Von Paul Kunitzsch, München
Wie bereits angekündigt' , kann nunmehr der Bericht über die Über¬
lieferungssituation des Alfadhol-Komplexes^ nach dem Bekanntwerden
einer neuen Handschrift ergänzt werden.
Diese neue Handschrift wurde bekannt gemacht durch F. Sezgin:
Geschichte des ardbischen Schrifttums. 7. Leiden 1979, 115. Es handelt
sich um die Teheraner Handschrift Malik 844/3 (von nun an: T). Durch
die Hilfe von Herm Prof. Dr. W. Kleiss und Herm Dr. Y. Kiani vom
Deutschen Archäologischen Institut — Abteilung Teheran, für die ich
mich auch an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchte, erhielt ich
Kopien der ersten vier Seiten unseres Textes". Dieses Stück reicht aus,
um T zu identifizieren und in den Alfadhol-Komplex einzuordnen.
Im folgenden will ich das Ergebnis der Untersuchung von T kurz
zusammenfassen.
1. T enthält das Vorwort in derjenigen Form, die von UKM her
bekannt ist. Wie wir schon von den anderen Texten her wissen, herrscht
nicht überall völlige, wortgetreue Übereinstimmung. Aber hier reicht
die Übereinstimmung doch soweit, daß man sagen kann, im Prinzip
handelt es sich um denselben Text.
2. Im Gegensatz zu UKM, die einheitlich den Philosophen al-Kindi
als Verfasser nennen, gibt T al-Fadl ibn Sahl, „den Astrologen des
Kalifen Härün ar-Raäid" an. Damit ist T die bisher einzige orientalische
Handschrift des Alfadhol-Komplexes, die den Namen al-Fadl ibn Sahl
aufweist, unter dem das Losbuch später in Europa Verbreitung fand.
' Vgl. ZDMG 132 (1982), S. 175 mit Anm. 1.
^ P. Kunitzsch: Zum „Liber Alfadhol", eine Nachlese. In: ZDMG 118 (1968), 297-314. (Im folgenden kurz zitiert als: 1968 mit Seitenzahl.)
' Unser Text beginnt auf einer verso-Seite, ohne Überschrift: (Basmala.) Qäla l-Faäl ibn Sahl . . . (usw., wie bei Sezgin a. a. 0. angegeben). Das so beginnende
Vorwort füllt genau drei Seiten (zu je 21 Zeilen) und endet unten auf der
folgenden verso-Seite. Die dieser gegenüberstehende recto-Seite enthäit eine Tabeite der 144 Fragen. Die Schrift ist ein nashi mit persischem Einschlag (ta'liq), voll punktiert und häufig auch vokalisiert.
3. Wenn sich auch im Auftreten des Namens al-Fadl ibn Sahl nun größte Nähe zu dem mittelalterlich-lateinischen Überlieferungszweig (insbesondere C) zeigt, so gilt das dennoch nicht fiir den Textwortlaut
selbst. Hier weisen UKM Elemente auf, die C näher stehen als T; vgl.
die Anfangszeilen:
T
Qäla 1-Fa4l ibn Sahl
muna^^im amir al-
mu'minin Härün ar-
Raiid: Inni lammä
fakkartu fi 'azim an-
ni'ma bi-hiläfat amir al-
mu'minin Härün ar-
RaSid 'alä l-umma wa-
ra'aytu n-näs käffatan ya^idüna fi hiläfatihi fadlan li-l-ladda fi l-'ayS
UKM
]/nni fakkartu^ fi 'abirre'
an-ni'ma 'alä l-umma
bi-hiläfat sayyidinä''
amir al-mu'minin —
afäla Uähu baqä'ahü fi an'am 'ayS wa-asarr höF — fa-ra'aytuhü
ra'üf an bihim fi
amänatihi fa-'am-
mathum al-'äfiya wa-l- amn wa-naSa'a fihim al-
hi^b wa-l-hayr wa-
ntafä* d-diq wa-l-hawf wa-dalla l-hä^a wa-^ära n-näs kulluhum käffatan ya^idüna fi hiläfatihi fadlan fi d-din wa-d-
dunyä^ . . .
C
[Hoc quod dixit
Alfadhol filius sehel In auguriis stellicis.] Post¬
quam'" cogitaui in
magnitudine gratie
super populum' ' in
ordine uicis Impera¬
toris Aaron Arasseid —
cuius moram perlonget deus — per quam infinit deus tranquilitatem et per quam colitur quies
et apparet copia et
bonitas et effugatur crimen et nocumentum
et egestas'^ ita ut
omnes quasi inueniant
in ordine uicis sue
superfluitatem delecta- tionis in uita" . . .
