DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
ZUR FORTBILDUNG
Erkrankungen der Niere (17)
Behandlung der chronischen
Niereninsuffizienz vor Dialysebeginn
Tobias A. Marsen und Conrad A. Baldamus
ie chronische Nierenin- suffizienz stellt einen Symptomenkomplex mit Beteiligung beina- he aller Organsysteme dar. Veränderungen sind durch Re- tention von „Urämietoxinen", durch metabolische, hormonale und regu- latorische Störungen bedingt. Das Krankheitsbild mündet in die termi- nale, dann dialysepflichtige Nieren- insuffizienz. Durch frühzeitige The- rapie kann die Progression aufgehal- ten oder verzögert werden. Das Voll- bild der Urämie mit ihren zahlrei- chen Komplikationen wird durch Or- ganersatztherapie, das heißt Dialyse oder Nierentransplantation, verhin- dert.
Die der chronischen Nieren- insuffizienz zugrundeliegenden Er- krankungen sind vielfältig: Nach der EDTA-Statistik (1) rekrutiert sich die Gesamtpopulation mit termina- ler Niereninsuffizienz zu 24,1 Pro- zent aus primär glomerulären Nie- renerkrankungen, zu 23,6 Prozent aus vaskulären und zu 16,6 Prozent aus interstitiellen Formen; 14,4 Pro- zent bleiben ungeklärt, andere sind selten. Dennoch bleibt ein großer Teil der pathogenetisch verantwort- lichen Erkrankungen ungeklärt, ins- besondere, wenn schon fortgeschrit- tene morphologische Veränderun- gen bei Diagnosestellung bestehen, die eine histologische Differenzie- rung nicht mehr erlauben.
Neben der Therapie der Grund- erkrankungen muß der Kliniker mit den Komplikationen, die aus der chro-
Neben der Grunderkrankung stel- len Hypertonie und Eiweißaufnah- me die wesentlichen Progressi- onsfaktoren der Niereninsuffizienz dar. Frühzeitig einsetzende diäte- tische Maßnahmen mit Eiweißbe- schränkung und Zusatz von es- sentiellen Aminosäuren sowie de- ren Ketoanaloga sind anzustre- ben. Die optimale Einstellung der Hypertonie wirkt sich progno- stisch günstig aus. Der sekundäre Hyperparathyreoidismus im Rah- men der Niereninsuffizienz läßt sich mit oralen Vitamin-D-Gaben und Phosphatbindem gut kom- pensieren. Zur Behandung der re- nalen Anämie steht seit kurzem re- kombinantes humanes Erythropo- ietin zur Verfügung. Zur optimalen Betreuung gehören weiterhin die psychische Vorbereitung auf das Stadium der Dialysepflichtigkeit und das frühzeitige Anlegen eines Dialyse-Shunts.
nischen Niereninsuffizienz resultie- ren, vertraut sein, um diese zu vermei- den und die Progredienz in die termi- nale dialysepflichtige Niereninsuffi- zienz aufzuhalten. Mit abnehmender glomerulärer Filtrationsrate treten zuerst Hyperparathyreoidismus und Anämie auf, später kommen Hyperto- nie und Fettstoffwechselstörungen hinzu (2). Entsprechend ihrer zeitli- chen Abfolge werden die Hauptkom- Klinik I für Innere Medizin (Direktor: Prof.
Dr. med. Volker Diehl) der Universität zu Köln
plikaionen der chronischen Nieren- insuffizienz und die möglichen Thera- pien abgehandelt.
