Bücherbesprechungen
Werner Vycichl: Dictionnaire etymologique de la langue Copte. Leuven: Pee¬
ters 1983. XXVIII, 520 S. 4°
Nach den großen neuen lexikalischen Werken über das Koptische, J. Öerny:
Coptie Etymological Dietionary. Cambridge 1976 und W. Westendorf: Kopti¬
sches Handwörterbuch. Heidelberg 1977, sowie den in diesem Zusammenhang
ebenfalls zu nennenden großen sprachgeschichtlichen Werken, J. Osing: Die
Nominalbildung des Ägyptischen. Mainz 1976 und W. Schenkel: Zur Rekon¬
struktion der deverbalen Nominalbildung des Ägyptischen. Wiesbaden 1983, hat
nun auch W. Vycichl sein lange erwartetes etymologisches Wörterbuch der
koptischen Sprache vorgelegt. Das Geleitwort dazu schrieb R. Kasser, — und
sicherlich wird jeder, der das Werk kennt, ihm geme beistimmen, daß es auch
nach den vorgenannten gmndlegenden Arbeiten seinen besonderen vollen Platz
beanspmchen darf.
In der Tat handelt es sich bei diesem Werk um etwas Besonderes: der Verfas¬
ser W. Vycichl, der einen großen TeU seines bisherigen Gelehrtenlebens der
Erforschung der ägyptisch-koptischen Sprachgeschichte gewidmet und sich
durch eine fast unübersehbare Fülle von Einzelarbeiten auf diesem Gebiet einen
Namen gemacht hat, zugleich ein großer Kenner des Berberischen und Semiti¬
schen mit vieler auch darüber hinausgehender sprachwissenschaftlicher Erfah¬
mng, legt auch in diesem neuesten Werk wieder Zeugnis ab von seinen stau¬
nenswerten Kenntnissen und seinem Ideenreichtum. Er ist übrigens bei uns
sowohl wie in der intemationalen Fachwelt seit Jahrzehnten als profilierter Ver¬
treter der ägyptisch-semitischen lexikalischen Vergleichung bekannt und hat auch diese Qualität in das vorliegende Wörterbuch eingebracht.
Im einzelnen sei besonders iiingewiesen auf den äußerst gelungenen Abschnitt über die Dialekte und Subdialekte des Koptischen, der in seiner Knappheit bei größtem Informationsgehalt meisterhaft ist (Einleitung XI-XII). Auf den fol¬
genden lexikalischen Teil (S. 1-352) wird noch besonders einzugehen sein.
Erschlossen wird die FüUe des dort gebotenen Stoffes in dankenswerter Weise durch gut komponierte Indizes (u. zw. Französisch, Ägyptisch, Koptisch, Grie¬
chisch, Demotisch, Semitisch, Hamitisch, Indoeuropäisch und Sonst., S. 353- 515).
Der eigentliche lexikalische Teil ist in seiner Art einzigartig und genauesten
Studiums würdig. Wie schon R. Kasser in seinem Vorwort bemerkt, sind sehr
viele Artikel regelrechte Monographien geworden. Die Stichworte sind dabei um vieles vielseitiger als gemeiniglich in etj^nologischen Wörterbüchem. Orts- und Personennamen, Fremdwörter und termini technici aus allen möglichen Kultur¬
bereiehen werden reichlich mitbehandelt, so daß das Wörterbuch fiir den For¬
scher zu einer wahren Fundgmbe, zu einem unentbehrlichen Handbuch fiir den
Ägyptologen (und nicht nur diesen) auf lange Zeit werden wird. Übrigens wird der deutsehe Leser fiir die vielen deutschsprachigen Bedeutungsangaben in den Artikeln des lexikalischen Teiles dankbar sein.
Zeitschrift der Deutschen Morgeniändischen GeseUschaft Band 137, Heft 2 (1987)
© Deutsche Morgenländische Gesellschafl e.V.
384 Biiohorbcsprpchiingpn
Bei der großen Stoffülle ist es scliwierig, eine Auswalil derjenigen Artikel zu treffen, auf die etwas näher einzugehen wäre. Ref. hat sich dafür entschieden, dabei besonders an die Interessen der Hamitistik zu denken, die in den letzten
Jahren einen großen Aufschwung genommen hat. Im folgenden werden die Lem¬
mata übrigens zur Vereinfachung des Druekes nicht in koptischen Lettern, son¬
dem in ägyptologischer Konsonantentranskription gegeben.
Zuerst wenige Ergänzungen:
S. 9) Zu äg. m y 'komm!' ist — außer Bedja — noch zu vergleichen: 'afar am, somal. imo 'komm!'.
S. 50) Zu äg. i h 'Rind' ist zu vergleichen: tigre ahä 'Rinder' (wohl nicht aus äthiopischer, sondern aus nicht mehr feststellbarer kuschitischer Quehe).
S. 121) Zu äg. mrh 'Lanze' (Lehnwort!) ist in erster Linie ugarit. mrh 'Lanze' zu vergleichen, erst in zweiter hebr.aram.arab.äthiop. r mh\
S. 132) Zu äg. m s d r / demot. m s d' (urspr. 'Sclifäfe', dann) 'Ohr' (zu äg.
sdr 'schlafen', vgl. hebr. S q' 'niedersinken') ist zu vergleichen bedja mik" 'Schläfe' und herber, m z y, m z y 'Ohr''
S. 172) Zu äg. rmy 'weinen', r m y y . t 'Träne' ist somal. ilmo (f ) 'Tränen' zu vergleichen.
S. 242) Zu äg. w hr 'Hund' ist besonders bumnge (südkuschit.) rfehela 'Hund' zu vergleichen.
Widersprochen werden muß dem Verfasser, wenn er (auf S. 51 im Artikel
'Zeta') schreibt: „Fritz Hommel ... a demontre le premier que 1' hierogljrphe du 'verrou' . . . correspondait au son z (sonore) . . ." (unter Bemfung auf einen Artikel in ZDMG 53 [1899], S. 347-349). Wie an dieser Stelle jedermann nach¬
lesen kann, hat Hommel damals im GegenteU fur äg. z (heutiger Transkription)
hebräisches Samek = alt-südarabisches S3 als Entsprechung postuliert, also
gerade nicht „z sonore", sondem (s.v.v.) „2 sourde" d.h. „deutsches z".'
' Diese ägjrptisch-berberische Gleichung bereits bei Oric Bates: The Eastem Libyans. London: Gass & Co. (1914) 1970, S. 82.
' Für „z sonore" hat Hommel (a.a.O.) vielmehr äg. t gehalten auf Gmnd einer Gleichung äg. st/ 'spinnen' = hebr. arab. S z r 'zwimen'. Auch dies ist zutref¬
fend, allerdings nieht als Urentsprechung, sondem als geradezu klassisches Bei¬
spiel einer alten Entlehnung aus dem Osten. — Hommel kann also keineswegs als Pate für die heutige ägyptologische z-Konvention beanspmeht werden. Eher
schon Alan Gardiner: Egyptian Grammar^. Oxford: (1927.) 1982, S. 27: „z,
much like our z". Durchgesetzt hat sieh diese Schreibung in der Ägyptologie auf diese Autorität hin und wohl zum Teil aus bloßem Pragmatismus (eines der häu¬
figsten ägyptologisehen Sonderzeichen, s, wurde dadurch überflüssig und „ein¬
gespart").
Schheßlich sei Klaus Baer zitiert (nach dem „paper" seines Vortrages: Com¬
patible phonems in adjoining positions within nominal and verbal roots of Old Egyp¬
tian, gehalten auf dem Münchener Ägyptologentag August 1985); das Ergebnis seiner Untersuchung betreffend die Phoneme ' und 2 resp. deren konventionelle Darstellung lautet: „. . . I am convinced that it badly misrepresents the phone¬
tic realities of Old Egyptian (as distinct from later stages of the language). The patterning of incomatibilities shows pretty clearly that ' and 2 are
J.
BiichfTbpsprpC'hnngon 385 Widersprochen werden muß dem Verfasser auch, wenn er (auf S. 190) Zusam¬
menhang zwischen äg. s n 'Bruder', naeh lioptischer Evidenz vokalisiert san,
und dem Bedja-Wort san 'Bruder' bezweifelt. Er glaubt hingegen an einen
Zusammenhang zwischen den äg. Wörtem für 'Bmder/Schwester', 'sich gesel¬
len' und '2', alle mit den Konsonanten s n; und ein entsprechendes „Umfeld"
scheint ja im Bedja zu fehlen. Das somal. san, auf das Verf anspielt, bedeutet übrigens nicht 'Bmder', wie er zu glauben scheint, sondem — 'Nase', und dazu gehört im Somali das Verbum sani- 'riechen' (transitiv), verwandt mit hausa sdnsanda 'riechen, schnüffeln' und sieher auch mit äg. s n 'riechen' und 'küssen', äg. s w s ra 'riechen' und 'sich gesellen'.^ Der prima-vista-Zusammenhang der ägyptischen Wörter ist also nicht so sicher, wie manche glauben; der Weg von 'riechen' bis '2' wäre ein bißchen weit. Und daß im äg. Laut s ur-sem.-ham. S;
(Pronomen s w), s-j (sp . t 'Lippe') undi (s n .wy '2') zusammengefaUen sind, ist sowieso sicher.
Nun hat den Verf aber noch die „Rekonstmktion" von gesamt-kuschit. 'Bm¬
der' bei Dolgopol'skij'' irregeführt. Er hat offenbar nicht gesehen, daß es sich bei D. nicht um „Wurzelrekonstruktionen" (V~i handelt, sondern um die „Sum¬
men" aus allen realen Erscheinungsformen der betreffenden Wörter (/), und solehe müssen natüriieh ganz anders aussehen, als unsere klaren semitistischen und ägyptologisehen konsonantischen „Wurzeln". D. hat ja auch selbst keinerlei Zweifel an der Zusammengehörigkeit der kuschitischen, ägyptischen und tscha¬
dischen 'Bmder'-Wörter, wie man bei ihm (a.a.O.) nachlesen kann. Diese ku¬
schitischen „Summae" bekommen besonders dureh die vielen und sehr bunten Agau-Dialektformen ein fremdartiges Aussehen, dennoch geht es auch hier nach strengen Regeln zu: bUin (agau) dän (nom. unit.) — zän (collect.) 'Bmder',
farda (nom. unit.) — fdriz (coli.) 'Pferd'.
