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Archiv "Hautveränderungen bei der medikamentösen HIV-Therapie" (20.04.2007)

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asis des Artikels sind Übersichtsarbeiten zu Hautveränderungen bei der medikamentösen HIV-Therapie auf der Basis einer selektiven Literatur- auswahl der Autoren.

Bevor die HIV-Infektion Mitte der 1990er-Jahre mit antiretroviral wirksamen Medikamenten behan- delt werden konnte, zählten HIV-assoziierte Hautver- änderungen zu den häufigsten Komplikationen der Immundefizienz. Vor Einführung der hochaktiven an- tiretroviralen Therapie (HAART) hatten bis zu 80 % der HIV-infizierten Patienten Hauterkrankungen oder Arzneimittelnebenwirkungen, die mit dem Immunde- fekt assoziiert waren (1).

Deshalb zählen auch Hauterkrankungen wie das Kaposi-Sarkom, die oropharyngeale Kandidose oder die persistierende Herpes-simplex-Infektion zu den AIDS-definierenden Erkrankungen. Neben den Arz- neireaktionen sind die häufigsten dermatologischen Erkrankungen nicht mehr mit dem Immundefekt asso- ziiert. Am häufigsten treten Follikulitiden oder Pruri- tus auf (2).

Hautveränderungen

Zurzeit sind 20 Medikamente zur HIV-Therapie zuge- lassen (Tabelle 1). Üblicherweise wird die HIV-Infek- tion durch die Kombination von 3 Medikamenten behandelt. Empfohlene Therapien sind die Kombina- tion von 2 nukleosidalen Reverse-Transkriptase- Inhibitoren (NRTI) mit einem Protease-Inhibitor (PI), mit einem nichtnukleosidalen Reverse-Transkriptase- Inhibitor (NNRTI) oder einem dritten NRTI. Diese, auch HAART genannte Therapie reduziert stark die HIV-RNA, erhöht die CD4-Zellzahl und vermindert opportunistische Infektionen und HIV-assoziierte Todesfälle (Evidenzlage: A I, für neue Substanzen:

A II). Die Einführung der Kombinationstherapien führte aber auch zu mehr (dermatologischen) Neben- wirkungen (3).

Grundsätzlich werden Arzneimittelreaktionen in Typ A („augmented“) und Typ B („bizarre“) eingeteilt.

Die Typ-A-Reaktion ist aufgrund der Pharmakolo- gie erklärbar und in der Regel dosisabhängig. Bei- spiele sind Haarausfall durch Zytostatika oder Blutun- gen durch nichtsteroidale Antiphlogistika. Typ B ist weder vorhersehbar noch dosisabhängig und tritt nur bei einzelnen Patienten auf. Hierzu zählen allergische Reaktionen wie Exantheme oder Hypersensitivitätsre- aktionen.

ÜBERSICHTSARBEIT

Hautveränderungen bei der

medikamentösen HIV-Therapie

Martin Hartmann, Alexander Enk

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Die Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) führte nicht nur zu einer eindrucksvollen Senkung der Viruslast, sondern auch zu gastrointestinalen, hepatischen oder metabolischen Nebenwirkungen. Haut- veränderungen zählen zu den typischen Komplikationen der HIV-Therapie. Methoden: Diskussion ausgewählter Li- teratur. Ergebnisse: An frühen kutanen Arzneimittelreaktio- nen entwickeln sich allergische Exantheme, Hypersensiti- vitätsreaktionen, Immunrekonstitutionsphänomene und Reaktionen an der Einstichstelle. Diese Reaktionen werden bei den 20 zur Therapie der HIV-Infektion zugelassenen Medikamenten unterschiedlich häufig festgestellt. Bei den Spätreaktionen imponiert das Lipodystrophie-Syndrom, bei dem eine periphere Fettabnahme mit einer zentralen Fett- zunahme einhergeht. Diskussion: Die Hypersensitivitätsre- aktionen können lebensbedrohlich sein oder, wie das Lipo- dystrophie-Syndrom, irreversibel verlaufen. Deshalb soll- ten diese Hautveränderungen bei antiretroviral behandel- ten Patienten bekannt sein.

Dtsch Arztebl 2007; 104(16): A 1098–1103.

