• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Möglichkeiten und Grenzen der Phytotherapie" (03.03.1988)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Möglichkeiten und Grenzen der Phytotherapie" (03.03.1988)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DAS EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Möglichkeiten und Grenzen der Phytotherapie

Hans D. Reuter Viele unserer Kollegen verwen-

den Phytotherapeutika. Wir haben deshalb den Präsidenten der Gesell- schaft für Phytotherapie, Professor Dr.

Hans D. Reuter/Köln um ein Editorial gebeten. Dabei ist in meiner Sicht zu unterscheiden:

1. In manchen Fällen sind die che- misch reinen Synthetika überlegen.

(Beispiel: Digoxin gegenüber Lanata- Extrakten).

2. In anderen Fällen enthalten die na- türlichen Pflanzen Zusatzstoffe, die auf die Resorption und auf die Wirkung beträchtlichen Einfluß haben (Bei- spiele: Das rein dargestellte Vitamin C erwies sich dem Nobelpreisträger Szent-György als nicht so wirksam, wie die in den Zitrusfrüchten gleich- falls reichlichen P-Vitamine; Colchi- cum autumnale enthält außer Cholchi- cin eine Reihe ähnlicher, die Wirkung verstärkender Substanzen).

In summa: Man wird von Fall zu Fall entscheiden müssen und ist ver- ständlicherweise bei den Phytothera- peutika anfällig gegen Polypragma- sie. Eben dieses kommt im Editorial von Professor Reuter deutlich zum Ausdruck. Rudolf Gross

W

ir erleben heute im Zeichen der

„Grünen Welle" eine Rückbesin- nung auf naturgemäße Heilverfah- ren und natürliche Arzneimittel, unter denen in Patientenkreisen ausschließlich solche auf pflanzlicher Basis verstanden werden.

Zu dieser Entwicklung haben nicht zuletzt die spektakulären Arzneimittelzwischenfälle der letzten Jahre beigetragen. Nicht nur in Patien- tenkreisen, sondern auch zuweilen bei den Stu- dierenden der Medizin und den jungen Ärzten werden fälschlicherweise synthetische Arznei- mittel als unverträglich und nebenwirkungs- reich, ja sogar als gesundheitsschädlich und ge- fährlich, pflanzliche Arzneimittel dagegen als verträglich, nebenwirkungsfrei, gesundheitsför- dernd und unbedenklich klassifiziert.

Kontroverse Meinungen zwischen Schulmedizin und Phythotherapie

Im zweiten Arzneimittelgesetz der Bundes- republik Deutschland wird die Phytotherapie als besondere Therapierichtung verstanden und da- mit der Eindruck erweckt, es handele sich um ei- ne von der Therapie mit synthetischen Arznei- mitteln grundsätzlich verschiedene Behand- lungsart, der durch ihre Sonderstellung der Stempel einer minderen Qualität aufgedrückt wird. Entsprechend wird die Wertigkeit der Phytotherapie in Fachkreisen außerordentlich kontrovers beurteilt. Während die heftigsten Gegner der Phytotherapie unter den Vertretern der Schulmedizin den Phytopharmaka allenfalls die Wirksamkeit eines Placebos zugestehen, se- hen die extremsten Befürworter der Phytothera- pie in ihr eine Alternative zur Behandlung mit synthetischen Arzneimitteln.

Nun bestehen kontroverse Meinungen nicht nur zwischen der Schulmedizin und den beson- deren Therapieformen, zu denen die Phy-

Dt. Ärztebl. 85, Heft 9, 3. März 1988 (53) A-525

(2)

totherapie nun einmal von Gesetzes wegen ge- hört, sondern in nicht weniger ausgeprägter Form selbst innerhalb der Disziplinen der Schul- medizin. Wie ein Vergleich zweier im Abstand von acht Jahren erschienenen Auflagen von Kontroversen in der Inneren Medizin des lang- jährigen Herausgebers des „New England Jour- nal of Medicine" , Ingelfinger, zeigt, haben die Kontroversen im Bereich der Inneren Medizin innerhalb dieser Zeit um 25 Prozent zugenom- men, obwohl man angesichts des wachsenden Wissensstandes eigentlich eine Abnahme der kontroversen Meinungen hätte erwarten müs- sen. Wen wundert es angesichts dieser Fakten, daß Schulmedizin und Phytotherapie kontrover- se Positionen einnehmen.

Begriffsbestimmungen

Im Zusammenhang mit den Forderungen des zweiten Arzneimittelgesetzes, das für alle Phytopharmaka den Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bis zum 31. Dezember 1989 verlangt, hat die Phytotherapie zweifellos an Bedeutung gewonnen. Aber nach wie vor sprechen die Vertreter von Schulmedizin und Phytotherapie verschiedene Sprachen. Ver- ständnisschwierigkeiten bestehen selbst in den Reihen ihrer überzeugten Anhänger, wie die Begriffe Phytopharmakon, Phytotherapeuti- kum, mite-Phytopharmaka und forte-Phyto- pharmaka deutlich machen. Da pflanzliche Arz- neimittel nicht auschließlich zur Therapie einge- setzt werden, sondern entsprechend dem Wort- laut des AMG auch zur Vorbeugung dienen, würde die Bezeichnung Phytotherapeutikum ei- ne Indikationseinschränkung bedeuten, die Be- zeichnung Phytopharmakon aber beide Indika- tionsbereiche einschließen. Was die Begriffe mi- te- und forte-Phytopharmaka anbelangt, so soll- ten diese zweckmäßigerweise durch die der Phy- topharmaka mit großer beziehungsweise gerin- ger therapeutischer Breite ersetzt werden.

