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Archiv "Die Therapie der Schizophrenie im Jugendalter" (07.02.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUNG

Die Therapie

der Schizophrenie im Jugendalter

Helmut Remschmidt, Matthias Martin

1. Einleitung

Schizophrene Psychosen sind im Kindesalter und in der Präpubertät eher seltene Ereignisse, in der Ado- leszenz jedoch stellen sie eine ver- gleichsweise häufige Erkrankung dar. Das Erstmanifestationsalter der schizophrenen Psychosen liegt zu 2,4 Prozent zwischen dem 5. und 14. Le- bensjahr, zu 22,1 Prozent zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr. Für die zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr erkrankten Patienten besteht dabei nach Angaben in der Literatur ein signifikanter Geschlechtsunter- schied. 31,1 Prozent der Betroffenen sind männlichen, nur 15,7 Prozent weiblichen Geschlechts in dieser Al- tersgruppe (3). Unter unseren eige- nen stationären Patienten finden wir jedoch eine Gleichverteilung zwi- schen Jungen und Mädchen. Die Al- tersverteilung von Psychosen in einer vollständigen kinder- und jugend- psychiatrischen Population ist in Ab- bildung 1 dargestellt (12).

2. Entwicklungs- psychopathologische Gesichtspunkte

In der entwicklungspsychologi- schen Diskussion ist die ältere Auf- fassung der Adoleszenz als Über- gangsphase zwischen Eigenständig- keit der Kindheit und fest umschrie- benem Rollenverhalten des Erwach- senenstatus abgelöst worden durch

Bei der Behandlung schizophre- ner Psychosen im Jugendalter hat sich in den letzten Jahren ein mehrdimensionaler Ansatz durchgesetzt, der folgende Kom- ponenten umfaßt: (1) die psycho- pharmakologische Behandlung der Akutsymptomatik, (2) die psy- chopharmakologische Rezidiv- prophylaxe, (3) psychotherapeuti- sche Maßnahmen, (4) familienbe- zogene Maßnahmen und bei etwa 40% der Patienten (5) spezifische Rehabilitationsmaßnahmen. Die Integration dieser Komponenten in einen Therapieplan ist erforder- lich. Unter den psychotherapeu- tischen Maßnahmen haben sich folgende bewährt: genaue Aufklä- rung der Familie und des Patien- ten, stützendes und nicht konflikt- zentriertes Vorgehen, Trainings- programme für die kognitiven Ba- sisstörungen und Therapiepro- gramme mit den Familien, die da- zu beitragen, daß der Patient we- niger mit überschießenden oder feindseligen Emotionen seitens seiner Familie konfrontiert wird.

die neuere Betrachtung der Adoles- zenz als eine eigenständige Phase und der Adoleszenten als eigene Gruppe mit spezifischen Bedürfnis- sen, Problemen und Sorgen (13). Die Kenntnis der kognitiven und emotio- Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugend- psychiatrie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. phil.

Helmut Remschmidt) der Philipps-Universi- tät Marburg

nalen Entwicklung dieser Altersstufe sowie eine genaue Analyse der Ent- wicklungsaufgaben sind Vorausset- zung für ein Verständnis der psychi- schen Störungen in der Adoleszenz, besonders auch der psychotischen Erkrankungen. Sogenannte Adoles- zentenkrisen und Reifungskrisen können das Vorfeld einer Psychose markieren beziehungsweise diese auch zunächst maskieren (14).

Eine schwere Adoleszentenkrise mit Ausgang in eine schizophrene Psychose, eine schleichend begin- nende schizophrene Entwicklung oder eine von Anbeginn eindeutig paranoide schizophrene Erkrankung bedeutet für den Jugendlichen, daß die adoleszenzspezifischen Entwick- lungsaufgaben nicht gelöst werden können. Nicht selten markiert ein Scheitern in der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben den Beginn der schizophrenen Psychose.

