Geräte stammt aber von privaten Inve- storen und Stiftungen“, sagt Ausrine Lisauskiene, Leiterin der Öffentlich- keitsabteilung. Helle Wände mit Bil- dern, modernes Mobiliar und großzü- gig ausgestattete Krankenzimmer sucht man auf den meisten Etagen vergeblich.
Nach einem Rundgang durch das größte Krankenhaus Litauens erscheint es fast so, als handele es sich bei dem riesigen Komplex um viele kleine Kliniken, die wahllos zusammengeflickt worden sind.
Leidtragende des chronischen Geld- mangels sind nicht zuletzt die Ärztin- nen und Ärzte. „Die Regierungen ver- trösten uns schon seit 15 Jahren“, sagt Grigaliuniene. Als Folge geringer Ver- dienste, zahlreicher Überstunden und nur mäßiger Anerkennung seitens der Patienten forderten Ende Mai Hunder- te von Ärzten mehr Gehalt. Das Ergeb- nis: Vier Jahre in Folge will das Ministe- rium die Gehälter jetzt erhöhen – im er- sten Jahr um 50, im zweiten um 30 und im dritten und vierten Jahr jeweils um 25 Prozent. Während Vizeminister Sad- zius glaubt, den Ärzten mit der Gehalts- anhebung ein großes Stück entgegenge- kommen zu sein, hält sich die Euphorie Grigaliunienes in Grenzen. „Unsere Si- tuation hat sich nur geringfügig verbes- sert“, sagt die Fachärztin für Chirurgie desillusioniert. Vor dem Streik lag das Gehalt der meisten Ärzte nur knapp
über dem litauischen Durchschnittsein- kommen von 380 Euro brutto monat- lich; um überhaupt ein solches Einkom- men zu erreichen, hätten vor allem Hausärzte Patienten im 10-Minuten- Takt „abfertigen“ müssen, erzählt Gri- galiuniene. Das liegt vor allem daran, dass die Bezahlung von niedergelasse- nen Ärzten sowohl leistungs- als auch personenbezogen erfolgt. 1 500 Patien- ten dürfen höchstens pro Monat vergü- tet werden, pro Kopf erhält der Arzt ei- ne fixe Pauschale. Kommen mehr Pati- enten in die Praxis, hat er diese kosten- frei zu behandeln.
Auch Dr. med. Ilona Aleksi- uniene relativiert die jetzige Höhe des Gehalts:Würden die meisten Ärzte nicht zwei bis drei Stellen besetzen, bliebe die Gehaltserhöhung ohne spürbare Wirkung, meint die Fachärztin für Augenheilkun- de. Wie Aleksiuniene arbeiten viele Ärzte zunächst von sie- ben bis 13 Uhr in einer Polikli- nik und bessern ihr Gehalt im Anschluss daran privatärztlich auf. Zahlen des Gesundheits- ministeriums belegen diesen Trend: 16 000 Arbeitsplätze für Ärzte gibt es derzeit, diese werden jedoch nur von 10 000 Ärzten besetzt. Andere Ärzte – auch das ist eine Lösung – wandern aus. Sadzius zufolge sind viele sehr gut ausgebildet, empfänden die Bezahlung in Litauen aber nicht als angemessen.
„In diesem Jahr haben bereits 300 Ärzte einen Antrag auf Auswanderung ge- stellt“, sagt der Vizeminister verbittert.
Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass auch in Litauen Schwarz- geldzahlungen üblich sind. Sie sind nach den Worten von Sadzius nicht nur „üb- lich“, sondern werden auch „gerne ange- nommen“, gesteht Labanauskas. Dabei fasse man kleinere finanzielle Zuwen- dungen eher als Ausdruck der Dankbar-
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A2692 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 407. Oktober 2005
Das litauische Gesundheitswesen
>Finanzierung: Mischung aus steuer- und bei- tragsfinanziertem System – Arbeitgeber zahlen 35 Prozent der Lohnsumme an die staatliche Sozialversicherungsanstalt (SODRA) –, hiervon fließen drei Prozent an die staatliche Patienten- kasse (State Patient Fund, SPF); Arbeitnehmer führen drei Prozent ihres Ein-
kommens ab, hiervon werden ausschließlich Kosten für Kran- kengeld, Mutterschaft, Invali- dität, Alter und Hinterbliebene gedeckt (nicht für die medizini- sche Versorgung); vom Einkom- men Selbstständiger fließen drei Prozent in die medizinische Ver- sorgung; darüber hinaus gehen 30 Prozent der Einkommens- steuer an die SODRA, hiervon werden etwa acht Prozent an die Patientenkasse abgeführt.
> Krankenversicherung: Wie in vielen anderen mittel- und osteuropäischen Staaten ist die Sozi- alversicherung in Litauen zentral organisiert – das Gesundheitssystem wird über die staatliche Pati- entenkasse verwaltet, die unter der Aufsicht des Gesundheitsministeriums steht. Die Einheitskasse setzt den Haushalt um und leistet die Zahlungen an diejenigen Leistungserbringer, die mit den der- zeit fünf regionalen Patientenkas- sen (Territorial Patient Funds) Ver- träge abgeschlossen haben.
> Typus der Krankenversiche- rung: Seit 1996 Volks- bezie- hungsweise Bürgerversicherung mit Pflichtmitgliedschaft der Ge- samtbevölkerung.
> Private Krankenversicherung:
Spielt keine große Rolle – Kon- zentration auf den Versiche- rungsschutz im Ausland; sonst nur von der wohlhabenden Be-
völkerung finanzierbar, teils als Gruppenpoli- cen für Angestellte größerer Unternehmen.
>Selbstbeteiligung: Zuzahlungen wie in ande- ren mittel- und osteuropäischen Staaten fallen bislang nicht an; der privat zu zahlende Anteil an den Gesundheitsausgaben wird aber dennoch auf 25 bis 30 Prozent beziffert; Grund: Schwarz- geldzahlungen, Eigenbeteiligung an der Arznei- mittelversorgung (Ausnahme: Krankenhaus) und der zahnärztlichen Versorgung.
>Ambulante Versorgung: überwiegend in Pra- xen, Gesundheitszentren und Polikliniken; Pri- märarztsystem.
>Stationäre Versorgung: in Universitätsklini- ken, Allgemeinkrankenhäusern und spezialisier- ten Krankenhäusern.
>Gehalt der Ärzte: leicht über dem litauischen Durchschnittsgehalt von 380 Euro brutto pro Monat; durch zahlreiche Nebentätigkeiten bes- sern die meisten Ärzte ihr Gehalt auf. MM Eine der vielen Kirchen, die sich in der größten Altstadt
Osteuropas befindet: die Kathedrale von Vilnius
Vizegesundheitsminister Rimantas Sadzius: „Enor- me Reformen“
Foto:Baltikum Tourismus Zentrale
Foto:Lithuanian Medical Association