Spezifische Probleme der Phytotherapie

Die Definition des Arzneimittels nach § 2 Absatz 1 des zweiten AMG orientiert sich an Zweck und Bestimmung des Arzneimittels und gilt für Phytopharmaka und Arzneimittel aus der Retorte in gleicher Weise. Kein Zweifel

dürfte an der Gleichwertigkeit synthetischer und pflanzlicher Arzneimittel bestehen, wenn letzte- re in Form der aus Pflanzen isolierten reinen Wirkstoffe eingesetzt werden, beispielsweise die Herzglykoside aus Digitalis purpurea und lana- ta , Colchicin aus Colchium autumnale und die Mutterkornalkaloide aus Secale cornutum.

Unterschiede zu den synthetischen Mono- präparaten weisen dagegen pflanzliche Arznei- mittel in Form von Extrakten aus einer oder mehreren Pflanzen auf. Diese Gruppe von Phy- topharmaka stellt wohl den größten Teil der ty- pischen pflanzlichen Präparate dar, und gegen sie richtet sich in erster Linie die Kritik der Schulmediziner, insbesondere die der Pharma- kologen. Tatsächlich lassen sich derartige kom- plexe Gemische von Wirk- und Begleitstoffen mit den konventionellen Methoden der Pharma- kologie nicht bewerten. Hier bleibt für den Nachweis der Wirksamkeit schließlich nur die klinische Prüfung der Gesamtpräparation.

Vorteile pflanzlicher Gesamtpräparationen

Angesichts dieser Problematik könnte man geneigt sein, ganz auf den Einsatz komplexer Wirkstoffgemische zu verzichten und nur die isolierten Wirkstoffe aus der Pflanze einzuset- zen, gäbe es nicht eine Reihe von plausiblen Gründen für die Anwendung derartiger Phyto- pharmaka. So ist die Anwendung pflanzlicher Gesamtzubereitungen angezeigt, wenn bei der Isolierung des eigentlichen Wirkstoffs aus der Droge dieser zerstört oder in seiner Aktivität er- heblich eingeschränkt wird, wenn verschiedene in der Droge enthaltenen Wirkstoffe einen sy- nergistischen Effekt im Sinn einer additiven oder potenzierten Wirkung entfalten, wenn in- erte, an der eigentlichen Wirkung der Droge nicht beteiligte Begleitstoffe die Resorption des Wirkstoffes oder der Wirkstoffe fördern, wenn eine durch inerte Begleitstoffe hervorgerufene Resorptionsverzögerung einen erwünschten De- poteffekt erzeugt oder wenn unerwünschte Ne- benwirkungen durch die inerten Begleitstoffe reduziert werden. Nur in den seltensten Fällen ist die Drogengesamtwirkung auf die Reaktio- nen eines einzelnen Wirkstoffes zurückzufüh- ren. Abgesehen von den Fällen, in denen ein rein synergistischer Effekt vorliegt, beruht die therapeutische Wirksamkeit in den meisten Fäl- len auf der konzertierten Aktion mehrerer Be- standteile.

A-526 (54) Dt. Ärztebl. 85, Heft 9, 3. März 1988

(3)

Wirksamkeitsnachweis nur aufgrund pharmakologischer Untersuchungen

und klinischer Studien?

Eine der Säulen, auf die sich die Phytothera- pie seit Jahrhunderten gestützt hat, ist die ärzt- liche Erfahrung. Es liegt nahe, diese Ressource für die Bewertung von pflanzlichen Arzneimit- teln zu mobilisieren. Wenn allerdings wissen- schaftliches Erkenntnismaterial auf rational-na- turwissenschaftlich erfaß- und meßbare Phäno- mene der somatischen Sphäre des Menschen be- schränkt wirkt, kann ärztliche Erfahrung kaum als Kriterium zur Beurteilung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Phytopharmaka her- angezogen werden. Individuelle Erfahrung ist prinzipiell nicht dokumentier- und quantifi7ier- bar. Nach Troschke (Freiburg) beinhaltet sie je- doch die Fähigkeit, ganzheitlich komplexe Phä- nomene differentialdiagnostisch zu erfassen und bestimmten Therapieformen zuzuordnen. Ärzt- liche Erfahrung unterscheidet sich grundsätzlich von einer kontrollierten klinischen Studie. Er- stere erfaßt die gesamte Personalstruktur des In- dividuums, letztere bestimmte psychische und physische Parameter. Angesichts der Probleme des Wirksamkeitsnachweises für komplexe Phy- topharmaka gewinnt die ärztliche Erfahrung auf der Basis einer naturwissenschaftlich begründe- ten Medizin eine besondere Bedeutung.