Hyperparathyre- oidismus
Der sekundäre Hyperparathyre- oidismus zählt zu den früh auftreten- den Komplikationen einer chroni- schen Niereninsuffizienz (Abbildung I). Aus einer vermehrten Phosphat- retention, gefolgt von einer vermin- derten renalen Vitamin-D 3-Hydroxy- lierung, von 25-Hydroxycholecalcife- rol [25-(OH) D3] zu 1,25-Dihydroxy- cholecalciferol [1,25-(OH) 2 D3] in der Niere, resultiert ein verstell- ter Regelkreis zwischen Kalzium und Parathormonsekretion (Serum- CA2 + < 2,0 mmol/1, PTH C-term. >
3000 pg/ml, PTH N-term. > 50 pg/
ml). Erniedrigte intestinale Ca 2 + - Resorption, reduzierte renale Phos- phatelimination sowie vermehrte Pa- rathormonsekretion mit Mobilisie- rung von Kalzium und Phosphat aus dem Knochen führen zu typischen Elektrolytveränderungen im Serum:
Kalziumabfall und Phosphatan- stieg (3). Mit Hilfe von Röntgen- untersuchungen des knöchernen Skeletts mit subperiostalen Resorp- tionen, insbesondere am Handske- lett, Schlüsselbein, Kiefer und Schä- del oder mit braunen Tumoren kann das Ausmaß der Veränderungen frühzeitig festgestellt werden. Klini- sche Anzeichen wie Pruritus, Kno- chenschmerzen, Spontanfrakturen oder Weichteilverkalkungen sind un- A1-3146 (64) Dt. Ärztebl. 89, Heft 39, 25. September 1992
Tabelle: Hyperparathyreoidismus als frühe Komplikation einer chroni- schen Niereninsuffizienz
■ Hyperparathyreoidismus Grad II
Verdacht bei: Ca2-", PO4- , Knochenschmerz, Spontanfraktu- ren
Diagnostik: — obligat: S-Ca 2+ , S-PO4 , PTH (C- und N-termi- nal), Rö-Skelett
— fakultativ: 1,25-Vitamin D3, Knochen-Biopsie Therapie: Vitamin D3 oder 1,25 (OH) 2 Vitamin D3
Kalziumcarbonat (CaCO 3) etc.
Aluminiumhydroxyd (A10H3) Hyperparathyreoidismus Grad III
Verdacht bei: Ca 2+ » 2,5 mmo1/1 bzw. ansteigend Diagnostik: PTH (C- und N-terminal)
Sonographie Halsweichteile
Nebenschilddrüsen-Szintigraphie, NMR Therapie: Parathyreoidektomie (total/subtotal)
Blutstrom
Serum-Ca 2+ < 2.0 mmo1/1
PTH C-term. > 3000 pg/ml PTH N-term. > 50 pg/ml Kalzium-
Phosphat- Ausscheidung Hydroxylierung von 25-(OH) 03 zu 1,25-(OH) 2 D
1,25-(OH)2 D
Kalzium- Resorption
A f I:
spezifisch oder weisen erst spät auf einen sekundären Hyperparathyreoi- dismus hin (Tabelle).
Die Diagnosestellung erfolgt über die Bestimmung der Serum- Elektrolyte, des Parathormons (C- oder N-terminal) sowie über die Röntgenveränderungen. Sie wird un- terstützt durch die nicht obligate Messung der 1,25-Dihydroxychole- calciferol-Konzentration im Serum.
Die Histologie der Knochenbiopsie gibt präzise Auskunft über die unter- schiedlichen Stadien der renalen Osteopathie.
Als Therapie bietet sich die frühzeitige Gabe von Vitamin-D- Präparaten ebenso an wie die Gabe von oralen kalziumhaltigen (unter Zurückhaltung auch aluminiumhalti- gen) Phosphatbindern, um die Parat- hormon-Sekretion zu unterdrücken.
Der Therapieerfolg wird gemessen am Serum-Kalziumspiegel, der bei 2,5 mmo1/1 gehalten werden soll. Der Serum-Phosphatwert darf den Normbereich (0,77 bis 1,55 mmol/1) nicht wesentlich übersteigen. Bei gleichzeitiger Gabe von Vitamin D oder 1,25-(OH) 2 Vitamin-D3 zusam- men mit Kalziumpräparaten (Kalzi- umcarbonat, -acetat oder -ketogluta- vat) ist der Serum-Kalziumspiegel wegen der Gefahr der Hyperkalzi- ämie eng zu überwachen (4).
Übersteigt der Serum-Kalzium- spiegel ohne Kalziumsubstitution und Vitamin-D-Gabe den Normbe- reich, so liegt ein tertiärer Hyperpa-
Abbildung 1: Patho- physiologie des Hy- perparathyreoidismus [nach: Knox, F. G.
( 3 )]
rathyreoidismus mit Autonomie vor.
