Vertrauen
Der Artikel zeigt fundiert die wissen- schaftlichen Bedenken eines kritiklosen Umgangs mit Hormonen. Das dahinter stehende Problem liegt jedoch nicht nur in der biologischen Ebene, und die Ver- fechter dieser lukrativen Marketing- Strategie werden sich nicht durch noch so fundierte Ergebnisse beeindrucken las- sen. Es ist der wieder aufkeimende Glau- be an die Macht von Menschen, an die Verdrängung der Endlichkeit, deren Be- wusstsein ja eigentlich dazu führen sollte, intensiv und bewusst zu leben, um diese Welt letztendlich im Frieden mit sich und Gott zu verlassen. Ein befriedigender Lebensinhalt und gesunde Lebensweise lässt sich nicht durch einen pseudowis- senschaftlich gespeisten finanziell moti- vierten Kult mit „Internethormonen“ er- setzen, er kann im Gegenteil durch Konformitätszwang verdrängt werden.
Und auch unter Ärzten scheint es einen Kollektivzwang im Anbieten von zwei- felhaften Methoden zu geben, mit dem Argument, wenn schon, dann in der (und in die) Hand des Arztes. Wenn wir in der Zukunft jedoch einen durch Glaubwür- digkeit geprägten Sozialstatus haben
wollen, sollten wir nicht so tun, als ob das behandlungswürdigste Körperteil der Species „Patient“ sein unter Pecuniosta- se leidender Geldbeutel sei! Irgendwann geht es uns dann nämlich wie der Politik:
Es glaubt einem keiner mehr, vielmehr wird die Unwahrheit wie selbstverständ- lich erwartet.Warum sollte man uns dann noch konsultieren, wenn es um die Zu- kunft des Gesundheitswesens geht?
Dr. med. Gunther Aurich Trierer Straße 30, 54317 Gusterath
Zunehmende Nachfrage bei Kleinwuchs
Der Einsatz von Wachstumshormon als Versicherungsleistung wird in den letzten fünf Jahren – ganz besonders aber in den letzten zwei Jahren – besonders häufig nachgefragt. Jedenfalls ist dies meine Er- fahrung als leitender Gesellschaftsarzt einer der größeren privaten Krankenver- sicherungen.
Als Anti-Aging-Präparat wird Wachs- tumshormon (zumindest bisher) sehr sel- ten nachgefragt. Von 1993 bis zum Jahr 2000 hatte ich hierzu keine einzige An- frage. Aus 2001 und 2002 war jeweils ein- mal das Begehren von Wachstumshor- mon im Rahmen eines Anti-Agings zu verzeichnen. Somatotropes Hormon (STH) als Anti-Aging-Präparat ist nicht als medizinisch notwendige Heilbehand- lung anzusehen und somit nicht erstat- tungsfähig, sondern vom Patienten selbst zu tragen. Dies fußt unter anderem dar- auf, dass der Einsatz von Wachstumshor- mon in der Anti-Aging-Medizin keine zugelassene Indikation ist und es keine kontrollierten klinischen Studien und auch sonst keine nachvollziehbare Evi- denz gibt, die einen funktionellen Nutzen bei dieser Indikation belegen. Darüber hinaus ist die Gefahren-Nutzen-Relation für die Patienten ungünstig. Typische Nebenwirkungen sind Wasserretention mit Ödembildung, Karpaltunnelsyn- drom, Verschlechterung der Glucoseto- leranz, Akromegalie und in selteneren Fällen chronisch rezidivierende Kopf- schmerzen, Sehstörungen und Übelkeit infolge einer benignen intrakraniellen Hypertension. Nicht zu vergessen sind auch die Kosten einer Wachstumshor- montherapie, die je nach Dosis circa
15 000 bis 25 000 Euro pro Jahr ausma- chen. Es ist im Übrigen nicht immer so- fort erkennbar, dass STH als Anti-Aging- Mittel eingesetzt wird. Manchmal wird die tatsächliche Indikation verschleiert.
