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as Bundesversicherungsamt (BVA), Bonn, hat mit dem nordrheini- schen Disease-Management-Pro- gramm (DMP) Brustkrebs ein erstes DMP akkreditiert. Dem Vertrag haben sich bereits drei Viertel aller Frauen- ärzte sowie 28 stationäre Einrichtun- gen in Nordrhein angeschlossen; damit sind dort die Voraussetzungen für eine flächendeckende Umsetzung des DMP Brustkrebs geschaffen. Inzwischen ste- hen beim BVA Anträge zur Durch- führung von DMP Diabetes mellitus Typ 2 kurz vor der Akkreditierung;es liegen zudem Musteranträge der Krankenkassenverbände zu beiden Indikationen vor. Eine
Reihe von DMP-Ver- trägen zwischen KVen und Krankenkassen be- findet sich derzeit in der Vorprüfung. Nach der vom Koordinierungs- ausschuss am 31. März vorgelegten Empfeh- lung zu den Anforde- rungen an ein DMP
„Koronare Herzkrank- heit“ werden in Kürze die Rechtsgrundlagen für die Durchführung eines weiteren struk- turierten Behandlungs- programms geschaffen.
Der DMP-Vertrag Brustkrebs zwi- schen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein und allen Krankenkas- senverbänden dieser Region hatte der Aufsichtsbehörde seit Oktober vergan- genen Jahres vorgelegen. Auf einer Eu- roforum-Konferenz zum Thema Disease Management begründete BVA-Präsi- dent Dr. jur. Rainer Daubenbüchel das lange Prüfverfahren: Die Verknüpfung
der DMP mit dem Risikostrukturaus- gleich (RSA), das heißt den Ausgleichs- zahlungen unter den Krankenkassen, mache es notwendig, einheitliche Krite- rien zu schaffen. Um spätere Rechtsfol- gen zu vermeiden, sei das BVA gerade vor der Zulassung der ersten Verträge wegen ihrer Pilotfunktion zu einer stren- gen Überprüfung verpflichtet gewesen.
Insbesondere Fragen des Datenflusses und Datenschutzes hätten für die Verzö- gerung bei der Akkreditierung des er- sten DMP gesorgt. Auch wenn das Bundesgesundheitsministerium zu Jah- resbeginn mit der Ergänzung der RSA- Verordnung den Bedenken der Ärzte Rechnung getragen ha- be, müsse eine arzt- und patientenbezogene Qua- litätssicherung über eine gemeinsame Einrichtung von KV und Kranken- kassen weiterhin mög- lich sein. Im Einzelfall müsse den Krankenkas- sen die konkrete Über- prüfung des Behand- lungsgeschehens zuge- standen werden. Allen Versuchen, die Aufgaben der DMP-Qualitätssiche- rung in bereits bestehen- den Einrichtungen zu übernehmen, will Dau- benbüchel einen Riegel vorschieben. Er warnte auch davor, im stillschweigenden Einvernehmen mit den Krankenkassen die Datenhoheit bei den KVen zu belas- sen. Eine solche der Rechtsverordnung zuwiderlaufende Regelung könnte dazu führen, dass eine DMP-Zulassung wie- der entzogen wird.
Daubenbüchel wies auf Probleme bei der Überführung bestehender Dia-
betes-Strukturverträge in DMP hin.
Unbedingt erforderlich sei die Anpas- sung an die in der Anlage der RSA-Ver- ordnung genannten Therapieanforde- rungen. Das Bundesversicherungsamt sei hier an die Vorgaben des Verord- nungsgebers gebunden. So würden in den bestehenden Diabetes-Verträgen häufig explizit definierte Therapieziele und damit verknüpfte Überweisungsre- gelungen genannt, was der RSA-Ver- ordnung widerspricht. Diese gibt der Festlegung individueller Therapieziele den Vorzug. Probleme könnte auch die Vereinbarung zusätzlicher, über die Inhalte der RSA-Verordnung hinaus- gehender Programmbestandteile berei- ten. Das BVA dürfe solchen Maßnah- men im Rahmen eines DMP nur dann zustimmen, wenn ihre medizinische Evidenz nachgewiesen ist.
Morbiditätsorientierter RSA
Dr. Ulrich Orlowski, Leiter der Unterab- teilung „Krankenversorgung“ im Bun- desgesundheitsministerium, bezeichne- te es allerdings als unwahrscheinlich, dass die Krankenkassen sich an DMP- Verträgen beteiligen, die über die Vor- gaben in den Rechtsverordnungen hin- ausgehen. Es sei gerade das Interesse des Verordnungsgebers gewesen, keine Minimalstandards, sondern Qualitäts- standards für die Versorgung chronisch Kranker zu definieren. Eine „low level“- Medizin habe man so vermeiden wollen.
Wegen des für 2007 geplanten morbi- ditätsorientierten Risikostrukturaus- gleichs stellt sich die Frage, welchen Stellenwert DMP dann noch haben werden. Ökonomische Anreize für die Behandlung chronisch Kranker dürften ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erfor- derlich sein. Denkbar wäre – so Jürgen Wasem, Professor für Gesundheitsöko- nomie in Essen – eine zusätzliche För- derung der DMP-Programmkosten. Als zu willkürlich erscheinen ihm Qualitäts- zuschläge aus dem „Morbi“-RSA für
„gute DMP“. Möglich sei auch eine getrennte Durchführung des RSA für DMP-Versicherte und andere Versi- cherte. Prinzipiell sollte aber die Morbi- ditätsorientierung ausreichende Anrei- ze zur Versorgung chronisch Kranker
setzen. Thomas Gerst
P O L I T I K
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A958 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1511. April 2003
Rainer Daubenbüchel: Die BVA ist zur strengen Überprüfung der ersten Verträge verpflichtet.
Foto:BVA