Die sonographische und nuklearme- dizinische Abklärung der Lokalisati- on ist vor Parathyreoidektomie indi- ziert, führt aber keineswegs immer zu verwertbaren Ergebnissen. Auf alle Fälle muß der Chirurg sich al- le vier Epithelkörperchen darstellen
und die Nebenschilddrüse entweder subtotal oder total entfernen. Im letzten Fall wird Parathyreoideage- webe in die Muskulatur des Unterar- mes implantiert.
Renale Anämie
Auch die renale Anämie gehört zu den regelmäßig auftretenden Frühveränderungen bei chronischer Niereninsuffizienz. Es handelt sich um eine normochrome, normozytäre und hyporegenerative Anämie, de- ren Hauptursache in der ungenügen- den Synthese des renalen Erythro- poietins liegt. Andere pathogene- tische Faktoren wie verminder- te Erythrozyten-Überlebenszeit oder eine beeinträchtigte Erythropoese durch Urämietoxine stehen weniger im Vordergrund (Abbildung 2) (5).
Ungefähr ab einer Kreatinin- Clearance von 30 ml/min/1,73 m 2
kann die endogene Erythropoietin- sekretion die sich entwickelnde oder bestehende Anämie nicht mehr kom- pensieren. Die Serum-EPO-Spiegel werden zwar als normal oder erhöht Dt. Ärztebl. 89, Heft 39, 25. September 1992 (67) A1-3149
Knochenmark
Stammzellen - BFU-E - CFU-E - erythroide Vorläuferzellen
Erythropoietirr
renale Vaskularisation —›
renaler 02-Verbrauch
ErythrozytaM
2
atmosphärischer 02-Gehalt kardiopulmonale Funktion Blutvolumen Hämoglobinkon- zentration 02-Affinität EPO-produ- F 02-zierende Zellen Sensor Niere (Tubuluszellen ?) Leber (Kupffersche Sternzellen?)
Abbildung 2: Patho- physiologie der Erythropoiese — Feedback-Regulation der Bildung von ro- ten Blutkörperchen [nach Caro und Ers- lev, Contr. Nephrol.
66 (1988) 54]
EPO i.S. [mU/m1]
400
300
200
100
0
EPO Hkt
Hkt [Vol. %]
- 50 - 40 30 - 20 10 0 0 - 9 10 - 19 20 - 29 30 - 59 60 - 90 Normal
GFR [ml/min]
Abbildung 3: Verhal- ten von Erythropoie- tin i. S. (EPO) und Hämatolcrit (Hkt) in Abhängigkeit von der glomerulären Filtrati- onsrate (GFR) [nach Radtke et al.: Serum erythropoietin in chronic renal failure;
Blood 54 (1979) 877]
gemessen, aber für das Ausmaß der Anämie liegen sie viel zu niedrig
(Abbildung 3).
Die Klinik der renalen Anämie ist nicht eindeutig, da ein Großteil der urämischen Symptome wie Inap- petenz, Müdigkeit, körperliche und geistige Leistungsminderung sowie vermehrtes Schlafbedürfnis sich ne- ben anderen Ursachen nur teilweise der Anämie zuordnen lassen.
Hingegen ist die Diagnostik ein- fach: eine normochrome, normozytä- re, hyporegenerative Anämie mit er- niedrigter Zahl an Retikulozyten.
Gelegentlich sieht man deformierte
Zellen im Blutausstrich. Serum-Ei- sen, Eisenbindungskapazität und Se- rum-Ferritin sind normal. Die Be- stimmung des Erythropoietins im Se- rum ist für die Diagnose der renalen Anämie nicht notwendig.
Die heute mögliche Behandlung mit rekombinantem humanen Ery- thropoietin ist überaus erfolgreich.
Insbesondere im Hinblick auf zum Teil fatale Transfusionsrisiken (He- patitis B, Hepatitis C, HIV, HLA- Immunisierung), soll die sich entwik- kelnde renale Anämie bereits früh- zeitig im Stadium der kompensierten Retention durch Gabe von rh- Erythropoietin behandelt werden.
