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Archiv "Pharmakogenetik" (29.05.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

D

er Begriff Pharmakogene- tik beschreibt, daß die Wirkung von Arzneistof- fen durch vererbbare, in den Chromosomen verankerte Faktoren beeinflußt werden kann. Das Wort ist von den Genetikern Ende der 50er Jah- re geprägt worden, seine Be- deutung für die Therapie mit Pharmaka indes hat der Phar- makologe Werner Kalow, der aus der Heubnerschen Schule stammt, 1962 mit seinem Buch „Pharmacogenetics" (W.

B. Saunders, Philadelphia, London) einem größeren Kreis von Ärzten vermittelt.

Wenn sich der praktisch tätige Arzt zuweilen mit der Tatsa- che konfrontiert sieht, daß trotz peinlich genau eingehal- tener Dosierung, so, wie sie im Beipackzettel oder in den Arztinformationen niederge- legt worden ist, eine überstar- ke Wirkung, unter Umständen sogar eine unerwünschte Wir- kung, zu beherrschen ist, die schlicht auf eine Überdosie- rung hinausläuft, dann sollte er auch an die Möglichkeit ei- ner pharmakogenetisch be- dingten Abweichung der Re- aktionslage seines Patienten denken. Auch das Gegenteil kann einmal vorkommen, nämlich das Ausbleiben der erwünschten Wirkung. Mittler- weile sind eine Reihe derarti- ger Abweichungen bekannt geworden, die der Übersicht halber in einer Tabelle zusam- mengefaßt worden sind. In ihr wird auch der Versuch ge- macht, die Häufigkeit der pharmakogenetischen Aberra- tionen einigermaßen zu cha-

rakterisieren.

Einige sind nicht einmal so selten. Angesichts der Tatsa- che, daß die eine Hälfte unse- rer Bevölkerung rasch und die andere langsam acetyliert, mag man sich darüber wun- dern, daß es so wenige Zwi- schenfälle mit lsoniazid gibt.

Die Dosenverteilung über den Tag in 3 bis 4 Einzeldosen ist der Tatsache der pharmakoge- netisch determinierten Ge- schwindigkeit des Metabolis- mus bereits angepaßt; erfah- rene Ärzte kombinieren Iso- niazid überdies gleich mit Py- ridoxin, um der Gefahr einer Polyneuritis vorzubeugen. Tritt einmal eine Polyneuritis oder eine Lupus erythematodes- ähnliche Symptomatik auf, dann darf man sicher sein, daß es sich um einen Lang- sam-Acetylierer handelt. Frü- her war die einmal wöchent- liche Gabe von lsoniazid üb- lich. Sie ist deshalb gefährlich gewesen, weil sie bei Rasch- Acetylierern Anlaß zu Unterdo- sierungen war. Sicherlich ist eine ganze Reihe von Thera- pieversagern diesen Zusam- menhängen anzulasten.

An diesem Beispiel wird ganz besonders deutlich, daß die Kenntnisse der Abbauwege von Arzneistoffen nicht nur theoretisch interessante Spie- lereien sind, sondern prakti- sche Auswirkungen haben können. Der Tabelle ist zu entnehmen, daß neben den einfachen Überdosierungser- scheinungen auch Autoim- munreaktionen wie Lupus ery- thematodes-ähnliche Syndro- me, die glücklicherweise sel- ten sind, beachtet werden

müssen. Ob es sich dabei um

Hydralazin oder das wahr- scheinlich stoffwechselähnlich behandelte Dihydralazin bei der Behandlung von Hoch- druckkranken handelt, Pro- cainamid, das als Antiarrhyth- mikum eine Rolle spielt, oder Salazosulfapyridin, das zur Behandlung der Kolitis ulcero- sa und neuerdings auch bei der primärchronischen Poly- arthritis angewendet wird, die langsame Acetylierung läuft immer auf eine Gefahr der Überdosierung hinaus.