Da im Bihn auch das s, des Kausativs zu d wird, körmen wir kuschitisch als
echte Wurzeln (radices, nicht summae) ansetzen: «; «,/ rs,. Auch Kuschitisch, auch Agau, sind selbstverständlich mit dem Ägyptischen vergleichbar und ver¬
einbar, dies ist aueh Dolgopol'skijs Ansieht. Nicht aber die Summen aher
Einzelentwicklungen aller Einzelspraehen.
Diese notwendigen kritischen Bemerkungen können freihch die Freude an
dem insgesamt bewundemngswürdigen Werk nicht beeinträchtigen.
Otto Rössler, Marburg
a) dentals,
b) share features with s,
c) are voiced and voiceless (or unaspirated and aspirated) phonems in the same position, and
d) are stops or affricates, not spirants."
Ein non liquet gegenüber Gleiehungen wie äg. c ra A to = hebr.aram. sl'm 'Heu¬
schrecken' oder äg. zwr/z w \ = herber, s w I 'trinken' auf Gmnd der z-Konven- tion ist also nicht angezeigt (dies besonders den Hamitisten ad notam).
^ Bruno Meissner: Der Kuß im alten Orient. Berlin 1934. (Sitzungsberichte
der Preußischen Akademie der Wissenschaften. PhU.-Hist. Kl. 1934, 23.)
'' A. B. Dolgopol'skij: Sravnitel'no-istoriieskaja fonetika KuSitskich jazykov.
Moskau 1973, S. 295-296. — D.s. „/" aus den kuschitischen Wörtem fiir 'Bm¬
der' ist {'A)z£Inm\
386 BiicherbespreohunKcn
Berhanou Abebbe [Hrsg.]: Haimanotä abäu k'äddämt. La Foi des peres an¬
ciens. 1: Texte ethiopien. Enseignement de Mamher Kefla Giyorgis, compose par Alaqa Kidana Wald Kefle, reeueilli par son diseiple Dasta Takla Wald, avec une introd. sur la vie et l'oeuvre de ces trois savants. Stuttgart: Steiner 1986. 287 S.
8° (Studien zur Kulturliunde. 79.) 64,- DM. ISBN 3-515-04168-0.
Unsere Kenntnis der neuzeitlichen Sektengeschichte Äthiopiens hat in jüng¬
ster Zeit durch die Veröffentlichung von sekteneigenen Schriften große Fort¬
schritte gemacht. Besondere Bedeutung kommt hier dem Werk von Yaqob
Beyene : L 'Unzione di Crista nella teologia etiopica. Contributo di ricerea su nuovi documenti etiopici inediti. Roma 1981 zu. Danach nahmen die drei Hauptsekten
Karroöö, K'abatoöö und S'ägga Lsgoöö in der Frage der Naturen Christi fol¬
gende Standpunkte ein':
1. Karroöö und S'ägga Lagoöö stimmen darin überein, daß die Gottwerdung Christi durch die Union der beiden Naturen erfolgt, während fiir die K'sbatoöö die Gottwerdung durch die Salbung erfolgt. Auch für sie findet eine mit der Sal¬
bung gleichzeitige Union statt, doch geht die Salbung der Union logisch, wenn auch nicht zeitlich, voraus.
2. Während also bezüglich des Zustandekommens der Gottwerdung Karroöö
und S'ägga Lagoöö gegen die K'abatoöö übereinstimmen, sind sich die Karroöö und K'sbatoöö im Gegensatz zu den S'ägga Lagoöö über das Resultat einig. Nach Karroöö und K'sbatoöö verschwinden durch die Union (Salbung) alle menschli¬
chen Handlungen, Gefühle und Bedürfnisse Christi. Die Bedingungen seiner
Menschlichkeit während seines irdischen Lebens sind mit denen seines glorifi¬
zierten Körpers nach der Auferstehung identisch. Gefühle wie Hunger während des irdischen Lebens entspringen nicht der Notwendigkeit einer menschlichen
Natur, sondem einem Willensakt. Für die S'ägga Lsgoöö dagegen bleiben,
obwohl die menschliche Natur Christi durch die Union deifiziert wurde, die
natürlichen menschlichen Bedürfnisse wie bei jedem Menschen bestehen. Den
S'ägga Lagoöö wurde deshalb Nestorianismus vorgeworfen.
3. Karroöö und K'sbatoöö stimmen weiterhin in der Annahme zweier Gebur¬
ten überein: die vom Vater in der Ewigkeit und die von Maria in der Zeit. Die S'ägga Lagoöö kennen dagegen drei Gehurten: vom Vater, von der Jungfrau und
vom Hl. Geist dureh die Salbung der menschhchen Natur. Die S'ägga Lsgoöö
werden deshalb auch Sost Lsdät genannt.
4. Die Beziehung Täwahdowoöö „Unionisten", die von einigen Gelehrten mit Karroöö gleichgesetzt wird, ist in Wirklichkeit eine Eigenbezeichnung aller drei Sekten im Gegensatz zu den Katholiken, da alle äthiopischen Christen an die Union der beiden Naturen glauben.
Die Hauptquelle für die Lehren der S'ägga Lsgoöö, die Beyene veröffent¬
hchte, stammte von Kaflä Giyorgis (1825-1908), auf den auch der jetzt von
Abebbe edierte Text letztlich zurückgeht. Kaflä Giyorgis war ein eifriger Ver¬
fechter der Lehren der S'ägga Lagoöö. Er mußte deshalb, als Kaiser Johaimes
diese Sekte 1878 auf dem Konzil von Borm Meda verdammen ließ, zu den
Katholiken nach Eritrea hieben und später nach Rom und Jemsalem gehen. In
' Die folgende Zusammenfassung der Darstellung Beyene 's weicht erheblich
von der bei Ernst Hammerschmidt: Äthiopien. Wiesbaden 1967, S. 114-5 ab,
der sich auf Mario da Abiy Addi': La Dottrina della chiesa etiopica dissidente sull'unione ipostatica. Roma 1956 bemft.
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Büeherbpspreohungen 387 Eritrea verfaßte er niclit nur 1883 den von Beyene veröffentlichten Text, son¬
dern beschäftigte sich aueh mit der Edition und Kommentierung von Bibeltex¬
ten' und lexikographisehen Arbeiten.
Im Gegensatz zu dem Text bei Beyene, der direkt von Ksflä Giyorgis stammt, hat der Haimanotä abäu k'äddämt einen längeren Überlieferungsweg. Es handelt sich um die Lehre des Ksflä Giyorgis, die sein Schüler aus seiner Jerusalemer
Zeit, Kidanä Wäld (1869/70-1944), erst lange nach dem Tode des Meisters
1941 in Dire Dawa wiederum seinem Schüler Dästa Täklä Wäld (geb. 1901) dik¬
tierte. Von diesem Manuskript wurde jetzt (kurz nach dem Tode Dästa Täklä
Wäld's) eine kalligraphische Abschrift hergestellt, die Abebbe mit einer vor
allem das Leben und die Anschauungen der drei an dem Werk beteiligten
Gelehrten besehreibenden Einleitung versehen im Faksimile veröffentlicht. Die¬
ser Edition soll als Band 2 eine Übersetzung und ein Kommentar in einer euro¬
päischen Sprache folgen.
Der Haimanotä abäu k'äddämt hat wie der von Beyene veröffentlichte Text
(dessen Titel Yä-S'ägga Ld^oii Bahi wurde offensichtlich von Beyene hinzuge¬
fügt) die Lehren der S'ägga Lsgoöö zum Inhalt. Beide Texte sind teUs auf Ga'az
und teils auf amharisch geschrieben. Während der Beyene 'sehe Text jedoch
eine gelehrte theologische Abhandlung ist, ist der Abebbe 'sehe durch zahl¬
reiche poetische Einlagen, Gebete und historische Partien aufgelockert. Es wer¬
den hier aueh nicht nur christologische Fragen, sondern auch andere Glaubens¬
artikel erörtert. Er vermittelt uns die Anschauungen von Anhängern der
S'ägga LagoöC also aueh in Problemen, die nicht unmittelbarer Streitpunkt zwi¬
schen den Sekten waren. Man darf der Übersetzung und mehr noch vielleicht dem Kommentar mit Spaimung entgegensehen.
Ewald Wagner, Gießen
Richard Pankhurst: History of Ethiopian Towns from the mid-nineteenth cen¬
tury to 1935. Stuttgart: Steiner 1985. 391 S., 1 Kt. 8° (Äthiopistisehe For¬
schungen. 17.) 126,- DM.
In kurzem Abstand läßt Richard Pankhurst dem ersten Band seiner äthio¬
pischen Stadtgeschichte (vgl. History of Ethiopian Towns from the Middle Ages to the Early Nineteenth Century. Wiesbaden 1982. (Äthiopistisehe Forschungen. 8.) nun den zweiten Band mit der Geschichte der äthiopischen Städte vom frühen
19. Jhdt. bis etwa zum äthiopisch-italienischen Kriege folgen. Schon für seine DarsteUung der mittelalterlichen Geschichte äthiopischer Städte, Heerlager
und Marktorte hatte Pankhurst nur wenige zusammenfassende Vorarbeiten;
umso mehr gilt dies fiir die jüngere Zeit. Geschichten einzelner Städte wie etwa Peter Phillips Garretsons unveröffentlichte phil. diss. A history of the City of Addis Abeba. London 1974 (s. Literaturverzeichnis S. 20; vgl. auch den wiehti¬
gen Aufsatz des gleiehen Autors in: BSOAS 41 [1978], 284-246: Some Amharic
Sourees for the Modem Ethiopian History, 1889-1935) und Friedrich Heyer:
Die Kirche in Däbrä Tabor. lErlangen 1981. (Oikonomia. 13.) (bei Pankhurst, ' Vgl. R. Cowt:.by: A Geez Prologue conceming the work of Mämhar Kaflä Giyor¬
gis on the text and interpretation of the Book of Ezekiel. In: Ethiopian Studies dedi¬
cated to Wolf Leslau on the occasion ofhis seventy-fifth birthday. Wiesbaden 1983, S. 99-114.