Ähnliche Schwankungen zwischen T und C lassen sich auch im
weiteren Textverlauf beobachten. Auch hier herrscht teils wörtliche
Identität (Frage 1, T: al-walad ya'iSu am lä, „Wird das Kind leben oder
nicht?" — C: Natus uiuet aut non), teils hat C kürzere Formeln, die mehr
einer Inhaltsangabe gleichen als einer Übersetzung (Frage 15, T: anälu
In U als nomen geschrieben: fikra (!).
^ K: "i?aTO.
' sayyidinä: in M ausgelassen.
' Die Eulogie ist in M ausgelassen; auch weiterhin größere Abweichungen in M.
* U: wa-aSfä, M: wa-gäba 'anhum al-hawf.
° wa-d-dunyä: fehlt in U.
Postquam: nur in T, lücht in UKM.
'' Dieses Glied steht gemäß UKM hier; folgt in T erst weiter hinten.
'^ Bis hierhin nach UKM.
" Bis hierhin nach T.
min al-ihwa masarra aw manfa'a, „Werde ich von den Brüdem Schaden oder Nutzen erfahren?" — C: Quid inueniet ex fratribus), teils hat umge¬
kehrt C Elemente, die in T fehlen (Frage 142, T: an-na^iha tuqbalu am
lä, „Wird der Rat angenommen oder nicht?" — C: Recipietur consilium
ad regem et habentem dominium aut non) , und teils ist der Frageninhalt
sogar ganz verändert (Frage 24, T: yakünu li min ad-dawäbb Say' anta-
fi'u bihi am lä, „Werde ich von den Tieren etwas haben, das mir Nutzen
bringt, oder nicht?" — C: Quomodo est dispositio bestiamm et
beluamm).
4. Auf das Vorwort folgt, wie in den meisten Alfadhol-Texten, die
Aufstellung der 144 Fragen, und zwar in T als Tabelle angeordnet.
Diese Tabelle umfaßt 12 senkrechte Kolumnen (nach den Funktionen
der zwölf astrologischen 'Häuser', von rechts nach links fortschreitend)
mit 12 waagerechten Zeilen (nach den zwölf Tierkreiszeicben, von Aries
[hamal], oben, bis Pisces [hüt], ganz unten), insgesamt also 144 Felder
mit den 144 Fragen. Die Fragen sind nur mit Ziffem von 1-144 gekenn¬
zeichnet. Auch in T gibt es also keine Losrichternamen, die somit
weiterhin ausschließlich in dem westlich-lateinischen Überlieferangs-
zweig auftreten. Auf diese Ziffemkennzeichnung und deren Verwen¬
dung wird lang und ausführlich in der Einleitung hingewiesen.
5. Die 1968: 302 als Beispiel zitierte Frage 125 lautet in T: kayfa
yakünu l-'äma [adv.] az-zar' wa-t-tamr, „Wie werden dies Jahr die Saat¬
früchte und die Datteln sein?"; und die 1968: 305 Fn. 17 zitierte Frage
87 lautet in T, rein hocharabisch: ayya äay'in ra'aytuß manämi, „Was
habe ich in meinem Traum gesehen?"
6. Als Titel nennt der Verfasser innerhalb des Vorworts (1. Seite, Zeile
5) die uns bereits bekannte persische Form: Kitäh ad-duwäzdahmar^ (so
geschrieben und vokalisiert)'\ „das Zwölffelderlosbuch"'^.
7. An derselben Stelle (1. Seite, Zeile 5-7) erfahren wir nun auch die
richtige Form und Bedeutung des „indischen" Buchtitels, den der
Verfasser zum Vergleich heranzieht und als Ausgangspunkt für die
Formuliemng seines Buchtitels nimmt (cf. 1968: 306): wa-sammaytuhü
bi-Kitäb ad-duwäzdahmar^ ka-mä sammat al-Hind al-Haftamar^
[Ms.: al-hafta.r.h, das mim der zweiten Wortkomponente mar^ fehlt]
alladi tvudi'at [sie] 'alä l-kawäkib as-sab'a wa-wada'tu anä hädä 'alä l-
itnay 'aSara bur^ [sie] allati ßhä buyüt al-kawäkib as-sab'a etc. , „und ich
nannte es 'Buch der Zwölf Felder', so wie die Inder [ihr Buch] 'Die
Cf. 1968: 304, 307 f.
'° Cf. F. Rosenthal: Gambling in Islam. Leiden 1975, S. 51: „The Twelve- Field Lot" (zu unserem Text Q).
