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Archiv "Möglichkeiten und Grenzen der Insulintherapie" (18.06.1982)

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ARZTEBLATT

Heft 24 vom 18. Juni 1982

Mit der bisher meistens prakti- zierten Insulintherapie mit ein- bis zweimaliger täglicher In- jektion gelingt es nur bei einer Minderzahl von Diabetikern, eine normoglykämische oder diesem Bereich angenäherte Einstellung zu erzielen. Bes- sere Chancen und Anpas- sungsmöglichkeiten ergeben sich durch häufigere Verwen- dung von Normai-(Ait-)lnsu- lin und Mehrfach-Injektion.

Unter diesen Aspekten wird das Vorgehen bei bestimmten Einstellungsschwierigkeiten besprochen. Bei Typ-li-Diabe- tikern mit Übergewicht sind die Insulinempfindlichkeit und die Vermeidung eines Ge- wichtsanstieges die Hauptpro- bleme. Einen Fortschritt der Insulintherapie bedeutet die Einführung der chromatogra- phierten lnsuline,unter denen lnsulinallergien, Lipoatro- phien und offensichtlich auch antikörperbedingte Insulinre- sistenzen seltener auftreten.

Auf neuere Entwicklungen, wie sie sich im Hinblick auf das "künstliche Pankreas"

beziehungsweise die Insulin- lnfusions-Geräte abzeichnen, wird in einem besonderen Artikel eingegangen werden.

DIABETES-SERIE:

Möglichkeiten und Grenzen der Insulintherapie

Heinrich Sauer

Aus der Diabetesklinik Bad Oeynhausen

(Ärztliche Leitung: Professor Dr. med. Heinrich Sauer und Privatdozent Dr. med. Rüdiger Petzoldt)

Die Möglichkeiten und Grenzen der konventionellen lnsulinbehand- lung, d. h. der lnjektionstherapie, lassen sich nicht getrennt diskutie- ren. Die Erörterung der Möglichkei- ten beinhaltet zwangsläufig eine Diskussion über die der Therapie ge- setzten Grenzen. Als Idealziel gelten zwar für die meisten Insulinpatien- ten die Normeglykämie oder eine weitgehende Annäherung an diesen Bereich. Erfahrungsgemäß wird die- ses Ziel nur bei einer Minderzahl von unter 10 bis 20 Prozent erreicht.

Die im Rahmen der konventionellen Insulintherapie häufig auftretenden Probleme lassen sich auf bestimmte Umstände zurückführen:

~ Es ist schwierig beziehungsweise unmöglich, die physiologische lnsu- linämie mit den heute zur Verfügung stehenden Insulinpräparaten zu si- mulieren. Besonders gilt dies für Pa- tienten mit ausgesprochenem Insu- linmangel wie bei Typ-I-Diabetes.

Bei anderen Diabetikern mit erhalte- ner Eigeninsulinproduktion gelingt es dagegen durch zweckmäßige Diät und Regelung der Lebensweise, ei- ne befriedigende Einstellung zu er- reichen.

~ Das injizierte Insulin gelangt nicht wie das endogene Insulin über den portalen Kreislauf zunächst in die Leber als wichtigstes Stoffwechsel-

organ, sondern wird primär von der Peripherie aus abgegeben.

~ Die spezielle Situation des einzel- nen Patienten und exogene Fakto- ren können die Wirkung des injizier- ten Insulins und damit den Blutzuk- kerverlauf modifizieren (Tabelle 1).

Insulinpräparate

Die Kenntnis der Präparateeigen- schaften (11, 12)*) und deren Be- rücksichtigung ist eine der wesentli- chen Voraussetzungen für eine be- friedigende Diabetes-Einstellung.

Sie erleichtert die Auswahl einer ge- eigneten lnsulinsorte:

~ Wirkungsprofi I. Dieses wird durch den lnitialeffekt, den Zeitpunkt des Wirkungsmaximums und durch die Wirkungsdauer bestimmt.

~ Eventuell vorhandene intra- und auch interindividuelle Schwankun- gen des Wirkungsablaufs.

~ Mischungsstabilität bei Zusatz von Normai-(Ait-)lnsulin, so daß eine Insulinmischung hinsichtlich ihrer Wirkung in etwa der getrennten ln-.

jektion beider Komponenten ent-

spricht. [>

·) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis der Sonderdrucke.

Ausgabe NB DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 24 vom 18. Juni 1982 29

(2)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Insulintherapie

~ Der Reinheitsgrad ist ein ent- scheidender Faktor für die Antigeni- tät und für das Auftreten von Immun- reaktionen. Es handelt sich vor- nehmlich um bestimmte Proteine, unter anderem Proinsulin, die heute mittels Gelchromatographie elimi- niert werden können.

Die sogenannte Fraktion A enthält überwiegend pankreaseigene Pro- teine, die Fraktion B insbesondere Proinsulin sowie außerdem Interme- diär- und Dimerinsulin. Die Fraktion C besteht dagegen zu 95 Prozent aus Insulin selbst, ferner aus be- stimmten lnsulinderivaten.

~ Die chromatographierten Insuline resultieren nach gelchromatogra- phischer Entfernung der Fraktionen A und B. Die sogenannten hochge- reinigten Insuline (MC- und Rl-lnsu- lin, [Tabelle 2]) wurden zusätzlich einer Ionen-Austauscher-Chromato- graphie unterzogen, die zu weitge- hender Eliminierung des Proinsulins und der Insulinderivate aus der Frak- tion C führt.

Entsprechend ihrer Wirkungsdauer werden die Insulinpräparate in drei Gruppen eingeteilt:

1. Normai-(Ait-)lnsulin (NI): Rascher Wirkungseintritt innerhalb der er- sten 1 bis 2 Stunden, Wirkungsmaxi- mum nach etwa 2 bis 4 Stunden, Wirkungsdauer 5 bis 7 Stunden. Der Indikationsbereich hat sich, wie aus Tabelle 3 hervorgeht, in den letz- ten Jahren vor allem beim juvenilen Diabetestyp und in der Gravidität er- weitert.