Schlüsselwörter: Hautveränderung, HIV-Infektion, unerwünschte Arzneimittelwirkung, HAART, Allergie

SUMMARY

CUTANEOUS EFFECTS OF ANTIRETROVIRAL THERAPY

Introduction: The introduction of highly active antiretroviral therapy (HAART) has significantly decreased not only HIV viral load but also increased gastrointestinal, hepatic or metabolic side effects. Cutaneous adverse drug reactions are common in reponse to HAART. Methods: Selective lit- erature review. Results: Shortly after the onset of antiretro- viral treatment, drug rashes, hypersensitivity reactions, im- mune reconstitution syndromes or injection site reactions commonly develop. Their frequency differs between the 20 drugs approved for antiretroviral treatment. Discussion: In the later treatment phase, lipodystrophy which is a combi- nation of peripheral lipoatrophy and central fat accumulation develops. These adverse drug reactions may be serious or irreversible and should therefore be well understood by the treating physician.

Dtsch Arztebl 2007; 104(16): A 1098–1103.

Key words: antiretroviral, skin alteration, HIV infection, side effect, HAART, allergy

Universitäts-Hautklinik Heidelberg:

PD Dr. med. Hartmann;

Prof. Dr. med. Enk

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Nichtallergische Hautmanifestationen der HIV-Therapie Zu diesen Nebenwirkungen zählen das Lipodystro- phie-Syndrom und Hyperpigmentierungen der Haut und Nägel. Am häufigsten treten diese Reaktionen bei Therapie mit NRTIs auf (Tabelle 1).

Lipodystrophie

Die HIV-assoziierte Lipodystrophie ist eine Fettver- teilungsstörung mit einer Kombination von Fettver- minderung (Gesicht, Arme und Beine) und einer Fett- vermehrung (Bauch, Brust und Nacken) (4). 20 bis 80 % der Patienten entwickeln eine Lipodystrophie. Bis- lang fehlt eine einheitliche Definition von Lipodystro- phie. Die Pathogenese der Lipodystrophie ist multi- faktoriell. Eine Rolle spielen sowohl die HIV-Infekti- on, die antiretroviralen Medikamente und weitere Ri- sikofaktoren, wie die Dauer der antiretroviralen The- rapie, Ausmaß des Immundefekts und die Konzentra- tion der Triglyzeride. Die Störung beruht auf einer mitochondrialen Schädigung der Zellen. Dabei inter- ferieren die NRTIs mit der DNA-Polymerase-γ, dem verantwortlichen Enzym für die Replikation der mito- chondrialen DNA (mtDNA). Den stärksten Effekt auf die Lipoatrophie haben die Thymidin-Analoga, vor al- lem Stavudin (d4T).

Alternativ kann eine NRTI-freie HAART versucht werden; die Fettverteilungsstörung bildet sich oft nur unvollständig zurück (Evidenzlage für den Wechsel von Stavudin [d4T]: A I, sonst: B II). Kosmetische Maßnah- men wie Fettabsaugung oder Fetttransplantation können versucht werden (Evidenzlage: C III), zeigen in der Regel aber nur einen vorübergehenden Effekt. Die Gabe von Wachstumshormonen kann die Fettvermehrung hemmen (Evidenzlage: B II). Zusätzlich wirkt sich Aus- dauertraining günstig auf die Fettverteilungsstörung aus. Die Injektion von Poly-L-Milchsäure kann die Lipatrophie bessern (Evidenzlage: C I).

Bei der Therapie mit Protease-Inhibitoren (Tabelle 1) können sich auch Cholesterin- und Triglyzeridwerte erhöhen und eine Insulinresistenz auftreten (5).

Hyperpigmentierung

Unter HIV-Therapie werden gelegentlich Hyperpigmen- tierungen durch Melanineinlagerungen beobachtet, am häufigsten als longitudinale, seltener als Schleimhaut- hyperpigmentierung. Die Längsverfärbung der Nägel wird besonders unter Therapie mit Azidothymidin (AZT, Abbil- dung 1), seltener bei Lamivudin (3TC) diagnostiziert, und zwar gehäuft und verstärkt bei dunklem Hauttyp (6).