3. Behandlungs- maßnahmen

Die jugendpsychiatrischen Be- handlungsmaßnahmen müssen da- her sehr umfassend sein und folgen- de Aspekte integrieren:

1. Die psychopharmakologische Be- handlung der Akutsymptomatik, 2. Psychopharmakologische Aspek-

te der Rezidivprophylaxe, 3. psychotherapeutische Maßnah-

men,

4. familienbezogene Maßnahmen

und

5. spezifische Rehabilitationsmaß- nahmen.

Dt. Ärztebl. 89, Heft 6, 7. Februar 1992 (49) A1-387

(2)

100 50 30 60 50 200

stark 1— 6

2—10 5— 20 2— 20 4— 20 2— 8 Benperidol

Flupenthixol Fluphenazin Haloperidol Pimozid Trifluoperidol

Tabelle 1: „Antipsychotische Potenz" einiger Neuroleptika mit emp- eitlener mittlerer Tagesdosis bei schizophrenen Erkrankungen

anti-

psychotische Potenz

Freiname mittlere

Tagesdosis (in mg)

neuroleptische Potenz (CPZ = 1)

Butyrylperazin Clozapin Periziazin

Cis(Z)-Clopenthixol Perphenazin

Thioproperazin Triflupromazin

30-200 25-600 5-150 10— 75 12— 64 10— 50 75-300 mittel

0,5 5 8 2 Chiorpromazin

Chlorprothixen Floropipamid Laevomepromazin Perazin

Prothipendyl Sulpirid Thioridazin

150-600 150-600 160-360 100-600 75-600 240-480 100-800 200-700

schwach 1

0,8 0,8 0,8 0,5 0,6 0,5 0,7

Altersverteilung von Psychosen in einer vollständigen Kinder- und Jugendspsychiatrischen Inanspruchnahmepopulation

0-0 Schizophrenie 0-0 affektive Psychose

D-0 Typische Psychose des Kindesalters

<> restliche Psychoseformen 50 -

40 -

30 -

20 - Anzahl 60

10-

9 12 15 18

Abbildung 1: Altersverteilung von Psychosen in einer vollständigen kinder- und jugend- psychiatrischen Inanspruchnahmepopulation (nach 12)

3.1 Psychopharmakologische Behandlung

der Akutsymptomatik

In der Akutphase der Schizo- phrenie ist eine neuroleptische Be- handlung erforderlich (Ubersicht bei 14). Ihr Erfolg ist vielfältig erwiesen.

Unter antipsychotischer Wirkung ei- nes neuroleptischen Medikamentes versteht man die normalisierende Wirkung der Neuroleptika auf Stö- rungen der Psychomotorik (Hyper- aktivität, Erregung, katatone Sym- ptome), der Affekte (innere Span- nung, Aggressivität, manische, dys- phorische und depressive Verstim- mung, Affektdissoziation) und des Denkens (formale Denkstörungen) sowie auf Wahnsymptome, Sinnes- täuschungen (vor allem akustische Halluzinationen), Autismus, Negati- vismus, sozialen Rückzug und Kon- taktstörungen (2).

Zur Behandlung akut psycho- tischer Zustandsbilder mit vorwie- gend produktiver Symptomatik ha- ben sich insbesondere die Butyro- phenonderivate als sehr wertvoll er- wiesen (insbesondere Haloperidol und Benperidol) sowie die Phenothi- azine Perazin (Taxilan®), Fluphena- cin (Dapotum®, Lyogen®) und Per- phenacin (Decentan®). Bei chronifi- zierteren Verläufen ist eine Behand- lung mit den schwach potenten Neu- roleptika Perazin und Thioridazin in mittlerer bis höherer Dosierung an- gezeigt. Geht das akute psychotische Erkrankungsbild mit starker Unruhe und Aggressivität einher, ist eine Kombinationsbehandlung mit den

ptomatik" (Überaktivität, Erregung, katatone Symptome, Wahnsympto- me, Halluzinationen) und „Negativ- symptomatik" (Antriebsarmut, Ne- gativismus, autistisches Verhalten, Gehemmtheit und Rückzug) mit zu- mindest hypothetisch unterschiedli- chen biologischen Korrelaten erfor- dert eine differentielle Therapie.