Sieben Felder' nannten, welches nach den sieben Planeten aufgebaut
war, während ich dagegen dieses Buch hier nach den zwölf Tierkreis¬
zeicben aufgebaut habe, in denen sich die 'Häuser' der sieben Planeten
. . . befinden". Diese Lesung von T ist sinnvoll und stellt natürlich die
richtige Lesung dar gegenüber den korrupten Formen mit s und S (statt
J) in den übrigen Texten (cf. 1968: 306)'°.
8. Der 1968: 309 oben zitierte Lehrsatz über den Einfluß des Mondes
steht in T auf Seite 2, Zeile 1-4: wa-qad a^ma'at al-'ulamä' bi-hädä l-
fann . . ., im Wortlaut wie aus UK zitiert (jedoch fehlt in T störonder¬
weise die Präposition ß vor Say' min al-awtäd al-arba'a und vor al-
masä'il}. Der lateinische Text C, der hier schreibt . . . quod luna sepa¬
ratur a marte, beruht offenbar auf einem Lesefehler des betreffenden
Übersetzers in seiner arabischen Vorlage: er muß im Arabischen falsch
gelesen haben anna l-qamar idä färaqa l-mirrih, statt des richtigen und
einhellig überlieferten idä qärana l-mirrih.
9. F. Sezgin hat in GAS 7 die nunmehr insgesamt acht bekannten
Handschriften dieses Losbuches als sechs verschiedene Werke aufge¬
führt, S. 110: unsere beiden Hss. H und L, die unter dem Autorennamen
'Abdalläh ibn 'Ubaydalläh al-'nsi al-Munaggim bzw. 'Abdalläh ibn
'Ubayd al-'sni al-Munaggim laufen; S. 115: unser T, unter dem Namen
al-Fadl ibn Sahl; S. 117: unser Q, hier als anonymes Losbuch; S. 117 f.:
unsere beiden U und K, unter dem Namen von al-Kindi (als Werk Nr.
7); und S. 133: unser M, als Werk Nr. 14 von al-Kindi (verschieden von
Nr. 7). Dieser Sicht möchte ich mich jedoch auch jetzt nicht
anschließen. Vielmehr meine ich weiter, wie bereits 1968 dargelegt, daß
alle acht Texte denselben Losbuchtyp verkörpern, wenn auch mit mehr
oder weniger starken Abwandlungen. Als Hauptargument führe ich
dabei an, daß die Charakteristik unseres Losbuches: 12 Fragen in
Anlehnung an die Grundfunktionen der 12 astrologischen 'Häuser' und
verteilt auf die 12 Tierkreiszeicben (also insgesamt 144 Fragen) sowie
weiterhin je 12 Antworten auf jede dieser 144 Fragen — daß diese
Charakterisitik in Aufbau und Funktionsweise, die alle acht Vertreter
'" Cf. dasselbe Wort auch bei E. S. Kennedy: A Commentary upon Birüni's Kitäb Tahdid al-Amäkin. Beirut 1973, S. 219, und die Anmerkungen dazu in der
Rez. von G. Saliba in: Journal for the History of Astronomy 10 (1979), 51.
Letzterer verweist auf ein weiteres Vorkommen des Wortes bei öähi?: Kitäb at- tarbi'. Ed. Ch. Pellat. Damaskus 1955, Text S. 80 ult./81 und Glossar S. 207.
Es handelt sich um ein persisches Wort, das hier als Titel indischer Bücher
bzw. Bezeichnung indischer Losverfahren benutzt wird. Offenbar wurde also
jenes indische Material über persische Zwischenstufen an die Araber weiterge¬
geben.