Nach einer Medikamentenumstellung kann die Hyperpigmentierung verblassen (Evidenzlage: C III). Bei Therapie mit dem vor kurzem zugelassenen Emtricitabin treten in 3 % der Fälle palmare Hyperpigmentierungen auf.

Retinoid-ähnliche Wirkungen

Bei der Monotherapie mit Indinavir (IDV) entwickel- ten 14 % der Patienten eine Xerosis (Hauttrockenheit)

1, 2, 3, 4 werden jeweils auch in entsprechenden Kombinationspräparaten angeboten NRTI, nukleosidale reverse Transkriptase-Inhibitor; NtRTI, nukleotidale reverse Transkriptase-Inhibitor;

NNRTI, nicht nukleosidale reverse Transkriptase-Inhibitor; PI, Protease-Inhibitor; FI, Fusion-Inhibitor TABELLE 1

Medikamente zur Behandlung der HIV-Infektion

NRTI NtRTI NNRTI PI FI

Zidovudin (AZT)1, 2 Tenofovir (TDF)4 Efavirenz (EFV) Indinavir (IDV) Enfuvirtide (ENF)

Stavudin (d4T) Delavirdin (DLV) Nelfinavir (NFV)

Lamivudin (3TC)1, 2, 3 Nevirapin (NVP Saquinavir (SQV)

Didanosin (DDI) Ritonavir (RTV)

Abacavir (ABC)2, 3 Lopinavir (LPV)

Zalcitabin (ddC) Atazanavir (ATV)

Emtricitabin (FTC)4 FosAmprenavir (fAPV)

Tipranavir (TPV)

*Auflösung der Wirkstoffkürzel siehe Tabelle 1

TABELLE 2

Publizierte seltenere Hautveränderungen unter antiretroviraler Therapie (25)

Befund Wirkstoff*

akute generalisierte exanthematische Pustulose AZT/3TC/PI

Angiolipome IDV

fixe toxische Arzneireaktion SQV

Hypertrichose der Wimpern AZT

allergische Kontaktdermatitis 3TC

photoallergische Kontaktdermatitis EFV

Kräuselhaare 3TC/d4T/IDV

orale Ulzerationen ddC

Ösophageale Ulzerationen ddC und AZT

Striae IDV

Urtikaria IDV und NFV

leukozytoklastische Vaskulitis AZT, DDI und IDV

(3)

und 8 % eine Mundtrockenheit. Diese Nebenwirkun- gen führten allerdings nur selten zu einem Absetzen der Therapie. Später wurden unter einer Indinavir-hal- tigen Kombinationstherapie vermehrt Haarausfall, Pa- ronychien und eingewachsene Zehennägel beobachtet (Abbildung 2). Diese Nebenwirkungen scheinen bei den anderen Protease-Inhibitoren selten zu sein (7).

Die Kombination dieser Nebenwirkungen trat früher auch bei der Therapie mit Retinoiden auf, des- wegen werden die entsprechenden Nebenwirkung auch Retinoid-ähnlich genannt.

Ritonavir ist ein Protease-Inhibitor, der wegen zahl- reicher Nebenwirkungen nicht mehr in therapeutischer Dosierung eingesetzt wird (Tabelle 1). Die Substanz hemmt auch in niedriger Dosierung die Cytochrom- P450-Mischoxygenasen, besonders die Subform 3A4 und 5. Über diese Cytochrome werden die anderen PIs verstoffwechselt. Durch Kombination der PIs mit niedrig dosiertem Ritonavir kann die Gesamtdosis ver- mindert werden („boosted“ PI). Seit Einführung dieses Therapieprinzips werden die Retinoid-ähnlichen Ne- benwirkungen bei der Therapie mit IDV nur noch sehr selten oder weniger ausgeprägt beobachtet, weil diese dosisabhängig sind. Bei Umsetzen auf ein durch Rito- navir herabgesetztes PI-Regime oder durch eine PI- freie Therapie klingen die Hautveränderungen lang- sam ab (Evidenzlage: A II).