Im Vordergrund stehen hier die Medikamente Clozapin (Leponex®) und Sulpirid (Dogmatil®). Clozapin (Leponex®) hat darüber hinaus den Vorteil, daß es kaum Nebenwirkun- gen auf das extrapyramidale motori- sche System hat.

Unsere eigenen Erfahrungen zeigen, daß Clozapin vielfach auch dann wirksam ist, wenn andere Neu- roleptika keinen Erfolg gebracht ha- ben (15). Wegen der im Vergleich zu anderen Neuroleptika höheren Inzi- denzwerte für das Auftreten einer Agranulozytose unter Clozapin gel- ten folgende Kriterien zur Indikati- onsstellung für das Medikament:

Mindestens fünf Monate erfolglose Ausdosierung von wenigstens drei stärker dämpfenden Substanzen Le-

vomepromacin (Neurocil®) oder Chlorprothixen (Truxal®) angezeigt.

Die antipsychotische Potenz ei- niger Neuroleptika mit empfohlener mittlerer Tagesdosis bei schizophre- nen Erkrankungen ist in Tabelle 1 wiedergegeben.

Die Aufteilung der schizophre- nen Symptomatik in „positive Sym-

A1-388 (50) Dt. Ärztebl. 89, Heft 6, 7. Februar 1992

(3)

Plus- Minus- sym pto- sympto- matik matik

sedierende anti- Wirkung depressive

Wirkung

depressio- gene Wirkung

delirogene Wirkung

EPMS Wirkung Freiname

Benperidol Flupenthixol Fluphenazin Haloperidol Pimozid Trifluoperidol Butyrylperazin Cis(Z)- Clopenthixol Clozapin Periciazin Perphenazin Thioproperazin Triflupromazin Chlorpromazin Chlorprothixen Floropipamid Laevome- promazin Perazin Prothipendyl Sulpirid Thioridazin

+ +

+ + 0

+ + 0

+ +

+ + ++

+ + ++ ++

+ + + + + +

+ +

+

++

+ +

++

+ +

+

++

+ + ++

+ + +

+ + ++

+ ++ 0

+ + ++

0 0 0 0

0 0 0 0

+ + + +

0

0

0 0 0 0 0 0

0

++

0 0

0 0

++

Tabelle 3: Nebenwirkungen der Neuroleptika

r.111■111.011111•11■1112_

Wirkungen auf die Motorik: Parkinsonoid Akathisie akute Dyskinesie Spätdyskinesie

Hypersalivation, Akkomodationsstö- rungen, Miktionsstörungen, vermehr- te Schwitzneigung

vegetative Nebenwirkungen:

orthostatische Dysregulation, Tachy- kardie, Herzrhythmusstörung, ventri- kuläre Extrasystolen, Blutdrucksteige- rung

kardiovaskuläre Nebenwirkungen:

Wirkungen auf Leberfunktion:

y-GT, SGOT, SGPT, alkal. Phospha- tase, Anstieg

Wirkungen auf haemato- poetisches System:

Eosinophilie

Leukopenie mit Eosinopenie Agranulozytose

Amenorrhoe, Galaktorrhoe, Ejakulations-, Erektionsstörungen Zunahme des Körpergewichtes endokrine Nebenwirkungen:

Tabelle 2: Psychiatrische Wirkprofile einiger Neuroleptika. Aus (2)

0: nicht vorhanden; + : schwach wirksam; + + : stark wirksam

verschiedenartigen Neuroleptika, oder das Auftreten von Nebenwir- kungen (extrapyramidal oder cholin- erg) unter dieser Medikation (1, 5, 6). Die in der Literatur geschilderten Agranulozytosen traten unter Cloza- pinmedikation zwischen dem 7. und 105. Behandlungstag auf (1, 4, 6).

Nach rechtzeitigem Absetzen von Clozapin beim Verdacht auf das Vorliegen einer Agranulozytose nor- malisieren sich alle Werte meist (wie bei den Phenothiazinen) innerhalb von zwei Wochen. Die Behandlung mit Clozapin erfordert wöchentliche Blutbildkontrollen einschließlich Differentialblutbild während des er- sten Vierteljahres der Behandlung sowie eine Kontrolle der Leber und der Kreislaufparameter. Häufigste Nebenwirkungen bei Jugendlichen waren Müdigkeit (50 Prozent der Fälle) sowie Hypersalivation (33 Prozent der Fälle) (15).

