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Archiv "Mammakarzinom: „Armut ist ein Karzinogen“" (26.10.2007)

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A2922 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 43⏐⏐26. Oktober 2007

M E D I Z I N R E P O R T

einmal in ruhiger Umgebung allein zu fühlen, zu erspüren, was ihnen gut- tue, ihre eigene Fantasiewelt aufzu- bauen. Viele Kinder hätten psychi- sche Probleme, stammten aus kon- fliktbeladenen Elternhäusern. „Es ist sehr individuell, was hier oben pas- siert“, sagt die Sozialpädagogin. „Es gibt Kinder, die schlafen hier ein.

Manche bleiben 40 bis 50 Minuten im Raum.“ Immer dürfen sie sich ei- nes der Objekte, wie den Sternentep- pich oder die leuchtenden Glasfaser- ketten, aussuchen, ein Musikstück wählen, um dann auf ihre individuel- le Reise zu gehen.

Doch wie viele soziale Projekte steht und fällt die Arbeit der enga- gierten Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter mit der Finanzierung. Drei Jahre lang hat die Aktion Mensch das Projekt gefördert. Inzwischen ist die Förderung ausgelaufen. Die Stelle von Bill finanziert zurzeit der Verein Armut und Gesundheit, der von Spenden lebt, die von Pfeiffer-Meie- rer unter anderem das rheinland-pfäl- zische Bildungsministerium. Die Stelle eines Sozialpädagogen, der dreimal wöchentlich mit den Jungen und jungen Männern gekocht oder Sport getrieben hat, musste entfallen.

„Dabei sind die jungen Männer, die nichts zu tun haben, immer das größ- te Problem“, sagt Bill. Seit deren Freizeitprogramm zusammengestri- chen wurde, habe die Gewaltbereit- schaft wieder zugenommen. „Es wird wieder mehr gekifft, Schläge- reien nehmen zu.“

Ein weiteres Problem sei auch die Fluktuation in der Siedlung. „Vier Jahre lang ist in unserem Gemein- schaftscontainer nichts geklaut oder zerstört worden.“ Einige Männer aus der Siedlung hatten maßgeblich am Bau mitgewirkt. „Jetzt sind hier viele neue Familien, und vorgestern haben einige Mädchen erstmals was in die Balken geritzt. Man merkt, die sind noch nicht eingebunden, und die alten Bewohner haben sich fürchterlich aufgeregt.“ Es sei eben wichtig, die Fähigkeiten der Be- wohner zu fördern, ihnen zu zeigen, dass sie etwas bewegen und verän- dern können. „Ein positives Selbst- konzept ist ein wichtiges Zeichen von Gesundheit“, findet Bill. I Heike Korzilius

S

chätzungsweise eine Million Frauen auf der Welt werden dieses Jahr mit der Diagnose Brust- krebs konfrontiert. Während ehe- mals vor allem die weibliche Bevöl- kerung der westlichen Industrie- nationen betroffen war, hat sich das Mammakarzinom inzwischen zu ei- ner globalen Erkrankung entwickelt:

Epidemiologen beobachten eine deut- liche Zunahme in Asien, Afrika, Ost-

europa und Lateinamerika. Inzwi- schen gehen Schätzungen davon aus, dass im Jahr 2020 bereits 70 Prozent aller Brustkrebsfälle in den Entwick- lungsländern auftreten werden.

Dieser Trend war für die US- Organisation „Susan G. Komen for the Cure“ Anlass, Ende September in Budapest eine internationale Konferenz für Ärzte, Patientinnen und Wohlfahrtsgruppen zu organi- sieren. Die 1982 gegründete Stif-

tung gilt als eine der weltweit größ- ten Brustkrebshilfe-Organisationen und kann auf etwa 80 000 freiwilli- ge Mitarbeiter – auch in Deutsch- land – zählen. Die Vorträge der De- legierten aus 30 Nationen machten deutlich, wie sehr die finanziellen Möglichkeiten eines Landes über Leben und Tod der (weiblichen) Be- völkerung entscheiden. Stiftungs- gründerin Nancy Brinker brachte es in Budapest auf den Punkt mit ihrer Aussage: „Armut ist ein bekanntes Karzinogen.“

Mit Bedacht hatte man Ungarn als Veranstaltungsort ausgewählt, gilt der Staat doch als Vorzeigemodell für eine erfolgreiche Präven- tionsarbeit. Dort wird jeder Frau im Alter zwischen 45 und 65 Jahren jährlich ei- ne kostenlose Mammografie ermöglicht, sogar die Fahrt- kosten zur Untersuchung werden den Frauen ersetzt. In der ungarischen Todesursa- chenstatistik der Frauen fiel Brustkrebs daraufhin vom ersten auf den dritten Platz.