Der Ausgleich der Anämie soll aber wegen der Gefahr zerebro- und kar- diovaskulärer sowie thromboemboli- scher Zwischenfälle nicht in vollem Umfang erfolgen. Als Zielgröße wird ein Hb von zirka 11 g/dl = Hkt 30-35 Vol% angestrebt. Zur Vermeidung eines Eisenmangels unter der gestei- gerten Erythropoiese soll das Serum-
Ferritin durch orale oder parentera- le Eisenzufuhr zwischen 150 bis 300 [Ig/m1 gehalten werden. Die Haupt- komplikation unter EPO-Therapie, die Entwicklung oder Entgleisung ei- ner Hypertonie, macht die sorgfäl- tige Überwachung und Einstellung des Blutdrucks nötig.
Hypertonie
Die Hypertonie beim Nierenin- suffizienten muß frühzeitig und kon- sequent behandelt werden, da sie die Progression in die terminale Nieren- insuffizienz beschleunigt und zum anderen als Hauptursache der zere- bro- und kardiovaskulären Komplika- tionen - Haupttodesursache bei Nie- reninsuffizienz - anzusehen ist (6, 7).
In der Pathogenese der bei etwa 80 bis 90 Prozent aller chronisch Nie- reninsuffizienten auftretenden Hy- pertonie spielt die Flüssigkeitsreten- tion mit Störung des Renin-Angio- tensin-Aldosteron-Systems eine Rol-
le. Als weitere Faktoren werden au- tonome Insuffizienz sowie Fehlregu- lationen im Kinin-Bradykinin-Sy- stem diskutiert.
Therapeutisch wird ähnlich wie bei der essentiellen Hypertonie ver- fahren. Mit einem Thiazid-Diureti- kum zur Senkung des Gesamt-Kör- per-Natriums wird man als Mono- therapie selten auskommen Insbe- sondere unterhalb einer Kreatinin- Clearance von 30 ml/min, entspre- chend einem Serum-Kreatinin von zwei bis drei mg/dl, kann ein thera- peutischer Effekt nur durch Schlei- fen-Diuretika erreicht werden.
Kaliumsparende Diuretika sol- len bei der chronischen Niereninsuf- fizienz wegen bedrohlicher Hyperka- liämie nur im Einzelfall und dann nur unter regelmäßiger Kaliumkon- trolle verordnet werden. Als Antihy- pertensivum der ersten Wahl emp- fehlen sich außerdem Beta-Blocker und Kalziumantagonisten. Reicht diese Medikation auch in Kombina- tion mit einem Diuretikum nicht aus, ist eine Dreifachkombination, beste- hend aus einem Diuretikum, einem ß-Blocker, ACE-Hemmer oder zen- tralen a-Rezeptoren-Blocker und ei- nem Vasodilatator, zum Beispiel Kal- ziumantagonist, Dihydralazin oder gar Minoxidil anzuwenden. Letzteres muß immer wegen der starken Flüs- sigkeitsretention mit einem Schleifen- diuretikum kombiniert werden.
Nebenwirkungen von Minoxidil wie verstärkter Haarwuchs, beson- ders im Gesicht, und Serositis (Peri- karditis) limitieren die Indikation dieses hochpotenten Vasodilatators auf wenige therapierefraktäre Fälle. D A1-3150 (68) Dt. Ärztebl. 89, Heft 39, 25. ;eptember 1992
10 20 30 40 GFR ml/min
10 20 80 90
\ \e;
Beginn der Behandlung 10075
50
25
0
Monate 0 30 40 50 60 70 100 110
GFR vor (—) und während (—) antihypertensiver Behandlung
• •
0,1
•
Albumin clearance als % der GFR
Beginn der Behandlung 1,0
■•
•
•
■
50 60 70 80 90 100 110
Albumin Exkretion vor (•) und während (■) antihypertensiver Behandlung 0
Monate 0
Abbildung 4 a (oben) + b (unten): Abfall der glomerulären Filtrationsrate und Anstieg der Albuminclearance vor und unter der antihypertensiven Behandlung (a). Ein Beispiel des Verlaufs bei einzelnen Patienten (b)
In den letzten Jahren haben sich Angiotensin-converting-ency- me-(ACE)-Hemmer als Hypertensi- vum der ersten Wahl in den Vorder- grund geschoben, da sie wegen ihres Einflusses auf die glomeruläre Per- fusion die Progression glomerulärer Erkrankungen, besonders der diabe- tischen Nephrosklerose, positiv be- einflussen und das Ausmaß der Pro- teinurie verringern (Abbildung 4 a + b). Sie müssen an die Nierenfunktion adaptiert gegeben werden. Wegen der Blockierung der Angiotensin-Il- Bildung und damit der verminderten Aldosteronfreisetzung können die ACE-Hemmer den Kaliumhaushalt negativ beeinflussen. Bei Einzelnie- ren und Nierenarterienstenose sol- len ACE-Hemmer nur im Ausnah- mefall und nur unter besonderer nephrologischer Kontrolle verab- reicht werden (Abbildung 5).