Die Abhilfe in solchen Fällen ist einfach: Das Arzneimittel muß abgesetzt werden, und für den Fall, daß die Therapie mit Erfolg weitergeführt wer- den kann, ist eine Dosierungs- anpassung, das heißt eine Er- niedrigung der Dosis, erfor- derlich. So kann es einmal wichtig sein, einen Hoch- druckpatienten mit Dihydrala- zin weiterzubehandeln, eben in niedriger Dosierung, wenn, aus welchen Gründen auch immer, ein Ersatz nicht ange- wendet werden kann. In die- sem Problemkreis ist es dann auch einmal sinnvoll festzu- stellen, ob ein Patient zu den Rasch- oder Langsam-Acety- lierern gehört, dann nämlich, wenn entschieden werden muß, ob eine Dosierungserhö- hung therapeutisch sinnvoller- weise vorgenommen werden muß, weil der Patient unter Umständen ein Rasch-Acety- lierer ist und Dihydralazin des- wegen gar nicht voll zur Wir- kung kommen kann. Hier müßte dann eine Dosisanpas- sung durch Steigerung der Einzelgaben vorgenommen werden. Es ist selbstverständ- lich prinzipiell möglich, durch Bestimmung der Konzentratio- nen eines Pharmakons im Blut beziehungsweise seiner Meta- boliten zu entscheiden, ob ein Defekt des Arzneistoffwech-

Pharmakogenetik

Wolfgang Forth

1710 (80) Heft 22 vom 29. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

(2)

Häufigkeit klin. Auswirkung

Arzneimittel

Mitteleuropa selten, Mittelmeerländer und Afrika bis 35%

Glucose-6-phosphat- Dehydrogenasemangel:

Hypoxanthin-Guanin- phosphoribosyl- Transferasemangel:

ca. 1:200 der Gichtpatienten Allopurinol,

Purinantimeta- boliten

Xanthinsteine, verminderte zytostatische Wirkung Primaquine, Hämolyse Sulfonamide

u. a.

Verminderte Cholinesterase-Aktivität: ca. 1:2500 Suxamethonium Verlängerte

Apnoe

Methämoglobinreduktase-Mangel: ca. 1:100 Sulfonamide Methämoglobin-

u. a. ämie

Instabiles Hämoglobin: selten

Sulfonamide Methämoglobin-

u. a. ämie

Störung der Häm-Synthese: ca.1:10 000 Barbitu rate

u. a.

Hepatische Por- phyrie, Koliken, neurologische Ausfalls- erscheinungen

Veränderte Ca +-Bindung im Muskel: ca. 1:20 000 Narkosen Suxamethonium, maligne Hyper-

Narkotika thermie, S.431

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

sels vorliegt oder ob das Ge- genteil der Fall ist, nämlich ein überdurchschnittlich ra- scher Abbau des Arzneistoffs erfolgt. Von den Kosten, die eine Bestimmung der Abbau- geschwindigkeit von Arznei- stoffen in jedem Einzelfall ver- ursachen würde, wollen wir erst gar nicht reden. Das Ver- fahren ist aber auch aus ande- ren Gründen nicht praktikabel.

Der Ausweg für den praktisch tätigen Arzt ist einfach: Dosie- rung nach Wirkung, das Ver-

fahren, das unsere Altvorde- ren so exzellent beherrschten, daß sie selbst mit so gefähr- lichen Stoffen wie Herzglyko- siden bemerkenswert gut zu- rande kamen. Dosierung nach Wirkung, das bedeutet Beob- achtung des Patienten und Kontrolle des Therapieerfolgs.

Für den praktisch tätigen Arzt, der ohne den Apparat einer Klinik auskommen muß, si- cherlich ein Organisationspro- blem. Wenn er das meistert, werden ihm aber einige The-

rapieversager und uner- wünschte Wirkungen erspart bleiben, denen wir trotz aus- gefallener Pharmakokinetik und vieler Listen über uner- wünschte Wirkungen und Wechselwirkungen nicht ent- gehen können.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Wolfgang Forth Universität München Nußbaumstraße 26 8000 München 2 Arzneimittel klin. Auswirkung Häufigkeit

Verlangsamte Acetylierung ca. 1:1 Isoniazid Polyneuritis,

Lupus- erythematodes- Syndrom Hydralazin Lupus-

erythematodes- Syndrom Procainamid Lupus-

erythematodes- Syndrom Salazosulfa- Lupus- pyridin erythematodes-

Syndrom Clonazepam

Verlangsamte mikrosomale Oxidation: ca.1:10 Phenytoin Ataxie,

Nystagmus Phenacetin Methämoglobin-

äm ie Nortriptylin Verminderte

therapeutische Wirkung Perhexilin Polyneuropathie Alprenolol, Bradykardie Metoprolol,

Propranolol, Tomalolol, Timolol

Spartein Diplopie, Schwindel

(nach Minder und Meyer, pharma-kritik, 4; 1982:61-64

Beispiele für pharmakogenetisch bedingte Abweichungen von der normalen Arzneimittelwirkung (aus: Forth, Hensch- ler, Rummel: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie; BI-Wissenschaftsverlag, Mannheim 1983 4)

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 22 vom 29. Mai 1985 (83) 1711

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