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388 [iiifh('rl)('sprochnng(>n
Literaturverzeichnis, S. 22 nicht aufgeführt) sind eher Ausnahmen. So ist dem Verfasser sehr zu daniien, daß er seine nunmehr fast dreißigjährige Arbeit im Bereich der äthiopischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mit dieser umfas¬
senden Darstellung eines wichtigen Themas fortführt. Das Literaturverzeichnis von 26 Seiten mit über 600 Titeln, das viele verstreute Aufsätze in abgelegenen Zeitschriften und unveröffentlichte Doktorarbeiten (besonders zu nennen sind
schwer zugängliche, an äthiopischen Universitäten entstandene Studien)
umfaßt, läßt den enormen Fleiß und die unermüdliche Zähigkeit beim Auf¬
suchen und Auswerten der Quellen ahnen. Diese sind oft Beriehte und Beschrei¬
bungen europäischer Forscher und Reisender. Freilieh treten dabei, wie aueh schon im ersten Bande, die nicht durch Übersetzungen in europäische Sprachen erschlossenen äthiopischen Originalquellen etwas zurück.
Zur Anlage des Literaturverzeichnisses eine kurze Anmerkung. Das mnemo¬
technisch vorzügliche, „nach den Grundsätzen der modernen Abbreviologie"
erstellte Zitiersystem bereitet beim Einlesen zunächst einige Mühe und
Gedächtnisarbeit. Diese Mühe des Lesers sollte belohnt und erleichtert werden dadurch, daß man in beiden Bändes des gleiehen Werkes gleiche Abkürzungen
verwendet; warum dann aber LesHar und LesDieHar, PaCultHist und PaEt,
PuNeg und PucNegad für jeweUs dieselben Bücher? Sicherlich ist es weiterhin viel verlangt, solehe Abkürzungen für alle Werke der Reihe „Äthiopistisehe For¬
schungen" zu vereinheitlichen, aber bei dem großen Grundbestand immer wie¬
der dort zitierter Fachliteratur wäre dies wünschenswert, sollten doch aueh die befolgten Grundsätze der Abbreviologie zu einem jeweüs identischen Ergebnis führen.
Das Werk ist in zwei zeitliche Absehnitte gegliedert: 1. From the rise of Tewo- dros to the founding of Addis Abeba (um 1886), 2. Late nineteenth and early twentieth century. Innerhalb dieser Perioden sucht der Verfasser, die Städte jeweils einer Region im Zusammenhang zu behandeln, wenn der chronologische Ralunen der Ereignisgeschichte dies zuläßt. Dies bedeutet für den ersten Teil, daß die Darstellung im großen und ganzen dem Lauf der politischen Reichsge- sehichte folgt. Gondär mit seinen letzten Schattenkaisem und mächtigen Rasen aus den Provinzen steht am Anfang (Stadt also zunächst einmal als Hauptstadt verstanden). Es folgen die versehiedenen Residenzen des Kaisers Tewodros bis zu seiner letzten Bergfestung Mäqdäla. Mit Kaiser Yohannas IV. und der Ver¬
schiebung des Reichsmittelpunkts in den Norden lag es nahe, die Besehreibung und die Geschichte Adwäs, Aksums, Asmaras, Massawas usw. anzuschließen.
Das Aufkommen Manilaks II. maeht Schoa im Süden zur zentralen Region des
Reiches; daher schließt der ersten Teil mit der Behandlung der schoanischen
Residenzen und Städte, letzthch mit der Gründung und frühen Geschichte von
Addis Abeba ab.
Für den zweiten Hauptteil läßt sich eine solche, durch den Lauf der politi¬
schen Ereignisse gegebene Linie nicht verfolgen. Er ist demgemäß ein nach
Regionen geordnetes, stadtgeschichtliches Lexikon, das mit Dase (Dessie)
beginnt und mit der Beschreibung von Addis Abeba im frühen 20. Jhdt. endet.
Hier werden in der Tat auch die chronologischen Grenzen der beiden Teile
zwangsläufig vemachlässigt. Es müssen Orte besprochen werden, die zunächst im chronologischen Rahmen des ersten Teils keinen rechten Platz fanden, und daher mit ilirer Gesamtgeschichte im zweiten Teil figurieren. Behandelt werden
auch die für Äthiopien äußerst wichtigen Häfen am Roten Meer, auch werm
diese nicht direkt zum Territorium des Reiches gehören.
Büchf'rb('S|)re(hii Ilgen 389 Die eonelusion (S. 354-363) stellt die Entwicklung der Städte in den Gesamt- zusammenhang der Geschichte Äthiopiens in dieser Zeit, zeigt die Abhängigkeit von der Zentralgewalt auf, die erst hn 20. Jhdt. durch die wirtschaftliche und
soziale Entwieklung und ein gewisses Eigengewicht der Kommunen gemildert
wird. Ein Index, in dem als Kreuzkatalog Namen und Realia verzeichnet sind,
rundet das Werk ab.
Der Autor bietet zahlreich Auszüge aus den benutzten Quellen. Kurz gesagt,
es ist positivistische Ereignisgeschichtsschreibung und Ortsbeschreibung im
besten Sirme. Die Darstellung ist flüssig und angenehm zu lesen, ohne theore¬
tische Überlastung. Dies entspricht dem Stande der Geschichtsforschung im
orientalistisehen Bereich, die ihre vornehmste Aufgabe immer noch darin sehen muß, die Quellen zu sammeln und sie thematisch und chronologisch aufzuberei¬
ten. Durch die Anordnung als Lexikon und das vorzügliche Register wird diese material- und kenntnisreiche Arbeit zu einem unentbehrlichen Arbeitsinstru¬
ment für jeden, der sieh des weiteren mit äthiopischer Geschichte in diesem Zeit¬
raum befassen will. Daneben sei es auch dem interessierten Laien empfohlen, der über die üblichen Reiseführer hinaus mehr über die Geschichte dieses anzie¬
henden afrikanischen Landes und seiner Plätze erfahren möchte.
Manfred Kropp, Heidelberg
WoLF-DiBTRiCH Fromm: Häufigkeitswörterbuch der modemen arabischen Zei¬
tungssprache. (Ein Mindestwortschatz), Arabisch-Deutsch-Englisch. Leipzig:
VEB Verl. Enzyklopädie 1982. 351 S. 8" (Modernes Arabisch.)
Das Erscheinen eines Wörterbuches der modemen arabischen Zeitungs-
sprache ist für Studenten, Lehrer und Freunde der arabisehen Sprache sehr will¬
kommen. Denn heutzutage ist das Lesen einer Zeitung ebenso wichtig wie das
Fülu-en eines Gesprächs in der erworbenen Sprache; beides, d.h. die gesamte
praktische Anwendung, bestätigt normalerweise das sinnvolle Erlemen einer
Sprache. Von großem Nutzen wird dieses Wörterbuch mit seinem bescheidenen Umfang für die Anfanger sein und wird sie gewiß noeb fiir eine weitere Strecke begleiten. Ein Mindestwortschatz (basic word list) von 2619 Wörtern ist naeh
dem modemen lexikostatistischen Verfahren ausgewählt worden. Dazu wurden
umfangreiche Stichproben bearbeitet, die 100000 Wortstellen umfassen und die einem Zeitraum von fünf Jahren und drei Regionen des arabisehen Sprachrau¬
mes entstammen: ÄgjToten, Syrien und Irak. Ausgaben der Tageszeitungen al-
Ahräm (Kairo), at-Tiärin (Damaskus) und at-Taura (Bagdad) wurden herange¬
zogen. Die thematischen Bereiche sind an dieser Auswahl folgendermaßen
beteiligt: „Intemationale Politik mit 20%, Innenpolitik mit 20%, gesellschaft¬
liche Gmndfragen mit 20%, Ökonomie (Industrie, Landwirtschaft und Handel)
mit 10%, Kultur einschließlich religiöser Themen mit fO%, Sport mit 5%,
Anzeigen in Textform, Rundfunk- und Femsehprogramme, Wetterberichte mit
5%. Nicht berücksichtigt wurden Zeitungskopf Kleinanzeigen, Bildreklamen und Untertitel von Karikaturen" (Vorbemerkungen, S. VI). Das Ergebnis ist ein
nach dem Häufigkeitsprinzip glücklich ausgewählter und brauchbarer Gmnd¬
wortschatz. Die Häufigkeitsliste (S. 1-106) mit ihren 2619 Wörtern macht
natürlich den Hauptteil des Wörterbuches aus. Die Wörter sind naeh Rängen geordnet und mit Angaben zur relativen und kumulativen Häufigkeit versehen.
Zeitschrift der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft Band 137, Heft 2 (1987)
© Deutsche Morgenländische Gesellschaft e. V.
390 Bücherbesprechii ngpn
Im zweiten Teil (S. 107-297) folgt die alphabetische Liste, in der die arabi¬
schen Wörter alphabetisch in deutscher und englischer Sprache geordnet sind, wobei der Häufigkeitsrang angemerkt ist. Den dritten Teil (S. 299-351) bildet die Liste der Wurzelhäufigkeiten. Dort werden 172 Wurzeln nach dem Prinzip ihrer abnehmenden Häufigkeit geordnet und ihre im Wörterbuch enthaltenen Ableitungen aufgeführt.
Vergleicht man dieses Wörterbuch nut der von Brill' im Jahre 1940 zusam¬
mengestellten Liste von 136.000 Wörtern aus den Tageszeitungen al-Ahräm
(Äg3T)ten) und Filistin (Palästina) in den Jahren 1937-1939, so stellt man fest,
daß der Mindestwortschatz von Brill (aueh von Jacob Landau' vom Jahre
1959) in seinem Bestand größtenteüs veraltet ist und daß die Zusammenstel¬
lung eines neuen, naeh dem heutigen Sprachgebrauch aktuellen Mindestwort¬
schatzes gerechtfertigt ist. Auch die Sammlung von 3.025 Wörtem (al-Mufradät aS-Sä'i'a fi l-luga al-'arabiya), die Däwüd 'Atiyya 'Abduh, am Institut für die arabische Sprache an der Universität Riad, 1979 veröffentlichte, enthält die bei¬
den Listen von Brill und Landau und zwei andere' und ist insofem unbrauch¬
bar, als es sich hier lediglich um den Wiederabdrack von alten Listen und keine
neue Sammlung mit Bearbeitung und Verwertung von Stichprobenmaterial
nach dem modemen lexikostatistischen Verfalu-en handelt.
