SERIE: MALIGNE TUMOREN UND SYSTEMERKRANKUNGEN
Die psychische Betreuung des Tumorpatienten
Peter Drings und Allmuth Sellschopp
Ohne psychische Betreuung ist die Behandlung eines Tumorpatien- ten unvollständig. Sie gehört zu den Aufgaben des Arztes wie die so- matische Therapie. Unterstützung erhält der Arzt von den Mitgliedern des therapeutischen Teams, dem Pflegepersonal, dem Rehabilita- tionsteam. den Psychologen. Seelsorgern und Sozialarbeitern
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
ÜBERSICHTSAUFSATZ
Die somatische Behandlung und die psychische Betreuung des Pa- tienten müssen Hand in Hand ge- hen. Ohne einfühlende psychi- sche Betreuung und Führung ist die Behandlung eines Patienten unvollständig. Dies gilt wie für je- den Menschen so auch für den an einem malignen Tumor Erkrank- ten. Durch eine gute psychische Betreuung wird es dem Patienten erleichert, seine Diagnose und die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu akzeptieren, die psychischen Be- lastungen zu bestehen und sich später wieder in seine gewohnte Umwelt zu integrieren.
Wie jede andere ärztliche Maß- nahme muß sich auch die psychi- sche Betreuung des Patienten am klinischen Verlauf orientieren.
Dieser variiert von Tumor zu Tu- mor erheblich. Der Krankheitsver- lauf wird von der Biologie des Tu- mors, dem Alter, Geschlecht und Allgemeinzustand des Patienten und den therapeutischen Mög- lichkeiten bestimmt. Gegenwärtig bestehen bei der Hälfte aller Tu- morpatienten kurative Chancen, wenn zum Zeitpunkt der Diagnose alle therapeutischen Möglich- keiten ausgeschöpft werden. Das bedeutet für den Patienten: viele maligne Erkrankungen sind prin- zipiell heilbar.
Beispiele für den Krankheitsver- lauf wie definitive Heilung nach primärer Therapie, vorübergehen- de komplette oder partielle Re- missionen, spätere Rezidive, fina- le Kachexie und Tod sind in der Darstellung wiedergegeben (1).
Die primäre Behandlung (Opera- tion, Radiotherapie, Chemothera- pie, eventuell als combined mo- dality effort) kann zur definitiven Heilung des Patienten führen.
Für Arzt und Patient liegt dieses Ergebnis zunächst jedoch nicht vor. Es wird erst im späteren Ver- lauf, möglicherweise nach vielen Jahren zur Sicherheit. So ist der Patient unter Umständen lange Zeit durch Ängste vor einem loka- len Rediziv oder einer Dissemina- tion des Tumors belastet. Dies überträgt sich oft auch auf seine Familie. Durch eine regelmäßige sorgfältige Nachsorge gewinnt der Patient, wenn normale Befun- de erhoben werden können, zu- nehmend Gewißheit über den günstigen Ausgang seiner Krank- heit. Das Ergebnis einer definiti- ven Heilung muß von vielen Pa- tienten jedoch mit bleibenden Funktionsstörungen (Sterilität), Verlusten einzelner Organe und entsprechenden körperlichen Behinderungen (Gastrektomie, Pneumonektomie) oder Verstüm- melung (Laryngektomie, Extremi-
tätenamputation, abdominosakra- le Rektumamputation, Ablatio mammae) in Kauf genommen werden. Diese Defekte können zu erheblichen psychischen Proble- men führen. Deshalb ist es sehr wichtig, daß parallel zur somati- schen Nachsorge und Rehabilita- tion eine intensive psychische und soziale Betreuung eingeleitet wird. Wesentlich hierfür ist eine gründliche sozialrechtliche Bera- tung des Patienten (siehe Kasten).
Wenn nach zunächst scheinbar erfolgreicher Behandlung ein lo- kales Rezidiv oder eine generali- sierte Metastasierung entdeckt wird, beginnt für den Patienten ei- ne besonders schwierige Phase seines Krankseins. Gelegentlich bestehen zwar noch kurative Möglichkeiten, in der Regel muß man jedoch die Unheilbarkeit ak- zeptieren. Eine leider nicht selte- ne weitere Variante des Verlaufs einer Tumorerkrankung stellt die Situation eines bereits zum Zeit- punkt der Diagnose generalisier- ten Tumorleidens dar, für das zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine kurativen Behandlungsmöglich- keiten bestehen. Eine von vornhe- rein als palliativ konzipierte Be- handlung kann vorübergehend zum Erfolg und damit zur Linde- rung von Beschwerden und zur Lebensverlängerung führen, je- doch wird der Patient früher oder später seinem Tumorleiden erlie- gen.