2. Verzögerungsinsuline (VI): Die Wirkungsverzögerung wird durch die unterschiedlichen physiko-che- mischen Eigenschaften der Präpara- te bestimmt:

Suspension von Kristallen (Insulin- kristalle oder Insulin-Zink-Kristalle), Suspension von amorphen Parti- keln,

Suspension von Kristallen aus Insu- lin und einer Depotsubstanz,

Einflüsse von seiten der - Wirkungsablauf des Insulinpräparates Therapeutika: (physikochemische Eigenschaften)

- Kalorien- oder KH-Gehalt, KH-Verteilung der Diät

- der hormonalen und - Eigeninsulinproduktion, "globale" lnsu- metabolischen Situa- linempfindlichkeit

tion:

- zirkadiane Schwankungen der Insulin- empfindlichkeit

- ungleichmäßige Insulinabsorption

- der individuellen Si- - Alltagsverhältnisse, Tagesablauf

tuation (Persönlichkeit

- körperliche Aktivität und Umwelt):

- emotionale "Belastung"

Tabelle 1: Faktoren, durch die die Wirkung des exogenen Insulins und damit des Blutzuckerverlaufs modifiziert wird

saure Lösung, die nach Injektion im neutralen pH des Gewebes in Form von amorphen Partikeln ausfällt.

Es werden zwei Untergruppen unter- schieden (Tabelle 2):

2.1 Intermediär-Insuline (/MI) mit allmählicherem Wirkungseintritt, meist ausgeprägterer Wirkung von der 2. bis 3. Stunde an sowie einem Wirkungsmaximum nach etwa 4 bis 8 Stunden. Die verschiedenen Prä- parate weisen deutliche Unterschie- de hinsichtlich ihrer Wirkungsdauer auf, die etwa zwischen 10 und 20 Stunden liegt.

Die in Tabelle 2 angegebenen Richt- werte gelten für eine Dosis von etwa 40 E. Bei Dosissteigerung nimmt auch die Wirkungsdauer zu, gleich- zeitig jedoch die Hypoglykämienei- gung zur Zeit des Wirkungsmaxi- mums. Höhere Insulindosen werden deshalb von insulinempfindlichen Patienten häufig nicht toleriert. Es muß statt dessen zweimal injiziert werden, wobei das Verhältnis der Morgen- zur Abenddosis meistens zwischen 2 bis 4:1 liegt, jedoch auch 1 :1 betragen kann.

Eine zweimalige Injektion ist um so dringlicher, je jünger der Patient, je instabiler der Diabetes und je höher der Insulinbedarf ist.

Wenn der zeitliche Abstand zwi- schen 1. Frühstück und Mittagessen lang ist, beispielsweise von 6.30 Uhr bis 13 Uhr, kann der Hypoglykämie- neigung besonders. in der 2. Vormit- tagshälfte durch einen zusätzlichen lmbiß begegnet werden. Es genügen meistens 12 bis 25 g KH (1-2 BE) zwischen 11 und 11.30 Uhr. Falls un- ter zweimaliger täglicher Injektion Hypoglykämien um Mitternacht auf- treten, muß die sogenannte Spät- mahlzeit möglichst spät, das heißt vor dem Zu bettgehen eingenommen werden.

Häufig findet sich eine Situation, die sich durch zum Teil erhebliche Hy- perglykämien um 9 bis 10 Uhr, dage- gen niedrige Blutzucker vor dem Mittagessen auszeichnet. in diesem Falle empfiehlt sich, versuchsweise die Kohlenhydrate des 1. Frühstücks zu reduzieren und auf das 2. Früh- stück oder den lmbiß um 11 bis 11.30 Uhr zu "verschieben".

2.2 Langzeit-Insuline (LZI) mit einer Wirkungsdauer bis über 24 Stunden.

Im allgemeinen werden diese Präpa- rate nur einmal täglich injiziert. Sie sind geeignet bei Patienten mit sta- bilem Diabetes, nicht zu hohem ln- sulinbedarf und nach unseren Erfah- rungen besonders in höherem Le- bensalter wegen der Möglichkeit der Einmalinjektion.

(3)

Handelsbezeichnung Spe- Rein- pH zies heits-

grad

Lösung bzw.

Sus- pension

Beschaffenheit bzw.

Zusammensetzung (bei

NI-Zusatz Handelsbezeichnung)

Wir- kungs- dauer (Std.)

Normalinsuline

Insulin »Brunnengräber« R 3,0

Insulin Hoechst 3,5

Insulin S Hoechst 3,5

Velasulin Nordisk S RI 7,3 Insulin Novo Actrapid S MC 7,0

Optisulin Alt CR 7,0

Optisulin Alt CS*) 7,0

Intermediärinsuline (nach Wirkungsdauer) Insulin Novo Semilente S MC 7,0 Optisulin-Spezial CS*) S C 7,0 Sn Komb-Insulin S Hoechst S C 3,5 L 1 Komb-lnsulin Hoechst R C 3,5 L J Depot-Insulin S Hoechst S C 3,5 L Depot-Insulin Hoechst R C 3,5 L HG-Insulin S Hoechst S C 3,5 L HG-Insulin Hoechst R C 3,5 L Optisulin-Depot CR R C 7,0 Sn/L Optisulin-Depot CS*) S C 7,0 Sn/L Insulin Initard Nordisk RI 7,3 Sn/L Insulin Mixtard Nordisk RI 7,3 Sn/L Depot-Insulin »Norm« R C 3,0 L

Insulin Monotard S+S MC 7,3 Sn

Deposulin K 3,0 L

Insulin Insulatard NordiskS RI 7,3 Sn Insulin Novo Rapitard R+S MC 7,0 Sn/L

Optisulin Retard CR 7,0 Sn

Optisulin Retard CS*) S C 7,0 Sn

gelöstes Insulin 5-7

gelöstes Insulin 5-7

gelöstes Insulin 5-7

gelöstes Insulin 5-7

gelöstes Insulin 5-7

gelöstes Desphe-lnsulin 5-7

gelöstes Desphe-Insulin 5-7

Insulin-Zink-Suspension von 10-12 amorphem Insulin

amorphes Desphe-Insulin 12

2/3 Depot-Insulin Hoechst bzw. S. Hoechst 12

1/3 Insulin Hoechst bzw. S. Hoechst

12

Surfen-Insulin 12-16

Surfen-Insulin 12-16

Human-Globin-Insulin 16

Human-Globin-Insulin 12-16

25% gelöstes Desphe-Insulin

75% kristallines Insulin 12-16 25% gelöstes Insulin + Desphe-Insulin

75% kristallines Insulin 12-16 50% Insulatard, 50% Velasulin Nordisk 16 70% Insulatard, 30% Velasulin Nordisk