Rez. hat die vier Listen von 'Abduh mit der Häufigkeitsliste von Fromm'' verglichen. Bei beiden Autoren umfassen die Buchstaben Alif und Mim an Wör¬
tem ca. ein Drittel der Häufigkeitsliste (bei Fromm Buchstabe Alif 4:38, Buch¬
stabe Mim 484; bei 'Abduh Buchstabe ^4^/602, Buchstabe Mim 312). Das hegt
daran, daß die Infinitive der Stämme 4, 7, 8 und 10 unter Buchstabe Alif, die
Partizipien unter Buchstabe Mim aufgenommen sind. Zählt man die Wörter
unter den Buchstaben Tä', Sin und 'Ain dazu (zu Alif und Mim), so ist unter die¬
sen fünf Buchstaben ca. die Hälfte der Wörter in der Häufigkeitsliste der beiden Autoren registriert. Bei genauer Betrachtung jedoch läßt sich der Unterschied deutlich erkennen. So zählt Rez. bei 'Abduh lediglich 109 Wörter, die in der
Häufigkeitshste bei Fromm nicht aufgenommen sind, wie z.B.: ibtasama,
ibta'ada, at'aba, atnä, ahäfa, ihtäla, ihtaqara, ihtafa?a, ahdata, ahdara, ihtara'a, arSada, a^^ara, ista'^ara, ista'dana, istahaqqa, istahra^a, ista'äna, istaulä, iSta- gala, iStamala, iStahara, i'tadara tarhib, tadhiya, taufiq, mahahba, muhsin, mas¬
laha, muqaddas, malak, malik. Viele dieser Wörter tauchen in einer Tageszeitung selten auf Es sind jedoeh einige wichtige Wörter bei 'Abduh, die bei Fromm fehlen, z.B.: muUj,aq (= Attache, Supplement), mu'arrih (= Historiker), i'tiräd (= Anspmch Erheben), iktifä', iltimäs, intidäb, intiqäm. Der umgekehrte Ver-
' M. Brill, in Collab. with D. Neustadt and P. Schusser: Basic word list of
Arabic daily newspaper. Jemsalem: Hebrew Univ. Pr. 1940.
' Jacob Landau: A word count of modem Arabic Prose. New York: American
Council of Leamed Societies 1959.
' Die dritte Liste stammt von Fähir 'Äqil (Damaskus 1953) und die vierte von 'Abduh sefbst (zuvor unveröffentlicht).
'' Auf diesem Gebiet vgl. von dem Vf auch noch: Wolf-Dietrich Fromm:
Eine lexikostatistische Beschreibung arabischer Zeitungstexte unter dem Aspekt der lexikalischen Entwicklung im modemen Arabisch. In: Arabische Sprache und Lite¬
ratur im Wandel = Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität HaUe-Wittenberg 1979/42 (19), S. 114-124.
Büoherbpsprpchiingpn 391 gleich zeitigt ein erstaunliches Resultat: Rez. zählt bei Fromm 273 Wörter, die in die Häufigkeitsliste von 'Abduh nicht aufgenommen sind, z. B. i^rämi, ijmäli, istitnä'i, istirätiti^i, istihläki, i'läm, iskän, äli, iliktrüni, infitäh, in'iqäd, inhifäql, inhiyär, insäni, i^äbi, tafärmi4, tahfit, tahalluf, tadrigi, tad'im, tarSih, tarkiz, toßUh, taslim, taswiq, taShiß, ta^nid, tahrid, tahrib, taqlidi, taqaddumi, taktik, tiknülü^iya, tamwil, tansiq, tanäzul, tanäfvs, tanäqud, tanfidi, mabda'i, mutaharrir, mutahas-
mutatawwir, muräsil, madbaha, mu'äsir, mu'iddät, mi'märi, munaz^ama, muwä^aha, maudü'i, ^ämi'i, §umhüri, ^auhari, ra'simäli, dauli, ra^'i, salbi, Sa'bi.
Es handelt sich also um Wörter, die aktuell und zeitgemäß sind, besonders die unentbehrlichen Nisba-Wörter aus den technischen, wirtschaftlichen, politi¬
schen und geseUschaftlichen Bereichen.
Rez. hat das Wörterbuch drei Semester lang in seinen Veranstaltungen (Ara¬
bische Zeitungslektüre und Übersetzungsübungen) an den beiden Universitä¬
ten Gießen und Marburg getestet. Ausschnitte aus vier Tageszeitungen (al-Ah¬
bär und al-Ahräm aus Agj^aten, aä-Sarq al-Awsat aus Saudi Arabien und al-
Qabas aus Kuwait) wurden gelesen und übersetzt. Mit Hilfe dieses Wörterbu¬
ches wurde der Text mit 60-80 % abgedeckt. Dieses Ergebnis ist in Anbetracht des bescheidenen Umfangs (Grundwortsehatz!) zufriedenstellend. Rez. sehlägt fiir die nächste Auflage die Aufnahme von noeh 381 Wörtem vor, um den Gmnd¬
wortschatz auf dreitausend Wörter zu erweitem. Zum Beispiel ist das Wort
maudü'iya (= Objektivität) aufgenommen, das Wort dätiya (Subjektivität) hätte
um der Symmetrie willen aufgenommen werden sollen, — auch wenn dieses Wort
offensichtlich nicht das Häufigkeitskriterium erfiUft. Deshalb wurden wichtige Wörter wie z.B.: taukil (= Vollmacht) , infi^äli (= separatistisch) , infi^äl (= Tren¬
nung), ta'rifa (= Tarif), takrir (al-bürül) (= Erdöl-Raffinerie), minka (= Stipen¬
dium), irhäb (= Terror), hizbiya (= ParteUiehkeit), muddaharät (= Ersparnisse), {qanün) al-iddihär (= das Spargesetz), taräkum {= Akkumulation) usf nicht auf¬
genommen. Auf S. VI der Vorbemerkung heißt es: „Eingang in die Häufigkeits¬
liste fanden davon nur die Wörter, die mit einer absoluten Häufigkeit von min¬
destens 3 (F > 3), verteUt auf alle drei Sprachregionen ..." Wegen der strikten
Anwendung dieses Kriteriums wurde eine beträchtliche Anzahl von Verben
nicht aufgenommen, während ihre Infinitive schon angegeben sind, z. B. : itta¬
hada, ittasala, ihta^^a, ihtakara, hakama, ista'adda, i'taqala, i'tadä, algä, in- tahaba, intasara, au^ada, ta'attara, ta'akkada, tabädala, tabarra'ausf. Umgekelirt sind Verben vorhanden, deren Infinitive fehlen, so z. B. : ittibä', ittihäm, ihtitäm, imtiyäz, isä'a, isti'räd usf Dies ist zwar relativ wenig. Doch die Symmetrie und Vollständigkeit werden in gewisser Weise beeinträchtigt. Ebenso bedürfen die Bedeutungen mancher Wörter der Ergänzung. Das Verb asä'a z. B. steht in der Bedeutung von „verderben, schlecht handeln" (S. 115). Diese Variante hängt zusammen mit dem Ausdmck asä'a al-istihddm, asä'a al-isti'mäl (= falsch benut¬
zen, verkehrt gebrauchen) und asä'a at-tasarruf (= sehlecht handeln). Noch
wichtiger und geläufiger ist die zweite Variante mit der Präposition ilä in der Bedeutung: beieidigen, verietzen, kränken. Das Wort itläq kommt im Sinne von
„Freilassung, Freisetzung, Eröffnung" (S. 122) vor. Noeh gebräuclUicher ist das Wort hinter der Präposition 'alä in der Bedeutung: vöUig, absolut. Das Wort ista'rada hat neben der Variante „darlegen, sich vor Augen führen" (S. 117) eine zweite in der Bedeutung: Parade abnehmen.
Diese kritischen Bemerkungen werden aber nicht den guten Gebrauchswert dieses Wörterbuches beeinträchtigen.
Said Abdel-Rahim, Gießen
392 Bücherbesprechungen
Hans-Rudolf Singer: Grammatik der arabischen Mundart der Medina von
Tunis. Berhn, New York: de Gruyter 1984. 738 S. 8°
Naeh wie vor bleibt es eine wichtige Aufgabe der arabischen Dialektologie, die
sprachliche Situation in den arabischen Metropolen zu untersuchen und zu
dokumentieren. Der Prozeß der Urbanisierung, der sich in den letzten Jahrzehn¬
ten dramatisch beschleunigt hat, maeht es dabei notwendig, den Sprachformen
der älteren städtischen Gruppen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um
Richtung und Ausmaß des Sprachwandels überhaupt erfassen zu können. So ist
es sehr zu begrüßen, daß hier noeh einmal eine umfassende Bearbeitung des
Muslim-Dialektes der Medina von Tunis vorgelegt wird. Das sprachliehe Mate¬
rial wurde im wesentlichen bereits in den Jahren 1958-63 gesammelt. Ange¬
sichts der Tatsache, daß der Anteil der Alteingesessenen an der Gesamtbevölke¬
rung von Tunis mittlerweile nach Singers Angaben kaum noeh zehn Prozent
beträgt und die Häuser der Innenstadt mehr und mehr an Neuankömmlinge ver¬
mietet werden, gewinnt die Arbeit selbst sehon so etwas wie historischen Cha¬
rakter. Bedauerlich erseheint dabei die lange Verzögerung der Publikation: aus
dem Vorwort (S. X) geht hervor, daß das endgültige Manuskript bereits 1976
dem Verlag übergeben wurde, und daß auf Arbeiten wie D. Cohen: Le Parier des
Juifs de Tunis. The Hague 1975 und F. Talmoudi: The Arabic Dialeet of Süsa
{Tunisia). Göteborg (1980) nur in Einzelfällen eingegangen werden konnte.
Zu der ausführliehen Bibliographie (S. XXI-XXVIII) wären folgende Titel zu
ergänzen: Ph. Mar^ais: Esquisse Grammaticale de VArabe Maghrebin. Paris
1977; M. Maamouri: The Phonology of Tunisian Arahic. Ph. D. Corneh Univ.
1967: F. Talmoudi: Texts in the Arabic Dialect of Süsa (Tunisia). Göteborg 1981; ders.: Notes on the Syntax of the Arabic Dialeet of Süsa. In: Zeitschrift für
arabisehe Linguistik 12 (1984), S. 48-85; J. Hbath/M. Bar-Asher: A Judeo-
Arabic Dialeet of Tafilalt (Southeastem Morocco) . Ebda 9 (1982), S. 32-78; fer¬
ner, von Singer selbst ebda 7 (1982), S. 94 erwähnt: A. Attia: Description pho¬
nologique du parier arabe de Mahdia (Tunisie). In: Cahiers du Ceres, S6rie Lin¬
guistique, 2: Travaux de Phonologie (Tunis 1969), S. 115-138.
