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Archiv "Dosierung der Hilfe" (01.10.1993)

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THEMEN DER ZEIT DER KOMMENTAR

Dosierung der Hilfe

W

enn in Somalia der Dürre oder in anderen Gebieten der Dritten Welt Kriegen und Unruhen die Schuld an der Hungersnot in die Schuhe ge- schoben wird, so sind das meist nur Ausflüchte unserer „permissive so- ciety", die sich scheut, das Kind beim Namen zu nennen. In Somalia lebten nämlich vor nur 30 Jahren noch nicht halb so viele Menschen, und für die reichte auch in der Trockenzeit das Essen noch.

Die wahre Ursache des Hungers ist die explosionsartig zunehmende Bevölkerung und sonst nichts. Auch wird in diesem Zusammenhang stän- dig von den „armen Kindern" gere- det, die natürlich unser volles Mitleid verdienen, und es werden Hilfsaktio- nen gestartet. Von den verantwor- tungslosen Vätern aber, die diese ar- men Würmer in die Welt gesetzt ha- ben, ist nirgends die Rede, und hier allein wäre doch der Hebel anzuset- zen. Oder würde ein vernünftiger Mensch ein Leck in der Wasserlei- tung mit immer größeren Schöpf- eimern bekämpfen? Das geschieht aber vor unseren Augen, ja, damit noch nicht genug: Organisationen, die angeblich humane Ziele verfol- gen, bemühen sich nach Kräften, den Rohrbruch noch zu erweitern, und zwar mit dem gleichen Geld, wovon die Schöpfeimer gekauft werden!

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Westen mit der Propagie- rung seiner Medizin — aus welchen Motiven, spielt dabei keine Rolle — die weltweite Bevölkerungsexplosion herbeigeführt hat; er hat das Damo- klesschwert der Bevölkerungsexplosi- on über den Erdball gehängt. Aber läßt sich die Bevölkerungsexplosion verhindern, indem der Dritten Welt diese Medizin vorenthalten wird?

Warum hat die Bevölkerungsexplosi- on in der westlichen Welt nicht statt- gefunden? Weil die Menschen, die diese Medizin schufen, auch imstan- de waren, weise mit ihr umzugehen, was die Dritte Welt (noch) nicht kann, und hierin allein liegt der Un- terschied. Diese banale Feststellung findet man erstaunlicherweise nir-

gends in der einschlägigen Literatur, und sie ist doch der Schlüssel zum Verständnis des Problems.

Dabei war die Katastrophe durchaus vorauszusehen, und zwar schon lange. Einer der Altmeister der Chirurgie, Theodor Billroth (1829-4894), dessen Operationsme- thoden noch heute praktiziert wer- den, hat kurz vor seinem Tod in ei- nem Brief an seinen Freund Johan- nes Brahms geschrieben: „Übrigens kam mir dieser Tage der Gedanke, daß wenn die Medizin weiter solche Fortschritte macht, dies unweigerlich zu einer Überbevölkerung der Erde führen muß; zum Glück werden wir beide das nicht mehr erleben." Und dabei gab es zu jener Zeit weder Sul- fonamide noch Antibiotika!

„Neo-Imperialismus"?

Angesichts des offensichtlichen Fiaskos erhebt sich nun die Frage, wie es weiter gehen soll. — Wenn un- sere Hilfe wirksam sein soll, muß sie viel weiser dosiert werden, und wir müssen auch den Mut haben, sie dort glatt zu verweigern, wo Länder durch eigenes Verschulden in Not gerieten, weil sie unsere Ratschläge in den Wind schlugen.

Mit Recht haben einsichtige Po- litiker schon vor Jahren gefordert:

ohne „Nullwachstum" der Bevölke- rung keine Entwicklungshilfe. Diese Stimmen der Vernunft gingen jedoch im Massenchor der „Menschenfreun- de" unter.

In den betroffenen Ländern sind dann als Ergebnis solcher Art Hilfe lediglich die Reichen reicher, die Ar- men aber durch ihren „Kinderreich- tum" ärmer geworden. Dieser Prozeß hält an und kann auch mit den der- zeit praktizierten Hilfsmethoden nicht gestoppt werden. Man wird sich vielleicht erinnern, daß vor Jahren auf der Weltbevölkerungskonferenz in dem damals noch kommunisti- schen Bukarest die Völker Schwarz- afrikas den Rat der Industrieländer zur Geburtenreduktion als Neo-Im- perialismus abtaten und erklärten,

daß sie nicht daran dächten, ihre Kinderzahl zu beschränken, der We- sten wohl aber die Pflicht hätte, da- für zu sorgen, daß ihre Kinder genug zu essen hätten. So einfach ist das al- so! Und da war keiner aus dem west- lichen Lager, der den Schneid hatte aufzustehen und zu sagen: Denkste!