Möglichkeiten und

Grenzen der Phytotherapie in Klinik und Praxis

Um es vorwegzunehmen: die wissenschaft- lich begründete Phytotherapie erhebt keinesfalls den Anspruch, die synthetischen Arzneimittel alternativ ersetzen zu können. Sie versteht sich vielmehr als wertvolle Ergänzung zu der heute bevorzugten Therapie mit Monosubstanzen. In der Klinik sind die Möglichkeiten des Einsatzes von Phytopharmaka naturgemäß sehr einge- schränkt. Das ergibt sich in erster Linie aus der Art der meist akuten und schweren Erkrankun- ge, die eine stationäre Behandlung erforderlich machen. Unter den Phytopharmaka, die auch in der Klinik Verwendung finden, ist ein hoher Anteil, deren Indikationsgebiete hauptsächlich Erkrankungen der Verdauungsorgane zugeord- net werden können. So wird beispielsweise die

Obstipationstherapie von Laxantien pflanzlicher Herkunft beherrscht. Für die Therapie toxischer Leberschäden, von Magenerkrankungen wie des hyperergischen Reizmagens und der erosiven Gastritiden stehen effektive Phytopharmaka zur Verfügung. Ein breites Spektrum von Phyto- pharmaka findet in der Dermatologie und in der Urologie Verwendung. Ein weiterer Bereich, in dem Phytopharmaka viel öfter eingesetzt wer- den sollten, ist die Behandlung von psychischen Störungen und Schlafstörungen. Schließlich ist hier noch die Behandlung der Atemwegserkran- kungen zu nennen.

Nach Fintelmann (Hamburg) beseitigen Phytopharmaka weniger die Einzelsymptome von Krankheiten oder blockieren beziehungs- weise stimulieren an definierten Stellen bioche- mischer Reaktionsketten, sondern greifen in ge- störte Regulationsmechanismen ein und stellen diese wieder her. Ihre Grenzen finden Phyto- pharmaka da, wo eine akute Erkrankung vor- liegt; sie gehören nicht in die Akut- und die Not- fallmedizin.

In der Praxis des niedergelassenen Arztes sind die Indikationsbereiche grundsätzlich die gleichen wie in der Klinik. Die größere Häufig- keit, mit der Phytopharmaka in der Praxis Ver- wendung finden, ist wiederum in der Art der hier behandelten Erkrankungen begründet.

Leichtere Erkrankungen und Befindlichkeitsstö- rungen bieten zahlreiche Möglichkeiten zum Einsatz pflanzlicher Arzneimittel. Schließlich sind Phytopharmaka zur Intervall- und Lang- zeitbehandlung chronischer Krankheiten als ad- juvante Arzneimittel geeignet. Auch in der Pra- xis werden die Grenzen der Phytotherapie durch die Art der zu behandelnden Erkrankung be- stimmt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Phytopharmaka nicht grundsätzlich die Funktion synthetischer Monosubstanzen über- nehmen können. Phytopharmaka haben ihre spezifischen Indikationen, aber auch Kontrain- dikationen. Die große therapeutische Breite der Mehrzahl der Phytopharmaka ermöglicht eine nebenwirkungsarme bis nebenwirkungsfreie Be- handlung. Ein bisher noch wenig erforschtes Gebiet ist die Verwendung von Phytopharmaka zur Verhütung von Krankheiten und ihr Einsatz zur Stimulierung der körpereigenen Abwehr.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. phil.

Hans D. Reuter

Medizinische Universitätsklinik I Joseph-Stelzmann-Straße 9 5000 Köln 41

A-528 (56) Dt. Ärztebl. 85, Heft 9, 3. März 1988

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

(a) Berechne Inkreisradius und Kantenl¨ange eines regelm¨aßigen Sechsecks mit Um- kreisradius r (allgemein in Abh¨angigkeit von r).. (b) Suche im regelm¨aßigen Achteck

Durch die Klimaanalyse für die Jahre 1951 bis 2014 konnte objektiv nach- gewiesen werden, dass das Klima sich in unserem Bundesland bereits wandelt. Die Broschüre des Landesamtes

(1) Die Einrichtung eines automatisierten Verfahrens, das die Übermittlung von Sozialdaten durch Abruf ermöglicht, ist zwischen den in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen

132 Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass das EEG keine finanzielle Hilfe des Staates nach Europäischen Recht ist (vgl. Das bedeutet jedoch nicht, dass die

Andern Sie das InsertionSort-Programm aus der Vorlesung so, dass es Zah- ¨ len mit Nachkommastellen (Typ float) sortieren kann. • Welche Variablen m¨ussen vom Typ float sein,

This appendix contains the information needed to convert the parallel interface from the default general purpose parallel port configuration to either the Small

Possible future concepts for aftercare of Swiss childhood cancer survivors are to account for the fact of four different language areas (German, French, Italian, Rätoromansch)

Wir bleiben zuversichtlich, dass die bestehenden wie auch die neuen Herausforderungen gemeinsam gemeistert wer- den können und wir dank dem HFG gut gerüstet sind für die