A 1398 Deutsches Ärzteblatt
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19. Juli 2010U
mfragen zeigen: Viele Medi- zinabsolventen fühlen sich durch Studium und praktisches Jahr nicht angemessen auf den Berufs- einstieg vorbereitet. Umso wichtiger ist es, dass junge Assistenzärztinnen und -ärzte gut eingearbeitet werden.Doch der Weg zum Facharzt verläuft meist eher nach dem Motto „Learn -
ing by Doing“ – ohne Anleitung und Struktur, außerdem unter Zeitdruck.
Man geht zur Arbeit und hofft, dabei etwas zu lernen. Das zumindest wird immer wieder von Ärzten in der Weiterbildung beklagt.
Gute Weiterbildung dank einer durchdachten Planung
Im Roten-Kreuz-Krankenhaus in Bremen ist das anders. Hier überlässt man den Erfolg in der Weiterbildung nicht dem Zufall. Ein zentraler Punkt ist dabei die Verbindlichkeit – so- wohl was die Inhalte als auch was den Ablauf angeht. „Wir haben für jeden Assistenzarzt einen Lehrplan“, erklärt Dr. med. Martin Langenbeck (49), Leitender Oberarzt der Medizi- nischen Klinik. Das bedeutet: Regel- mäßig finden Mitarbeitergespräche
statt, in denen Weiterbildungsziele besprochen werden. Anhand derer wird ein verbindlicher Rotationsplan erstellt. So wissen die Ärzte frühzei- tig, wann sie etwa auf die Intensiv- station oder in die Funktionsabteilun- gen – wie Sonographie und die Echokardiographie – wechseln. Die Rotation erfolgt im halbjährlichen
Turnus. Wenn im März und Oktober die Einarbeitung der „Neuen“ erfolgt, dann herrscht Urlaubssperre. „Das nehmen wir für unseren Nachwuchs aber gern in Kauf“, sagt Langenbeck.
Eine vernünftige Einweisung in einen neuen Aufgabenbereich ist für ihn unerlässlich. Wechselt ein Assistenzarzt beispielsweise auf die Intensivstation, ist er in der Regel zwei Wochen mit einem erfahrenen Kollegen überlappend tätig. Dabei wird eine ausführliche Einarbei- tungscheckliste abgehakt – ange- fangen bei Therapiestandards über die Dosierung wichtiger Medika- mente bis hin zur Einweisung in die Beatmungsgeräte. Wichtig sind Lan- genbeck flache Hierarchien. „Bei uns können alle Fragen gestellt werden“, sagt der Internist und
Nephrologe. Angstfreies Lernen führe zu mehr Qualität.
Die Verbindlichkeit im Bremer Weiterbildungskonzept beschränkt sich aber nicht auf den Zeitplan.
Auch die Inhalte sind schriftlich festgelegt. Und sie werden am Ende der Weiterbildungszeit nicht ein- fach so aus Gefälligkeit beschei-
nigt. „Was auf dem Papier steht, be- herrschen die Kollegen auch“, ver- sichert Langenbeck.
18 Assistenzärzte sind zurzeit in der Medizinischen Klinik tätig. Wei- terbilden können sie sich in der Ab- teilung entweder zum Allgemeinin- ternisten oder sie absolvieren den dreijährigen Common Trunk der In- neren Medizin. Eine weitere Spezia- lisierung ist für die Bereiche Neph- rologie und Rheumatologie möglich.
Künftig will man sich aber auch stär- ker für die Allgemeinmedizin enga- gieren und mit der chirurgischen Abteilung des Hauses und Praxen kooperieren. „Das Weiterbildungs- konzept macht uns für Bewerber at- traktiv“, ist Langenbeck überzeugt.
Probleme, Assistentenstellen zu be- setzen, hat man in Bremen nicht.
WEITERBILDUNG
Konzept mit Vorbildcharakter
Bei der Weiterbildung im Roten-Kreuz-Krankenhaus in Bremen bleibt nichts dem Zufall überlassen. Inhalte und Rotation sind verbindlich festgelegt. Übernehmen Assistenzärzte neue Aufgaben, werden sie vernünftig eingearbeitet.
Einsatz für den Nachwuchs:
Oberarzt Martin Langenbeck auf Visite, beim TEE und im Gespräch mit Assistenzärztin Ute Hartog
T H E M E N D E R Z E I T
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19. Juli 2010 A 1399 Regelmäßige interne und externeFortbildung, eine Supervision durch Ober- und Chefarzt, der Zugang zu aktuellen Studien im Internet („Up to Date“): Auch diese Aspekte sind Teil des Bremer Weiterbildungskon- zeptes. Für den Außenstehenden mag sich das nach Selbstverständ- lichkeiten anhören. Doch die Erfah- rung vieler Ärzte in Weiterbildung zeigt, dass ein solches Vorgehen bei weitem nicht überall Realität ist.