In Tabelle 2 ist das psychiatri- sche Wirkprofil einiger Neuroleptika

Dt. Ärztebl. 89, Heft 6, 7. Februar 1992 (53) A,-389

(4)

Störungen der Sexualentwicklung Identitätskrisen Autoritätskrisen Depersonalisationssyndrome Körperliche Selbstwertkonflikte Narzistische Krisen und Suizidversuche

Dissozialität und Delinquenz

Heilung Neurose

Persönlichkeitsstörung Psychose

Adoleszentenkrisen Reifungskrisen

Die sogenannten Adoleszentenkrisen und ihr möglicher Ausgang

Abbildung 2: Die sogenannten Adoleszentenkrisen und ihr möglicher Ausgang (nach 11)

Tabelle 4: Zusammenarbeit mit Familien von psyctionscrten enctlicnen. 1Vacn (tu) Interventionsebene Problembereich (Fokus) Schwerpunkt der

Zielsetzung

typische Methoden 1. Familienberatung

(Elternberatung)

Informationsmangel, Verunsicherung, Entmutigung,

diffuse Schuldgefühle

Entwicklung eines tragfähigen

Therapiebündnisses

Orientierung und Sicherheit

durch Information Positive Konnotation 2. Stützend-

strukturierende Familientherapie

Wechselwirkung Symptomatik — Familieninteraktion (Symptomatik und maligne

Interaktionsmuster verstärken sich wechselseitig)

Neutralisierung und Kontrolle der Sympt.

(Entkoppelung der Wechselwirkung Sympt.

— Familieninteraktion) Unterbrechung der sekundären Dynamik (sek. Prävention)

Klare Absprachen und Festlegungen Verhaltensaufgaben Verhaltens-„Verträge"

(„Direkte"

Interventionen)

3. Weiterführende entwicklungs- bezogene

Familientherapie

Entwicklungshemmende Beziehungs-

muster und Familienkonflikte

Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungs- spielraumes:

Freisetzung von Entwicklungs- möglichkeiten

Umdeutung (Reframing) Paradoxe und

provokative Methoden („Indirekte" Methoden) Konfliktverhandlung Nichtverbale und aktionale Methoden wiedergegeben. Geläufige uner-

wünschte Wirkungen (Nebenwirkun- gen) von Neuroleptika sind Wirkun- gen auf die Motorik, das vegetative Nervensystem, kardiovaskuläre Ne- benwirkungen, Störungen der Leber- funktion, des hämatopoetischen Sy- stems und endokrine Nebenwirkun- gen (siehe Tabelle 3).

3.2 Psychopharmakologische Aspekte der Rezidivprophylaxe Chronische schizophrene Psy- chosen bei Kindern und Jugendli- chen stellen eine Indikation für De-

pot-Neuroleptika dar. Diese weisen das gleiche Wirkungsprofil auf wie kurz wirksame Neuroleptika und be- einflussen wie diese die produktiven Symptome (Halluzinationen, Wahn- und Denkstörungen), aber auch auti- stische Verhaltensweisen, Zurückge- zogenheit und psychomotorische Ge- hemmtheit. Als Depot-Neuroleptika werden angewandt Haldol-Decano- at, Fluphenacin-Decanoat (Dapo- tum®, Lyogen-Depot®) sowie Fluspi- rilen (Imap®). Die Applikation er- folgt intramuskulär, die Wirkungs- dauer beträgt je nach Substanz zwi- schen einer und vier Wochen. De- pot-Neuroleptika werden im Ver-

gleich mit Kurzzeit-Neuroleptika re- lativ niedrig dosiert. Sie haben die gleichen Nebenwirkungen.

Aber auch bei guter Remission der Akutsymptomatik ist es überle- genswert, innerhalb eines Zeitrau- mes von ein bis zwei Jahren nach der Akuterkrankung eine Rückfallpro- phylaxe mit Depot-Neuroleptika durchzuführen.

