• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Armut und Krankheit: Infektionskrankheiten - Geißel der „dritten Welt“" (02.10.1998)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Armut und Krankheit: Infektionskrankheiten - Geißel der „dritten Welt“" (02.10.1998)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ie Menschheit hat seit Urzei- ten einen gemeinsamen Feind: pathogene Mikroorga- nismen (im folgenden Mikroben, wor- unter alle krankheitserregenden Bak- terien, Viren, Pilze und andere Parasi- ten verstanden werden). Die Erfolge der Hygiene, der Schutz-

impfungen und der Anti- biotikatherapie haben zu der euphorischen Annah- me geführt, daß die Menschheit die Mikroben besiegen kann. Diese Hoff- nung entpuppte sich als Il- lusion: neue Mikroben ent- standen oder wurden erst kürzlich identifiziert, Bak- terien und Viren entwickel- ten Resistenzen gegen bis- her erfolgreiche Medika- mente, nur wenige Virusin- fektionen sind medika- mentös behandelbar oder gar heilbar.

Jährlich sterben welt- weit mehr als drei Millionen Kinder an Durchfallerkran- kungen, 3,6 Millionen an

akuten Atemwegserkrankungen und mehr als zwei Millionen an anderen vermeidbaren Krankheiten. Rund 270 Millionen Menschen leiden an Mala- ria. Ein bis 2,5 Millionen jährlich ster- ben daran. Rund 1,8 Milliarden Men- schen sind mit dem Tuberkelbazillus infiziert, zehn Millionen leiden an ak- tiver Tuberkulose. Rund drei Millio- nen sterben jedes Jahr daran. 95 Pro- zent der Opfer stammen aus den Ent- wicklungsländern.

Durch Resistenzentwicklung, Tourismus und weltweite Verkehrs- verbindungen sind jedoch auch die In- dustrienationen von alten und neuen Infektionskrankheiten bedroht. In New York wirken bei jedem dritten Patienten eines oder mehrere der her-

kömmlichen antituberkulösen Medi- kamente nicht mehr.

1961 brach in Sulawesi (Indonesi- en) die siebte Cholerapandemie mit Vibrio Cholera 01, Biotyp El Tor aus.

Ende der 70er Jahre hatte El Tor die Küstenregionen Südostasiens und Afrikas erreicht. Das International Centre for Diarrhoeal Disease Re- search in Bangladesh fand heraus, daß El Tor lange Zeit im kalten Meerwas- ser überdauern kann. Im Januar 1991 erreichte El Tor Peru. In den folgen- den drei Jahren erkrankten Millionen Lateinamerikaner an Cholera, und Tausende starben. Im Oktober 1992 trat ein neuer Stamm, Vibrio Cholera

O139, seinen Feldzug im indischen Madras an. Er konkurrierte mit den Stämmen der klassischen Cholera und denen von El Tor um die „Vorherr- schaft“ im Golf von Bengalen. Schon sechs Monate nach der Entdeckung in Madras traten Fälle von Vibrio Chole- ra O139 in Thailand auf. Während El Tor zwei Jahre brauchte, um von Sula- wesi nach Thailand zu gelangen, ver- breitete sich Vibrio O139 sehr viel schneller. Ursache für die rasche Ver- breitung mögen die zunehmende Rei- setätigkeit der letzten 30 Jahre und der stark gestiegene Warenverkehr sein. Da jährlich rund 400 Millionen Passagiere mit internationalen Luft- linien in alle Welt reisen, haben es neue Mikroben leicht, sich zu verbrei- ten. Zwar erkranken Bewohner der Industrienationen aufgrund besserer hygienischer und sanitä- rer Bedingungen seltener, doch gibt es Armutsni- schen und Slumviertel auch in westlichen Großstädten wie New York und London.

Studien des Centre in Bangladesh belegen zudem, daß Vibrio Cholera O139 eine außergewöhnliche Überlebens- und Fortpflan- zungsfähigkeit hat. Die glo- bale Erwärmung, Abfälle, Umweltverschmutzung und der Verlust der Artenviel- falt in den Küstenregionen ermöglichen es den Vibrio- nen im Golf von Bengalen, langfristig zu überdauern und sich von dort in alle Welt zu verbreiten. Das Wissen um die komplizierten Zu- sammenhänge von Krankheit, Ernäh- rung, Bevölkerungsdichte und Vekto- ren von Infektionen ist noch rudi- mentär. Um das Wechselspiel zwischen menschlicher Gesundheit und Öko- sphäre zu verstehen, wäre ein multidis- ziplinäres Forschungsteam aus Virolo- gen, Epidemiologen, Biologen, Ozea- nologen, Klimatologen und anderen Wissenschaftlern notwendig.

