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Archiv "Sucht im Alter: Die stille Katastrophe" (15.12.2006)

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A3380 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 50⏐⏐15. Dezember 2006

P O L I T I K

S

uchtmittelmissbrauch und manifeste Suchterkrankun- gen betreffen nicht nur jüngere Men- schen, sondern zunehmend auch äl- tere Patienten. Die demografische Entwicklung einerseits, neuere me- dizinische Erkenntnisse andererseits sind Anlass, das Problem der Sucht- prophylaxe und Therapie im Alter aus dem Bereich der Tabuisierung in das Bewusstsein ärztlichen Han- delns zurückzuholen.

Benzodiazepine: Immer noch unterschätzte Rolle

Etwa 30 Prozent aller Menschen über 70 Jahre erhalten psychotrope Substanzen, und zwar sowohl in Pflegeeinrichtungen als auch im Rahmen der ambulanten Versor- gung. Insbesondere die Benzodia- zepine spielen hier eine gefährliche und immer noch unterschätzte Rol- le. Aber auch andere psychotrope Substanzen (Neuroleptika und Antidepressiva) gehören zu den häufig verordneten Medikamenten.

Dazu kommen Schmerzmedika- mente unterschiedlicher Proveni- enz (NSAR, Paracetamol, Metami- zol, Opioide und Opiate). Nicht sel- ten werden diese Medikamente über längere Zeit ohne eine kriti- sche Indikationsüberprüfung ver- ordnet. Die Folgen für die Patienten können gravierend sein: Uner- wünschte Medikamenteninterakti-

onen, Beeinträchtigung der Vigi- lanz und der kognitiven Leistun- gen, Blutdrucksenkung, Sturzgefahr durch relaxierende Wirkung auf die Skelettmuskulatur und Koordinati- onsstörungen. Darüber hinaus kön- nen die ursprünglichen Symptome durch einen längeren Medikamen- tengebrauch verschlimmert wer- den: Als Beispiel sollen hier durch Benzodiazepine induzierte Schlaf- störungen genannt werden, die nicht selten Anlass zu nächtlichen Unruhezuständen, Durchschlafstö- rungen und damit zu einer Dosis- steigerung eben dieser Medikamen- te geben.

Es wird nicht verkannt, dass die Behandlung multimorbider älterer Menschen auch gerade in psycho- pathologischer Hinsicht oft eine Herausforderung für Pflegepersonal und pflegende Angehörige ist. Ärzte sind jedoch verpflichtet, eine in- dikationsgerechte medikamentöse Therapie durchzuführen. Dies ist oft nur in engem Kontakt und aufmerk- samer Kommunikation mit Pfle- gern, Mitarbeitern der Sozialstation und pflegenden Angehörigen mög- lich. Dabei können die folgenden Fragen eine Hilfestellung bieten:

>Ist eine Behandlung mit psy- chotropen Substanzen erforderlich oder gibt es andere behandelbare Ursachen für einen Unruhezustand des Patienten (internistisch, urolo- gisch, gynäkologisch, dermatolo- gisch, neurologisch)?

>Welches Medikament ist in welcher Anfangsdosierung am ehes- ten geeignet, das Problem zu lösen, ohne gravierende Nebenwirkungen zu erzeugen?

>Wie lange sollte ein psychotro- pes Medikament gegeben werden?

>Wann zuletzt wurde eine kriti- sche Bilanz aller Medikamente beim Patienten durchgeführt? (Dies

gilt insbesondere für Patienten in Pflegeheimen.)

>Wann wurde zuletzt mit pfle- genden Angehörigen, Mitarbeitern der Sozialstation oder dem Pflege- personal im Altenheim über Verhal- tensauffälligkeiten und Veränderun- gen im kognitiven und emotionalen Verhalten des Patienten gespro- chen?

>Ist es erforderlich, einen Fach- arzt zur Lösung des Problems hin- zuzuziehen?

>Gibt es Anhaltspunkte für die Entwicklung einer Medikamenten- abhängigkeit?

Gerade wenn die letzte Frage mit Ja beantwortet werden kann, ist ein suchtmedizinisches Behand- lungskonzept erforderlich. Auch bei älteren Menschen kann Sucht- therapie durchaus erfolgreich initi- iert werden. Als Beispiel soll wie- derum die Benzodiazepinabhän- gigkeit dienen: Sollten ambulante Therapieangebote nicht zum Ziel führen, ist auch eine stationäre Be- handlung in Erwägung zu ziehen.

Im ambulanten Bereich ist es not- wendig, die pflegenden Angehöri- gen, die Pfleger und die spezifi- schen Angebote der Suchtbera- tungsstellen in das Gesamtkonzept miteinzubeziehen.

Alkoholabusus:

Vernachlässigtes Übel

Ein zweites, nicht minder gravie- rendes Problem stellt der schädliche Gebrauch von Alkohol im Alter dar.

Viel zu oft wird dieser auch von ärztlicher Seite als ein zu vernach- lässigendes Übel ohne therapeuti- sche Konsequenzen angesehen. Die vielfältigen gesundheitlichen Schä- den müssen nicht im Einzelnen dar- gestellt werden. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass delirante Zustände, „Durchgangssyndrome“

SUCHT IM ALTER

Die stille Katastrophe

Moderne Suchttherapie kennt keine Altersgrenze. Der Beitrag will für die Problematik sensibilisieren sowie Kriterien für das Erkennen und Behandeln von Suchterkrankungen im Alter aufzeigen.