Insulin-Zink-Protaminat und 16-20 kristallines Insulin

Insulin-Zink-Suspension von 30% 16-20 amorphem S- u. 70% kristallinem S-Insulin

Protamin-Zink-Insulin 20

Protamin-Insulin-Kristalle 20 75% Insulin-Kristalle; 25% Actrapid 20 30% amorphes Desphe-Insulin 20-24 70% kristallines Insulin

30% amorphes Desphe-Insulin 20-24 70% kristallines Insulin

L L L L L L L

Sn

Surfen-Insulin (amorph u. kristallin) 24 IZS von 30% amorphem S- u. 70% 24-28 kristallinem R-Insulin

IZS von kristallinem Insulin 28 Langzeitinsuline

Long-Insulin S C 7,0 Sn

Insulin Novo Lente R+S MC 7,0 Sn Insulin Novo Ultralente R MC 7,0 Sn

Abkürzungen: R = Rind, S = Schwein, K = Kristallisation, C = Gel-Chromatographie, MC = Monocompo- nent, RI = rare immunogenic, L = Lösung, Sn = Suspension, IZS = Insulin-Zink-Suspension

*) CS voraussichtlich 1982 im Handel

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Insulintherapie

Tabelle 2: Insulinpräparate (aus 12)

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 24 vom 18. Juni 1982 31

(4)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin lnsu lintherapie

Die geringe Initialwirkung erfordert oft eine Beschränkung der KH des 1.

und gelegentlich auch des 2. Früh- stücks. Mittags und nachmittags werden Kohlenhydrate dagegen we- gen der intensiveren Insulinwirkung besser toleriert.

Indikationen ..,.. Vorübergehend

Koma, Notfall, Operation, inter- kurrente Infekte mit Stoffwech- Seidekompensation

Erst- und Neueinstellung bei aus- geprägter Diabetesdekompensa- tion

Bemerkungen

rascher Wi rku ngseintritt, über- sichtliche und gut steuerbare Therapie, besonders bei i. v. App-

likation

rasche Kompensation und Er- mittlung des anfänglichen lnsu- linbedarfs

Hinsichtlich der Grundsätze und der Praxis der Insulintherapie bestehen beim juvenilen Diabetestyp (Typ I) und beim Erwachsenentyp (Typ II) wesentliche Unterschiede, die mit dem Lebensalter und mit den Be- sonderheiten des jeweiligen Diabe- testyps im Zusammenhang stehen (Tabelle 4).

....

Für längere Perioden beziehungsweise permament*

Zusatz zum Verzögerungsprä- bei ungenügendem Initialeffekt

parat des Verzögerungsinsulins (siehe

schwer einstellbarer - eventuell Tabelle)

instabiler-Diabetes bei einem Teil dieser Patienten- Gravidität gruppe bessere und "flexiblere"

Einstellung

"relative" Insulinresistenz

mit dem Ziel der Normeglykämie günstiger Effekt infolge rasche- ren Wirkungseintritts

Die Auswahl des Insulinpräparates hat bei einem neuentdeckten Diabe"

tes zunächst häufig mehr oder weni- ger empirischen Charakter. Bei Be- handlungsbeginn sind weder Blut- zucker-Verlaufstendenzen, Progre- dienzrate noch Neigung zur Instabi- lität bekannt. Ist der Patient dagegen

bereits mit Insulin behandelt, jedoch = entsprechend dem Regime in Tabelle 2

unbefriedigend eingestellt, so muß Tabelle 3: Verwendung von Normalinsulin

Typ I Typ II

Manifestationsalier bevorzugt im Wachstumsalter bevorzugt bei Erwachsenen

Manifestationstempo meist rasch allmählich

Eigeninsu Ii nprodu ktion relativ rasche Abnahme in den er- besser erhalten, nur geringe oder sten 1 bis 3 Jahren mit entsprechen- langsame Abnahme, die nicht zum der Progredienz, unter Umständen kompletten Insulinmangel führt. - bis zum totalen Diabetes, oft mit in- Dementsprechend langsame Pro-

stabilität gredienz, Insulinbedürftigkeit meist

erst nach 5 bis 10 Jahren und später.

Remission bei 30 bis 40% postinitiale "Erho- nach Diät und Gewichtsabnahme oft lung" der Insulinsekretion und Re- erhebliche Besserung bis zur patho- mission von Wochen bis Monate logischen oder sogar normalen Glu- Dauer- unter "aggressiver" Insulin- kosetoleranz.

therapie jahrelang?

Exogene Progredienz- keine wahrscheinlich Überernährung,

faktoren Übergewicht

Gewicht meist normal häufig Übergewicht

Stoffwechsel oft instabil im allgemeinen stabil

Ketoseneigung ausgeprägt nur unter besonderen Umständen

(Infektionen) Tabelle 4: Bedeutung der Diabetestypen für die Insulintherapie

(5)

Insulintherapie

unter Berücksichtigung der indivi- duellen Stoffwechselverhältnisse versucht werden, ein besser geeig- netes Präparat zu finden.

Typ-I-Diabetes

Eine sogenannte "aggressive" Insu- linbehandlung ist - abgesehen von besonderen Umständen wie Gravidi- tät und bestimmten Komplikations- situationen - besonders im Wachs- tumsalter und während der Früh- phase des Diabetes angezeigt. Sie soll jedoch nicht zu häufigeren und schweren Hypoglykämien führen.

Die auf diese Weise erreichte Nor- meglykämie wirkt sich möglicher- weise als Schutz für die B-Zellen aus und verhindert eine weitere Destruk- tion des Betazellsystems und damit eine Progredienz des Diabetes. Für das praktische Vorgehen ergeben sich folgende Konsequenzen:

~ frühzeitige lnsulintherapie,

~ keine Versuche mit oralen Anti- diabetika,

~ rasche Normalisierung des Blut- zuckers, besonders bei Dekompenc sation mit Normalinsulin,

~ Versuch, die Normeglykämie möglichst lange aufrechtzuerhalten,

~ Beibehaltung der Insulintherapie - eventuell in Minimaldosierung - während der Remissionsphase. Ora- le Antidiabetika sind nicht indiziert, ebensowenig wie eine alleinige Diät- therapie.