20 ZDMG 134/2
gemeinsam haben, unsere qur'a als einheitlichen, festen Typus von
anderen bekannten Losbüchern abhebt, die andere Lossysteme und
andere Gliederungen und Zahlen von Fragen und Antworten
aufweisen". Unter demselben Aspekt muß man auch die Autorfrage
betrachten: das offenbar sehr beliebte, weit verbreitete und stark popu¬
larisierte Losbuch wurde, soweit es nicht anonym blieb, im Laufe der
Zeit verschiedenen Autoren beigelegt. Unter den in den Handschriften
genannten Autoren (al-'nsi bzw. al-'snl, al-Kindi, al-Fadl) tritt in der
arabischen Überlieferung al-Kindi am häufigsten auf (dreimal); durch
die lateinische Übersetzung, die das Buch im Westen verbreitete und
die zufällig auf einer Fassung unter dem Namen al-Fadl beruhte,
gewann für uns Europäer der Name al-Fadl das größte Gewicht inner¬
halb der gesamten Tradition. Das ist aber nicht berechtigt, denn inner¬
halb der arabischen Überlieferung dominiert al-Kindi (3 Hss.) gege¬
nüber al-'nsi/al-'snl (2 Hss.) und zwei anonyma (QR) und nur einer
einzigen Fadl-Handschrift (T). Ich neige daher weiter der Ansicht zu,
daß diese Autorennamen (al-Fadl und al-Kindi — nicht al-'nsi/al-'sni,
dessen beide Handschriften eine ganz bestimmte jüngere Fassung
repräsentieren, fiir deren Ausarbeitung man leicht einen bestimmten,
persönlich genaimten Verfasser akzeptieren kann) nur eine sekundäre
Zutat späterer Schreiber und/oder Benutzer sind, die eine so interes¬
sante qur'a einfach unter dem Zutrauen einflößenden Namen irgend¬
einer fachlich kompetenten Autorität genießen wollten, und daß das
Buch in seiner Grundform von außen her (Indien, über Persien? Weniger
wahrscheinlich aus dem Griechischen) in den arabischen Bereich über¬
nommen wurde.
10. In der Gesamtbeurteilung kann man also sagen, T ist schlicht ein
weiterer Vertreter dieses Traditionskomplexes des „Zwölffelderlos-
buches", aber schwerlich der Archetyp und auch nicht die unmittelbare Vorlage der lateinischen Übersetzung, die den westlich-europäischen Überlieferungszweig begründete.
" Cf u.a. G. Flügel (wie 1968: 297 Fn. 2); G. Weil: Die Königslose. J. G.
Wetzsteins freie Nachdichtung eines arabischen Losbuches. Berlin/Leipzig 1929, 1-
23. Arabische Losbücher mit Sternnamen als Losrichter: cf noch P.
Kunitzsch, bei Lutz (wie 1968: 297 Fn. l),S.321Fn. 1; Artikel ^fwr'a, von T.
Fahd, in £/^ V, fasc. 85-86 (Leiden 1981), besonders Ziffer 2. Das von
Sezgin, GAS 7, 149 als Werk Nr. 25 von Abü Ma'äar aufgeführte Losbuch al-
Qawäri' in der Kairoer Handschrift Där al-Kutub, S 25, von dem mir eine voll¬
ständige Fotokopie vorliegt, ist inhaltlich identisch mit dem von Wetzstein
übersetzten Losbuch des von ihm sogenannten Typus „Königslose"; die Zu¬
schreibung an Abü Ma'äar in der sehr jungen Handschrift (12. Jh. H) dürfte
also rein pseudepigraphisch sein.
Korrekturzusatz: Zu dem oben mehrfach genaimten unbestimm¬
ten Autor'Abdallah . . . al-'nsi/al-'sni vgl. jetzt noch E. Savage-Smith
und M. B. Smith: Islamic Geomancy and a Thirteenth-Century Divinatory
Device. Malibu (Calif.) 1980, S. 8 Fn. 28 Z. 9-12. Hier wird auf drei
türkische Hss. eines geomantischen Losbuches von einem 'Abdallah
ibn Anis (oder: Ani [?]) verwiesen, das dieser für den Kalifen Härün ar-
Ra§id verfaßt habe. Die genannten drei türkischen Hss. (in London und
Wien) sind nicht mit unseren bekannten arabischen Alfadhol-Hss. iden¬
tisch, doch scheint inhaltliche Verwandtschaft zu bestehen, soweit man
der kurzen Angabe a.a.O. entnehmen kann.
20*
und tibetischer Schrift
(Teü I)
Von Dieter Maue und Klaus Röhrborn, Gießen
INHALT
Teill A. Einleitung
1. Forschungsgeschichte 2. Historischer Kontext 3. Bemerkungen zur Schrift B. Das Alttürkische in tibetischer Schrift
1. Vorbemerkungen
2. Die Vokalgrapheme (a, e, i)
3. Die Vokalgrapheme (o, u)
4. Labiale 5. Palatale 6. Dentale 7. Gutturale 8. Nasale
9. Liquide und Halbvokal y
10. Sibilanten 11. Graphem (h)
12. Wiederholende Schreibungen 13. Hypertrophe Konsonanten
14. Tabelle: der atü. Konsonantismus in tib. Schrift C. Transliteration
D. Übersetzung
Teil II E. Kommentar
F. Schlußbemerkungen G. Glossare
1. Wort- und Stelleiundex 2. Glossar der Transliterationen H. Bibliographie und Abkürzungen