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Archiv "Möglichkeiten und Grenzen der Maximaltherapie in der Inneren Medizin" (08.06.1984)

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Möglichkeiten

und Grenzen der Maximaltherapie in der Inneren Medizin

Helmut Lydtin

Kurzbericht über das zweite Hauptreferat zum Thema

„Maximaltherapie, Intensivmedizin und Lebensqualität"

XXXII. Internationaler Fortbildungskongreß der deutschen Bundesärztekammer

und der Österreichischen Ärztekammer in Davos

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KONGRESSBERICHT

Maximaltherapie, vom Begriff her bereits die Grenze der Intensiv- medizin, schöpft alle verfügbaren, auch aggressive und komplika- tionsträchtige Behandlungsme- thoden im Interesse der Erhaltung und Wiederherstellung gestörter Vitalfunktionen aus. Ihr Erfolg muß sich, wie bei jedem anderen therapeutischen Ansatz, nicht nur an der durch sie gewonnenen Le- bensquantität, sondern ebenso daran messen, ob auch vom Pa- tienten subjektiv — zumindest nach der intensiven Therapie — als lebenswert erfahrene Zeit gewon- nen wird.

Intensive internistische Medizin gliedert sich in die Bereiche Inten- sivpflege, Intensivüberwachung und Intensivtherapie:

Intensive Pflege

Basis der Intensivtherapie ist eine möglichst sorgfältige und damit personalintensive Grundpflege.

Hinzu kommt die spezielle Pflege der Patienten mit einer Langzeit- intubation (bis zu mehreren Wo- chen mit Niederdrucktrachealtu- ben), mit einer Tracheostomie, die Lagerung bewußtloser Patien- ten mit einer allgemeinen und evtl. speziellen Dekubitusprophy- laxe, die Pflege der Patienten bei Akut- und Langzeitdialysen bis hin zur Versorgung abwehrge-

schwächter Patienten in speziel- len Isoliereinheiten („life island").

Nur scheinbar wurden in den ver- gangenen Jahren durch den zu- nehmenden Einsatz einer kaum mehr überschaubaren Vielfalt von Einwegartikeln und durch tech- nisch-apparative Neuerungen die Pflegekräfte entlastet — das Spek- trum reicht vom elektrisch ver- stellbaren, strahlendurchlässigen Intensivbett bis zur Dekubituspro- phylaxe nach dem Clinitron-Prin- zip (Lagerung auf durch Luftstrom verflüssigten Mikrokugeln). Paral- lel dazu wurde das Personal auf internistischen Intensivstationen zunehmend durch Überwa- chungs- und Therapiefunktionen in Anspruch genommen. Dies stellt bei in der Regel nicht ausrei- chenden Stellenplänen beson- ders die Qualität der Grundpflege und damit aller auf ihr aufbauen- den intensivtherapeutischen Maß- nahmen in Frage und verändert langfristig das Selbstverständnis aller im Pflegebereich Tätigen. Im angelsächsischen Sprachraum spricht man in diesem Zusam- menhang von einem „bed pan gap", einer „Bettpfannenlücke", die nicht nur deutsche Universitä- ten, sondern auch Schwestern- schulen und Intensivkurse in Zu- kunft mehr als bisher schließen müssen. Andernfalls trennen sich Kopf und Glieder des therapeuti- schen Bemühens voneinander.

Intensive Überwachung

In den letzten 25 Jahren setzte sich die kontinuierliche elektro- kardiographische Überwachung zuerst bei allen akuten koronaren Durchblutungsstörungen, später allgemein bei vital gefährdeten Patienten durch. Daran schlossen sich zunächst intermittierende, später auch kontinuierliche Mes- sungen des arteriellen Blutdrucks mit unblutigen und blutigen Me- thoden, der Druckwerte in der Ar- teria pulmonalis (und transkapillär auch im linken Vorhof) sowie im rechten Vorhof durch Ein- schwemmkatheter, des Herzmi- nutenvolumens mit der Thermodi- lutionsmethode, der Körpertem- peratur, der arteriellen Blutgase, der Flüssigkeits- und Elektrolytbi- lanz, der CO 2 Konzentration in der Ausatmungsluft zusammen mit Vor-Ort-Bestimmungen des Blut- zuckers, des Hämoglobins, des Hämatokrits und der Osmolalität.