INTERDISZIPLINÄRES FORUM

Das Thema Sucht, insbesondere Alkohol- und Medikamen- tenabhängigkeit, wird ausführlich im Rahmen des 31. In- terdisziplinären Forums „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin“ der Bundesärztekammer behandelt, das vom 11.

bis 13. Januar 2007 in Berlin stattfindet. Programm siehe:

www.bundesaerztekammer.de /30/Fortbildung/

20Veranstaltungen/05Interdis/1031Forum/index.html

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oder eine Verschlechterung der ko- gnitiven Leistungsfähigkeit nicht selten alkoholassoziiert sind. Mo- derne Suchttherapie kennt keine Al- tersgrenze und keinen Ausschluss von Patienten von einer wirksamen Therapie.

Auch bei Verdacht auf Alkohol- abusus sollte man sich immer wie- der durch eine Zwischenanamnese, durch die körperliche Untersuchung und eventuell weiterführende La- boruntersuchungen Klarheit ver- schaffen.

>Wann habe ich zuletzt mit dem Patienten über seinen Alkoholkon- sum gesprochen?

>Sind im Verhalten des Patien- ten Veränderungen aufgetreten, die alkoholassoziiert sein könnten?

>Sind von den Angehörigen oder vom Pflegepersonal Beobach- tungen in Richtung Alkoholabusus gemacht worden?

>Wenn eine Abstinenz nicht er- reicht werden kann, ist über die Fra- ge der Alkoholreduktion im Sinne eines kontrolliert reduzierten Kon- sums gesprochen worden?

>Ist über die Möglichkeit der Einschränkung der freien Verfüg- barkeit alkoholischer Getränke nach- gedacht und gesprochen worden?

Es geht nicht darum, Alkohol zu verbieten oder alten Menschen die Freude am „Viertele“ zu vergällen.

Vielmehr sollte alten Menschen professionelle Hilfe angeboten wer- den, wenn ein ernsthaftes Alkohol- problem erkennbar ist. Sensibilisie- rung für ein drängendes Problem ist das Ziel, keine Moralisierung oder Bevormundung.

Suchterkrankungen sind nicht nur für eine Verschlechterung der Le- bensqualität vieler alter Menschen verantwortlich, sondern unmittelbar auch für das Entstehen oder die Ver- schlimmerung von schwerwiegen- den somatischen und psychischen Störungen. Deshalb ist die genaue Patientenbeobachtung, die Anamne- se, die kritische Analyse der Medika- mentenverordnung und die Kommu- nikation mit allen, die an der Pflege und Versorgung älterer Menschen beteiligt sind, ärztliche Pflicht. I Dr. med. Christoph von Ascheraden Dr. med. Rüdiger Gellert Dr. med. Friedemann Hagenbuch

B

remen ist eine Stadt mit zwei Gesichtern: Das eine Gesicht – das schöne, das auch die Besucher des 107. Deutschen Ärztetages in der Hansestadt anzog – verbinden Touristen mit der historischen Alt- stadt und den Bremer Stadtmusi- kanten. Das andere Gesicht, die hässliche Fratze, mag keiner so recht sehen: In Bremen gelten vier von zehn Kindern als arm. Damit führt die Freie Hansestadt die bun- desweite Statistik an. Zudem steigt die Zahl derjenigen, die trotz einer sozialversicherungspflichtigen Be- schäftigung als „bedürftig“ gelten.

Die Arbeitnehmerkammer Bremen hat dieses zweite Gesicht der Stadt in ihrem „Armutsbericht 2006“

analysiert – Auszüge daraus stellte Carola Bury von der Kammer während des 12. Kongresses „Ar- mut und Gesundheit“ Anfang De- zember in Berlin vor.

Armut und „schlechte“ Gesund- heit hängen unmittelbar zusammen:

Menschen aus unteren Einkom- mensschichten leben kürzer; im Vergleich zum oberen Einkom- mensviertel haben sie eine um etwa sieben Jahre kürzere Lebenszeit.

Gerade sozial Schwache sind häufig von chronischen Erkrankungen be- troffen – und verursachen das Gros der Behandlungskosten. Darauf ha- ben kürzlich zahlreiche Wissen- schaftler und Public-Health-Exper- ten im „Bielefelder Memorandum zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten“ hingewiesen. Sie fordern die Politik auf, der „voran- schreitenden Polarisierung im Ge- sundheitssystem“ entgegenzuwir- ken. Der ungleiche Zugang zum Gut Gesundheit verletze die Gerechtig- keitsnorm einer demokratischen Gesellschaft.

Die gesundheitlichen Unter- schiede beginnen bereits in der Kindheit: Von fast allen Krankhei- ten sind Kinder aus sozial schwa- chen Familien häufiger betroffen.

KONGRESS „ARMUT UND GESUNDHEIT“

Gefährdungen

frühzeitig erkennen

Der 12. Berliner Armutskongress setzte vornehmlich auf Prävention von Gesundheitsrisiken sozial Benachteiligter.

Deutlich wurde auch: Ohne arbeitsmarktpolitische Reformen wird die soziale Spaltung immer größer.

Leipziger Tafel:

Die „Tafeln“ vertei- len gespendete Le- besmittel an Be- dürftige. Alleinerzie- hende sind beson- ders häufig von Ar-

mut betroffen. Foto:ddp

Referenzen

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