Das eigentliche versicherungsmedizi- nische Problem ist aber die starke Zu- nahme der Nachfrage in den zugelasse- nen Indikationen. Wachstumshormon ist zugelassen für die Behandlung des Kleinwuchses durch fehlende oder unzu- reichende Wachstumshormonausschüt- tung, bei Prader-Willi-Syndrom, bei Kleinwuchs infolge Ullrich-Turner-Syn- drom und bei Erwachsenen mit ausge- prägtem Wachstumshormonmangel. Die weitaus größte Nachfrage besteht bei der Indikation Kleinwuchs durch fehlende oder unzureichende Wachstumshormon- ausschüttung, weshalb es gerade in den letzten Jahren zu einer überproportiona- len Zunahme der Nachfrage nach Wachs- tumshormon gekommen ist. Dies ist möglicherweise dadurch bedingt, dass Eltern sich immer weniger mit einer rela- tiv geringen Körperlänge ihrer Kinder zufrieden geben und eine entsprechende Diagnostik und Therapie verlangen. Dies könnte zu einer zunehmenden Belastung der Solidargemeinschaft führen, da ei- ne nur fünf Jahre dauernde Wachstums- hormontherapie zwischen 75 000 und 125 000 Euro, eine zehn Jahre dauernde Therapie dementsprechend zwischen 150 000 und 250 000 Euro pro Kind ko- stet. Diese Summe betrifft nur die Medi- kamentenkosten – Kosten für Diagnostik und ärztliche Leistungen nicht einge- schlossen.
Da STH eventuell sogar das Mali- gnomrisiko erhöhen soll (diskutiert wird zum Beispiel eine akute lymphoblasti- sche Leukämie), sollte die Indikations- stellung besonders sorgfältig und an ei- nem Zentrum erfolgen.
Dr. med. Rainer Hakimi Schickhardtstraße 33, 70199 Stuttgart
Schlusswort
Wir danken den Kollegen Aurich und Hakimi für ihre Ergänzungen und Kommentare. Der Kritik des Kollegen Aurich, dass zweifelhafte Behandlungs- methoden mit dem Argument angebo- ten werden, sie sollten in die Hand des M E D I Z I N
A
A1686 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2413. Juni 2003
zu dem Beitrag
Missbräuchlicher Einsatz von humanem
Wachstumshormon in der Anti-Aging-Medizin
von
Priv.-Doz. Dr. med.
Christian J. Strasburger Dr. med.
Cornelia Jaursch-Hancke Priv.-Doz. Dr. med.
Peter Herbert Kann Prof. Dr. med.
Dietrich Klingmüller Priv.-Doz. Dr. med.
Ursula Plöckinger
Dr. med. Stephan Petersenn Prof. emer. Dr. med.
Hans-Jürgen Quabbe in Heft 47/2002
DISKUSSION
Arztes, stimmen wir völlig zu. Wir erin- nern uns an Kollegen, die den Einsatz von Wachstumshormon in der Anti- Aging-Medizin außerhalb zugelassener Indikationen unter dem Deckmantel so genannter „Anwendungsbeobach- tungen“ betreiben, daran, dass neue In- dikationen nicht durch Anwendungsbe- obachtungen, sondern durch kontrol- lierte Studien erarbeitet werden müs- sen. Außerhalb solcher Studien muss zusätzlich zu medizinisch wissenschaft- lichen Bedenken, wie sie in unserem Beitrag dargelegt wurden, die Recht- mäßigkeit eines „großflächig betriebe- nen individuellen Heilversuches“ be- zweifelt werden.
Die Gabe von Wachstumshormon zur „Verdrängung der Endlichkeit“ ist neben den von Herrn Kollegen Aurich geäußerten philosophischen Bedenken, denen wir zustimmen, auch sachlich nicht gerechtfertigt: Im Tiermodell zei- gen Mäuse mit GH-Überexpression ei- ne verkürzte Lebenserwartung, wohin- gegen sowohl GH-knock-out-Mäuse als auch GH-Rezeptor-knock-out-Mäuse und Mäuse, die GH-Rezeptor-Antago- nisten überexprimieren, eine nahezu doppelt so hohe Lebenserwartung zei- gen wie Wildtypmäuse. Jegliche schlüssi- gen Argumente, warum dieses bei Men- schen exakt ins Gegenteil verkehrt sein sollte, fehlen.
Herr Kollege Hakimi weist auf die erheblichen Kosten einer Wachstums- hormontherapie hin und wir stimmen natürlich mit ihm überein, dass ein Be- gehren zurückzuweisen ist, Wachstums- hormon als Anti-Aging-Medikament zu Lasten der Solidargemeinschaft verord- net zu bekommen. Dieses ist nicht nur aus versicherungsmedizinischen Grün- den der Fall, sondern vor allen Dingen aufgrund vollständig fehlender medizi- nischer Grundlage für eine solche The- rapie.