Fettstoffwechsel
Die Hyperlipidämie ist eine re- gelmäßige Begleiterscheinung der Niereninsuffizienz insbesondere auf dem Boden glomerulärer Erkran- kungen. Ursächlich sind eine Kombi- nation aus verstärkter hepatischer Triglyzerid-Synthese und in erhöh- tem Maße verringerter Clearance der Fette (Abnahme der Lipopro- teinlipaseaktivität). In der Regel handelt es sich um eine Hypertrigly- zeridämie Typ IV nach Fredrickson mit Vermehrung der VLDL-Trigly- zeride und Verminderung der HDL- Cholesterine. Bei transplantierten Patienten herrscht dagegen der Typ II a und II b mit erhöhter LDL-Cho- lesterin-Fraktion beziehungsweise begleitender mäßiger VLDL-Trigly- zerid-Vermehrung vor (Abbildung 6).
Obwohl der Einfluß der Hyperli- pidämie auf die Atherogenese bei der Niereninsuffizienz nicht eindeu- tig geklärt ist, wird gemäß dem allge- meingültigen Zusammenhang zwi- schen Fettstoffwechselstörung und koronarer Herzkrankheit die Hyper- lipoproteinämie heute auch hier be- handelt (6). Da die Typ-IV-Hyperli- pidämie sehr gut diätetisch einge- stellt werden kann, sollte dies vor- rangig versucht werden. Eine Nor- malisierung des Körpergewichtes, kohlehydrat- und fettarme Diät und
Alkoholkarenz stehen dabei im Vor- dergrund. Die Zufuhr mehrfach un- gesättigter Fettsäuren wird zur Zeit propagiert, da neben deren Einfluß bei Hypertriglyzeridämien der Blut- druck und das Gerinnungssystem po- sitiv beeinflußt werden (w-3-Fettsäu- ren, zum Beispiel Fischölkonzentra- te drei bis sechs Gramm pro Tag).
Für die medikamentöse Behand- lung stehen besonders Fibrate zur Verfügung, die den Abbau der Tri- glyzeride (VLDL und LDL) steigern, aber bei der Niereninsuffizienz an die verminderte glomeruläre Filtrati- onsrate adaptiert werden müssen, da sonst Nebenwirkungen, etwa Rhab- domyolysen auftreten können. Selte- ner zur Anwendung kommen wegen ihrer hohen subjektiven Nebenwir- kungsraten Nikotinsäurepräparate.
Da die Indikation zur Therapie mit HMG-CoA-Reduktasehemmer der
Therapie der Hypercholesterin- ämien (Typ II und III) gilt, bleibt ih- re Anwendung primär Erkrankun- gen außerhalb der chronischen Nie- reninsuffizienz vorbehalten.
Wasser- und Elektrolythaushalt
Mit Abnahme der glomerulären Filtrationsrate sinkt auch die renale Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Flüssigkeits- und Elektrolythomö- ostase. Erhöhte Serum-Harnstoff- werte führen zur osmotischen Diur- ese und damit zur Polyurie. Der Nie- reninsuffiziente kann sein Urinvolu- men nicht mehr bedarfsgerecht ad- aptieren! Durchfälle, Erbrechen, Klimaveränderungen und Infekti- onserkrankungen können schnell zur Dekompensation des labilen Gleich- gewichts führen (8). Erst ab einer A1-3152 (70) Dt. Ärztebl. 89, Heft 39, 25. September 1992
Diuretikum oder ß-Blocker oder Ca2+-Antagonist oder ACE-Hemmer
Diuretikum plus Stufe 1:
Stufe 2:
ß-Blocker oder Ca2 +-Antagonist
oder ACE-Hemmer
oder zentraler a-Rezeptorenantagonist
Diuretikum
I
Diuretikum DiuretikumStufe 3:
plus plus plus
ß-Blocker zentraler
a-Rezeptorenantagonist
I
ACE-Hemmer plusI
Vasodilatatorplus
I
Vasodilatatorplus
Vasodilatator bei Problemfällen:
Diuretikum plus ß-Blocker
oder zentraler a-Reze ptorenantagon ist
plus
I
Minoxidil( plus ACE-Hemmer Stufe 4:
Antihypertensive Therapie in der Niereninsuffizienz
kritischen Grenze (GFR < 5 ml/
min) nimmt das Urinvolumen ab.