Diese genannten Variationen des klinischen Verlaufs sollten bei der psychischen Betreuung des Tu- morpatienten unter Würdigung seiner prämorbiden Persönlich- keit berücksichtigt werden. Hinzu kommen die Belastungen durch die spezifische Therapie. Diese sind für den Patienten im Fall der Operation und Radiotherapie ge- ringer, für ihn übersichtlicher und von kürzerer Dauer. Die Chemo- therapie muß den Patienten we- gen der Einwirkungen auf sein Wohlbefinden, wegen ihrer Be- einträchtigungen des Körper- schemas und ihrer langen Dauer stärker in Mitleidenschaft ziehen.
1708 (68) Heft 21 vom 25. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
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Tumorpatienten
Der behandelnde Arzt muß den Patienten vor Beginn der Thera- pie auf die unvermeidlichen unan- genehmen Begleitwirkungen hin- weisen, bevor dieser sie selbst er- lebt, denn die psychische Bereit- schaft des Patienten ist ebenso wichtige Voraussetzung für die Behandlung wie sein somatischer Zustand.
Selbstverständlich ist, daß der Pa- tient die Therapie nur akzeptieren kann, wenn er in einem ausführ- lichen Gespräch — besser sind mehrere Gespräche — in einer ihm angemessenen und schonenden Weise das Wesen seiner Krank- heit erfährt. Es ist nicht zweckmä- ßig und auch überhaupt nicht not- wendig, in diesem Gespräch eine wissenschaftliche Schilderung des Krankheitsbildes zu liefern.
Der Patient muß nur so viel wis- sen, daß er seine Krankheit ver- stehen und die notwendigen the- rapeutischen Maßnahmen akzep- tieren kann. Heute stellt sich also nicht mehr die Frage: Soll der Pa- tient seine Diagnose erfahren, sondern: Wann und wie führen wir dieses Gespräch? Die Antwort orientiert sich an der Individualität des Patienten.
Entscheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses Ge- sprächs ist das Existieren einer Vertrauensbasis zwischen Patient und Arzt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß dieses Ge- spräch vom behandelnden Arzt selbst geführt werden muß und nicht durch ihn delegiert von ei- ner dritten Person, etwa einem Kollegen, dem Psychologen oder Seelsorger geführt werden darf.
Es ist zweckmäßig, in diesem Ge- spräch zunächst zu ertasten, wel- chen Informationsstand der Pa- tient bereits hat. Dabei stellt man meistens fest, daß eine Ahnung über die Bösartigkeit der Erkran- kung besteht.
Ganz wichtig ist, daß im Patienten bei der Eröffnung der Diagnose Hoffnung geweckt wird. Diese Hoffnung wird zugleich mit dem therapeutischen Angebot über-
mittelt. Dem Patienten sollte gleichzeitig auch versprochen werden, daß er nicht alleine gelas- sen wird (2). Niemals sollte man aber Hoffnungen wecken, die spä- ter nicht eingehalten werden kön- nen. Falsche Hoffnungen beim Patienten müssen früher oder später zwangsläufig zur Enttäu- schung und Zerstörung des Ver- trauensverhältnisses führen. In der sich entwickelnden Partner- schaft wird der Patient vom Arzt als mündiger Mensch akzeptiert, der den Versuch unternimmt, sein ihm noch verbleibendes Leben mitzugestalten (3). Der Patient braucht, da er in der modernen
stationären und klinisch ambulan- ten Tumorbehandlung von sehr vielen Personen betreut wird, un- bedingt eine Bezugsperson. Sie ist in der Regel der die Hauptver- antwortung der Behandlung tra- gende Arzt. Diese Forderung be- deutet jedoch nicht, daß nicht auch andere Personen seiner Wahl dem Patienten bei der Be- wältigung seiner Krisen in der Rolle eines hauptsächlichen Be- gleiters beistehen könnten. Diese Rolle kann ein Angehöriger, ein anderer Arzt, ein Mitglied des Pflegepersonals, ein Seelsorger oder Psychologe ausfüllen. Die psychische Betreuung des Tu- Soziale Hilfen für Krebskranke
Haushaltshilfe
Krankenkassen übernehmen Kosten, wenn Versicherte in stationärer Behandlung sind und wenn Kinder unter 8 Jahren oder behinderte Kinder nicht durch Verwandte oder Verschwägerte versorgt werden können (ab 1. 1. 83 bis zu DM 64,—).
Prothetische Versorgung
Hilfsmittel wie Körperersatzstücke: Künstliche Gliedmaßen, Brust- prothesen, Perücken u. a.
Die Krankenkassen übernehmen die Kosten, wenn die Hilfsmittel ärztlich verordnet und ausreichend und zweckmäßig sind.
Anschlußheilbehandlung (AHB)
Rententräger (nachrangig auch Krankenkassen) übernehmen Kosten für die sich direkt an die Krankenhausbehandlung anschließende Re- habilitationsmaßnahme, wenn der Patient rehabilitationsfähig und früh mobilisiert ist. Die AHB dauert mindestens 4 Wochen, ist an die Zustimmung des Patienten gebunden und wird in spezialisierten Re- habilitationskliniken durchgeführt.
Nach- und Festigungskuren
Rententräger (nachrangig Krankenkassen, Krebsgesellschaften) übernehmen Kosten für (zumeist) drei Kuren innerhalb von (zumeist) drei Jahren nach Primär- bzw. Rezidivbehandlung.