Die sprachliehe Beschreibung ist auf jeder Ebene mit eine Fülle von Belegen untermauert. Affektive Sprachformen und stilistische Varianten werden in rei¬
chem Maße berücksichtigt. Besonders stark wird auf Eigenarten der Frauen¬
sprache eingegangen, deren partielle Übernahme dureh Kinder, aber auch
dureh männliche Sprecher der bürgerliehen Schicht recht auffällig erscheint (S. 28; 170 Anm. 84; eine Art „Muttersöhnehen"-Phänomen1).
Eine längere Einleitung umreißt die Position und Charakteristik der tunesi¬
schen Mundarten. Nach seinen eigenen Worten (S. 4 Anm. 4) folgt der Autor
hier im wesentlichen W. MAR9AIS und seiner Einteilung in Ansässigen-Mundar¬
ten (wobei zwischen Stadt- und Dorf-Mundarten unterschieden wird) und Bedui¬
nen-Mundarten. Die ersteren gehen danach letztlich auf den Stadt-Dialekt von Qairawän zurück (S. 9, 17). Die Beduinendialekte teilen sich in zentraltune¬
sische (H = „hilalisch") und die des Südens und der Küstengebiete (S = „sulaimi- tisch"). Auf die weiter differenzierte Einteilung der Ansässigen-Mundarten, die Talmoudi (1980, S. 180-86) bietet, wkd lediglich im Vorwort (S. X) hingewie¬
sen.
Im letzten Abschnitt der Einleitung (S. 31-36) legt Singer dar, daß er im Interesse der Überprüfbarkeit seiner phonologischen Beschreibung einer engen, phonetischen Transkription den Vorzug gegeben hat; er verwendet das sehr dif-
Zeitschrift der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft Band 137, Heft 2 (1987)
© Deutsche Morgenländische Gesellschaft e.V.
Büc'horbosproc'hungcn 393 ferenzierte System von W. Mar^ais, das seiner Ansicht nach den tunesischen Dialeliten am besten entspricht, und greift nur in Einzelfällen auf eine „phonolo¬
gische" Umschrift zurück. Es seheint aber, als ob er sieh hier einige vermeidbare
Schwierigkeiten selbst geschaffen hat. Seine Transkription wird dadurch
„kopflastig" und ungenau, daß er in ihr nieht selten morphonemische Angaben mit eng phonetisehen verbinden wih. Dies wird an der Behandlung von auslau¬
tenden Geminaten besonders deutlich. So schreibt er z.B. Säd'', iSgd'' (S. 351), erklärt jedoch an anderer Stelle (S. 209), daß die (auslautende) Doppelkonso¬
nanz zwar phonologisch erhalten bliebe, daß für die SUbenstruktur jedoch nur
mit einem Konsonanten gerechnet werden dürfe. Daraus geht hervor, daß pho¬
netisch ein einfacher Konsonant vorliegt; das zweite Element stellt damit nur eine Art morphonemisch/phonologischer „Lesehilfe", einen unklaren Kompro¬
miß dar. Andererseits schreibt er hdi „lebendig" (S. 498), obwoiU es „im syn- eiu'onen System als dreiradikalig" gUt und (S. 468) unter den üTaÄX-Adjektiven aufgeführt ist. Eine „Lesehilfe" scheint auch in Fällen wie ""xdl, nvf'x^lu (S. 104) vorzuhegen; man kann sich nur sehwer vorstellen, daß hier noch ein phoneti¬
sches [d]-Element zu hören sein soll, zumal er daneben Formen wie tqiq < dqtq, tSür < dSür anführt (S. 62). Ebenso bleibt die tatsächliche phonetische Quantität seiner als mittellang beschriebenen Vokale (v, gegenüber v und i) manchmal unklar, z.B. bei nachtonigen auslautenden Längen, die „fast immer halblang bis kurz" reahsiert werden (S. 178), aber immer durch v wiedergegeben sind.
Das ohnehin reichhaltige System der Vokalzeiohen wird dureh eine gemein¬
same Notierung e für die /i/-Varianten g und o nicht einfacher, sondem eher noch komplizierter. Femer treten an einigen Stellen die Zeichen i (S. 132, 458, 468) und o (S. 317) auf die anseheinend y und w entsprechen, aber weder in der
Transkriptionstabelle S. XXXI-XXXIV noeh in der Lautbeschreibung zu fm¬
den sind.
Die mangelnde Trennung der morphonemisehen und der phonetisehen Ebene
kommt besonders im Gebrauch des Zeiehen ' zum Ausdmck. Einerseits bezeich¬
net es in der phonetischen Umschrift „die Existenz einer nieht-sonantisehen Silbe" (S. XXXII), wie bei W. Mar^ais: Textes Arabes de Tanger. Paris 191 f, S. XV, ohne Vokalelement und unbetont (S. 210 Anm. 8), andererseits wird es in der phonologischen Beschreibung liir „sekundäre Vokale (bedingte Sonanten)"
verwendet, aueh wenn sie betont sind (S. 222 Anm. 15). Der vokalische Charak¬
ter bleibt jedoch auch auf dieser Ebene nieht selten unklar. Einmal (S. 252) wer¬
den Formen der Pronominalreihe mit /-l-/ phonologisch als /-Tha, -"Ina/ etc.
gewertet, später jedoch (S. 625) als -/i/Uiä, -/i/lnä etc. geschrieben, was eine Basisform /-ilha, -Una/ etc. nahelegt. Andererseits sind aueh in der phoneti¬
schen Umschrift Formen mit Ix'timtem ' anzutreffen: nriiiiek (S. 297), l~bdä (neben t^tidä) (S. 317), siii''S, /«-"'/'(S. 577. beide unter den/i7-Pluralformen auf geführt!), ir'llä neben utlä (S. 580), b'.sm^ltä (S. 734). Es bleibt offen, ob in die¬
sen Fällen ein Vokalelement eintritt oder nicht. Diese Ambivalenz im Gebrauch von ' scheint übrigens bereits auf W. Mab^ais selbst zurückzugehen: in Textes Arabes de Takrouna. Paris 1925 (I, S. XLIV) wu-d es aueh für betonte SUben ein¬
geführt, wobei er allerdinfjs jeucils den Konsontanten 'en fonction vocahque' eigens bezeichnet (z.B. r's, s'llä).
Die Lautlehre macht ein knappes Drittel des Buches aus (S. 37-249). Die
Phonologie (S. 37-94) beschränkt sieh dabei im wesentlichen auf die Beschrei¬
bung der Laut-Oppositionen und ihrer Aufhebung in einzelnen Fällen, sowie der
Distribution der Vokalphoneme. Fragwürdig erscheint dabei die Wertung
394 Büeherbesprochungon
„/vokalischer Einsatz/" als selbständiges Phonem (S. 60); dieser ist wohl eher als Teil der Anlaut-Variante bei den Vokalphonemen zu sehen. Die Darstellung der Emphase (8. 85-94) beleuchtet auch die diachronen Probleme der Emphati¬
sierung und des Emphase-Verlustes und ist in dieser Hinsicht äußerst umfas¬
send und instruktiv.
Die historisch-kombinatorische Lautlehre (8. 95-206) verbindet die Beschrei¬
bung der synchronen Lautvarianten mit sprachhistorischen Angaben, wobei die Bezüge zu historischen Ausgangsformen eindeutig im Mittelpunkt des Interes¬
ses stehen. Dies ght flir den Konsonantismus (8. 95-140), aber aueh fiir die Vokale (S. 140-82), bei denen jeweils der Vergleich mit dem Altarabischen der Beschreibung der Lautvarianten und ihrer Umgebung vorausgeht.
Viele fiir die arabischen Dialekte bedeutsamen diachronen Probleme werden dabei sehr überzeugend behandelt (insbesondere die Entlehnungen aus anderen Sprachen und ihre lauthche Adaptierung). Manches dürfte nicht unumstritten bleiben. Dies gilt besonders für Singers These, Aar. i und u hätten — vielleicht bereits im Neuarabischen — ihre phonologische Oppositionsfunktion verloren (ohne allerdings in der Aussprache unbedingt zusammenzufallen) , und der pho¬
netische Gegensatz hätte erst später wieder phonologischen Wert erhalten
(S. 150f ). Zu diesem Schluß bringt ihn die offenkundige Neuverteilung, die sich an vielen Beispielen belegen läßt; fiir Tunis etwa an /duhk/ „Lachen" — aar.
dahk/dihk, /fudda/ „Silber" — aar. fidda (8. 155); /'irs/ „Hoclizeit" — aar. 'urs, /zibda/„Butter" — aar. zubda, /sibha/ „Rosenkranz" — aar. subha, /^imla/ „Ge¬
samtheit" — aar. ^unda, /4ibba/ „Männergewand" — aar. ^ubba, /Sibbäk/ „Fen¬
ster" — aar. Subbäk, /dinya/ „Diesseits" — aar. dunyä (S. 156).
Die Annahme wird jedoch m. E. dadurch unhaitbar, daß in Tunis ganze Form- kfassen in ihrem Vokalismus genau dem Altarabisehen entsprechen. So ist der Vokal bei den Brucfizahlen füi unabhängig von der Lautumgebung einheitlich erhalten (S. 618f: tlüt, rbö\ xmüs, sdüs etc.; einzige Ausnahme S. 506 ßm'"
neben der Normalform tmün), ebenso bei /wZ-Pluralformen (8. 154: ktüb
„Bücher", zdüd „neu (PI.)", ähür „Monate") und den Schemen/«"äi,/w'/än und fu'lul (S. 153). fi"äl und fu"äl sind als getrennte Formkategorien erhalten
(8. 540: /kittän/ „Leinen, Flachs" — S. 541 /kuttäb/ „Koranschule").
Es ist femer kaum vorstellbar, wie sich die dem Aar. entsprechenden Opposi¬
tionen /qissa/ „Geschichte" — /qussa/ „abgeschnittene Locke", /qiha/ „geringe Anzahl" — /qulla/ „eine Kmgart", /sinna/ „Zahn" — /sunna/ „traditionelles Verhalten", /tis'in/ „neunzig" — /tus'in/ „zwei Neuntel" (Beispiele alle 8. 67) erst sekundär wieder gebildet haben sollten, nachdem sie eine Zeitlang aufgeho¬
ben waren.
Dagegen macht es keine Schwierigkeiten, Prozesse des Lautwandels bzw.