Von einer solch umfassen- den Betreuung ist man in Indien weit entfernt. In Puna, wo 3,5 Millionen Frauen le- ben, gibt es nur ein einziges medizinisches Zentrum, das eine umfassende Brustkrebs- behandlung anbietet. Es ver- wundert daher nicht, dass die Hälfte aller indischen Brustkrebspatientin- nen überhaupt keine Therapie er- hält. In der Ukraine sind zwar flächendeckend Mammografie-Ge- räte vorhanden, aus Mangel an Filmmaterial müssen die Ärzte aber von Fall zu Fall entscheiden, ob sie die erforderliche Frontal- und Sei- tenaufnahme anfertigen, oder ob sie es bei einer Einstellung belassen, um doppelt so viele Frauen in den MAMMAKARZINOM

„Armut ist ein Karzinogen“

Im Jahr 2020 werden 70 Prozent aller Frauen mit Brustkrebs auf der Welt in Entwicklungsländern leben.

Brustkrebs „erobert“ die Welt:

Titelgeschichte des TIME-Magazins vom 15. Oktober 2007

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A2924 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 43⏐⏐26. Oktober 2007

M E D I Z I N R E P O R T

Genuss der Diagnostik kommen zu lassen. Und in Kenia? „Wenn man nicht zu den Auserwählten gehört, die genügend Geld für eine Reise in eine Industrienation haben, kann man nur noch auf den Tod warten“, so die Kenianerin Mary Onyango, die ihre Krebsdiagnose im Alter von 40 Jahren erhielt.

Doch es ist nicht nur die man- gelnde oder unterversorgte Ge- sundheits-Infrastruktur, welche die Brustkrebsraten in den Entwick- lungsländern ansteigen lässt. Zy- nischerweise ist es auch eine Folge der verbesserten Hygiene und Er- nährung, die die durchschnittliche Lebenserwartung in den Niedrig- und Mittellohnländern von 50 Jah- ren in 1965 auf 65 Jahre in 2005 an- steigen ließ. Damit erreichen Frauen die Lebensphase, in der Brustkrebs am häufigsten auftritt. Aber auch der Einfluss „westlicher“ Lebensge- wohnheiten – wie fetthaltiges Es- sen, mangelnde Bewegung, Überge- wicht und Geburtenrückgang – ist nicht zu unterschätzen.

Es ist bekannt, dass Frauen, die weniger als zwei Kinder gebären, ein höheres Brustkrebsrisiko haben als Frauen mit häufigen Schwan- gerschaften. „Bislang hat Kinder- reichtum die Inderinnen vor dem Mammakarzinom bewahrt“, berich- tete Dr. med. Vinod Raina, Onkolo- ge aus Neu-Delhi. Der Epidemiolo- ge Dr. Wei Zheng von der Vanderbilt University in Nashville wollte den Einfluss des Geburtenrückgangs so- gar beziffern: „Die Veränderung im Reproduktionsverhalten hat einen Anteil von 30 bis 40 Prozent auf das Brustkrebsrisiko.“

Die Prognose der Patientinnen im internationalen Vergleich hängt zu- dem vom Rezeptorstatus des Brust- krebsgewebes ab, der auch regionale Unterschiede aufweist. Die meisten Frauen europäischer Abstammung erkranken an hormonabhängigem Brustkrebs, sodass sie durch den Östrogenrezeptor-Modulator Tam- oxifen und den monoklonalen Anti- körper (gegen HER2/neu) Trastu- zumab heute eine bessere Über- lebenschance haben.

Asiatinnen sowie farbige Frauen in den USA und Afrika hingegen entwickeln eher das Östrogenre-

zeptor-negative (ER-negative) Mam- makarzinom. Seine Prognose ist deutlich schlechter, weil die Erkran- kung in der Regel zehn Jahre früher als der ER-positive Typ auftritt und dafür nicht so spezifische Arznei- mittel vorhanden sind.

Doch damit nicht genug: 40 Pro- zent der prämenopausalen afro- amerikanischen Brustkrebspatien- tinnen sind von einer besonders ge- fährlichen Form des ER-negativen Krebstyps betroffen, der weder östrogen- noch progesteronemp- findlich ist (basal-like subtype).