Schwerbehindertenausweis
Versorgungsämter stellen an Krebserkrankte auf Antrag Schwerbe- hindertenausweis aus. Organschaden plus Funktionsstörung plus Re- zidivrisiko bestimmen die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Schwerbehinderte (ab 50 MdE) erhalten eine Reihe von Ver- günstigungen (Erleichterung im Arbeitsleben, Steuerermäßigungen u. a.)
An Einkommensgrenzen gebundene Hilfen:
Ernährungszulage
gewährt das Sozialamt den Empfängern von Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt)
Pflegegeld
gewährt das Sozialamt, gestaffelt nach dem Grad der Pflegebedürf- tigkeit.
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 21 vom 25. Mai 1984 (71) 1709
Symptom
Untersuchung Diagnose
Ol
palliative Therapie
kurative Therapie (Operation, Radiotherapie, Chemotherapie)
O
O definitive Heilung
Erfolg — Rezidiv
Therapieversagen
v
fortschreitendes Leiden vorübergehender
Erfolg
(Remission)
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Tumorpatienten
Darstellung:
Schema mög- licher Verläufe von Tumorer- krankungen (nach Holland)
morpatienten wird dem therapeu- tischen Team erleichtert, wenn es versteht, daß ein in einer existen- tiellen Krise stehender Mensch — und der Tumorpatient steht in solch einer Krise — in charakteri- stischen aufeinanderfolgenden Phasen reagieren kann, wie sie von E. Kübler-Ross (4) beschrie- ben wurden. Diese Reaktionen reichen von anfänglichem Schock, über Verleugnung, Wut, Trotz, Depression und eine Phase des Verhandelns und Feilschens bis zur schließlichen Versöhnung mit dem Schicksal.
In der letzten Phase seiner Krank- heit bedarf der Patient ganz be- sonders des täglichen Kontaktes.
Die Persönlichkeit des Arztes oder des Betreuers wird dann zum wichtigsten Therapeutikum.
Zu einer guten psychischen Be- treuung gehört auch eine ruhige Umgebung. Unnötige diagnosti- sche und therapeutische Verrich- tungen sollten unterbleiben. Am besten ist der Patient während dieser Phase in seiner Familie auf- gehoben, wenn diese bereit und
in der Lage ist, ihn zu versorgen.
Die Familie des Patienten sollte von vornherein auch in die psychi- sche Betreuung einbezogen wer- den. Dabei muß berücksichtigt werden, daß ihre Mitglieder oft ei- gene psychische und soziale Pro- bleme haben. Krisenreaktionen müssen daher nicht nur beim Pa- tienten, sondern auch bei seinen Angehörigen erwartet werden. Als sehr wesentlich erweist sich ein Informationsgleichgewicht zwi- schen dem Patienten und seiner Familie, damit jederzeit eine ge- meinsame Aussprache möglich ist. Gut ist, wenn schon beim ein- leitenden Gespräch zwischen Arzt und Patient ein Familienangehöri- ger anwesend ist. Besonderes Ge- wicht besitzt die Familie bei tu- morkranken Kindern. Hier hat sich die enge Zusammenarbeit des therapeutischen Teams mit dem kranken Kind und seinen Eltern vielerorts bewährt. Gesprächs- gruppen aus den Eltern der Kin- der und dem behandelnden Per- sonal geben die Möglichkeit, sich gegenseitig beizustehen. Oft hilft schon die Erkenntnis, daß man nicht alleine mit seinen Sorgen
und Problemen ist. Dies gilt in be- sonderem Maße auch für die in den letzten Jahren vielerorts gegründeten Selbsthilfegruppen von Patienten, die von einer Krebserkrankung geheilt sind oder noch an ihr leiden. Es ist die Aufgabe der Ärzte, diesen Grup- pen als Gesprächspartner zur Ver- fügung zu stehen.
Literatur
(1) Holland, J.: Psychologin aspects of cancer, in Holland, J. F., Frei, E. III (eds) Cancer medi- cine, Lea & Febiger, Philadelphia (1973) 991 — (2) Billeter, A.: Probleme der Arzt-Patienten- Beziehung beim Tumorkranken, 1. Ostschwei- zer Ärzte-Fortbildungstag „Onkologie und Hä- matologie für die Praxis" (1978) — (3) Luban- Plozza, B.; Drings, P.: Die psychologische Be- treuung des Tumorpatienten und seiner Fami- lie, in: Ott, G.; Kuttig, H.; Drings, P. (Hrsg.) Standardisierte Krebsbehandlung, 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin—Heidelberg—New York (1982) — (4) Kübler-Ross, E.: Interviews mit Sterbenden, Kreuz-Stuttgart (1971)
Anschrift für die Verfasser:
Professor Dr. med.
Peter Drings
Thorax-Krankenhaus Rohrbach 6900 Heidelberg
Amalienstraße 5 1712 (74) Heft 21 vom 25. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A