Reaktionen an der Einstichstelle

In den Zulassungsstudien (TORO) des Fusion-Inhibi- tors Enfuvirtide (T20) (Tabelle 1), der subkutan appli- ziert wird, klagten 98 % der Patienten über Rötungen, Verhärtungen oder subkutane Knoten (76 %) an der Einstichstelle. 3 % der Patienten brachen deshalb die

Therapie ab (8). Bei Patienten mit HIV-assoziierter Li- patrophie sind diese Reaktionen an der Einstichstelle ausgeprägter. Sie zählen nicht zu den allergischen Reaktionen, weil für diese Reaktion Zytokine verant- wortlich sind, die durch hohe Konzentrationen des Fusion-Inhibitors freigesetzt werden. Massagen der Einstichstelle und Umgebung können die Symptome lindern. Eine nadelfreie Injektionstherapie führt zu geringeren lokalen Konzentrationen und wurde in Studien erfolgreich eingesetzt. Eine Zulassung dieser Applikation wird für dieses Jahr erwartet. Reaktionen an der Eintrittsstelle treten auch bei anderen Immun- therapeutika, zum Beispiel Etanercept, auf.

Immunrekonstitutionssyndrom

Seit Beginn der HAART entwickelten sich progredien- te Aufflammphänomene von Erkrankungen, die mit dem Immundefekt assoziiert waren. Diese Symptome wurden durch sich erholende Immunfunktionen her- vorgerufen. Die Verläufe werden Immunrekonstituti- onssyndrome oder IRIS genannt. Sie beginnen wenige Wochen nach Beginn der antiretroviralen Therapie, nach Abfall der HIV-RNA und Anstieg der CD4-Zell- zahlen und treten am ausgeprägtesten bei niedrigen CD4-Zahlen beim Therapiebeginn auf (9). An derma- tologischen Manifestationen können bei einem IRIS Kaposi-Sarkom, HSV/VZV-Infektionen, (HSV, Herpes- simplex-Virus; VZV, Varizellen-Zoster-Virus) Infek- tionen mit humanen Papillomviren (HPV), Mollusca contagiosa, Demodikose, Mykobakteriosen, Sarkoido- se und eosinophile Follikulitis auftreten.

Ein Kaposi-Sarkom kann sich bei IRIS rasch aus- breiten. Eine anogenitale HSV-Infektion kann ausge- prägt erosiv verlaufen. Die Reaktivierung von Herpes zoster erfolgt nach 2 bis 4 Monaten mit typischer Klinik und ist überwiegend auf ein Dermatom be- grenzt. Gelegentlich entwickelt sich ein Zoster sine herpete. Es besteht die Gefahr, dass Condylomata acu- minata und Mollusca contagiosa sich bei Immunre- konstitution rasch ausbreiten. Kurz nach Beginn der HAART kann sich eine entzündliche Demodex-Folli- kulitis entwickeln (10). Bei subklinischer atypischer Mykobakteriose kommt es zu einer Reaktivierung mit granulomatösen oder nekrotischen Hautveränderun- gen. Eine eosinophile Follikulitis kann sich nach HAART mit quälenden Juckreiz manifestieren.

Die Therapie der IRIS besteht in der Behandlung der Grundkrankheit und gegebenenfalls zusätzlich ei- ner immunsuppressiven Therapie (Evidenzlage: B III).

Im Einzelfall muss die HAART unterbrochen werden.

Allergische Hautmanifestationen der HIV-Therapie

Arzneimittelexantheme

Die häufigsten Arzneimittelnebenwirkungen sind ma- kulopapulöse Exantheme, die bei vielen Medikamen- ten wie Antibiotika oder Diuretika entstehen. Sie tre- ten überwiegend zwischen der ersten und dritten Wo- che nach Beginn der Medikamenteneinnahme auf, sind meist stammbetont und zeichnen sich durch einen Abbildung 1:

Longitudinale Melanoonychie bei AZT-Therapie

(4)

ausgeprägten Juckreiz aus. Bei typischer Symptoma- tik und eindeutiger Anamnese kann die Diagnose kli- nisch gestellt werden.