Die Folgen sind Überwässerung und interstitielles Lungenödem, beides Indikationen zur Dialyse. Die Na- trium- und Kalium-Homöostase blei- ben in der Regel bis zu dieser Gren- ze erhalten. Mit abnehmender GFR gelingt es aber nicht mehr, Diätfeh- ler rasch auszugleichen. So ist beson- ders die Hyperkaliämie gefürchtet.
Die Patienten müssen daher frühzei- tig auf diese Gefahr hingewiesen und diätetisch beraten werden.
Progression der Niereninsuffizienz
Als Progressionsfaktor, unab- hängig von der Grunderkrankung, wird heute die Hyperperfusion der verbliebenen Glomeruli angesehen.
Sie geht einher mit erhöhtem Druck in der Glomeruluskapillare und er- höhter Filtrationsfraktion im Einzel- nephron. Dies wiederum begünstigt die Glomerulosklerose. Damit ist der Circulus vitiosus geschlossen (9). Da die Perfusion der Glomerula im Tierexperiment wie auch beim Men- schen sehr stark in Abhängigkeit zur Eiweißaufnahme variiert, sind hier- auf basierend diätetische Maßnah- men abgeleitet worden: Eiweiß- beschränkung schon bei geringgra- dig eingeschränkter Nierenfunktion (Stadium der „Kompensierten Re- tention", [0,4 g Eiweiß/kg KG/Tag]).
Der Zusatz essentieller Aminosäu- ren und/oder deren Ketoanaloga ist zu empfehlen. Verläßliche Langzeit- ergebnisse darüber liegen jedoch noch nicht vor. Auf alle Fälle behält die eiweiß- und phosphatarme Kost ihren Platz bei der fortgeschrittenen Niereninsuffizienz. Unter einer sol- chen Diät darf es nicht zum Katabo- lismus mit Abbau körpereigener Ei- weiße kommen. Der Beginn der Dia- lysetherapie soll nicht auf Kosten ei- ner katabolen Stoffwechsellage ver- schoben werden.
Einen weiteren, wenn nicht den wesentlichsten Progressionsfaktor stellt die arterielle Hypertonie dar;
die Progression der Niereninsuffi- zienz wird durch gute Einstellung der Hypertonie verlangsamt. Dies gilt besonders für die diabetische Nephropathie (7).
Abbildung 5• Antihy- pertensive Therapie in der Niereninsuffi- zienz
In bezug auf die Beeinflussung der glomerulären Hyperperfusion, aber auch in bezug auf die Hoch- druckeinstellung werden an ACE- Hemmer als die Progression aufhal- tendes Medikament besonders hohe Erwartungen geknüpft. Insbesonde- re bei der diabetischen Nephropa- thie scheinen sie sich zu erfüllen (Abbildung 4 a + b).
Gefäßzugang
Mit Abnahme der Nierenfunkti- on und drohender Dialysepflichtig- keit sollte an die frühzeitige Anlage eines Gefäßzuganges gedacht wer- den. Spätestens im „Stadium der De- kompensation", das heißt bei einem Serum-Kreatinin zwischen 7 bis 10
mg/dl ist diese Operation anzuraten (10). Während einer mehrwöchigen Heilungsphase bildet sich der Dialy- se-Shunt aus und ist dann jederzeit punktierbar. Komplikationen und Unannehmlichkeiten großlumiger Gefäß-Katheter können so vermie- den werden. Die Anlage eines Dialy- se-Shunts kann in der Regel ambu- lant erfolgen, wohingegen Patienten mit liegenden Gefäß-Kathetern sel- ten aus der stationären Behandlung entlassen werden können.
