal-
tung als die anderen Verbände einge- nommen“, sagte Rainer Kötzle.
Zwei wesentliche Punkte treiben die Hausärzte im Hinblick auf die Gesundheitsreform um:
> Es werde zu einem beträchtli- chen Hausärzte-Mangel kommen, wenn es nicht gelinge, die Situation der Hausärzte zu verbessern. Die vorgesehene Reform greife im Sin- ne der Hausärzte zu kurz. Eine Ver- schiebung der Honorarreform auf das Jahr 2009 ist nach der Auffas- sung Kötzles nicht geeignet, die hausärztliche Versorgung zu verbes- sern. „Wir fordern die Einführung einer hausärztlichen Vergütungsord- nung mit 75 Euro pro Patient im Quartal zum 1. April 2007.“
> Darüber hinaus verlangt der Hausärzteverband den Abbau der Bürokratie und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Praxen.
Dazu zählen vor allem eine verein- fachte Abrechnung sowie die Selbst- bestimmung der Hausärzte über die Vergütungsfragen. Rainer Kötzle:
„Was jetzt als Regelleistungsvolu- men vorgesehen ist, ist für den hausärztlichen Bereich nicht akzep- tabel.“
Trotz der massiven Proteste in Nürnberg betonte Eberhard Mehl, Hauptgeschäftsführer des Hausärz- teverbands, dass die Hausärzte nicht in Fundamentalopposition gehen könnten, da sie jetzt eine Reform brauchen. „Die Hausärzte stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Des- halb nehme der Verband auch be- wusst eine andere Rolle ein als die übrigen Ärzteverbände und reihe sich nicht in die Front der Nein- sager ein.
Auch Rainer Kötzle machte deut- lich, dass der Hausärzteverband die Gesundheitsreform der Bundesre- gierung nicht in allen Punkten ab- lehne. Er begrüßte ausdrücklich die vorgesehene Verpflichtung für die Krankenkassen, bundesweit Haus- arzt-Tarife einzuführen. Auch die neuen Vertragsmöglichkeiten seien aus Sicht der Hausärzte positiv zu bewerten. Das allein aber sei dem Verband noch zu wenig. I Klaus Schmidt
DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND
Proteste in Nürnberg
Relativ spät reiht sich der Deutsche Hausärzteverband in den allgemeinen Protest gegen die Gesundheitsreform ein. Dennoch will der Verband kein bloßer Neinsager sein.
Großkundgebung der Hausärzte:
Mehrere Tausend Ärztinnen und Ärzte demonstrierten in Nürnberg gegen die Gesundheitsreform.
Rainer Kötzle:„Eine differenziertere Haltung als die anderen Verbände“
Fotos:Johannes Aevermann