Bei Sulfonamid-Gabe zur Behandlung der Pneu- mocystis-jiorveci-Pneumonie oder der zerebralen To- xoplasmose können allergische Exantheme auftreten (11). Während die Einführung der NRTIs und PIs nicht mit einer Zunahme an allergischen Arzneimittel- reaktionen einherging, wurden Exantheme mit Zu- lassung der NNRTIs (Tabelle 1) bei 10 bis 20 % der Patienten diagnostiziert (Abbildung 3) (12). Über- zufällig häufig lassen sich bei diesen Patienten anam- nestisch auch Arzneiexantheme auf Sulfonamide erfragen. In der Literatur schwanken die Angaben zu den Häufigkeiten der NNRTI-assoziierten Exantheme stark. Es gibt wenige Studien zum direkten Vergleich von Efavirenz (EFV) und Nevirapin (NVP). Die 2NN- Studie ist die einzige prospektive randomisierte Studie zum Vergleich beider Substanzen. Hier ergaben sich niedrige Raten an Exanthemen (Nevirapin 3 % und Efavirenz 2 %). Auch eigene Daten können die früher genannten hohen Exanthemraten nicht bestätigen (13). Es ist umstritten, ob die einschleichende Dosie- rung von Nevirapin einen Einfluss auf das Auftreten der Exantheme hat. In circa 30 % aller Fälle muss mit Kreuzreaktionen gerechnet werden. Die prophylak- tische Gabe von Steroiden und/oder Antihistaminika kann die Rate an Exanthemen nicht vermindern (14).

Hyposensibilisierungen sind mit beiden Substanzen möglich (Evidenzlage: C III). Delavirdin spielt wegen der fehlenden europäischen Zulassung bei der HIV- Therapie keine Rolle.

Kontrovers wird diskutiert, ob die Therapie mit den NNRTI, insbesondere Nevirapin wegen potenzieller schwerer Arzneireaktionen bei Exanthemen unterbro- chen werden muss (15). Oft ist eine Therapieumstel- lung wegen Resistenzen oder Nebenwirkungen auf andere Medikamente nicht möglich. Bei Fortführung der Therapie kommt es häufig zu einem Abklingen der Hautveränderungen nach 3 bis 5 Tagen. Sollte die Fortführung der Therapie erwogen werden, muss aber bei urtikarieller Arzneimittelreaktion, bei Bla- senbildung, Schleimhautbeteiligung oder systemi- schen Zeichen wie Fieber, Transaminasenerhöhung oder allgemeinem Krankheitsgefühl unverzüglich ab- gebrochen werden. Auch wenn die Gefahr der Resis- tenzbildung besteht, ist der Abbruch vor dem Hinter- grund potenzieller schwerwiegender Gesundheits- störungen gerechtfertigt (16). Neben dem Absetzen des Medikaments ist eine weitere Therapie nicht nötig; gegen den Juckreiz helfen Antihistaminika (Evidenzlage: A I).

Nach der Gabe von NRTI oder PI entwickeln sich häufiger Exantheme, beispielsweise bei Abacavir (ABC) in 70 % der Fälle mit assoziierten Symptomen, bei Fosamprenavir (fAPV) – der Vorstufe von Ampre- navir – in 2 bis 7 % und bei Atazanavir (ATV) in 6 %.

Selten werden Exantheme bei Zalcitabin (ddC), Indi- navir (IDV), Nelfinavir (NFV), Saquinavir (SQV) und Enfuvirtide (T20) in der Literatur beschrieben.

Schwere Arzneimittelreaktionen

Während bei makulopapulösen Exanthemen im Ein- zelfall die Therapie fortgesetzt werden kann, muss diese bei schweren Arzneimittelreaktionen abgesetzt werden. Diese werden eingeteilt in Stevens-Johnson- Syndrom (SJS), früher auch Erythema exsudativum multiforme majus genannt, SJS/TEN-Übergangsform und toxisch-epidermale Nekrolyse (TEN). Am Inte- gument treten multiforme Erytheme auf, die meist nicht die konzentrische Ringform des Erythema ex- sudativum multiforme (EEM) haben. Es entstehen Erosionen an den Schleimhäuten, den Körperöffnun- gen mit Krustenauflagerungen oder weißliche Pseu- domembranen. Typisch ist eine Mundschleimhautbe- teiligung. Bei der SJS/TEN-Übergangsform sind 10 bis

Abbildung 2:

Unguis incarnatus unter Indinavir- Therapie

Abbildung 3:

Arzneimittel- exanthem unter Nevirapin-Therapie

(5)

30 % der Haut betroffen, bei der TEN mehr als 30 % der Haut.

