Unter den in der antihyperten- siven Therapie eingesetzten Medikamenten hat kaum eine Substanzgruppe in den letz- ten Jahren für so viel Diskus- sionen gesorgt wie die Cal- ciumantagonisten vom Dihy- dropyridin-Typ (DHP). Mitte der 90er-Jahre gerieten sie in den Verdacht, mit einer er- höhten Rate an kardiovas- kulären Komplikationen as- soziiert zu sein. Dass dieses Urteil nicht für langwirksa- me Substanzen zutrifft, zeig- ten die Ergebnisse großer klinischer Endpunktstudien, wie HOT, SYST-EUR und INSIGHT.
Klinisch relevante Unter- schiede bei den Calciumant- agonisten betreffen das phar- makokinetische Profil wie An- flutung, Verweildauer am Re- zeptor und die Plasma-Halb- wertszeit. Die heutigen An- forderungen an Calciumant- agonisten erfüllt der Wirk- stoff Lercanidipin, der als Corifeo®(UCB Pharma) und Carmen®(Berlin Chemie) in Deutschland eingeführt wur- de.
Lange Rezeptorbindung und Auswaschphase
Substanzen, die langsam an- fluten, deren Wirkung daher auch langsam einsetzt, und die eine lange Wirkdauer ha- ben, sodass sie bei täglicher Einmalgabe in nicht retar- dierter Form 24 Stunden lang wirken, werden zu den Cal- ciumantagonisten der dritten Generation gerechnet. Dazu zählen Amlodipin, Lacidipin und Lercanidipin.
Letztere Substanz bezeich- nete Prof. Thomas Unger (Kiel) als die fortgeschritten- ste Entwicklung. Außerdem besitzt Lercanidipin die höch- ste Cholesterol-Toleranz und die höchste Gefäßselektivität von allen Calciumantagoni-
sten vom Nifedipin-Typ. Neue Maßstäbe setzt Lercanidipin auch im Hinblick auf die Verträglichkeit. Vor der be- reits in 15 europäischen Län- dern erfolgten Zulassung wur- den 38 kontrollierte klinische Studien mit mehr als 2 600 Pa- tienten mit Hypertonie durch- geführt. Dabei dienten als Ver- gleich Placebo und etablierte Antihypertonika, berichtete Dr. Lucas Orlandini (Chiasso/
Schweiz).
In allen Studien zeigte der neue Calciumantagonist ein außergewöhnlich günstiges Nebenwirkungsprofil. Eine für DHP typische Nebenwir- kung sind Knöchelödeme. Sie wurden unter der therapeuti- schen Dosis von 10 mg nicht häufiger registriert als unter Placebo: Unter Placebo tra- ten bei einem Prozent der Pa- tienten Knöchelödeme auf, unter der 10-mg-Dosierung von Lercanidipin in 0,9 Pro- zent. Die 20-mg-Dosierung induzierte bei 1,6 Prozent der Patienten solche Nebeneffek- te. Inzwischen liegen Thera- pieerfahrungen an rund zwei Millionen Patienten vor.
Lercanidipin bewirkte in allen klinischen Studien ei- ne effektive Senkung des sy- stolischen und diastolischen Blutdrucks und eine gesi- cherte 24-Stunden-Wirkung bei täglicher Einmalgabe. Die optimale Dosis wurde auf 10 mg/Tag festgelegt. Eine Er- höhung der Dosis auf 20 mg/
Tag führt zu einer signifikan- ten Verstärkung des blutdruck- senkenden Effektes.
Wie Prof. Arya-Mitra Shar- ma (Berlin-Buch) berichtete, provoziert Lercanidipin im therapeutischen Dosisbereich keine gegenregulatorische Ak- tivierung des Sympathikus oder des Renin-Angioten- sin-Aldosteron-Systems. Die Herzfrequenz bleibt also un- beeinflusst. Die Substanz ist
auch im hohen Maße stoff- wechselneutral. Die Parame- ter des Lipid- und Gluko- se-Stoffwechsels werden in keiner Weise negativ beein- flusst.
In einer Langzeitstudie über ein Jahr konnte sogar ei- ne signifikante Reduktion bei solchen Patienten erreicht werden, die zu Beginn der Stu- die erhöhte Glukose-, Kreati- nin- und Gesamtcholesterin- Werte aufwiesen. Damit eig- net sich dieses Antihyperten- sivum besonders zur Behand- lung von Patienten mit meta-
bolischem Syndrom und Dia- betes mellitus. Auch eine Dosisanpassung ist bei diesen Patienten nicht erforderlich.
Dr. Peter Trenkwalder (Starnberg) hob das weitge- hende Fehlen von Kontrain- dikationen für Lercanidipin hervor. So können die Präpa- rate Corifeo und Carmen auch bei Patienten mit Nei- gung zu Bradykardie, bei Asthma bronchiale, chronisch entzündlichen Atemwegsob- struktionen sowie im höheren Lebensalter problemlos ein- gesetzt werden. Siegfried Hoc V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 50½½½½15. Dezember 2000 AA3447
Lercanidipin
Stoffwechselneutraler Calciumantagonist
Herceptin bei Mammakarzinom
Test entdeckt Frauen, die von der Therapieform profitieren
Unternehmen
Seit September ist mit Trastu- zumab (Herceptin®, Hoff- mann-La Roche) ein neues Präparat für die Behandlung von Frauen mit Brustkrebs in fortgeschrittenem Stadium zugelassen. Trastuzumab ist ein monoklonaler Antikör- per, der sich ausschließlich gegen den humanen epider- malen Wachstumsfaktoren- Rezeptor (Her2-Rezeptor) auf der Oberfläche von Brust- krebszellen richtet. Der Anti- körper bindet an den massiv vermehrten Rezeptor und blockiert damit die Aufnah- me von Wachstumsfaktoren, welche die Krebszelle zum Überleben benötigt.
Nachteilig ist, dass nur et- wa ein Drittel der Frauen mit metastasierendem Brust- krebs auf ihren Zellen den Her2-Rezeptor in großer Zahl ausbildet. Nur diese Frauen können von der Her- ceptin-Therapie profitieren.
Es kommt also darauf an, die geeigneten Patientinnen aus der Gesamtzahl der Betroffe- nen herauszufinden.
Dr. Diana Lüftner von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité in Berlin konnte jetzt nachwei- sen, dass der „HER-2/neu- Test“ der Bayer Corporation
(Cambridge, USA) im Blut- serum Teile des von der Oberfläche der Krebszellen abgeschilferten Rezeptors nachweist. Der Test ist nach Angaben von Lüftner in mehrfacher Hinsicht aussage- fähig:
❃ Zum einen zeigt er das Ausgangsrisiko und damit die Prognose der individuellen Patientin an: Je höher der Testwert im Vergleich zu Nor- malwerten (von circa 15 ng/ml), umso ungünstiger ist die Prognose.
❃ Weiter eignet sich der Test zur Kontrolle des Ver- laufs einer Behandlung mit Herceptin: Wenn die Patien- tin auf diese Therapie an- spricht, sinkt der Testwert.
❃ Außerdem kann der Test die optimale Dosierung von Herceptin und die Häufigkeit der Anwendung in Abhängig- keit von der Höhe der Test- werte ermitteln.
❃ Schließlich könnte der HER-2/neu-Test auch dazu genutzt werden, Frauen mit sehr hohen Werten von einer Hormonbehandlung mit Tamoxifen auszuschließen. Es gibt Hinweise darauf, dass ei- ne Tamoxifen-Behandlung die Überlebenszeit dieser Gruppe von Patientinnen verkürzt.
Dr. med. Silvia Schattenfroh