Lautwechsels anzunehmen, die nur einige Formkategorien erfaßt haben, andere
aber nieht. Die Entwieklungen auf dem Gebiet der Silbenstmktur machen dies
sehr deutlich. So ist die Umgestaltung von aar. fu'l zu füi bei den Bmehzahlen vollständig (S. 618f), bei den Substantiven jedoch von der Lautumgebung abhängig (S. 165); bei Verbalsubstantiven ist sie ganz unterblieben (S. 165, 419). Damit ist hier eine Aufspaltung in drei Formklassen (füi, fu'l ~ füi, fu'l) eingetreten. Ähnliches dürfte auch bei den Kurzvokal-Phonemen vorliegen.
Bemerkenswert erscheint allerdings eine Tendenz zum partiellen Zusammen¬
fall von / i/ und /u/ : für /u/ tritt in bestimmten Umgebungen die Variante u auf, die sonst zu /i/ gehört (vgl. S. 157f , 161 f ). Dies wird jedoch auch von Singer als eine neuere Entwicklung angesehen.
Bücherbesprechungen 395
Bei der Behandlung von Silbenstrulitur und Akzent (S. 207-249) wird für
Tunis der bedeutsame Nachweis geführt, daß im Gegensatz zu Dialekten wie
Kairo oder Bagdad, bei denen jeweUs ein einheitlicher Typ der Cluster-Tren- nung vorliegt (KKK >l.KKvKhzv/. ll.KvKK), mehrere Trennungstypen neben¬
einander auftreten (S. 216f ): /yiktbu/ > yikt'hu — yik'-tbu — yik't'bu (selten);
yürq''du neben türüqdu, in rascher Rede auch (S. 214) ' Ui-nrüqdu-ßhä, ja sogar irüqöd (von Singer als /yrüqud/ gewertet!) neben yürqüd; e'dr'^a neben id'r'a
„Unterarme" (S. 217).
Die Trennung kann häufig auch unterbleiben: (S. 217) yübsu, yixdmu;
(S. 218) elkbir neben lekbir.
Das afles bestätigt die Feststellung von H. Stumme über „ächte eingeborene Stadttuniser", man könne bei ihnen ein- und dasselbe Wort innerhalb von fünf Minuten in drei- bis vierfach verschiedener Fassung zu hören bekommen (Gram¬
matik des tunisischen Arabisch. Leipzig 1896, S. IV).
Diese Vielfalt läßt jedoch Singers ausführlich begründeten Ansatz nichtso¬
nantischer Silben K' und K'K a\s zugrundeliegender Formen (S. 210f) über¬
flüssig erscheinen. Die Variation zeigt vielmehr, daß die Silben- und Akzentver¬
teilung größtenteUs rein phonotaktischen Charakter hat und im Bereich der
morphonemisehen Basis noch gar nicht anzusiedeln ist. Damit löst sich auch das Problem der silbenstrukturbedingtcn Vokale („Seheinsonanten" oder „bedingte Sonanten", S. 212 ff., in der älteren Literatur häufig auch als „Sproßvokale"
bezeichnet) , die zwar nicht zur Basis gehören, aber als phonotaktische Elemente durchaus ihren Platz im sprachlichen System besitzen.
Daß die Vermischung von historischen und synchronen Gesichtspunkten zu
unscharfen, ja unzutreffenden Aussagen führen kann, zeigt sich bei Singers
Ansatz von Morphophonemen des Typs K'K'^vK^/K'vk'K^ gemeinsam für
Grundstämme des starken dreiradikaligen Verbs und der einfachen Nominal¬
stämme (S. 241), der an sieh voilauf berechtigt erseheint, da die Alternation bei Verben und Nomina in ganz ähnlicher Weise auftritt. Es ist jedoch fragwürdig, K'vK^^ in diesem Zusamenhang als die „ältere — etymologisch vorauszuset¬
zende — berechtigte Form" zu bezeichnen. Für die Verbalstämme trifft dies ein¬
deutig nicht zu. Morphonemische Basis und historische Ausgangsform sind zwar häufig isomorph (vgl. auch H. Blanc: The Arabic Dialeet of the Negev bedouins.
Jerusalem 1970, S. 120 Anm. 15), aber nicht notwendigerweise identisch.
Bei der Bohandiung des Akzentes (S. 245-49) wird auf Akzentschwankungen hingewiesen (S. 248), u.a. auf das gelegenthche Festhalten an der betonten Silbe auch bei Suffixantritt (der an sieh Akzentverlagerung hervorruft), wie in sdiyidnä „unser Herr", neben syidnä in rascher Rede, ndxüdhä „ich nehme sie"
statt ndxudhä (S. 249, bei Singer irrtümlich „wir nehmen sie").
Die Formenfehre (S. 250-738) ist unterteilt in Abschnitte über Pronomina (S.
250-297), Verben (S. 298-404), Verbalnomina (S. 405-430), Nomina (S. 431-
607), Zahlwörter (S. 608-620), Partikeln (S. 621-711) sowie Ausdrücke für
Bejahung, Vemeinung, Frage und Ausmf (S. 712-738).
Als Pronominalsuflix-Reihen mit /-l-/ sind aufgeführt /-Ii-, -lik, -lu, -lha/ etc.
naeh Vokal, /-Ii, -lik, -lu, -Tha/ etc. naeh Konsonant (S. 252 f). NachS. 706 xir- (llek „besser für dich" neben xtr-lek wäre hier wohl eine weitere Reihe zu ergän¬
zen (/-iUik/ etc.)
Als Relativpronomen ist /mä/ z.T. noch in Gebrauch (S. 276), z.B. mä-'ändi mä-nqüüek „ich wüßte nieht, was ich dir zu sagen hätte". Dies wurde auch schon
von Stumme registriert (Tun. Gramm. S. 121 f).
27 ZDMG 137/2
396 Bücherbcsprcchungon
Bemerkenswert und äußerst plastisch sind die Belege für die Elativ-Konstruk¬
tion (S. 278f.).
Beim Verbum geht die Beschreibung der Aspekte, Hilfszeitwörter und Modal¬
ausdrücke (S. 298-320) der Behandlung der Flexion voraus. AuffäUig erscheint dabei der affektive Gebraueh des Partizips im ll. Stamm mit PronominalsufTix in rhetorischen Fragen, zu übersetzen als „was bringt mich/dich etc. dazu, . . ., warum sollte ich . . ., warum muß er auch . . .„ o. ä., z. B. äS-mqä"adni bähdahum
„warum sollte ich mich unbedingt zu ihnen setzen?" (S. 307).
Schwierigkeiten bereitet Singer erklärtermaßen die Analyse der Perfekt-Suf¬
fixreihe für die Verben II w, y (S. 320f ). Einerseits definiert er hier das Perfekt- Morphem als identisch mit der Form 3. Sg. m., wobei sich die Reihe /rmä/ „er
warf — /rmä-t/ — /rma-yt/=/rmit/ — /rmä-u/ — /rma-ytu/=/rmitu/ — /rma-
yna/=/rmina/ ergibt (Diphthonge in der Spraehe der Frauen). Andererseits stellt er fest, daß für die Sprecher das Morphem in den ersten und zweiten Perso¬
nen offensichtlich synchron /rm-/ laute; dies könne aber nach der getroffenen Definition nicht für die 3. Sg. m. gelten. Dieses Problem der synchronen Beschreibung erscheintjedoch auflösbar durch den Ansatz von Stamm-AUomor- phen /rmä/~ /rm-/ (vor V) und einer Sufiixreihe /-o, -ät, -ayt/-it, -äu/ etc.
Umfassend und gründlich werden die Grundstamm-Typen des starken Verbs
dargesteUt (S. 331-351), bei denen in Tunis und in anderen tunesischen Dialek¬
ten eine besondere Vielfalt herrscht. Wie Singer darlegt, ist die Lautumgebung
dabei nieht in allen Gruppen gleichermaßen wirksam (S. 347). Perfekt- und
Imperfektvokale scheinen sich häufig gegenseitig zu bedingen. Ob seine
Annahme, die Verben der fdl-yuful-Gmppe hätten Perfekt- und Imperfektvo¬
kal aus dem Altarabischen ererbt, auch fiir Sräb-yüSrüb gilt, das als Paradigma dient (S. 338), dürfte jedoeb fraglieh sein. Überhaupt vermißt man einen Hin¬
weis auf die Entwicklung der altarabischen fa'ila- und/a'«ia-Kategorien, deren
Funktion offensichtlich vom XI. Stamm fäl-yifäl übernommen wurde (er dient
laut S. 392 f zur Bezeiehnung „des Werdens, des Zunehmens einer Eigenschaft, nicht nur von Farben und Gebrechen, sondern der verschiedensten physischen und seehschen Qualitäten"). Das Nebeneinander von smdn-yismän und snän- yisnän „(zu) dick, fett werden" (S. 396), sowie d'äf-yed'qf (S. 396) und d'of- yud'öf{S. 346) „schwach werden", macht dabei deuthch, wie die Umkategorisie- rung zustandegekommen sein könnte; die Perfektformen der i./2. Sg./PI. lau¬
ten bei diesen Verben in Grundstamm und XI. Stamm identisch (smint, d'öfl
etc.). Der Ansatz von faw/yil als Grundform für bdt-lätt-ibdt „übernachten", näm-mmt-inüm „schlafen" (S. 359) erscheint insofern erstaunlieh, als die Kate¬
gorie fa'il bei den starken Verben nicht auftaucht.
Die Abschnitte über die Verbalnomina und das Nomen sind besonders reich
an Belegen zu allen Aspekten des Nominalsystems. Bezeichnend erseheint dabei die Entwieklung von fa'Iän (< fa'alän) zur Normalform der Ma§dar, in Tunis anders als etwa in Djidjelli nicht nur bei II gem., II w, y und III w, y, sondern gerade bei starken Verben (S. 423). Dies hat seinerseits dazu geführt, daß die /a'iän-Adjektive zu fi'län ~fu'län abgewandelt wurden (S. 75f , 423, 551). Ein
weiteres schönes Beispiel iür das Zusammenspiel von lautlicher und morpholo¬
gischer Entwieklung.
Interessant ist das aus dem Franzöischen übernommene Suffix /-ist/, das
scherzhafte oder abwertende Bedeutung hat und aueh bei arabischen Nominal¬
stämmen vorkommt: xübzist „einer, der nur auf den Broterwerb aus ist . . .", dintst „wer . . . übertrieben fromm tut", Süglist „Gewerkschafter" (S. 562f).
Biicherbesprpchiingcn 397 Auch das Verb mannek „(Zug) verpassen" ist französicher Herkunft (manquer, S. 668); ebenso stellt bä^a näwwäl „Weihnachtsmann" eine Adaption des franzö¬
sischen „pfere Noel" dar (S. 678).