Das gilt auch für diese vergleichs- weise einfache Maßnahme: In der Medizinischen Klinik in Bremen sind die Teams auf den Stationen gleichermaßen mit erfahrenen Ärz- ten und Anfängern besetzt. Was zu- nächst einmal banal klingt, verlangt aber ein gewisses Maß an Organisa-
tion. „Durch eine gute Planung kann man schon sehr viel für eine gute Weiterbildung tun“, sagt Langen- beck. So bemühe man sich zum Bei- spiel, dass die Sonographiezeit mög- lichst am Anfang der Assistenzarzt- tätigkeit stehe, erläutert er. Das gebe den jungen Ärzten mehr Sicherheit im Dienst und sei außerdem eine Entlastung für die Oberärzte. „Die Qualität soll auch stimmen, wenn wir nicht dabei sind“, erklärt er.
„Wer macht heute die Ambulanz?“
– eine solche Frage wird in der Bre- mer Abteilung nur im absoluten Aus- nahmefall zu hören sein. Denn die Planung ist klar und verbindlich: Die Sonographiezeit beträgt zweimal drei Monate. Währenddessen sind die Ärzte in Weiterbildung von der Sta- tionsarbeit freigestellt. Vormittags
schallen sie, nachmittags sind sie in der Ambulanz. Der Assistenzarzt im Herz-Echo schallt nachmittags und übernimmt vormittags die Ambulanz.
Ute Hartog (37) ist seit Beginn ihrer Weiterbildungszeit im Roten- Kreuz-Krankenhaus tätig.
Sie kennt also auch noch die Situation, bevor das neue Weiterbildungskon- zept griff. „Die Assistenz- ärzte werden viel besser eingearbeitet als früher“, sagt sie. Das sei sowohl für die Ärzte als auch für die Patienten vorteilhaft.
Etwa ein halbes Jahr Schonfrist gewährt man
den Assistenten, bevor sie für Nacht- dienste eingesetzt werden. Zusätzlich
zum Dienstarzt ist ein wei- terer Kollege auf der Inten- sivstation. Auch auf die Dienste seien die Ärzte heute besser vorbereitet – unter anderem, weil die So- nographie als Block statt- finde, bei dem man nicht zwischen Stationsarbeit und Ultraschall hin- und hergerissen sei. „Da be- kommt man viel Routine“, sagt Hartog. Und: Während man in den Funktionen ist, muss man in der Regel kei- ne Nachtdienste machen, um nicht tagsüber zu feh- len. Die Dienste sind in der Abteilung wochenweise or- ganisiert. Eine Woche Nachtdienst – dann eine Woche frei. Das sei ein fai- res System, findet Hartog.
„Aber natürlich ist auch nicht al- les Friede, Freude, Eierkuchen“, stellt die Assistenzärztin klar. Da- mit das System funktioniere, sei ei- ne gute Organisation notwendig. Es sei anfällig für Personalengpässe, Stichwort: Schwangerschaft und krankheitsbedingtes Fehlen. Da werde es schon einmal eng. „Aber selbst wenn alle da sind, ist es ein Knochenjob“, sagt die Mutter zwei- er Kinder. Trotzdem hat Hartog den Spaß an der Arbeit nicht verloren.
Heute steht für sie eine transöso- phageale Echokardiographie (TEE) auf dem Programm – ihre sechste.
Für ihren Weiterbildungskatalog braucht sie die nicht, aber sie findet
die Untersuchung interessant. „Und für uns ist es gut, Assistenzärzte zu haben, die Schluckechos beherr- schen“, sagt Langenbeck.
Weiterbildung ist ein Geben und Nehmen. Diesen Satz würden so-
wohl Oberarzt Langenbeck als auch Assistentin Hartog ohne Zögern un- terschreiben. Für Langenbeck ist da- bei wichtig, dass die Inhalte der Wei- terbildung nicht an Überstunden hängen, sondern innerhalb der regu- lären Arbeitszeit vermittelt werden.
Er sieht Weiterbildung als einen Pro- zess im Team – bestehend aus Be- rufseinsteigern, dem Mittelbau (er- fahrenen Assistenten) sowie Ober- und Chefärzten. Für neue Vorschläge müsse man ein offenes Ohr haben.
„Wenn wir es dann auch noch schaf- fen, die jungen Ärzte langfristig an uns zu binden, haben wir alles rich- tig gemacht“, sagt Langenbeck. ■ Dr. med. Birgit Hibbeler
Eine fundierte und strukturierte Weiterbildung – das ist das Ziel der Medizinischen Klinik des Roten-Kreuz-Kranken- hauses in Bremen. Die wichtigsten Punkte des Konzepts:
●
umfassende Einarbeitung neuer Assistenzärzte●
Die Teams auf den Stationen sind gleichermaßen mit erfahrenen Ärzten und Anfängern besetzt.●
Rotation: Die Abfolge der verschiedenen Stationen und Funktionsabteilungen wird zu Beginn der Weiterbildung festgelegt.●
Einarbeitungszeit im Rahmen der Rotation; Einarbei- tungsprotokoll●
Checkliste für die Weiterbildungsinhalte●
jährliche Mitarbeitergespräche mit Überprüfung der Weiterbildungsinhalte und Festlegung weiterer Ziele●
Supervision durch Ober- und Chefarzt●
regelmäßige externe und interne Fortbildungen●
Online-Zugang zu neuen Studien●
Förderung von Kollegialität und TeamworkVERBINDLICHER LEHRPLAN
„ Was im Zeugnis steht, beherrschen die Kollegen auch.
“
Martin Langenbeck, Leitender Oberarzt
Fotos: Torsten von Reeken