~ Im übrigen führt das Aussetzen der Insulintherapie zu falschen Hoff- nungen, da die Wiederaufnahme nach wenigen Monaten ebenso un- ausweichlich ist wie die daraus re- sultierenden Enttäuschungen.

Im Anschluß an die Remissionspha- se wird der Insulinbedarf zwar zu- nehmen. Der Diabetes kann aber noch für mehrere Jahre oder auch für dauernd relativ stabil bleiben. Bei anderen Patienten macht sich dagegen eine deutliche Instabilität bereits nach 1 bis 3 Jahren be-

Solange der Diabetes stabil ist, muß eine dem Normbereich entsprechen- de und praktisch aglukosurische Einstellung als realistisches Ziel an- gesehen werden. Trotz eines gerin- gen Insulinbedarfs wird man - von Ausnahmefällen abgesehen - nicht auf eine zweimalige Insulininjektion täglich verzichten (Tabelle 4).

Günstige Auswirkungen einer sorg- fältigen Einstellung während der er- sten Jahre des Diabetes werden im Hinblick auf die spätere Entwicklung der Mikroangiopathie und Neuropa- thie vermutet. Diese für die Stoff- wechselführung vorteilhafte Phase bietet daher eine reale Chance, Ma- nifestationspunkt und Schweregrad eventueller späterer Komplikationen günstig zu beeinflussen. Nicht sel- ten zeigt sich eine Bereitschaft zu sorgfältiger Einstellung des Diabe- tes erst dann, wenn es offensichtlich zu spät ist, wie bei klinisch manife-

ster Nephropathie, ausgeprägter proliferativer Retinopathie oder be- stimmten neuropathischen Formen.

Im Laufe der Jahre entwickelt sich bei vielen Patienten eine zunehmen- de Tendenz zu postprandialer Hy- perglykämie, die einen Normalinsu- linzusatz zum Verzögerungspräpa- rat erfordsrlich macht. Er erfolgt meist in Form der handelsüblichen Kombinationspräparate. Sie zeich- nen sich zwar durch einen unter- schiedlichen Normalinsulinanteil zwischen 25 und 50 Prozent aus.

Trotzdem sollten häufiger als bisher individuelle, vom Patienten selbst herzustellende Mischungen von Normal- und Verzögerungsinsulin angewandt werden. Es ergeben sich dafür folgende Indikationen:

~ kein passendes Kombinationsprä- parat im Handel

Einfluß auf Verhalten der Bemerkungen

A-Rate A-Rate

intraindividuell lokale Unterschiede: statt Rotationsprinzip Abdomen > Arm > "Etagenprinzip"

Oberschenkel besonders bei lnstabi- lität

interindividuell unterschiedliche A und unterschied- licher Blutzucker trotzgleicher Insulin- sorte

Muskeltätigkeit A-i im Bereich der betreffenden

Muskulatur

Temperatur E . . Wärme i Unterschiede post xpos1t1on Kälte

!

injectionem 200-300%

lnsu I in- kein klinisch gültig für übliche konzentration relevanter Effekt Konzentration

(Dosis : Volumen) 40-100 E/ml

in Anlehnung an die Tabelle "Factors influencing absorption of sub- cutaneously injected insulin", Workshop on Challenges in Treatment of Diabetes mellitus: Critical Evaluation, Aarhus 1980, S. 23, Library of Congress Catalogue Card Number 80-81387

merkbar. Tabelle 5: Insulinabsorption (A) Zunahme; Abnahme 34 Heft 24 vom 18. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe AlB

(6)

..,.. insbesondere bei geringem NI- Bedarf, zum Beispiel32 E VI

+

6 E NI

(84 Prozent beziehungsweise 16 Prozent),

..,.. bessere Möglichkeiten der Adap- tation.

Mit zunehmender Instabilität müs- sen wegen Gefährdung durch Hypo- glykämien Konzessionen an die Ein- stellung gemacht werden. Auf den echten labilen beziehungsweise den

"Brittle"-Diabetes wird nicht näher eingegangen. Er ist durch nicht vor-

hersehbare Blutzuckerschwankun- gen, insbesondere von Tag zu Tag,

durch Ketoseneigung und Hypoglyk-

0 Uhr 7 Uhr 10 Uhr

nüchtern p. c.

I

I

l I

12 Uhr a. c.

l l l

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Insulintherapie

18 Uhr 0 Uhr

a. c.

I I

l

j Hyper- Tendenzen, die im Blutzuckerprofil zu "Einstellungs"- glykämie

Schwierigkeiten führen

l

Hypo-

glykämie ämien charakterisiert. Darstellung 1: Tendenz des Blutzuckerverlaufs

Bei vielen als labil eingestuften Dia- betikern liegt jedoch keine echte La- bilität vor. Die Instabilität ist viel- mehr auf ungeeignete Therapie, nicht adäquates Verhalten des Pa- tienten, Unregelmäßigkeiten im Ta- gesablauf und hinsichtlich der kör- perlichen Aktivität sowie eventuelle im emotionalen Bereich auftretende Schwierigkeiten zurückzuführen. Ei- ne voreilige Klassifizierung als labil ist zu vermeiden, da sie Resignation und Verzicht auf Suche nach korri- gierbaren Instabilitätsfaktoren be- deuten kann.

Systematische Studien der Insulin- absorption im Injektionsbereich ha- ben in den letzten Jahren stärkere Unregelmäßigkeiten als früher ver- mutet ergeben (Tabelle 5).

Ein spezieller Faktor, der in letzter Zeit näher untersucht wurde, ist die lokale und individuell unterschiedli- che Degradation und Absorption des Insulins (2, 7). Bisher wurden diese Umstände bei den Empfehlun- gen, die den Wechsel der Injektions- areale im Sinne des Rotationsprin- zips betreffen, nicht ausreichend be- rücksichtigt. Besonders bei Instabili- tät oder auch bei Vorliegen einer ausgeprägten Insulinempfindlich- keit wird daher in letzter Zeit emp- fohlen, für die Morgeninjektion oder für die Abendinjektion immer den gleichen Körperteil, also Oberschen- kel oder Oberarm beziehungsweise die Bauchhaut, zu benutzen. Durch

diese Maßnahme soll verhindert werden, daß Degradation und schließlich auch die Absorption des Insulins möglichst geringen Schwankungen von Tag zu Tag un- terworfen sind. Mit derartigen Ab- sorptionsschwankungen ist zweifel- los zu rechnen, wenn - wie beim Rotationsverfahren-zu bestimmten Tageszeiten Insulin in unterschiedli- che Areale injiziert wird.