BRCA1- und BRCA2-Gen Und auch die Gene spielen eine Rolle – wiederum für Asiatinnen mit negativen Folgen. Während nur zehn Prozent der US-Brustkrebspa- tientinnen Mutationen im BRCA1- und BRCA2-Gen aufweisen, ist diese Veränderung überproportional häufig unter Asiatinnen zu finden.

Diese genetische Konstellation ist dafür verantwortlich, dass das Kar- zinom meist bei Frauen, die jünger als 50 Jahre sind, auftritt und bevor- zugt auch die zweite Brust befällt.

Es gibt noch andere Faktoren, welche die Krebserkrankung für Asiatinnen erschweren: Diese Frau- en haben ein dichteres Brustdrüsen- gewebe, in dem sich laut Studien fünfmal häufiger bösartige Tumo- ren entwickeln. Zudem scheinen die üblichen Dosierungsschemata für Chemotherapeutika, die sich nach Gewicht und Größe richten, bei ih- nen nicht zu greifen. Ärzte aus Sin- gapur berichteten, dass einige ethni- sche Gruppen die Medikamente un- terschiedlich absorbieren, sodass sie ihren Patientinnen bis zu 30 Pro- zent geringere Dosierungen verab- reichen, um Nebenwirkungen zu vermeiden. „Die Ärzte müssen selbst Forschung betreiben und das indivi- duell optimale Dosisregime heraus- finden“, sagte Dr. Richard Love, Wissenschaftlicher Direktor der In- ternational Breast Cancer Research Foundation in Wisconsin.

Kulturelle Unterschiede Je nachdem, in welchem Land eine Frau an einem Mammakarzinom er- krankt, erfährt sie unterschiedliche Reaktionen auf ihr Leiden. So wird

Brustkrebs in einigen Teilen der Welt immer noch als eine Schande (für die Familie) angesehen. Es ver- wundert daher nicht, dass Frauen in Taiwan, wo flächendeckend Mam- mografien angeboten werden, sogar dann noch versuchen, ihre Krankheit zu verheimlichen, wenn der Tumor exulzeriert und die befallene Brust bereits schmerzt.

Und Nigerianerinnen hüten das Krebsgeheimnis um jeden Preis, damit ihre Töchter die Chance ha- ben, heiraten zu können. Potenzielle Ehemänner würden durch die Brust- krebsdiagnose der Schwiegermutter abgeschreckt. Die Töchter blieben dann unverheiratet, was wiederum ein Makel für die Familie ist. „An- statt sich anderen mitzuteilen, zie- hen Frauen es vor, in die Kirche zu gehen und darum zu beten, dass die Beule von selbst wieder ver- schwindet“, sagte die nigerianische Brustkrebspatientin Betty Anyan- wu-Akeredolu.

Auch die Unkenntnis darüber, was eine Krebserkrankung über- haupt ist, ebnet Vorurteilen den Weg. In der Annahme, Brustkrebs sei ansteckend, ist es beispielsweise in Indien weitverbreitet, dass er- krankte Frauen mit separatem Ge- schirr und Besteck essen müssen.

In Ägypten, wo alle drei Minuten ein Mammakarzinom diagnostiziert wird, erfahren die Frauen ebenfalls Repressalien: Für ihre Männer ist die Tumorerkrankung ein gesell- schaftlich akzeptierter Grund, an Brustkrebs erkrankte Frauen zu ver- lassen. Wie der Chirurg Dr. med.

Mohamed Shaalan (Kairo) in Buda- pest berichtete, sprechen sich inzwi- schen sogar die religiösen Führer des Landes für eine Brustkrebs- prävention aus, und mahnen männ- liche Gemeindemitglieder, ihre Ehefrauen regelmäßig untersuchen zu lassen – „zur Not“ auch durch ei- nen Arzt anstelle einer Ärztin. I Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Der Artikel basiert auf der Titelgeschichte des TIME- Magazins vom 15. Oktober 2007 (Seite 20–25).

Autorin ist die Hongkong-Korrespondentin Kath- leen Kingsbury. Hierfür hatten 18 Auslandskorres- pondenten Daten aus Nordamerika, Lateinamerika, Afrika, Asien, Europa und dem Mittleren Osten zu- sammengetragen. TIME-Wissenschaftsjournalist Jeffrey Kluger hatte an der KEMEN-Konferenz in Budapest teilgenommen.

Referenzen

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