So weit ist die westliche Wohlstands- welt degeneriert, daß sie, nur noch von schäbigem Krämergeist beseelt, nicht imstande ist, wenn es um das Schicksal des ganzen Planeten geht, ein Machtwort zu sprechen.

Wenn gesagt wird, Wirtschafts- theoretiker meinten, daß mit zuneh- mendem Wohlstand auch in der Drit- ten Welt die Geburtenziffern abnäh- men, so ist das Wunschdenken, denn mittlerweile stehen den etwa 600 Millionen Wohlstandsbürgern in den Industrieländern mehr als fünf Milli- arden arme und ärmste Erdenbewoh- ner gegenüber, und das Verhältnis verschlechtert sich täglich zu Ungun- sten der Letzteren. Auch wenn man alle Reichen auf der Stelle arm machte, würde das Heer der Armen dadurch nicht reich; das hat uns der Kommunismus weltweit mit bestem Mißerfolg vorexerziert.

Der utopische Wohlstand dieser Phantasten soll natürlich durch Wirt- schaftswachstum geschaffen werden, doch wo in den betreffenden Län- dern wirklich ein Wirtschaftswachs- tum erreicht wurde, wird es durch die Geburtenlawine niedergewalzt. Fra- gen wir aber einen aus der unüber- sehbaren Schar dieser Experten, bis wohin denn gewachsen werden soll, so bringen wir ihn in die größte Ver- legenheit, und er wird die Antwort schuldig bleiben (müssen), und dabei reden diese Leute sogar von perma- nentem Wachstum. Was ein solches Wachstum bedeutet — gleich auf wel- chem Sektor —, weiß niemand besser als wir Ärzte: Tod! — Auch hier be- dürfte es nur eines Quentchens ge- sunden Menschenverstandes, um die Absurdität dieses Begriffs zu erken- nen, der sich allerdings als Wahl- schlager bestens bewährt hat.

Wenn dieser Planet vor dem Schlimmsten bewahrt werden soll,

A1-2522 (22) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 39, 1. Oktober 1993

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THEMEN DER ZEIT

dann kann die Parole nur „Null- wachstum" heißen, und zwar auf al- len Gebieten; wer Wachstum vor- schlägt, muß als Verbrecher betrach- tet werden. Wir müssen den verhäng- nisvollen Senkrechtstart der Wirt- schaftswunderjahre in sanftem Gleit-, nicht Sturzflug in einen Hori- zontalflug überführen, wobei schwer zu sagen ist, welche Höhe dieser Ho- rizontalflug beibehalten wird. Sicher ist jedoch, daß dazu der Gürtel der Wohlstandsbürger um ein paar Lö- cher enger geschnallt werden muß, und noch sicherer ist, daß mit sol- chen Verheißungen schlecht Wahlen zu gewinnen sind.

Global gesehen ist es so: Die Be- wohner dieser so klein gewordenen

Trotz der „idealen" Arbeitsbe- dingungen, wie sie an deutschen Krankenhäusern üblich und typisch sind, hat sich die Hoffnung nicht er- füllt, daß sich bei den gegebenen fi- nanziellen Möglichkeiten ausrei- chend ehrenamtliche Mitarbeiter fin- den, die den bisherigen Standard un- serer Krankenhausmedizin aufrecht- erhalten. Die Krankenhäuser und Kostenträger müssen deshalb zur Kenntnis nehmen, daß qualifizierte Arbeit bezahlt werden muß. Deshalb wird auch da, wo es geht, und meist da, wo es nicht geht, die Anzahl der zu bezahlenden Mitarbeiter mög- lichst klein gehalten. Dies geschieht aber nicht mit der gebotenen Konse- quenz, so daß das Krankenhauswe- sen kaum finanzierbar bleibt.

Es sollte ein Konzept gefunden werden, das die geringen finanziellen Möglichkeiten bei sozialer Verträg- lichkeit berücksichtigt. Das bisherige Sparkonzept, einen Funktionsbe- reich im Krankenhaus mit zwei bis drei Mitarbeitern zu besetzen, die sich im Bereitschaftsdienst abwech- seln, ist nicht vertretbar. Bei einer solchen Regelung verbringt der ein- zelne immerhin ein Viertel bis ein Drittel, ja sogar manchmal die Hälfte seiner Lebenszeit außerhalb des Krankenhauses. Dies demotiviert und reduziert auf Dauer Leistungs- bereitschaft, wenn er ab und zu stun-

DER KOMMENTAR

Erde sitzen alle im gleichen Boot und könnten das sichere Ufer erreichen.