Auf einen regelmäßigen Wechsel der Injektionsareale muß jedoch nach wie vor geachtet werden. Insulinli- pohypertrophien und auch Indura- tionen werden durch Permanentin- jektion an dieselbe Stelle begünstigt und damit die Insulinabsorptionsra- te verändert und hinsichtlich ihres Einflusses auf das Blutzuckerprofil schwerer überschaubar.

Die Insulinabsorption wird auch dann beschleunigt, wenn die Mus- kulatur im Bereich des Injektions- areals betätigt wird (7). Ob entspre- chende Ratschläge, etwa bei intensi- ver Betätigung der Beinmuskulatur die Oberschenkelinjektion zu mei- den und statt dessen in die Bauch- haut zu injizieren, berechtigt sind, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Die bisherigen Studien las- sen konkrete Empfehlungen noch nicht zu.

Nicht zu verwechseln mit einem labi- len Diabetes sind Blutzucker-

schwankungen im Laufe des Tages, die zwar ein erhebliches Ausmaß er- reichen können, jedoch Konstanz von Tag zu Tag und damit eindeutig einen bestimmten Zirkadianrhyth- mus erkennen lassen. Es handelt sich um vorhersehbare Schwankun- gen und eine durch therapeutische Maßnahmen beeinflußbare Situa- tion. Die bei vielen Typ-1-, aber auch bei einigen Typ-li-Diabetikern oft zu beobachtenden Tendenzen des.

Blutzuckerverlaufs sind schema- tisch in Darstellung 1 wiederge- geben.

Die Situationen 1 bis 4 sind dadurch charakterisiert, daß der Versuch, Hy- perglykämien (nüchtern, vormittags beziehungsweise vor dem Abend- essen) durch Steigerung der Insulin- dosis zu reduzieren, eine Hypoglyk- ämietendenz zu anderen Tageszei- ten (gegen Mittag und um Mitter- nacht) zur Folge haben kann. Mit Hilfe geeigneter lnsulinpräpara- te, Mehrfachinjektionen unter Ver- wendung von Normalinsulin und An- passung von Diät und Insulin an die körperliche Aktivität können die Blutzuckerprofile weitgehend nivel- liert werden. Eine Übersicht über die Verabfolgung findet sich in der fol- genden Tabelle 6.

Vor allem jüngere Patienten sind durchaus bereit, dreimal täglich In- sulin zu injizieren und dieses Regi-

(7)

Insulintherapie

me beizubehalten. Sie fühlen sich hinsichtlich der Diabeteseinstellung und besonders der Anpassung an die Alltagsverhältnisse sicherer und kommen von selbst zu der Erkennt:

nis, daß eine derartige Behandlung oft flexibler ist.

Nüchternblutzucker

Der Nüchternblutzucker ist beson- ders beim Insulinpatienten ein wich- tiger Hinweis auf die lnsulinversor-

gung vom Vortage und auf die unge- fähre Blutzuckerkonzentratibn wäh- rend der Nachtzeit. Hypoglykämien können nachts allerdings unerkannt bleiben. Ferner ist der Nüchternblut- zucker als Ausgangspunkt für den Blutzuckerverlauf während des Vor- mittags zu werten und bei vielen Pa- tienten die wichtigste Determinante für Vormittagshyperglykämien. Auf eine Orientierung über den Nüch- ternwert kann daher vor allem bei ungenügender Einstellung des Dia- betes nicht verzichtet werden. Die

nüchtern mittags abends spät

geeignet { NI NI { VI

VI NI

NI NI { VI

NI

spezielle Situationen NI NI NI VI

ungeeignet wegen NI NI NI

Nüchternhyperglykämie

VI

=

Verzögerungs-Insulin

{ =

Mischinjektion NI

=

Normal-Insulin

Tabelle 6: Regime mit weitgehender Verwendung von Normai-(Ait-)lnsulin

Nüchternhyperglykämien

Ursachen Konsequenzen

0

am Vortage zu wenig Insulin Dosissteigerung

f) WD des VI zu kurz (etwa 12 bis VI mit protrahierter WD versu- 16 Stunden}, Dosissteigerung chen

wegen Hypo nicht möglich

e

massive KH-Zufuhr nach weniger Insulin, angemessene

nächtlicher Hypo KH-Zufuhr

0

reaktiv nach nächtlicher Hypo probatarische Dosissenkung (Somogyi)

0

Kombination von 2. und 4.

WD = Wirkungsdauer, VI = Verzögerungsinsulin

Ursachen für Nüchternhyperglyk- ämien und die therapeutischen Kon- sequenzen sind in Tabelle 7 zusam- mengefaßt:

Die Pathogenese der reaktiven Hy- perglykämie nach Hypoglykämien ist im einzelnen ungeklärt. Dieses sogenannte Somogyi-Phänomen wird vor allem bei instabilem Diabe- tes beobachtet, ist aber wesentlich seltener, als oft angenommen wird.

Weitaus häufiger sind Nüchternhy- perglykämien als Folge der in Tabel- le 7 unter 1., 2. und 3. sowie 5. ange- führten Ursachen.

Typ-li-Diabetes

Patienten mit diesem Diabetestyp werden meistens dann insulinbe- dürftig, wenn Tabletten-(meist Sul- fonylharnstoff-)Sekundärversagen eingetreten ist (Tabelle 4). Nicht sel- ten ist jedoch Insulin bereits nach kurzdauernder Diät- bzw. Tabletten- behandlung erforderlich. Bei früh- zeitiger lnsulinbedürftigkeit, beson- ders jüngerer Erwachsener, ist die Typendifferenzierung oft schwierig oder unmöglich, was für das thera- peutische Vorgehen jedoch keine Konsequenzen hat. Unter Umstän- den erlauben der weitere Verlauf, besonders die Entwicklung zum la- bilen Diabetes und eventuell die Fa- milienanamnese gewisse Rück- schlüsse. Weitere Hinweise können sich aufgrund spezifischer Metho- den (lnselzellantikörper) ergeben.