Die langfristige Prognose schi- zophren erkrankter Menschen ist von vielen Faktoren abhängig, unter anderem auch vom erreichten sozia- len Niveau, von der beruflichen Inte- gration, von der Dichte des sozialen Netzwerks und der Einbettung in fa- miliäre Zusammenhänge. Die Ado- leszenten haben zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung noch keines der oben genannten Lebensziele erreicht, ge- wöhnlich haben sie die Schule nicht abgeschlossen oder ihre Berufsaus- bildung noch nicht beendet. Um während dieser wichtigen Lebens- phase Rezidive, die gewöhnlich mit Klinikaufenthalt und Abbruch einer begonnenen Schulbildung/Lehraus- bildung und so weiter verbunden sind, zu vermeiden, ist auch bei guter Remission eine Rückfallprophylaxe indiziert. I>

A1-392 (56) Dt. Ärztebl. 89. Heft 6, 7. Februar 1992

(5)

Akutphase Rehabilitationsphase Nachbetreuungs- phase ärztliche und psychotherapeutische Behandlung

Schule für Kranke

4.

Werk- und Arbeits- therapie

Holz Metall Hauswirtschaft

Gärtnerei Einzelmaßnahmen

Beschäftigungs- therapie Mototherapie

Öffentliche Schule

Berufsbildungswerk

Lehre

Werkstatt für psychisch

Behinderte Klinik

Betreute Wohngruppe in der Gemeinde

4.

Betreutes Einzelwohnen Wohngruppe I

Wohngruppe II Wohngruppe III (schulpfl. Patienten)

Wohngruppe IV (schulpfl. Patienten)

Wohngruppe V (schulpfl. Patienten)

Wohngruppe VI (schulpfl. Patienten)

4,

Aufbau und Organisation des Rehabilitationsprogramms in der Rehabilitationseinrichtung "Leppermühle"

Tabelle 5: Abfolge von Akutbehandlung und Rehabilitationsbehandlung. Nach (8)

Stationäre Aufnahme Neuroleptische Medikation

Baldige Aktivierung Einzeltherapie und Einzelbetreuung Beschäftigungs- therapie

Kontakthalten zur Familie

Gruppenaktivitäten (soweit möglich)

Ziel:

Beeinflussung der Akut-Symptomatik Verhinderung von Rückzug und Chronifizierung

Remissions-Phase (Klinische Behandlung) Weitere stationäre Behandlung Neuroleptische Medikation

Integration in Gruppe Mitarbeit in AGs

Schulbesuch oder Einzelunterricht

„Realitätstraining"

Konzentrationstraining Stadtaktivitäten/

Verselbständigung Beurlaubungen Familiengespräche Ziel:

Reintegration im klinischen Bereich

Reha-Phase I (Heimbetreuung) Depot-Medikation Gruppentherapie Einzeltherapie Einübung der Tagesabläufe Schulbesuch

„Realitätstraining"

Kreative Förderung Familienkontakt

Ziel:

Reintegration in größere Gemeinschaft, Realitäts- anpassung, Berufsfindung und -vorbereitung

Reha-Phase II

(Betreute Wohngruppe) Depot-Medikation Verselbständigung in Gruppe

Selbstversorgung Schulbesuch, Anlerntätigkeit oder Lehre

Ziel:

Selbstversorgung Berufliche Entwicklung Akut-Phase

(Klinische Behandlung)

3.3 Die psychotherapeutischen Maßnahmen

Nach Remission der Akutsym- ptomatik ist es erste Aufgabe der Psychotherapie, dem Jugendlichen verständlich zu machen, „was mit ihm passiert ist", das heißt ihn in die Lage zu versetzen, die psychotischen Erlebnisinhalte „sinnvoll" einzuord- nen, zu verstehen und sich damit auseinanderzusetzen. Wichtig ist, daß dies in einer behutsamen und den Patienten emotional nicht bela- stenden Weise geschieht. Die Thera- pie hat supportiven, stützenden und nicht konfliktaufdeckenden Charak- ter. Im Idealfall lernt der Patient, mit emotional belastendem Streß so umzugehen, daß kein Rezidiv ausge- löst wird. Typische Streßfaktoren dieser Erlebensstufe sind Verliebt- heiten, Prüfungsängste, allgemein ein falsches Einschätzen der eigenen Fähigkeiten mit resultierender Überforderung und familiäre Kon-