Im Gegensatz dazu muss aus unserer Sicht in Erinnerung gerufen werden, dass Wachstumshormon in den Indika- tionen, in denen es zugelassen wurde, einer eingehenden Prüfung hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit unterzo- gen wurde. Bezüglich der von Herrn Kollegen Hakimi angesprochenen ver- stärkten Nachfrage nach Wachstums- hormon in der pädiatrischen Indikation des Minderwuchses sind die diagnosti-
schen Kriterien, die zu einer solchen Behandlung führen, mit einem relativ breiten Interpretationsspielraum be- haftet. Die internationale Growth Hor- mone Research Society (GRS) hat sich in ihrem Konsensuspapier zur Diagnose und Behandlung mit Wachstumshor- mon im Kindes- und Jugendalter hierzu geäußert (1).
Zur Frage eines erhöhten Malig- nomrisikos möchten wir folgender- maßen Stellung nehmen: Wie die Growth Hormone Research Society in ihrem Konsenspapier zur kritischen Evaluierung der Sicherheit von Wachs- tumshormontherapie festgestellt hat (2), besteht für die Substitutionsthera- pie mit dem Ziel des Ersatzes physiolo- gischerweise vorhandener Mengen von Wachstumshormon kein Anhalt für ei- ne erhöhte Inzidenz von malignen Neuerkrankungen oder Rezidiven. In Anwendungsbeobachtungen ist diese Substitutionstherapie im Kindes- wie im Erwachsenenalter sehr aufwendig an mehreren tausend Patienten doku- mentiert. Diese Datenbanken zeigen ebenfalls keinen Hinweis auf eine er- höhte Malignitätsrate. Die 1987 aus Ja- pan berichtete gehäufte Rate von Leukämien bei mit Wachstumshormon therapierten Kindern (3) hat sich an- hand längerer Beobachtungszeiträume und höherer Fallzahlen nicht bestätigt, sodass für die Substitution von Wachs- tumshormon nicht von einem erhöhten Malignitätsrisiko auszugehen ist (2). Im Gegensatz dazu liegen keine Daten über die Sicherheit einer Anwendung von Wachstumshormon vor, die den IGF-Spiegel über die Altersnorm dau- erhaft anhebt, und die Sicherheit einer solchen Behandlung muss aufgrund vorliegender epidemiologischer Daten bezweifelt werden.
Als Fazit halten wir für wesentlich, dass Wachstumshormon nur im Rah- men hinlänglich geprüfter und zugelas- sener Indikationen verordnet werden sollte sowie neue potenzielle Indikatio- nen im Rahmen kontrollierter Studien untersucht werden müssen, statt im Feldversuch propagiert zu werden.
Literatur
1. Consensus: Guidelines for the diagnosis and treatment of growth hormone (GH) deficiency in childhood and adolescence: summary statement of the GH Research Society. J Clin Endocrinol Metab 2000; 85: 3990–3993.
2. Consensus: Critical evaluation of the safety of recom- binant human growth hormone administration: state- ment from the Growth Hormone Research Society. J Clin Endocrinol Metab 2001; 86: 1868–1870.
3. Watanabe S, Mizuno S, Oshima LH, Tsunematsu Y, Fuji- moto J, Komiyama A: Leukemia and other malignancies among GH users. J Pediatr Endocrinol 1993; 6: 99–108.
Für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Christian J. Strasburger Bereich Endokrinologie
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie
Campus Charité Mitte, 10117 Berlin Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Quabbe Auguststraße 18, 12209 Berlin
Ausdrucksweise unzutreffend
Nichts gegen die Hyposensibilisierung, viel allerdings gegen die Ausdruckswei- se „neben der Allergenkarenz die einzi- ge kausale [. . .] Therapie“. Dies ist ein Hinweis darauf, dass in der klinischen Medizin der Begriff der Kausalität falsch verstanden und verwendet wird.
Kausalität bedeutet hier, zu versuchen, M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2413. Juni 2003 AA1687
zu dem Beitrag
Spezifische Immun- therapie bei IgE-
vermittelten allergischen Atemwegserkrankungen
von
Priv.-Doz. Dr. med.
Jörg Kleine-Tebbe
Prof. Dr. med. Thomas Fuchs Prof. Dr. med. Ludger Klimek Prof. Dr. med. Joachim Kühr Prof. Dr. med. Gert Kunkel Dr. med. Ute Lepp
Prof. Dr. med. Bodo Niggemann Prof. Dr. med. Jürgen Rakoski Prof. Dr. med. Harald Renz Prof. Dr. med. Joachim Saloga Prof. Dr. med. Jan Simon in Heft 06/2003