Im Hinblick auf die Insulintherapie ergibt sich bei schematisierender Betrachtung für den Typ-li-Diabetes folgende Situation:

~ Stabile Stoffwechsellage mit gu- ter beziehungsweise ausreichender lnsulinempfindlichkeit, das heißt ei- nem Insulinbedarf unter 40 bis 50 E.

Meistens handelt es sich um normal- gewichtige, nicht selten auch um übergewichtige Patienten.

Die Insulintherapie erfolgt in ähnli- cher Weise wie beim stabilen Typ+

Diabetes. Falls Kombinationen mit Normalinsulin wegen postprandialer Tabelle 7: Ursachen für Nüchternhyperglykämien und therapeutische Konsequenzen Hyperglykämien indiziert sind, wird 36 Heft 24 vom 18. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe NB

(8)

Tag 14. 9. 15. 9. 16. 9. 21. 10. 19. 12. 16. 1. 2. 3. 26. 9.

nüchtern 260 228 136 250 80 80

10.00 336 302 240 156 80 196 88 134

12.00 284 72 72 114 84 104

252 297 112 134 194 90 116

15.00/17.00

20.00 234 278 124

Glibenclamid 15 mg 7.00

17.00 4E 6E 10 E

4E Leo Retard Insulin

7E 8E

6E 4E

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Insulintherapie

Tabelle 8: G. K., 29 J., 165 cm/48 kg: Insulinempfindlicher Diabetes mit niedrigem Insulinbedarf (Ambulanzbeobachtung mit Blut- entnahme durch den Patienten). Unter einmaliger täglicher Injektion Hypoglykämien (nicht während der Profiltage). Hypo- glykämiefreie, normoglykämische Einstellung mit 2 Injektionen

man handelsübliche Präparate vor- ziehen und nach Möglichkeit auf in- dividuelle Mischungen verzichten.

Trotz niedrigen Insulinbedarfs von beispielsweise 20 bis 30 E können auch beim Erwachsenen 2 Injektio- nen erforderlich sein.

Höhere Einzeldosen führen unter Umständen zu Hypoglykämien, vor allem während des Wirkungsmaxi- mums des Präparates und der Phase ausgeprägterer Insulinempfindlich- keit wie vor dem Mittagessen (ent- sprechend der in Tabelle 8 gezeig- ten Situation beim Typ-l-Diabetes).

Da in höherem Alter bei unkompli- ziertem Diabetes (keine Nekrose, Neuropathie, Infekte) die Anforde- rungen an die Stoffwechselführung weniger rigoros sind, reicht häufiger eine einmalige Injektion aus. Hier besteht eine Indikation für Langzeit- insuline (Tabelle 2).

Mäßige postprandiale Hyperglyk- ämien vormittags und nach dem Abendessen können im Alter tole- riert werden, wenn der Blutzucker nüchtern, gegen Mittag oder am Nachmittag in einem akzeptablen Bereich liegt.

Adipöse Diabetiker

mit geringer Insulinempfindlichkeit 70 bis 80 Prozent der Typ-Il-Diabeti- ker sind übergewichtig. Die Insulin- behandlung wird meist erst nach längerer Krankheitsdauer notwen- dig, kann jedoch wegen der relati- ven „Insulinresistenz" zu therapeuti- schen Schwierigkeiten führen. Eine verminderte Rezeptorenzahl und -bindung und damit eine ungenü- gende blutzuckersenkende Wirkung des Insulins sind Folge von Über- ernährung und Übergewicht. Nur durch knappe Kost und Gewichtsab- nahme läßt sich die Situation bes- sern. In praxi wird dieses „Idealziel"

meistens nicht erreicht. Die theore- tisch vorhandenen Möglichkeiten und die Grenzen, wie sie sich in der therapeutischen Praxis ergeben, lie- gen in diesem Bereich besonders weit auseinander.

Wenn übergewichtige Diabetiker, beispielsweise nach echtem Sekun- därversagen, auf Insulin eingestellt wurden, besteht im Falle zu reichli- cher Nahrungsaufnahme die Gefahr eines Circulus vitiosus, der durch Überernährung, Gewichtszunahme, Insulinresistenz, wiederum höhere

Insulindosierung und ungünstigen Einfluß auf Körpergewicht und Re- zeptorensituation charakterisiert ist.

Nach Einleitung der Insulintherapie muß daher die Diät besonders sorg- fältig überwacht werden. Wesentlich günstiger ist die Ausgangsposition, wenn vorher als Folge des unter Ta- bletten dekompensierten Diabetes eine erhebliche Gewichtsabnahme eingetreten ist. Aber auch diese Pa- tienten sind nach Beseitigung der Stoffwechseldekompensation durch Gewichtsanstieg gefährdet.

Bei vielen übergewichtigen Diabeti- kern muß man sich wegen der Schwierigkeiten der Diätrestriktion mit einem Kompromiß sowohl im Hinblick auf das Körpergewicht wie auch unter Umständen auf die Ein- stellung des Diabetes begnügen.

Eine weitgehende Normalisierung des Blutzuckers kann unter Umstän- den nur durch hochdosierte Insulin- therapie, gelegentlich bis über 100 E täglich, erzielt werden, jedoch unter der Gefahr, den oben erwähnten Cir- culus vitiosus in Gang zu setzen. — Daß durch Zusatz von Sulfonylharn- stoffen bei bestimmten Patienten in- folge Beeinflussung der Rezeptorsi-

(9)

Gesicherte Vorteile Kein eindeutiger beziehungsweise kein günstiger Einfluß auf

Seltenheit von Allergien, neutralisierenden Antikörpern, Lipoatrophie

Dauer der Remissionsphase beziehungsweise Progredienz des Diabetes

Instabilität

Mikroangiopathie-Entwicklung, Lipohypertrophie

Tabelle 9: Vorteile von Schweineinsulinen gegenüber Rinderinsulinen bezüglich der immunologischen Reaktionen

Insulintherapie

tuation die Empfindlichkeit gegen- über Insulin häufiger als früher ver- mutet gebessert werden kann, ist auf Grund neuerer Erfahrungen wahrscheinlich. Vor einer generel- len Anwendung dieser Kombination wird jedoch noch gewarnt (siehe 1).

