P O L I T I K
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icht nur Deutschland, auch andere europäische Staaten haben wieder- holt Versuche unternommen, Be- trügern im Gesundheitswesen das Handwerk zu legen. Nun wollen die Länder das Problem mit vereinten Kräf- ten angehen. Auf einer ersten gemeinsa- men Konferenz über Betrug und Kor- ruption im Gesundheitswesen in Lon- don verpflichteten sich Vertreter von Mitgliedstaaten der Europäischen Uni- on (EU), künftig im Kampf gegen die Verluste, die dem öffentlichen und privaten Gesundheitswesen durch kri- minelle Machenschaftenentstehen, enger zusam- menzuarbeiten. Ausrichter der Tagung war die Abtei- lung für Betrugsbekämp- fung und Sicherheitsma- nagement (CFSMS) des National Health Service Großbritanniens.
Die Experten für die Bekämpfung von Korrup- tion können das Ausmaß des Problems nicht mit
konkreten Zahlen belegen. Als An- haltspunkt dienen derzeit noch grobe Schätzungen. Von einer Größenord- nung in Höhe von „drei bis zehn Pro- zent aller Ausgaben im Gesundheitswe- sen“ ist die Rede, orientiert an Zahlen aus den USA, in denen eine staaten- übergreifende Betrugsbekämpfung schon länger installiert ist.
Konkrete Risikoberechnungen
Die europäische Gruppe beabsichtigt, konkrete Risikoberechnungen anzu- stellen, um künftig mehr Aufschluss über das Ausmaß von Betrugsfällen und die Schäden, die den Gesund- heitssystemen dadurch entstehen, zu erhalten.
Klaus Altmann, Sprecher der AOK Niedersachsen, deren Ermittlungstrup- pe zur Betrugsbekämpfung ebenfalls in London vertreten war, geht es bei der Kooperation aber vordringlich um et- was anderes: „Wir müssen bei Patien- ten, Ärzten und allen anderen im Ge- sundheitswesen Beschäftigten zunächst einmal das Bewusstsein für die Proble-
matik schärfen und sie dazu motivieren, Verdachtsfälle umgehend zu melden.“
Bei diesen Überlegungen spielt auch die Erweiterung der EU eine Rolle. Je größer der Binnenmarkt, desto größer auch die Gefahr grenzüberschreitender Betrugsfälle im Gesundheitswesen, so die Befürchtung der Ermittler.Während in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien die Krankenkassen das Zepter bei der Betrugsbekämpfung in die Hand genommen haben, rekrutieren sich die Anti-Korruptionsexperten in anderen Ländern aus unterschiedlichen Bereichen. In Polen kümmert sich hauptsächlich das Gesundheitsministe-
rium um das Thema, das slowakische Korruptionsbekämpfungsbüro ist beim Innenministerium angesiedelt, und die Spanier haben ihre Betrugsspezialisten von der Pharmazie-Hochschule Madrid nach London geschickt.
Zu einem größeren Erfolg im Kampf gegen betrügerische Machenschaften sollen nach dem Wunsch der Speziali- sten künftig länderübergreifende Stan- dards beitragen. Ein noch einzurichten- des Europäisches Büro zur Bekämp- fung von Betrug und Korruption im Ge- sundheitswesen soll die Entwicklung solcher Standards koordi- nieren, den Informations- austausch zwischen den Beteiligten fördern und die Fortschritte dokumen- tieren.
Die Kooperation soll auch dazu dienen, von den Erfahrungen und den Er- folgen der jeweils anderen zu lernen. So zeigte die Konferenz beispielsweise, dass durchaus Unterschie- de in der Art der Betrugsdelikte beste- hen – abhängig von den Strukturen der Gesundheitssysteme und der Mentalität der Bevölkerung. „Ärzte und Pflege- kräfte aus osteuropäischen Staaten ha- ben in der Vergangenheit aufgrund ihrer kargen Verdienste eine Erwartungskul- tur entwickelt, von den Patienten ein il- legales Zubrot zu erhalten“, berichtet Altmann.
Doch auch die organisierte Krimi- nalität über die Ländergrenzen hin- weg sei inzwischen zu einem ernst zu nehmenden Problem geworden. Hier spielt sich das Gros der Betrugsfälle im pharmazeutischen und medizin- technischen Bereich in Form von in- formeller Preisabsprache oder betrü- gerischen Handels mit Healthcare-Pro- dukten ab. Petra Spielberg
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 101⏐⏐Heft 46⏐⏐12. November 2004 AA3077
Europäische Kooperation
Gemeinsam gegen Korruption
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichten sich zur
Zusammenarbeit beim Kampf gegen Betrügereien im Gesundheitswesen.
In Deutschland interessiert sich verstärkt das Bundeskriminalamt für Betrug im Gesund- heitswesen.
Zeichnung:Ralf Brunner