Das große Ausmaß der Infekti- onskrankheiten in den Entwicklungs- ländern ist jedoch vor allem durch die persistierende Armut bedingt. Der Bevölkerungszuwachs geht auf die westliche Medizin zurück, die die Kin- dersterblichkeit reduzierte und die A-2462 (42) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 40, 2. Oktober 1998

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Straßenkinder wühlen auf dem „Smokey Mountain“, einer Müllkippe am Rande der Elendsviertel von Manila, nach Essensresten und verwertbaren Dingen. Foto: dpa

Armut und Krankheit*

Infektionskrankheiten – Geißel der „dritten Welt“

Krankheit hängt von sozioökonomischen und ökologischen Bedingungen ab. Dieser Bezug wird häufig vernachlässigt.

D

* Überarbeitete Fassung des englischen Vor- trages: Infectious Diseases und Poverty, vorge- tragen auf der 47. Pugwash Conference on Science and World Affairs, Lillehammer, Nor- wegen, August 1997

(2)

Lebenserwartung erhöhte. Der medi- zinische Fortschritt wurde jedoch nicht von einem entsprechenden An- stieg der Einkommen und sozialer Si- cherheit begleitet. Arme Gesellschaf- ten – besonders in Südasien und Afri- ka südlich der Sahara – haben es ver- säumt, mit der medizinischen Ent- wicklung Schritt zu halten.

Die Regierungen der Entwick- lungsländer boten der wachsenden Bevölkerung nur ungenügend neue Beschäftigungsmöglichkeiten an. Die Angebote in Industrie und Dienstlei- stung konzentrierten sich meist auf die großen Städte. Massenhafte Land- flucht war die Folge. Dies wiederum führte zu hoher Bevölke-

rungskonzentration, wach- sender Verarmung, Zunah- me von Elend und nicht mehr kontrollierbaren Slums. Diese entwickelten sich zu Brutstätten von Ge- walt, Drogensucht, Prosti- tution und als Folge dessen zu einem immer schwelen- den Infektionsherd. Die Bevölkerung von Bangla- desh wuchs beispielsweise

von 1972 bis 1997 von 75 auf rund 125 Millionen, also um 66 Prozent. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt Dha- ka nahm in der gleichen Zeit um 2 000 Prozent zu. Die Stadt wuchs von 600 000 auf 12 Millionen Einwohner.

Eine hohe Bevölkerungsdichte und Mobilität sind ideale Vorausset- zungen für Entstehung und Verbrei- tung von Infektionskrankheiten. Die Riesenstädte der dritten Welt sind mit ihrem verseuchten Wasser, der ver- schmutzten Luft, dem Fehlen von sa- nitären Einrichtungen und der oft un- gesunden und ungenügenden Ernäh- rung eine ideale Brutstätte für Mikro- ben und deren Resistenzentwicklung.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden die Grenzen auch für Infektionskrankheiten durchlässi- ger. So kehrte die Diphtherie, die praktisch ausgerottet war, nach West- europa zurück. Dazu kommt die Impfmüdigkeit vieler Menschen, die meinen, daß Keuchhusten, Masern, Tetanus, Kinderlähmung und andere Krankheiten kein großes Risiko mehr darstellen.

Die steigende Lebenserwartung und verbesserte Therapiemöglichkei-

ten für schwere Krankheiten (Krebs, AIDS, Transplantationen) haben vie- le immunsupprimierte Menschen in lebende Retorten verwandelt, in de- ren Körpern neue, resistente Keime

„gezüchtet“ werden. Xenotransplan- tationen könnten zusätzliche gefährli- che Mikroben hervorbringen.

Industrielle Geflügel-, Rinder-, Schweine- und Fischfarmen werden zwecks Wachstumsbeschleunigung und Infektionskontrolle mit Antibio- tikazusätzen betrieben. Allein zur Eindämmung bakterieller Infektio- nen bei Obstbäumen werden in den USA jährlich 20 000 Kilogramm Anti- biotika verbraucht. All dies fördert

die Entwicklung von resistenten Stämmen.

Kriege und Naturkatastrophen herrschen in vielen Ländern. Welt- weit sind 21 Millionen Menschen auf der Flucht. Armut, Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelknappheit, Unter- drückung und organisiertes Verbre- chen werden immer mehr Menschen zur Flucht bewegen. Die Industrie- nationen müßten daran interessiert sein, die Armut in anderen Ländern zu bekämpfen.

Wird beispielsweise die Kinder- sterblichkeit in der dritten Welt durch bessere Ernährung, sauberes Wasser und gute Luft, Impfungen, medizini- sche Versorgung sowie eine verbes- serte Bildung und Aufklärung der El- tern reduziert, werden in der Folge weniger Kinder geboren. Dies ist ein erster Schritt zur Beseitigung von Ar- mut. Bisher werden jedoch militäri- sche Macht, Konsumgüter für eine winzige Oberschicht, Prestigeobjekte wie Palast- und Hotelbauten für wich- tiger erachtet als die kleinen Schritte, die helfen, Todesfälle infolge banaler Infektionskrankheiten zu verhindern.