Unverzichtbar für die internisti- sche Intensivtherapie ist die konti- nuierliche Verfügbarkeit eines großen Labors für diagnostische Enzymwerte, für die Analyse der Blutgerinnung, der Leber- und Nierenfunktionswerte usw. Insge- samt hat die Meßwertexpansion — begünstigt durch Marktangebot und die Einführung der compute- risierten Datenauswertung — man- cherorts die Grenze einer sinnvol- len Nutzbarkeit überschritten und sich zum Selbstzweck entwickelt.

Besonders im Überwachungsbe- reich muß kritisch zwischen Not- wendigkeit und Verfügbarkeit un- terschieden werden. Andererseits werden die modernen apparati- ven Überwachungsmöglichkeiten vom Patienten nicht nur als Be- drohung und Belästigung, son- dern zu Recht auch als ein Ele- ment der Sicherheit und Beruhi- gung empfunden; nicht wenige Patienten verlassen ungern den

„sicheren" Bereich einer Intensiv- station, wenn sich dort apparati- ves Angebot und menschliche Zu- wendung nicht ausgeschlossen, sondern ergänzt haben. Ein gut eingerichtetes und betriebenes Überwachungssystem kann oft Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 23 vom 8. Juni 1984 (67) 1869

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Maximaltherapie in der Inneren Medizin

erst die zeitlichen Voraussetzun gen für einen zwischenmensch- lichen Kontakt im Intensivbereich schaffen. Letztlich werden auch in Zukunft die fünf Sinne des Erfah- renen der elektronischen Daten- analyse bei der Überwachung überlegen bleiben.

Intensive Therapie

Die moderne internistische Inten- sivtherapie umfaßt ein sehr brei- tes Spektrum von Maßnahmen — von der Beatmung bei ventilatori- scher Insuffizienz, assistierter Zir- kulation bei Herzversagen über die Notfallendoskopie bei akuten gastrointestinalen Blutungen mit Laser- und Thermohydrokoagula- tion, elektrischen und medika- mentösen Interventionen bei aku- ten Herzrhythmusstörungen bis zur Plasmapherese bei dem Hy- perviskositätssyndrom eines Plas- mozytoms und den Gerinnungs- störungen bestimmter Ver- brauchskoagulopathien. Im Ein- zelfall läßt sich durch eindrucks- volle Kasuistiken die Wirksamkeit dieser Maßnahmen überzeugend belegen. Weitaus schwieriger ist es, aufgrund der meist sehr unsi- cheren prognostischen Indizes allgemeingültige Empfehlungen für den Einsatz dieser zum Teil sehr kostenaufwendigen, perso- nalintensiven und komplikations- reichen Methoden zu geben. Die Entwicklung besserer prognosti- scher Indizes ist heute ein beson- ders vordringliches Anliegen der Intensivtherapie. Kritische, pro- spektive Analysen des Wertes der Intensivtherapie bezüglich Le- benserwartung und/oder Lebens- qualität nach der Therapiephase stehen heute erst am Anfang, wer- den aber das Entscheidungsdi- lemma eines Arztes mit individuel- ler Verantwortung für einen Pa- tienten nur vermindern und nie aufheben können.

Grenzen der intensiven Therapie Intensive Therapie steht im Mittel- punkt von Spannungsfeldern. Aus

unserem Wunsch zu helfen, Le- ben zu erhalten für ein lebenswer- tes Leben nach der Therapie, ver- ursachen wir immense Kosten und auf der Seite unserer Patien- ten wie ihrer Angehörigen subjek- tiv erfahrenes Leid.

