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Archiv "Kein Konzept aus der Retorte" (24.04.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen THEMEN DER ZEIT

Dozent Dr. Alexander Schuller ver- kündete provokativ: „Mein Beitrag wird zwei Teile umfassen, einen kognitiven Schub von etwa einer Stunde — also sehr viel mehr, als nach den gestern diskutierten Grenzen Ihrer Auffassungs- und Aufnahmefähigkeit möglich ist! Da- nach kommt ein gruppendynami- scher Schub." Hierzu bat er, Sech- sergruppen zu bilden, „damit Sie also jetzt schon während des Vor- trags als Gruppe versuchen, die Probleme, die Sie sehen, oder die Fragestellungen, die ich Ihnen auch vorschlagen werde, zu rezi- pieren und nicht als Individuen, sondern daß wir gleich sozusagen ein Gruppenlernen hier ausprobie- ren können."

„Warum hört hier keiner zu?"

Schuller interpretierte sein Thema als „gruppendynamische Aspekte von Leiterverhalten", referierte „im ganz konventionellen, frontalen Stil", legte damit einen „Diskussi- ons- und Kritikpunkt" im „Auswer- tungsinstrument der Sechsergrup- pe" vor.

Seine These: Der Umgang mit Gruppen wird nicht sui generis ver-

erbt, sondern ist erlernbar. Er be- zog sich auf Primär- und Arbeits- gruppen und versuchte, für die Ar- beits- und Beziehungsproblematik des Gruppenleiters Verständnis zu wecken:

„Sie haben das alle schon erlebt, daß es gute und schlechte Arbeits- atmosphären gibt. Wir haben das ja auch hier erlebt, glaube ich. Ich habe das jedenfalls so empfunden.

Und ich glaube, daß Sie sich alle schon einmal gefragt haben als Gruppenleiter, aber eben auch als Gruppenteilnehmer: Wie kommt das eigentlich zustande? Warum ist das so mies hier? Warum hört hier keiner zu? Warum reden alle durcheinander? Warum sind da so Aversionen gegen den Gruppenlei- ter? Warum sind wir hierher ge- kommen mit Interesse, und nach zehn Minuten haben wir keines mehr? Was ist da eigentlich?"

Dies habe sicher etwas mit dem Verhalten des Gruppenleiters zu tun, aber auch mit den Teilneh- mern, mit „umgekehrten Erwartun- gen", wie das am Vortage bereits als „Diskrepanzen zwischen den Erwartungen" auch sehr gut formu- liert worden sei.

scheidend erweitert wird, so wird sie hinter uns stehen.

Ich habe aufgezeigt, welche Aufga- ben und welche Möglichkeiten wir Ärzte in der heutigen Gesellschaft haben. Alle unsere Leistungen wer- den dann nachhaltige Erfolge brin- gen, wenn wir um eine Erziehung zur Gesundheit bemüht bleiben. So will die präventive Medizin verstan- den sein, so müssen die kurative und die Rehabilitationsmedizin ausgeübt werden. Es ist in den letzten Jahren viel vom Aufbau ei- ner neuen Gesellschaft gespro- chen worden. Er kann auf dem Ge- biet der Medizin mit einfachen Mit- teln durchgeführt werden, wenn wir nur wollen. Vergessen wir nicht, der Katalog der Indikatoren der Le- bensqualität wird von Gesundheit und Wohlbefinden angeführt. Wir wollen nicht den Wohlstand ab- schaffen, wir müssen nur mit ihm leben lernen!

Wenn ich früher einmal das einfa- che Leben als beste Gesundheits- vorsorge bezeichnet habe, so ist es heute recht fraglich geworden, ob dieses einfache Leben überhaupt noch möglich ist. Kann unsere Be- völkerung zu einem ausgewogenen Lebensrhythmus, der Arbeit und Erholung sinnvoll einschließt, über- haupt noch angeregt werden? Hier scheinen mir unsere Hauptaufga-

ben zu liegen. Sie jedem einzelnen bewußter zu machen und ihn zu überzeugen, daß es nicht nur ein Recht auf Gesundheit, sondern auch eine Pflicht zur Gesundheit gibt, muß unser aller Anliegen sein.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med.

Dr. med. h. c.

Gotthard Schettler Direktor der

Medizinischen Universitätsklinik (Ludolf-Krehl-Klinik)

69 Heidelberg Bergheimer Straße 58

Kein Konzept aus der Retorte

Symposium der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen

Fortsetzung und Schluß

Am 14. und 15. Februar 1975 veranstaltete die Kaiserin-Friedrich- Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen in der Westberliner Kongreßhalle ein „Symposium über neue Verfahren für die ärztliche Fortbildung". Über dessen ersten Tag ist in Heft 16/1975 vom 17.