Die Ausrottung vieler Infektions-

krankheiten ist nicht nur ein medizini- sches, sondern auch ein technisches Problem, wie sauberes Trinkwasser bereitzustellen und Sanitäranlagen zu bauen. Es ist eine landwirtschaftliche Aufgabe, ausreichende und gesunde Nahrung zu liefern, es ist ein Versor- gungsproblem, Impfstoffe und Medi- kamente bereitzustellen. Häuser und Krankenhäuser müssen gebaut und funktionstüchtig erhalten werden, Ärzte und Pflegepersonal, aber auch Virologen, Krankenhausmanager und Gesundheitsökonomen müssen aus- gebildet werden. Eine Krankenversi- cherung muß geschaffen werden. All diese Probleme können nicht nur durch auswärtige Hilfe, aber auch nicht ohne sie gelöst werden.

Gegen neu auftauchende oder mutierte Mikroben muß Immunität erst erwor- ben werden. HIV löste in- nerhalb eines Jahrzehnts ei- ne globale Epidemie aus.

Diese rapide Verbreitung wurde durch die verschie- densten Aspekte modernen Lebens ermöglicht. Vor ei- ner HIV-Infektion kann man sich schützen, aber ein durch Tröpfchenin- fektion übertragbares Virus, wie das Influenzavirus, ist schwer abzuwehren.

Infektionskrankheiten werden auch in Zukunft weltweit die führen- de Todesursache sein. Die Mensch- heit kann den Kampf gegen die Mi- kroben nur gewinnen, wenn sie ge- meinsam vorgeht und die richtigen Prioritäten setzt.

Literatur

1. Anderson RM, May RM: Infectious Diseases of Humans. Dynamics and Con- trol. Oxford: Oxford University Press, 1991.

2. Cook G: Manson’s Tropical Diseases, 20th Edition. London: WB Saunders, 1996.

3. Crosby AW: Ecological Imperialism. The biological expansion of Europe, 900–1900.

Cambridge: Cambridge University Press, 1986.

4. McNeill WH: Plagues and People. London:

Penguin, 1994.

5. Wachsmuth K, Blake PA, Olsvik O (Eds.):

Vibrio Cholerae and Cholera. Molecular to Global Perspectives. Washington DC: Ame- rican Society for Mikrobiology, 1994.

Anschrift der Verfasser

Dr. med. Ursula von Gierke Dr. rer. nat. Saiful Islam Düsseldorfer Straße 13 80804 München A-2464 (44) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 40, 2. Oktober 1998

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

l Für den Einsatz zur Abschaffung der Kernwaffen be- kamen die Pugwash Conferences on Science and World Af- fairs und deren damaliger Präsident Joseph Rotblat den Friedensnobelpreis 1995. Die Pugwash-Bewegung ging aus dem Russell-Einstein-Manifest (1955) hervor. Darin wiesen berühmte Wissenschaftler auf die Gefahren eines nuklearen Krieges hin. Die Bewegung wurde nach dem ersten Tagungs- ort, dem kanadischen Dorf Pugwash, benannt. Pugwash hat sich auch anderen Problemen, die einen dauerhaften Frieden und die Weltsicherheit bedrohen, wie Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, Nord-Südkonflikt, zugewendet.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Das interaktive Spotlight CD-ROM- Magazin 'Spezial Reisen'gibt es ab so- fort für DM 59.- im Buchhandel oder direkt über den Spotlight-Verlag, Post- fach 1629, 82158 Gräfelfing.

Gerade für Entwicklungsländer wä- re es eine gute Nachricht, wenn sich be- stätigte, dass HIV-infizierte Frauen ihr Kind ohne zusätzliches Risiko stillen

Zwei Jahre nach der gro- ßen Ausstellung über den Jugendstil folgt im Wiener Künstlerhaus eine ähnliche Ausstellung, die unter dem Titel „Bürgersinn und Auf- begehren" der

Eine Kennzeichnung müsse sowohl für Futtermittel vorgeschrie- ben werden, die gentechnisch veränderte Bestandteile ent- hielten, als auch für Erzeug- nisse von Tieren, die mit sol-

bei Kin- dern im Alter von 12 bis 35 ona- ten, ebenso wie schnelles Atmen in der Anamnese und Thoraxretraktio- nen wurden in beiden Altersgruppen als sensitive und spezifische

Patienten mit dem Risiko einer hepatischen Enzephalopathie und Patien- ten mit Cholestase soll Katadolon nicht verabreicht werden, da das Auftreten / eine Verschlechterung

Beim Übergang von der Grund- schule in die High-Schule wird eine Prüfung abgelegt, desgleichen nach Abschluß der vier High-Schuljahre, dann vor einem staatlichen Gremi- um

Die Mehrheit der Patienten ist so arm, dass sie vielleicht die Ko- sten für den Lippenverschluss (in Nepal 5 000 bis 20 000 Ru- pien oder 80 bis 300 Euro) aufbringen, aber eine