Die Tageskosten im internisti- schen Intensivbereich überstei- gen in der Regel den normalen Pflegesatz um ein Mehrfaches für Personal, Arzneimittel, Einmalarti- kel, aufwendige diagnostische Maßnahmen ebenso wie für die Investitions- und Erhaltungsko- sten. Der Kostenanteil von 10 bis 15 Prozent Intensivpatienten kann leicht den Anteil der Allgemeinpa- tienten eines Krankenhauses an den Gesamtkosten übersteigen.

Jeden im Intensivbereich verant- wortlich Tätigen belastet diese ökonomische Grenze, da er sich in seinem Selbstverständnis in er- ster Linie für das Leben und die Gesundheit seiner Patienten und nicht für die ökonomischen Be- lange seines Krankenhauses ver- antwortlich fühlt.

Kostendruck und ungenügendes prognostisches Wissen, Erwar- tungshaltung des Patienten mit seinen Angehörigen und Freun- den, Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und Wandel im Selbstverständnis der Helfer schaffen durch ihre Interaktionen ein sehr unübersichtliches Ent- scheidungsfeld. Wird in ihm der Schwund an gegenseitigem Ver- trauen durch formale juristische Eingriffe von außen ersetzt, geht der für die Qualität der Medizin wesentliche Freiraum für verant- wortliche Entscheidungen verlo- ren. Wenn die Angst vor juristi- schen Folgen ärztliches und pfle- gerisches Verantwortungsgefühl ersetzt, werden alle Möglich- keiten der Lebenserhaltung aus- geschöpft. Pathognomonisch für eine derartige Entwicklung ist die Flucht aus individueller Verant- wortung in Kommissionsentschei- dungen. Auch heute noch erwar- tet der Patient von seinem Arzt fundierte Kenntnisse in Diagno- stik und Therapie, Zuhören und

Verstehen, Anteilnahme und ehr- liche Information. Trotz aller not- wendigen Spezialisierung müs- sen wir als Ärzte dafür eintreten, daß intensive Medizin kein Fach- gebiet für sich, sondern eine Fort- setzung unseres therapeutischen Bemühens als Chirurgen, Interni- sten, Pädiater und Anästhesisten ist. Der Patient erwartet einen Arzt seines Vertrauens auch im Inten- sivbereich und nicht eine Summe von Funktionsträgern für Beat- mung, Herzrhythmus, Psycholo- gie und anderes. Intensivstatio- nen mit internistischen Patienten müssen voll in die bettenführende Abteilung integriert sein; im Selbstverständnis aller darf keine Polarisierung zwischen „care"

und „cure", zwischen Helfen und Heilen eintreten. Der Dienst im in- tensivmedizinischen Bereich ist eine große körperliche und seeli- sche Belastung, die aber letztlich nicht größer ist als die einer inter- nistisch-geriatrischen Station, in der das Erfolgserlebnis der Hei- lung selten ist. Der heute oft be- klagte Verlust an Mitmenschlich- keit ist nicht auf die Medizin be- schränkt, auch nicht aus appara- tiv-technologischem oder wissen- schaftlichem Fortschritt geboren.

Vielmehr sind Wertsysteme durch Selbstverwirklichungsideologien ersetzt worden, und es besteht ein Mangel an moralisch-ethi- schen Leitlinien in der Erziehung.

Man kann nicht erst während des Medizinstudiums oder auf der Schwesternschule beginnen, für einen sozialen Beruf zu erziehen.

Aus der Bescheidenheit des Ein- geständnisses, daß wir als Ärzte

„nicht immer heilen, oft erleich- tern und immer trösten können"

könnte sich die Kraft ergeben, ei- ne aus der Sicht des Referenten nur scheinbare Krise der Medizin zu überwinden.

Professor

Dr. med. Helmut Lydtin Ärztlicher Direktor des

Kreiskrankenhauses Starnberg Chefarzt der

Abteilung für Innere Medizin Oßwaldstraße 1

8130 Starnberg 1870 (68) Heft 23 vom 8. Juni 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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