Unter den Pluralformen fallen auf: "ffäm neben fwam, zu füm"' „Mund (S. 582;
zur Anlaut-AssimUation bw/fw/mw > 'bb/'ff/'mm siehe S. 189f ); neben ktub
„Bücher" (S. 576) auch ktübbä (S. 580f , nur mit Pronominalsuflfixen) und uktbä (S. 594); ferner zu h^än „Pferd, Hengst" öhsnä, hsünnäund (ä)hsönyä (S. 594;
Juden dagegen hsäyan, siehe Cohen 1975, S. 197).
Bei den Kardinalzahlen wird eine zweite, fakultativ gebrauchte Serie 3-9
ohne/-a/ beschrieben (S. 610ff.): sfi'-srom „sechs Jahre" nebenFormen wie sä- b'a-smn „sieben Jahre".
Die Präposition /fi/oo /('-/ (vor Artikel) „in" wird für das Objekt eines Verbs
verwendet und bezeichnet dabei die nichl abgeschlossene (bzw. länger
andauemde) Handlung: l}al' f-Slfniq „er öffnete (behutsam) das Sehmuckkäst¬
chen" (S. 624).
Nicht zwingend erscheint die Ableitung der Präposition qad'' „so groß wie, gleich wie, etc." von aar. qadr (S. 361 f.) zumal qäd'r in der Bedeutung „an, gegen, um die . . ." (bei Maßangaben) selbst vorkommt (S. 662). Aar. qadd
„Zuschnitt, Gestalt, Wuchs" dürfte als Ausgangsform wohl eher in Frage kom¬
men.
Die letzten Abschnitte (Partikeln, Ausdrücke der Bejahung, Vemeinung etc.) enthalten wiedemm einen großen Reichtum an stilistisch differenziertem Beleg¬
material. So profitiert der Leser bis zum Ende von der langjährigen Vertrautheit des Autors mit dem beschriebenen Dialekt. Trotz der angeschnittenen Probleme stellt Singers Arbeit die Kenntnis der Mundart von Tunis auf eine neue Basis.
Es bleibt die Hoffnung auf den zweiten Band, insbesondere auf das Glossar, das die Benutzung des Buches erheblich erleiehtern dürfte.
Stefan Reichmuth, Bayreuth
P. M. Kurpershoek: TTie Short Stories of Yusuf Idris, a modern Egyptian author.
Leiden: Brill 1981. 222 S. 8" (Studies in Arabic Literature. 7.)
Im Gegensatz zu Deutschland, wo das Hauptinteresse in der Forschung an
den orientalischen Seminaren der klassischen arabischen Literatur gilt, wird in
England das Studium der modemen arabischen Literatur intensiv betrieben. So
ist es kein Wunder, wenn eine ganze Studie Yüsuf Idris, einem der Hauptver¬
treter der modemen arabisehen Kurzgeschichte, gewidmet ist. Die Arbeit,
behandelt das gesamte Erzählwerk und das Leben des Autors als Ganzes,
beleuchtet die verschiedenen Entwicklungsphasen seines literarischen Schaf¬
fens und unterzieht exemplarisch einige Erzählungen einer umfassenden Ana¬
lyse.
In seiner Einleitung ( S . 1-18) gibt Vf einen knappen Überblick über die histo¬
rische Entwicklung des arabischen Romans und der Kurzgeschichte am Ende
des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Unter den Vorläufern sind zu nen¬
nen: Muhammad al-Muwailihi (1868-1930), dessen Werk Hadit 'Isä itm HiSäm
im Maqämen-Stü verfaßt ist; Muhammad Taimür (1892-1921) mit seinen Kurz¬
geschichten Mä Tarah al-'Uyün; Muhammad Husain Haikal mit seinem Roman
Zainab im Jahre 1913 und Mahmüd Taimür, der die realistische Richtung grün- 27«
Zeitschrift der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft Band 137, Heft 2 (1987)
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dete und 1927 eine Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel Sail} öom'a schrieb.
Das zweite Kapitel (S. 19-71) enthält biographische Daten und Angaben über Idris. Er wurde am 19. Mai 1927 in einem kleinen Dorf in der Provinz Sarqiya im Delta namens al-Bairüm geboren. Seine FamUie gehörte zum Kleinbürgertum.
Nach der Beendigung der Schulzeit in Dimyät studierte er 1945 Medizin an der Universität Kairo und arbeitete seit 1952 als Arzt. Als er auf Grund seiner Bega¬
bung und zunehmenden Neigung zur Literatur seine ersten Versuche schrieb
und kurz danach seine erste Sammlung von Kurzgeschichten Arhas layäli (= die
billigsten Nächte) 1954 veröffentlichte, wurde sein Name bekannt. Seine
Bekanntschaft mit Sadat 1956 verhalf ihm 1960 zu einer festen Anstellung als Redakteur in der Zeitung al-öumhüriyya. Die Jahre von 1960 bis 1970 gelten als die fruchtbarste Periode seines literarischen Schaffens. Davon handelt das dritte Kapitel (S. 72-124) unter dem Titel: Das Jahrzehnt des Realismus. Im Mittelpunkt seiner Erzählungen steht das ägyptische Dorf mit dem ländlichen Leben und den Problemen — Traditionen, Tabus, Verhaltensweisen, Bräuchen,
Aberglauben, religiösen Anschauungen — der Bauern. Die Schilderung dieses
MUieus mit seinen Konflikten und dem sozial-ökonomischen Hintergrund durch¬
zieht sein Erzählwerk, wie z. B. : in al-Makina, al-Mar^iha, al-Ma'tam, al-Ha^-
^äna, Lailat Saif. In öumhüriyyat Farahät (= Farahäts Republik) läßt er den Helden, einen armen Wachtmeister, bei der Protokollführung in einem Polizeire¬
vier einen phantasmagorischen Staat — nach dem Vorbild von Piatos Republik —
entwerfen, in dem die Träume der Armen erfüllt werden.
Das städtische Leben dient als Kontrast zum Dorfleben, wobei er sich der Iro¬
nie, der Satire und des Humors bedient. Al-Hädit, al-Umniya, an-Naddaha, as- Sitära, Mahatta usf sind die prägnantesten Beispiele. Sehr richtig weist Vf auf die Dorfmentalität, Armut und soziale Ungerechtigkeit als Hauptthema in den ErzäfUungen dieser Periode hin, z. B. in fabliya min as-Samä', Häditat Saraf, Tahwid al-ArOsa, Rihän, Sugläna, Arhas layäli. Vf wendet den Begriff „Realis¬
mus" und „das realistische Jafu-zehnt" offensichtlich im arabischen Sinne an,
nämlich tanwir al-wäqi' (= die Wiedergahe der Wirklichkeit). Die meisten
Schriftsteller in Ägypten sehen ihre Aufgabe darin erfüllt, werm sie die Misere
und die Mißstände im Land (z. B. Ausbeutung der Armen, Korruption und das
unwürdige Leben der Menschen) darstellen. Yüsuf Idris, wie die übrigen Schrift¬
steller Ägyptens, läßt zwar die einzelnen Helden kritisieren und klagen, aber dabei bleibt es. In den Erzählungen untemehmen die Menschen nichts, wie etwa den Aufraf zur Rebellion oder zur Demonstration, um sich aus ihrer Misere zu befreien, obwohl sich dies in der Wirklichkeit einige Male ereignet hat. Wo bleibt hier der Realismus, weim diese Aufstände bei SchriftsteUem keinen Nie¬
derschlag fmden? Auf diese Auffassung des sogenannten Realismus als ein pas¬
sives Kopieren der Wirkhchkeit hätte Vf deutlich eingehen müssen und
ansclUießend den Begriff „Realismus in der europäischen Literatur" kurz erläu- tem sollen.
Bei Yüsuf Idris beginnt die Kritik am Militärregime und an der Person Nas¬
sers erst naeh der Niederlage von 1967 in sehr versctUeierter, ambivaienter Form. Dies kennzeichnet die letzte Phase seines literarischen Schaffens im letz¬
ten Kapitel (S. 125-190). Die prägnantesten Beispiele dafür bieten die drei
Erzählungen: al-'Anmliya al-kubrä (= die große Operation), al-Hud'a (= der
Betmg), und ar-RUßa (= die Reise). Auch in diesen Erzähiungen führt die
Erschüttemng des Heiden und die Entschfeiemng des Betmgs nicht zur Ver-
Bücherbesprechungen 399 änderung der Wirklichkeit. Im GegenteU: die Charaktere — wie Idris selbst in diesen Jahren — werden pessimistisch und kehren in sich selbst zurück! Es ist
merkwürdig, ja sogar grotesk, wenn in der Erzählung fabliya min as-Samä' {=
der Tisch vom Himmel) der Held wegen seiner Armut und seines Elends vor den Augen der Dorfbewohner in der Öffentlichkeit gegen Gott rebeUiert, indem er sich entblößt und zum Kufr {= Unglauben) bekennt, falls Gott ihm nicht aufder Stelle einen Tisch mit Speisen vom Himmel herabsehickt.
Das Eintreten des Phantastischen als ein Strukturelement wird in den Kurz¬
geschichten der Sammlungen Bait min lahm und an-Naddäha und Ähir ad-Dunyä spürbar. Vf. geht auf die Erzählung Saihüha bidün ^unün (= Greisenalter ohne Verrücktheit) als einen Wendepunkt im literarischen Schaffen von Idris ausführ¬
lieh ein. Phantastische, surrealistische, allegorische und manchmal sjrmbolische DarsteUungen deuten auf die Vollendungsphase im Werk dieses bedeutenden Schriftstellers hin.
Die Bibliographie (S. 190-222) ist ausführUch und enthält die Titel der Werke von Idris (die ersten Veröffentlichungen in den Tageszeitungen und Zeitschrif ten und die später gedruckten Sammlungen), seine Artikel in der Presse, die Übersetzungen seiner Erzählungen, die Interviews mit ihm und schließlich die
arabisehe und europäische Sekundärliteratur. Diese Bibliographie sowie die
ganze Arbeit, zeugen vom außerordentlichen Fleiß des Vfs. und seiner wissen¬
schaftliehen Akribie.