Trotz fehlenden Übergewichtes ha- ben ältere Patienten gelegentlich ei- nen hohen Insulinbedarf von über 50 bis 70 E, dem keine der bekannten Faktoren wie insulinneutralisierende Antikörper, chronische Lebererkran- kungen oder chronische Infektionen zugrunde liegen. Wahrscheinlich muß auch für diese Situation eine verminderte Rezeptorbindung ver- antwortlich gemacht werden. Hohe Insulindosen lassen sich oft nicht

umgehen, um zu einer einigermaßen akzeptablen Einstellung zu ge- langen.

Immunologische Reaktionen Immunologische Reaktionen sind seit Einführung der chromatogra- phischen Verfahren wesentlich sel- tener geworden, besonders seit der Verwendung hochgereinigter Insuli- ne, seltener ferner bei Schweinein- sulinen im Vergleich zu Rinderinsu- linen (3, 4, 5, 6, 10) (Tabelle 9).

Besondere Hinweise zu Tabelle 9:

Insulinallergie: Eine Behandlung mit hochgereinigten Insulinen führt nur sehr selten zu Insulinallergien.

Wenn dagegen bereits eine durch

ein Präparat geringerer Antigenität induzierte Insulinallergie besteht, kann die Reaktion in gleicher Inten- sität auch nach Injektion von hochgereinigten bzw. Schweinein- sulinen fortbestehen. Bei lokalen Sofortreaktionen, bei generalisier- ten und bei anaphylaktischen Reak- tionen sind deshalb auch im Fall ei- nes Wechsels auf ein hochgereinig- tes Insulin die bekannten Vorsichts- maßnahmen, besonders im Hinblick auf die Anaphylaxieprophylaxe, so- wie sorgfältige Intrakutantestung unbedingt erforderlich.

Bei den kürzlich eingeführten Des- phe-Insulinen bzw. Desphe-Insulin- haltigen Präparaten (Tabelle 2) ist trotz Abspaltung der endständigen

Aminosäure Phenylalanin, die an der Position 1 der B-Kette lokalisiert ist, die biologische Aktivität erhalten.

Die Bindung an Antikörper ist je- doch vermindert, so daß derartige Präparationen bei antikörperbeding- ter Insulinresistenz indiziert sein können, wie dies auch gelegentlich für Schweineinsuline nach vorher- gehender Applikation von Rinderin- sulin gilt.

Einfluß auf die Stoffwechsellage:

Die Tendenz zur Bildung insulinneu- tralisierender Antikörper ist gering.

Antikörperbedingte Insulinresisten- zen sind offensichtlich noch selte- ner als früher. Der Insulinbedarf zeigt jedoch nach einem Präparate- wechsel meistens keine klinisch re- levanten Unterschiede gegenüber anderen Insulinen, gelegentlich liegt er etwa 10 bis 20 Prozent niedriger.

Eine bessere Einstellung des Diabe- tes läßt sich im übrigen nach Ansicht der meisten Autoren durch hochge- reinigte Insuline nicht erreichen.

Eine intermittierende Insulinthera- pie fördert die Bildung von Insulin- antikörpern, was bei älteren, auf Diät oder Tabletten eingestellten Patien- ten nicht immer dann genügend be- rücksichtigt wird, wenn anläßlich ei- ner Infektion oder eines operativen Eingriffs Insulin erforderlich ist. Die Patienten sollen in derartigen Situa- tionen Präparate geringer Antigeni- tät erhalten, damit nicht bei späterer Insulinbedürftigkeit, beispielsweise wegen Sekundärversagens, Immun- komplikationen auftreten.

Lipoatrophie: Die Seltenheit von Li- poatrophien, deren Häufigkeit frü- her bei 10 bis 40 Prozent lag, ist ein besonders erfreulicher Vorteil der chromatographierten Insuline, zu- mal die Lipoatrophie nicht nur ein ästhetisches Problem darstellen kann, sondern auch bei starker Aus- dehnung zu Schwierigkeiten führt, geeignete Injektionsareale aufzufin- den.

Bereits bestehende Atrophien kön- nen mit gutem Erfolg durch konse- quente Injektionen in die Randpar- tien des atrophischen Bezirks besei- tigt oder gebessert werden, wozu im allgemeinen eine Zeit von 2 bis 6 Monaten benötigt wird. Bevorzugt werden bei derartigen Prozeduren ebenfalls hochgereinigte Prä- parate beziehungsweise Schweine- insulinpräparate.

Lipohypertrophien: Mit einem gün- stigen Effekt kann nicht gerechnet werden, da es sich offensichtlich um eine lokale metabolische Wirkung des Insulins handelt.

Die Frage, ob Patienten im Wachs- tums-, besonders im Kindesalter, von vornherein mit hochgereinigten Präparaten behandelt werden sol- len, läßt sich noch nicht eindeutig beantworten. Der erhebliche Rück- gang von Hautallergien und Lipo- atrophien spricht für ein solches Vorgehen. Es hat dagegen keinen Sinn, weder in diesem Lebensalter Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 24 vom 18. Juni 1982 39

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Insulintherapie

noch in späteren Jahren, bei einem gut eingestellten Diabetiker ohne Immunkomplikationen auf ein hoch- gereinigtes Präparat überzugehen.

Schlußfolgerungen und

Kriterien für die Einstellung des Diabetes unter Insulintherapie Die Entscheidung, wie weit bei insu- linbedürftigen Patienten der Blut- zucker dem Normalbereich angenä- hert werden soll, ist unter Berück- sichtigung des Diabetestyps, des Stadiums der Stoffwechselstörung sowie individueller Gegebenheiten zu treffen. Typ-l-Diabetiker mit stabi- lem Stoffwechsel lassen sich häufig ohne Schwierigkeiten überwiegend oder ganz aglukosurisch einstellen.

Die generelle Forderung nach einer sogenannten „Restglukosurie" un- ter Insulintherapie kann daher nicht akzeptiert werden. In den ersten Jahren muß auf eine konsequente Insulintherapie mit dem Ziel einer raschen und möglichst weitgehen- den Kompensation des Diabetes be- sonderer Wert gelegt werden.

Bei Instabilität, die sich bei einem großen Teil der Patienten mit juveni- lem Diabetestyp häufig nach 1 bis 3 Jahren entwickelt, ist eine Aglukos- urie wegen der Gefährdung durch Hypoglykämien nicht mehr er- wünscht und auch nicht realisierbar.

Trotzdem muß man versuchen, die Intensität und die Dauer der hyperglykämischen Phasen soweit wie möglich zu reduzieren.