April, Seite 1133 ff. berichtet worden. Nachstehend wird zusammen- fassend über Vorträge und Diskussionen des zweiten Tages refe- riert.

1224 Heft 17 vom 24. April 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Kaiserin-Friedrich-Stiftung

„Führer und Leiter”

Schuller empfahl, den Begriff „Füh- rer" nicht historisch (1933-45), sondern gruppendynamisch zu fas- sen und nicht pauschal mit indivi- duellen Merkmalen wie Mut, Initia- tive und Tatkraft zu verbinden, son- dern Führung als eine Beziehung, abhängig von einer sozialen Situa- tion, als eine „spezifische Kompe- tenz" zu begreifen. Gruppenleiter sei derjenige, von dem man anneh- me, daß er die Bedürfnisse der Gruppe befriedige. Zum Führungs- verhalten gehöre die Zieldefinition, die Zieloperationalisierung (Unter- zieldefinition), das Zusammenfas- sen und Strukturieren von Diskus- sionsabläufen, das Herstellen von Gruppensolidarität, ihre Aktivie- rung und die allgemeine Koopera- tion in der Gruppe.

Führungsstile

Wenn nötig, sollte sich ein Grup- penleiter auch autokratisch verhal- ten; er könne sich als Moderator und als Vater geben, aber besser sei der kooperative Führungsstil.

Sinnvoll sei ein Führungsstil immer dann, wenn er dazu führe, daß die Gruppe wisse, was sie solle, wel- che Methoden sie dazu benötige und wie die Lage sei, wenn das Gewollte erreicht worden sei. Die Gruppe solle schnell und richtig, also effektiv arbeiten, ihre Res- sourcen nutzen, damit ein Lerner- folg erzielt werde.

Lernerfolge

Schuller meinte, jedes Gruppenmit- glied lerne nur, wenn es das Ge- fühl habe, etwas lernen zu müssen.

Er gliederte den dynamischen Pro- zeß in die Phasen: Frustration, Auswahl des Lernverhaltens, Ein- übung, Auswertung, Verallgemei- nerung und Umstrukturierung.

Hier unterbrach Prof. Heim: „Wir haben gestern gehört, wie man ei- nen Vortrag aufbauen soll. Wir ha- ben von der Psychologie gehört.

Wir haben die Theorie der Didaktik und das Verhalten der Dozenten vernommen. Wir sind uns einig ge- worden: Ein Vortrag sollte nie län- ger als 20 bis 25 Minuten dauern, dann sollte aufgelockert werden.

Jetzt lassen wir zu, daß Sie einen hochtheoretischen Vortrag von ei- ner Stunde halten. Das finde ich nicht ganz konsequent." (lebhafter Beifall)

Heim: Als Dozent mit jahrzehnte- langer Erfahrung habe er das, was hier an Theorie geboten werde, als selbstverständliches Vorwissen be- trachtet. Die Teilnehmer wüßten, worum es gehe, erwarteten aber von der Theorie etwas Bereiche- rung; Mediziner seien da praxisnä- her. Um die ärztliche Fortbildung attraktiver zu gestalten, müsse man sich viel überlegen. „Insofern bin ich Ihnen dankbar, daß Sie diese verschiedenen Punkte einmal theo- retisch analysiert haben, um uns darauf aufmerksam zu machen, wie in Zukunft die Gruppenarbeit aus- sehen soll. Das betrachte ich als das Positive in dieser theoreti- schen Überlegung, als eine Art neuen Weg."

Generationsunterschiede

Dr. Harnisch: „Ich würde vorschla- gen, daß wir darüber diskutieren;

denn der Referent macht den glei- chen Fehler wie der Referent (Dr.

Dikau) gestern, daß er nämlich eine Stunde lang uns etwas erzählt und wir hier herumsitzen und man im Grunde genommen dazu sich nicht äußern kann und zum ande- ren eben das theoretische Blabla!

Und ich glaube auch, wenn Sie heute als Referent auftreten, sind Sie ja in einer politischen Situa- tion, in einer soziologischen, aber auch politischen Situation ..."

Dr. Lippross: „Ja, ich würde auch sagen, wenn man heute einen Vor- trag hält, ist man einmal in einer wissenschaftlichen Situation, man ist aber auch in einer sozialpoliti- schen Situation drin. Nämlich die, die vor einem sitzen, sind ja ei- gentlich Konkurrenten."...

Flexibel agierend, brachte Prof.

Heim die Veranstaltung wieder in Fluß.

Vierpunkteprogramm

Dr. Schuller ließ Sechsergruppen bilden und stellte ihnen Aufgaben.

Sie sollten einen Gruppenleiter wählen, diskutieren, was er in sei- nem Vortrag gesagt habe, was er habe vermitteln wollen und wie sie ihn verstanden hätten. Sie sollten dann formulieren, was gefehlt habe, welche Kritik zu üben sei und welche Relevanz das Vorgetra- gene habe.