Abbildung 3: Aufbau und Organisation des Rehabilitationsprogramms in der Rehabilitations- einrichtung „Leppermühle"

Dt. Ärztebl. 89, Heft 6, 7. Februar 1992 (59) A1-395

(6)

flikte, zentriert im Spannungsfeld Autonomie versus Abhängigkeit von der Familie.

Ein weiterer Ansatzpunkt für die Psychotherapie schizophrener Patienten bilden die sogenannten kognitiven Basisstörungen, die mit speziellen Trainingsprogrammen an- gegangen werden können. Schließ- lich stellt die Bearbeitung von psy- chosozialen Problemen, die sekun- där durch die Psychose entstanden sind, ein weiteres Problemfeld der Psychotherapie dar.

3.4 Die familienbezogenen Maßnahmen

Bei jugendlichen Patienten muß auch die Familie in den Behand- lungsprozeß einbezogen werden.

Von früher üblichen, ambitionierten Konzepten der Familientherapie in Familien mit einem schizophrenen Patienten ist man abgekommen. Es hat sich zum Beipiel nicht bestätigt, daß eine bestimmte Art wider- sprüchlicher Kommunikation, näm- lich die sogenannte „Doppelbin- dung" (double bind) und die daraus resultierende „Beziehungsfalle" ty- pisch für Familien mit einem schi- zophrenen Kind sind. Die aktuellen Forschungsergebnisse und ebenso die praktischen Erfahrungen zeigen, daß es die „psychotische" Familie nicht gibt, ebensowenig wie die „schi- zophrenogene" oder „schizopräsen- te" Familie. Man kann auch nicht von vornherein annehmen, daß in der Familie mit einem psychotischen Jugendlichen etwas dysfunktional ist.

Aktuelle Familienforschungen haben gezeigt, daß für die Rückfall- rate nach der Klinikentlassung im wesentlichen zwei Faktoren maßge- bend sind, nämlich einmal die Medi- kation und zum anderen das Famili- enklima. Diese Forschungen sind un- ter dem Begriff Expressed Emotions (EE) bekanntgeworden. Die Zusam- menarbeit mit den Familien konzen- triert sich deswegen im Sinne einer

„psycho-edukativen" oder „psycha- gogischen" Familientherapie auf die Beeinflussung des Familienklimas.

Hierbei spielt die Entlastung der Fa- milie, die Veränderung emotional belastender Familieninteraktionen

im Sinne einer „Abmilderung" unter Einbeziehung der Angehörigen in die Rezidivprophylaxe eine Rolle.

Schwerpunkt der Familienarbeit ist die Aufklärung der Familie über die Art der Erkrankung, die Beratung und Einübung von Umgang mit kriti- schen Situationen und die Entwick- lung familiärer Strategien zum Um- gang mit Belastungen innerhalb und außerhalb der Familie. Das struktu- rierte Therapieprogramm in Famili- en kann dazu beitragen, daß der Pa- tient weniger überschießenden und feindseligen Emotionen seitens an- derer Familienmitglieder ausgesetzt ist. Tabelle 4 faßt das Vorgehen sche- matisch zusammen (10).

3.5 Rehabilitation

Etwa 40 Prozent der Adoleszen- ten, die an einer Schizophrenie er- kranken, können aufgrund der Chro- nifizierung ihrer Erkrankung oder aufgrund ausgeprägter Störungen in-

Literatur

1. Anger, B., S. Reichert, H. Heimpel: Cloza- pine-Induced Agranulocytosis. Blut 55:

63-64, Springer, 1987.

2. Berner, P. und G. Schönbeck: Biologische Behandlungsmethoden. In: Kisker, K. P., H.

Lauter, J. E. Meyer, Müller, E. Strömgren, (Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 4, Schizophrenien. Springer, Berlin, Heidel- berg, New York, 1987.