Die Therapie besteht im Absetzen des Medika- ments und entspricht der einer schweren Verbrennung.

Die Mortalität steigt bei der TEN im Gegensatz zum SJS steil an. Das Nikolski-I-Phänomen ist positiv: Auf tangentialem Druck lässt sich klinisch unauffällige Haut ablösen. Todesfälle mit TEN nach Gabe von Ne- virapin wurden beschrieben (17). Diese schweren Hautreaktionen entwickeln bei bis zu 1 % der mit Ne- virapin therapierten Patienten (Abbildung 4), Frauen oder Patienten mit hoher HIV-RNA sind häufiger be- troffen. Problematisch kann die lange Halbwertzeit der NNRTIs sein. Selten entwickeln sich bei der The- rapie mit AZT ein SJS oder TEN. Nach der Gabe von DDI, IDV und APV kann sich ein Stevens-Johnson- Syndrom manifestieren (16). Schwere Arzneireaktio- nen einer Nevirapin-Therapie treten auch bei HIV-ne- gativen Patienten auf (18). Im Rahmen der EuroS- CAR-Studie nahmen 15 von 18 HIV-infizierten Pati- enten, die ein SJS/TEN entwickelt hatten, Nevirapin ein (19).

Pharmakogenetische Untersuchungen ergaben, dass bei Patienten mit diesen Arzneimittelreaktionen das Allel HLA-DRB1*01 wesentlich häufiger vor- kommt als bei Patienten, die Nevirapin vertragen ha- ben (20).

Zu den schweren Arzneimittelreaktionen zählt auch die Hypersensitivitätsreaktion (HSR). Die HSR ist ei- ne Multiorganreaktion bei genetisch prädisponierten Patienten. Am häufigsten tritt die HSR bei einer The- rapie mit Abacavir auf. Bislang wurden 1 015 Hyper- sensitivitätsreaktionen bei 26 769 Patienten doku- mentiert, durchschnittlich liegen die Angaben bei 5 %. An Symptomen werden bei den HIV-infizierten Patienten am häufigsten makulopapulöse Exantheme, danach Fieber und Übelkeit oder Erbrechen genannt.

Für die Diagnosestellung ist zu beachten, dass die Symptome kombiniert auftreten. Dies geschieht nach durchschnittlich 11 Tagen. Jeder dritte Patient mit ei- ner HSR hat keine Hauterscheinungen. Nach Wieder- einnahme des Medikaments verschlechtern sich die Symptome innerhalb kürzester Zeit, und die Patienten werden häufig hypoton. Nach Absetzen von Abacavir verbessern sich die Symptome rasch (21). Eine Thera- pieunterbrechung erhöht später die HSR-Rate nicht.

Das bei Kaukasiern vorkommende Allel HLA- B5701* ist bei der HSR in bis zu 90 % nachweisbar (22, 23). Im Epikutantest lässt sich häufig eine Sensi- bilisierung auf Abacavir nachweisen (24). Der Stel- lenwert des genetischen Screenings und des Epikutan- tests wird zurzeit in einer randomisierten Studie unter- sucht (Studiencode: CNA 106030).

Eine Hypersensitivitätsreaktion oder „drug rash with eosinophilia and systemic symptoms“ (DRESS) sind nach dem Therapiebeginn mit Nevirapin, Efavi- renz oder T20 seltener. Hyposensibilisierungen waren mit T20 erfolgreich (Evidenzlage: C III). Die Thera- pie der HSR besteht im Absetzen des Medikamentes;

die Beschwerden bessern sich dann rasch.

Verschiedenes

In der Tabelle 2 sind seltene Hautnebenwirkungen der antiretroviralen Therapie aufgeführt (25). HIV-assozi- ierte Hautveränderungen müssen von Arzneimittelre- aktionen unterschieden werden. Die assoziierten Ver- änderungen treten häufiger bei CD4-Zellen unter 350/µL auf. Dazu zählen HPV-induzierte Verände- rungen (Condylomata acuminata, Verrucae), durch humane Herpesviren induzierte Veränderungen (Her- pes-simplex-Infektionen, Herpes Zoster, orale Haar- leukoplakie) und mykotische Infektionen (orale Can- didose, Pityrosporumfollikulitis).