Said Abdel-Rahim, Gießen
Sasson Somekh: Lugat al-qi^^a fi adab Yusuf Idris [Die Erzählsprache in der
Dichtung von Yüsuf Idris]. Tel-Aviv: Univ.; Akka: Srugi 1984. 179 S. 8°
Durch die unglückliche Formulierung des Titels könnte der Eindruck beim
Leser entstehen, als ginge es dem Vf darum, die Sprache der Erzählung als
einer literarischen Gattung zu erforschen. In Wirkhchkeit wurde hier der Ver¬
such unternommen, den Stil von Yüsuf Idris von zwei Aspekten zu untersuchen:
Erstens, die Sprache dieses Schriftstellers als Ausdrucksform seiner Erzählun¬
gen mit ihren grammatischen, syntaktischen und klanglichen Verhältnissen
(wie z.B. Wortsehatz, Rhythmus, Sprachmelodie, Syntax, Idiomatik, rheto¬
rische Figuren usf), zweitens, wie diese Sprachelemente den individuellen StU des Schriftstellers Idris kennzeichnen, wodurch seine poetischen Intentionen und seine Weltanschauung sichtbar werden.'
Das Buch beginnt mit einem Kapitel (S. 10-33) über das feine Sprachempfin¬
den (ihsäs murhaf bil-luga) bei Idris, erklärt dies als Ursache fiir seine Verwen¬
dung des ägyptisehen Dialekts in den Dialogen (hiwär), aber auch in dem Rah¬
men (sard) seiner ErzäfUungen und geht damit auf die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bis heute immer noch nicht ausdiskutierte Frage ein, ob die geho¬
bene arabische Sprache (al-fußhä) oder der Dialekt (al-'ämmiyya) für die
moderne arabische Diehtung (insbesondere für den Diaiog in den Theaterstük- ken, im Roman und in der Erzähfung) geeignet sei. Vf zitiert zwei der bekann¬
ten arabischen Literaturkritiker, die Idris wegen seines Stils getadelt haben:
' Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 5. Aufl. Stuttgart 1969,
S. 738f und Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk. 6. Aufl. Bern 1960
U.Ö., S. 270«-.
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Der erste, Tähä Husain, schrieb 1956 das Vorwort für den zweiten Sammel¬
band von Idris' Erzählungen öumhüriyyat Farahät [Farahäts Repubhk], lobte
zwar an Idris sein Talent als Erzähler und die vorzügliche Darbietung in dem Werk {barä'at al-adä'), verschonte ihn jedoch nicht vor einigen kritischen Bemerkungen. Er riet ihm, künftig mit der arabischen Spraehe sanft umzuge¬
hen, ihr mehr Achtung entgegen zu bringen, in Bezug auf sich selbst und seine Figuren. Zum Schluß appellierte er an die jungen arabischen Schriftsteller, sie möchten ihre Dialoge in einem guten Sprachniveau sclireiben und sich und ihre Leser zu einer gepflegten Sprache erziehen.'
Der zweite, Muhammad Zaglül Salläm, formulierte 1973 fast die gleiche
Kritik, jedoch in einem etwas schärferen Ton und bezeichnet den Stil von Idris als schwach und verlumpt. Vf beurteilt diese Kritik als überheblich (muta'älin), aristokratisch und pauschal (ta'mimi), verteidigt Idris als einen echten Künst¬
ler, der sich des ägyptischen Dialekts als einer lebendigen Spraehe {al-luga al- hayätiyya) bedient und sich nicht dem „veralteten aristokratischen" Begriff von Dichtung beugt. Er zitiert Idris in zwei Interviews von 1965 und 1971, wo dieser sich für seine Verwendung des Dialekts rechtfertigt: „Warum wenden sich die
Menschen in ihren Unterhaltungen von der [arabischen] Hochsprache ab? Doch
wohl, weh sie ihre Effektivität verloren hat und erstarrt ist."
In Bezug auf den Reichtum der Sprache meint Vf „Es besteht kein Zweifel
daran, daß die Sprache bei Idris nieht nur eine wirkungsvolle Kunstsprache im wahren Sinne des Wortes ist, sondern sie ist auch so reich, daß wir ihresgleichen in der zeitgenössischen arabischen Dichtung selten fmden." (S. 16)
Dieses subjektive Urteil, das ohne überzeugende Argumente so leichtfertig
gefällt wurde und das sich von der wohlwollenden Kritik Tähä Husains und
der anderen arabischen Kritiker abhebt, ist nieht einmalig; vielmehr durchzie¬
hen solche Ansichten das ganze Buch derart, daß man am Ende den Eindruck
nieht loswird, dem Vf geht es in erster Linie um eine Apologie, nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung.
Den Reichtum seiner Sprache verdankt Idris, so meint Vf , der Lektüre des
klassischen arabischen Schrifttums, wie z.B. des Korans, der Gedichte der
Abbassidenzeit und Tausendundeiner Nacht. Zwei Koranstellen, auf die Idris in seinen Erzählungen anspielt, führt Vf an: Die eiste (Sure 2, Vers 183) „Euch ist das Fasten vorgeschrieben, wie es denen vor euch vorgeschrieben war, die vor euch lebten". Idris läßt den Wachtmeister in öumhüriyyat Farahät [Farahäts Republik], der seines Berufes überdrüssig ist, sprechen: „Sorgen und Kummer sind euch vorgeschrieben, wie es denen vor euch vorgesehrieben war . . ." Die zweite Stelle (Sure 24, Vers 61) lautet: „Kein Vorwurf trifft den Blinden, noch trifft ein Vorwurf den Lahmen, kein Vorwurf trifft den Kranken oder euch selbst, wenn ihr in euren Häusern esset, oder den Häusern eurer Väter, oder den Häu¬
sern eurer Mütter oder den Häusern eurer Brüder oder den Häusern eurer
Schwestern . . ."In der Erzählung Bait min lahm [Haus aus Fleisch] wird berich¬
tet, daß der Protagonist, ein junger Koranleser, der mit einer Witwe und ihren drei erwachsenen Töchtem schläft, sieh mit dem Gedanken tröstet, daß er als
Blinder die Frauen im Bett voneinander nieht unterscheiden kann, und ihn
daher kein Vorwurf trifft.
Es besteht kein Zweifel daran, daß der Sinnzusammenhang in den Koranstel-
' Rz. hat die Kritik von Tähä Husain sinngemäß und im Hinbück auf den
Kontext übersetzt.
Biichei'licsprpohiinKon 401 len und der in den Erzählungen von Idris entgegengesetzt ist. Daß sich hinter diesem tahrif (Entstellung, Entweihung) eine dichterische Intention verbirgt, wie Vf. dies erklärt, nämlich: Kontrastierung und Humor, ist eine an den Haa¬
ren herbeigezogene Textinterpretation.
Dasselbe gilt für den dritten Beleg: In dem Roman Al-Baiiä' [Die Weiße] sagt der Protagonist Dr. Yahyä: „leh möehte mieh heilen mit demselben, der meine Krankheit war" , und spielt damit auf den im Volksmund weitverbreiteten Vers eines Weingedichts von Abü Nuwäs an: da' 'anka laumi fa-inna l-lauma igrä'ü/
wa-ddwini billati kärmt hiya d-dä'ü (unterlasse meinen Tadel; denn im Tadeln ist der Reiz/und heile mich mit dem [Wein] , der meine Krankheit war) . Es ist kaum überzeugend, wenn Vf diesen berühmten Weinvers, der als geflügeltes Wort all¬
gemein bekannt ist, als Beleg für die Belesenheit des Schriftstellers Idris anführt.
Zwei weitere Spracherseheinungen bei Idris untersucht Vf gründlieh und
gelangt zum ersten Mal zu einigermaßen annehmbaren Resultaten: 1. Die Ambi¬
valenz und ihre strukturelle Funktion. 2. Die Lautmalerei bzw. Onomatopöie (S.
24-32) in den Erzählungen von Idris. In einer Erzählung, die die Überschrift.
Hälat talabbus [Auf frischer Tat ertappt] trägt, ertappt der Dekan eine Studen¬
tin, die neben seinem Zimmer eine Zigarette raucht, gerät wegen dieses Skan¬
dals in Zom und besehließt, sie zu bestrafen. Von seinem Gewissen gequält, denkt er darüber nach, wie er früher für die Gleichberechtigung der Frau war, sich dann aber im Laufe seiner Karriere vom freien Wissenschaftler zum verwal¬
tenden Beamten gewandelt hat. Dies wird dem Dekan plötzlich bewußt.
Dadurch erhält die Erzählung eine ambivalente Bedeutung. Dasselbe gilt für die Erzählung Al-'Amaliyya al-kubrä [Die große Operation], die im konkreten Sinn
eine mißglückte medizinische Operation des berühmten Chimrgen Professor
Adham beinhaltet, jedoch in übertragener Bedeutung die militärische Fehl-Ope¬
ration von Nasser 1967 versinnbildlicht. Rez. möchte an dieser Stelle die Frage nicht erörtern, ob der Text der beiden Erzählungen in seiner poetischen Stmk¬
tur (z.B. durch Hinweise) eine solche ambivalente Interpretation zuläßt. Dies bedarf einer umfassenden Analyse.
Was die Lautmalerei anbelangt, so ist es unbestritten, daß die ErzäUungen von Idris eine Vorfiebe für die Wörter der Onomatopöie zeigen; und dies steift zweifeifos einen typischen Zug in seinem Stil dar. Viele dieser Wörter sind Nachahmung von Naturlauten und Geräuschen, wie z.B.: habhaba (bellen), (ar- qa'a (knallen), SaMaha (klappern), ^au^awa (zwitschern), rafrafa (flattem), ragraga (gurgeln), zagzaga (kitzeln), ma'ma'a (blöken), naqnaqa (gackern, qua¬
ken), harbata (Ungereimtheiten, Durcheinander), haSra^a (röcheln, Geröchel) usf
Es handelt sich in der Regel um Reduplikationswörter oder um vierradikalige Wörter, die sogenannten kalimät ^autiyya (Lautwörter). Diese Fülle von Wör¬
tern der Lautmalerei bei Idris bildet nieht etwa einen Dekor in seinen Erzählun¬
gen, vielmehr weisen sie — nach der Feststellung des Vfs. — eine strakturelle
Funktion auf nämlich: die Darstellung und Übertragung der inneren Empfin¬
dungen und Seelenveränderangen der Protagonisten.
Dieser Wortschatz der Lautmalerei ist ein Bestandteil der arabisehen
Sprache. Diese Wörter sind weder „eine geniale Erfindung Idris aus allen
Sprachebenen", wie Vf behauptet (S. 28), noch hat Idris ihnen neue Bedeutun¬
gen verliehen. Denn viele dieser Wörter haben im ägyptischen Dialekt einen
Bedeutungswandel und einen Lautwandel durchgemacht und weisen daher