Aufnahme der Dialysebehandlung
Das „Stadium der Dialysepflich- tigkeit" ist erreicht, wenn der klini- sche Zustand des Betroffenen mit Dt. Ärztebl. 89, Heft 39, 25. September 1992 (71) A1-3153
Typ: Ha IIb IV
klar klar-trüb Arteriosklerose:
Serum:
Triglyzeride:
Cholesterin:
Ratio T/C:
Lipoprotei n pese:
+++ ++
klar-milchig
1
normal- II
bis 5 normal
Hyperlipoproteinämie in der Niereninsuffizienz
konservativen Therapiemöglichkei- ten nicht mehr zu kompensieren ist:
- Elektrolytentgleisungen - Hyperhydratation
- nicht mehr beeinflußbarer Hyper- tonus
- transfusionsbedürftige Anämie - Gastritis und gehäuftes Erbrechen - Somnolenz, Koma und neurologi- sche Störungen
- metabolische Azidose (pH < 7,3) - katabole Stoffwechsellage
- Perikarditis, Perikarderguß und Rhythmusstörungen.
Die Indikation zur Aufnahme der Dauerdialysebehandlung ist indi- viduell zu stellen. Eine absolute Dia- lyse-Indikation liegt vor bei: intersti- tiellem oder alveolärem Lungen- ödem, Perikarditis, hämodynamisch wirksamem Perikarderguß, Hyperka- liämie (> 6 mval/1), schwerer meta- bolischer Azidose (pH < 7,2) und urämischem Koma.
Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1-3146-3184 [Heft 39]
Abbildung 6: Hyperli- poproteinämie in der Niereninsuffizienz
Literatur
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10. Kluthe, R.: Die Betreuung des chronisch Nierenkranken in der Praxis. Dustri, Dei- senhofen, 1981
Anschrift für die Verfassen
Prof. Dr. med. Conrad A. Baldamus Klinik I für Innere Medizin
- Nephrologie - der Universität Joseph-Stelzmann-Straße 9 W-5000 Köln 41
Graft-Versus-Host Disease:
Neue Indikation für Thalidomid?
Gut 30 Jahre nach der Conter- gan-Katastrophe wurde das Sedati- vum Thalidomid von amerikanischen Onkologen zur Behandlung der chronisch verlaufenden Graft-Ver- sus-Host-Disease (GVHD) nach al- logenen Knochenmarktstransplanta- tion eingesetzt.
Die immunsuppressive Wirkung von Thalidomid war bereits in den 60er Jahren erkannt worden, auf- grund der seinerzeit aufgetretenen Teratogenität mit Ausbildung von Phakomelien war diese Eigenschaft jedoch nicht weiter untersucht wor-
den. Nach ersten erfolgversprechen- den Ergebnissen bei chronischer
GVHD im Tierversuch wurden 23 Patienten mit chronischer GVHD und 21 Patienten mit Vorstufen die- ser Erkrankung nach allogener Kno- chenmarktransplantation mit Thali- domid behandelt, nachdem konven- tionelle Therapieregime zur Immun- suppressien keinen Erfolg gezeigt hatten. Gegenüber einer bisher etwa 50prozentigen Letalität der GVHD kam es bei den mit Thalidomid be- handelten Patienten zu einer Reduk- tion der Letalität auf 34 Prozent. Ei- ne vollständige Rückbildung der GVHD wurde bei 14 Patienten, eine teilweise Rückbildung bei 12 Patien- ten gesehen, 18 Patienten sprachen
FÜR SIE REFERIERT
nicht auf die Therapie an. Als nen- nenswerte Nebenwirkung kam es bei den meisten Patienten zu einer merklichen Sedation.
Die Autoren halten Thalidomid für eine sichere und effektive Sub- stanz in der Behandlung der chroni- schen GVHD und empfehlen, in weiteren Studien die Substanz mit Kortikosteroiden zu vergleichen. acc
Vogelsang, G. B. et. al.: Thalidomide for the treatment of chronic graft-versus-host disease. N. Eng J Med. 326 (1992) 1055 —1058.
Dr. G. B. Vogelsang, John Hopkins Onco- logy Center. 600 N. Wolfe St., Baltimore, MD 21205, USA.
A1-3154 (72) Dt. Ärztebl. 89, Heft 39, 25. September 1992