Fazit

Arzneimittelexantheme treten meist am zehnten Tag nach Therapiebeginn auf, bei Hypersensitivitätsreak- tionen verschlechtert sich die Symptomatik nach jeder Tabletteneinnahme. Bei systemischen Reaktionen, Blasenbildung oder Schleimhautbeteiligung sollte die Therapie unterbrochen werden.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 2. 5. 2006, revidierte Fassung angenommen: 28. 9. 2006

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Abbildung 4:

Toxisch-epidermale Nekrolyse bei Therapie mit Nevirapin

(6)

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Anschrift für die Verfasser PD Dr. med. Martin Hartmann Universitäts-Hautklinik Voß-Straße 2 69115 Heidelberg

E-Mail: martin.hartmann@med.uni-heidelberg.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

@

REFERIERT

Verbessert die Therapie die Prognose der COPD?

Langwirksame Beta-Agonisten und inhalative Corticosteroide sind die Basistherapie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).

In einer randomisierten Doppelblindstudie gingen die britischen Auto- ren der Frage nach, inwieweit eine Langzeitbehandlung mit 50 µg Sal- meterol plus 500 µg Fluticasonpropionat zweimal täglich als Kombina- tionsspray appliziert im Vergleich mit Placebo und den beiden Einzel- substanzen Salmeterol und Fluticason die Prognose der COPD zu bes- sern vermag. Der Beobachtungszeitraum währte 3 Jahre.

An der Studie nahmen 6 112 Patienten aus 42 Ländern mit 444 Zentren teil; das Studienziel, nämlich eine signifikante Senkung der Mortalität, wurde mit einem p = 0,052 nicht erreicht: von den 875 in- nerhalb des Beobachtungszeitraums verstorbenen Studienteilnehmern gehörten 12,6 % der Gruppe mit einer Kombinationstherapie, 15,2 % der Placebogruppe, 13,5 % der Salmeterolgruppe und 16,0 % der nur mit Fluticason behandelten Gruppe an.

Das Sterblichkeitsrisiko lag in der Gruppe mit einer Kombinati- onstherapie gegenüber der Placebogruppe um 2,6 % niedriger, einer Reduktion um 17,5 % entsprechend. Die Rate an jährlicher Exazerba-

tion betrug unter Placebo 1,13, unter der Kombinationsbehandlung 0,85, die Spirometriewerte waren unter der Kombinationstherapie signifikant besser.

Bezüglich okulärer und ossärer Nebenwirkungen bestanden keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen, wohl aber hinsichtlich pneumonischer Komplikationen, die unter Fluticason (18,9 %) und der Kombinationstherapie (19,6 %) signifikant häufiger verzeichnet wurden als unter Placebo (12,3 %).

In einem begleitenden Editorial kommen die Autoren zu dem Schluss, langwirksame Beta-Agonisten seien die Gewinner, eine Monotherapie mit inhalativen Steroiden der Verlierer und eine Kombi- nationstherapie aus Corticosteroiden und Beta-Agonisten biete keinen statistisch signifikanten Vorteil bezüglich des Überlebens. Wegen der günstigen Daten bezüglich Allgemeinbefinden, Häufigkeit von Exazerbationen und Schutz vor einer Verschlechterung der Lungen- funktion hätte die Kombinationstherapie jedoch den Empfehlungen der Fachgesellschaften folgend ihre Indikation bei Patienten mit schwerer Verlaufsform und häufigen Exazerbationen, doch müsste dann ein erhöhtes Pneumonierisiko für die Patienten in Kauf genom-

men werden. w

Calverley PMA et al.: Salmeterol and Fluticasone propionate and survival in chronic obstructive lung disease. N Engl J Med 2007; 356: 775–89, E-Mail: pmacal@liverpool.ac.uk Rabe KF: Treating COPD – The TORCH Trial, p Value and the Dodo, N Engl J Med 2007; 356: 852–54, Leiden University Medical Center, Leiden, The Netherland

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