3. Huber, G., G. Gross, R. Schüttler.: Schi- zophrenie. Eine verlaufs- und sozialpsych- iatrische Langzeitstudie. Springer, Berlin, 1979.

4. Idänpään-Heikkilä, J., E. Alhava, M. Olki- nuora, I. P. Palva: Agranulocytosis during treatment with Clozapine. European Jour- nal of Clinical Pharmacology 11, 193-198, Springer, 1977.

5. Kane, J. M., G. Honigfeld, J. Singer, H.

Meltzer: Clozapine in Treatment-Resistant Schizophrenics. Psychopharmacology Bulle- tin, Vol 24, No. 1, 62-67, 1988.

6. Lieberman, J. A., C. A. Johns, J. M. Kane., K. Rai, A. V. Pisciotta, B. L. Saltz, A. Ho- ward: Clozapine-Induced Agranulocytosis:

Non-Cross-Reactivity with other Psycho- tropic Drugs. J. Clin Psychiatry 49, 271-277, 1988.

7. Martin, M., H. Remschmidt: Ein Nachsor- ge- und Rehabilitationsprojekt für jugendli- che Schizophrene. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie 11, 234-242, 1983.

8. Martin, M., H. Remschmidt: Rehabilitati- onsbehandlung jugendlicher Schizophrener.

In: Remschmidt, H. (Hrsg.): Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und Familien, Bd. II. Enke, Stuttgart, 1984.

9. Martin, M.: Verlauf der Schizophrenie im Jugendalter unter Rehabilitationsbedingun- gen. Enke, Stuttgart, 1991.

nerhalb ihrer Familie nach der sta- tionären Behandlung nicht unmittel- bar ihre schulische und berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen und auch nicht in das häusliche Milieu zurückkehren. Für diese Gruppe ist ein Rehabilitationsprogramm erfor- derlich, das zum Ziel hat, die Patien- ten nach ein- bis zweijähriger Reha- bilitationsphase wieder in ihre ge- wohnte Umgebung zu integrieren oder für sie (und mit ihnen gemein- sam) eine neue Perspektive der schu- lischen und beruflichen Förderung zu erarbeiten. Ein derartiges Pro- gramm wurde von uns initiiert (7, 8) und evaluiert (9). Es hat sich gezeigt, daß dieses Rehabilitationsprogramm den Störungen der Patienten ange- messen ist und eine schrittweise Rückführung in den schulischen, be- ruflichen und familiären Bereich er- möglicht.

Die Erfordernisse und die Ver- knüpfungen einer Reha-Einrichtung mit anderen Institutionen sind in Ta- belle 5 und Abbildung 3 aufgeführt.

10. Mattejat, F.: Familientherapie bei psycho- tischen Jugendlichen, Vortrag, Innsbruck, 1989.

11. Remschmidt, H.: Die Entwicklung und ihre Varianten in der Adoleszenz. In: Kisker, K. P., M. Lauter, I. E. Meyer, E. Strömgren (Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 7.

Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 1988.

12. Remschmidt, H.: Schizophrene Psychosen im Kindesalter. In: Kisker, K. P., M. Lauter, I. E. Meyer, E. Strömgren (Hrsg.): Psychia- trie der Gegenwart, Bd. 7, Kinder- und Ju- gendpsychiatrie. Springer, Berlin, S. 89-117, 1988.

13. Remschmidt, H.: Adoleszenz. Entwicklung und Entwicklungskrisen. Thieme, Stuttgart, New York, 1992.

14. Remschmidt, H.: Psychiatrie der Adoles- zenz. Thieme, Stuttgart, New York, 1992.

15. Siefen, G. und H. Remschmidt: Behand- lungsergebnisse mit Clozapin bei schizo- phrenen Jugendlichen. Z. Kinder- Jugend- psychiat. 14, 245-257, 1986.

Anschrift für die Verfasser

Professor Dr. med. Dr. phil.

Helmut Remschmidt

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität

Hans-Sachs-Straße 4-6 W-3550 Marburg A1-396 (60) Dt. Ärztebl. 89, Heft 6, 7. Februar 1992

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