Bei Vorliegen einer ausgeprägten koronaren und zerebralen arteriel- len Verschlußkrankheit sowie einer proliferativen diabetischen Retino- pathie mit Blutungstendenz ist eine zu scharfe Einstellung zu vermei- den, da Hypoglykämien nach An- sicht vieler Autoren koronare und zerebrale lschämie und eventuell Fundus- oder Glaskörperblutungen provozieren können.

Eine konsequente Stoffwechselfüh- rung setzt auf seiten des Patienten Bereitschaft und Fähigkeit zur Mitar- beit voraus, die vor allem bei älteren Diabetikern nicht immer gegeben

ist. Diese Patienten sind oft nicht in der Lage, Injektionsfehler, Dosie- rungsfehler und Unregelmäßigkei- ten der Nahrungsaufnahme zu ver- meiden. Wegen der Häufigkeit der gleichzeitig bestehenden zerebro- vaskulären Insuffizienz muß damit gerechnet werden, daß Hypoglyk- ämien zu zerebralen Ischämien füh- ren können. Sie werden im Alter oft erst spät oder gar nicht erkannt.

Auf die Verbesserung der Diabetes- einstellung, wie sie mittels der inzwi- schen entwickelten Insulin-Infu- sions-Geräte in besonderen Situa- tionen wie beispielsweise dem labi- len Diabetes, der Schwangerschaft oder auch der Neuropathie möglich ist, wird in einer speziellen weiteren Darstellung eingegangen.

Literatur

(1) Bachmann, W.: Insulin plus Sulfonylharn- stoff — eine (un)mögliche Kombination? Dtsch.

med. Wschr. 107 (1982) 163-165 — (2) Berger, M.; Halban, P. A.; Girardier, L.; Seydoux, J.;

Offord, R. E.; Renold, A. E.: Absorption kine- tics of subcutaneously injected insulin. Evi- dence for degradation at the injection side, Diabetologia 17 (1979) 97-99 — (3) Deckert, T.;

Andersen, 0. 0.; Poulsen, J. E.: The clinical significance of highly purified pig-insulin pre- parations, Diabetologia 10 (1974) 703-708 — (4) Federlin, K.: Diabetesbehandlung mit chroma- tographierten Insulinen, Med. Welt 26 (1975) 1797-1801 — (5) Federlin, K.; Jonatha, E. M.;

Hupfeld, P.; Schroeder, K. E.: Erfahrungen mit chromatographisch gereinigtem Insulin bei Patienten mit erhöhtem Insulinbedarf, Insulin- allergie oder Lipodystrophie. Therapie-Woche 24 (1974) 1940 — (6) Grüneklee, D.: Die Insulin- allergie, Internistische Welt 12 (1980) — (7) Ko- ivisto, V. A.; Felig, P.: Effects of leg exercise an insulin absorption in diabetic patients, The New Engl. J. of Med. 298 (1978) 79-83 — (8) Yue, D. K.; Turtle, J. R.: New forms of insulin and their use in the treatment of diabetes.

Diabetes 26 (1977) 341-347 — (9) Luft, R.: Insu- lin, Islet pathology — Islet function — Insulin treatment, Nordisk Insulinlaboratorium Gen- tofte, Denmark (1976) — (10) Poulsen, J. E.;

Deckert, T.: Insulin preparations and the clini- cal use of insulin, Steno Memorial Hospital, Gentofte, Denmark — (11) Sauer, H.: Insulinthe- rapie, Handbuch der inneren Medizin, Bd. VII/2 B, Diabetes mellitus, Springer-Verlag (1977)

—(12) Sauer, H.: Insulintherapie in: Praktische Diabetologie, Werk-Verlag Dr. E. Banaschew- ski (1981)

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Heinrich Sauer Diabetesklinik Wielandstraße 23 4970 Bad Oeynhausen

FÜR SIE GELESEN

Knochenmarks- transplantation wird sicherer

Die Knochenmarkstransplantation (KMT) ist eine vielversprechende Be- handlung für eine Reihe hämatologi- scher und immunologischer Erkran- kungen, die anderweitig nicht effek- tiv behandelt werden können. Mehr als 20 zuvor absolut tödliche Erkran- kungen können jetzt erfolgreich mit einer KMT behandelt werden.

Eine wesentliche Komplikation die- ser Maßnahme ist die Gefahr des Auftretens einer „graft-versus-host disease" (GVHD), zu deutsch: Trans- plantat-gegen-Empfänger-Erkran- kung. Die Höhe des Risikos einer GVHD ist umgekehrt proportional zum Grad der genetischen Ver- wandtschaft, also null bei identi- schen Zwillingen, und verringert sich bei jüngeren Patienten. Wäh- rend eine Prophylaxe mit Methotre- xat (MTX) allein bereits das Risiko und den Schweregrad einer GVHD reduziert, zeigten Ramsay et al. in einer Studie einen besseren Effekt der Kombination von MTX, Antithy- mozytenglobulin und Prednison. Die Häufigkeit der GVHD betrug mit der Kombinationsbehandlung 21 Pro- zent gegenüber 48 Prozent bei allei-

niger MTX-Behandlung. Solche Möglichkeiten machen die KMT zu einem sicheren Verfahren.

Im Zusammenhang mit zusätzlichen Maßnahmen, zum Beispiel der Ent- fernung von GVHD-induzierenden Lymphozyten aus dem Transplantat, wird es in Zukunft möglich sein, auch HLA-inkompatible Spender zu verwenden, wodurch der Kreis de-

rer, die für eine KMT in Frage kom- men, erweitert wird. Die Bedeutung des therapeutischen Effektes der GVHD bei akuten Leukämien (graft- versus-leukemia reaction) muß unter den neuen Bedingungen weiter be-

obachtet werden. Hrm

(1) Ramsay, N. K. C. et al.: A Randomized Study of the Prevention of Acute Graft-versus-Host Disease. N. Engl. J. Med. 306 (1982) 392-397 — (2) Good, R. A.: Toward Safer Marrow Trans- plantation. N. Engl. J. Med. 306 (1982)421-423

— (3) Weiden, P. L. et al.: Antileukemic effect of chronic graft-versus-host disease: contribu- tion to improved survival alter allogeneic mar- row transplantation. N. Engl. J. Med. 304 (1981) 1529-33

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