Dürfen sie da dulden, daß einige In- sassen das Bötchen anbohren? Wir werden uns dieser Frage stellen müs- sen, je früher, um so besser für Boot und Besatzung. Sorgen wir dafür, daß das bereits entstandene Leck noch zugestopft werden kann, ehe al- le untergehen.

Anschrift des Verfassers:

E. W. Diehl, M. D., Surgeon,

Medical Director

Rumah Sakit „Manuela", Permatang Siantar, North Sumatra/Indonesia

denweise familiäres und soziales Le- ben mitbekommt und so sieht, was ihm entgeht. Um dem Betreffenden diese immer wiederkehrende psychi- sche Belastung zu ersparen, würde es sich — besonders in strukturschwa- chen Regionen — anbieten, für jeden Funktionsbereich nur einen Mitar- beiter einzustellen, der im Kranken- haus wohnt und ständig Bereit- schaftsdienst leistet.

Die soziale Verträglichkeit die- ses Konzeptes ist nach einer Einge- wöhnungszeit von drei bis 12 Mona- ten gegeben, übrigens eine neue Auf- gabe für die zahlreichen Institutio- nen, die sich an unsern Krankenhäu- sern einer optimalen Personalfüh- rung und -motivation widmen. Diese Zeitspanne, deren Dehnbarkeit um- gekehrt proportional zur Einfluß- möglichkeit der Personalvertretung ist, gilt auch in der Realität als nor- mal, wenn es heißt, daß mit Hilfe übermäßig hoher Bereitschafts- dienstfrequenzen Personalengpässe abgefangen werden sollen, deren Be- seitigung auch nun mal Geld kostet.

Nach einer Eingewöhnungszeit verliert der Betreffende sein Interes- se an sozialen Kontakten außerhalb des Krankenhauses, so daß er seine frühere Freiheit nicht mehr vermißt.

Die Gewährung von Urlaub zum Bei- spiel wäre höchst unsozial, da „nor- male" soziale Kontakte diesen Men-

schen nur verunsichern, und lebens- gefährlich, weil er sich im Straßen- verkehr nicht mehr zurechtfinden würde. Der Schutz von Ehe und Fa- milie, den manche krankenhaustra- genden Institutionen auf ihre Fahnen geschrieben haben, wäre gesichert, da infolge seltener persönlicher Kon- takte keine Reibungen entstehen können und die Ehe auch nicht in der Alltagsroutine ersticken wird. Es wä- re dann auch endlich der Begriff

„Dienstgemeinschaft" mit Leben er- füllt, weil dann wirklich jedes Mit- glied ständig Dienst macht.

Die finanziellen Vorteile für alle Beteiligten sind eklatant und nicht zu verachten. Da teure Urlaubsreisen, Auto, eigene Wohnung und andere unnütze Dinge entfallen, benötigt der Krankenhausmitarbeiter wesent- lich weniger Geld, als ihm tarifver- traglich bzw. richtlinienmäßig zu- steht. Er kann in der Cafeteria essen, ein angemietetes Dienstzimmer be- wohnen und seine Dienstkleidung im Versandhaus kaufen. Alle seine Le- bensbedürfnisse werden befriedigt, und mehr braucht er nicht.

Aber ein solches Modell tätiger Nächstenliebe ist bei uns — zumin- dest offiziell — gar nicht möglich.

Allzu viele Gesetze, Verordnungen, das Grundrecht der Freizügigkeit, Tarifverträge sowie Gewerkschaften, Betriebsräte usw. gibt es, die eine sol- che Initiative geradezu abwürgen, höchstens im Richtlinienbereich lie- ße sich etwas machen.

Aus einem anderen Grund ist das Einpersonenmodell nicht mög- lich: Es gibt Arbeit, die von einer Person in 24 Stunden nicht zu schaf- fen ist, weil danach die nächsten 24 Stunden anfangen. Man ist also ge- zwungen, das bisherige System mit mehreren, aber zu wenigen Mitarbei- tern beizubehalten, und Kranken- hausverwalter, -träger, Sozialversi- cherungs-, Krankenhausdachver- bands- und sonstige Vertreter und Verantwortliche, Gesundheitsmini- sterialen und -minister müssen wei- terhin Gewissensqualen durchleiden wegen der Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter im Zielbereich des Kran- kenhauses.

Aber war es nicht trotzdem ein schöner Traum?

Georg Osmialowski, Goch

Ein schöner Traum

Deutsches Ärzteblatt 90 , Heft 39, 1. Oktober 1993 (23) A1-2523

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