Bei der Strukturierung der Gruppe aus den Gruppenleitern ergaben sich Schwierigkeiten. Die Lösun- gen der meisten Gruppen waren ungegliedert oder wurden unge- gliedert vorgebracht; nur die Grup- pe unter Leitung des Medizinjour- nalisten Hans Mohl hatte folgendes Vierpunkteprogramm erarbeitet:

„1. Bildet die Fortbilder in Grup- pendynamik aus, konsequent durch pädagogische Seminare.

2. Schafft mehr Voraussetzungen für eine aktivere Fortbildung durch die Bildung kleinerer, berufsfähiger Arbeitsgruppen.

3. Schafft chancengleichere und bessere Startbedingungen für die Gruppe durch bessere Vorinforma- tion, beispielsweise durch detail- lierte Stoffpläne, beispielsweise durch Kurzfassungen, die vorher zu den Veranstaltungen gegeben werden, oder durch Arbeitspapiere, die vorher zur Verfügung gestellt werden.

4. Schafft interdisziplinäre Gruppen auch in der Fortbildung. Noch sind häufig zu sehr die Fachleute unter sich aus einer bestimmten medizi- nischen Sparte, so daß Diskussion oft zu einseitig erfolgt und nicht ef- fizient genug ist."

Lebenslanges Lernen

Zum Thema „Gruppendynamik und Begriffswandlung im Pathologieun-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1975 1225

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Kaiserin-Friedrich-Stiftung

terricht" berichtete Dr. H. S. Ver- brugh vom Institut für Pathologie II der Erasmus-Universität Rotterdam über Erfahrungen bei einem Pro- jekt, mit dem neue Unterrichtsver- fahren ermittelt wurden. Dabei habe sich gezeigt, daß sich der üb- liche medizinische Unterricht ne- gativ „auf die Bereitschaft und Fä- higkeit des späteren Arztes" aus- wirke, sich fortzubilden.

Viel Unterrichtsstoff werde nur schematisch gelernt, weil ihn die Prüfer abfragten, und nicht, weil er Antwort auf die Fragen nach Krankheit und Gesundheit gebe.

Der Student habe wenig Möglich- keiten, dies zu ändern. Eine pas- sive, das Angebot hinnehmende Haltung werde gefördert, wenn das Studium zugleich die Vorbereitung für die Prüfung nach dem Multiple- choice-Verfahren sei, wie dies die neue Approbationsordnung der Bundesrepublik Deutschland vor- schreibe.

Allen didaktischen Bemühungen zum Trotz bestünden die tatsächli- chen Unterrichtsziele noch weit mehr in der Reproduktion von Fak- ten als in der Entwicklung von in- tellektuellen und sozialen Fähigkei- ten. Hauptziel des Studiums sollte sein, die Studenten zum lebenslan- gen Lernen alles dessen anzure- gen, was sie wissen „sollen und wollen".

Gruppendynamik und Pathologie

In der Abteilung Allgemeine Patho- logie*) der Erasmus-Universität Rot- terdam bemühe man sich seit 1967, den Unterricht so zu gestalten, daß die mit dem in der Bundesrepublik Deutschland üblichen Studium ver- bundenen Nachteile nicht aufträ- ten.

Der Schwerpunkt des Unterrichts liege in regelmäßigen Zusammen- künften kleinerer, bis zu zwölf Per- sonen umfassender Diskussions- gruppen, die ein älterer, bereits in Gruppendynamik und Allgemeiner Pathologie ausreichend ausgebil- deter Student leite. Diese Gruppen

diskutierten alle Fragen von Krank- heit und Gesundheit, die die Grup- penmitglieder zu erörtern wünsch- ten, und versuchten dann, zwi- schen diesen Fragen und dem Lehrstoff der Allgemeinen Patholo- gie eine befriedigende Verbindung zu schaffen.

Die Pathologie ist nach Dr. Ver- brugh einerseits — wie jede andere Wissenschaft — eine Errungen- schaft vieler Generationen, ande- rerseits aber eine dynamische Tä- tigkeit, die sich jede junge Genera- tion von neuem aufbauen müsse.

Im Unterricht müsse ein Gleichge- wicht „zwischen der Bewahrung des Althergebrachten und der För- derung des Neuen" gefunden wer- den. In der Pathologie sei das Alt- hergebrachte die heutige Lehr- buch-Pathologie „und das Neue eine noch im Status nascendi be- findliche Krankheitslehre, in der subjektive Empfindungen und menschliche Regungen ihren eige- nen Platz gefunden haben."

Die Schwierigkeit, die ärztliche Fortbildung sicherzustellen, liege darin, „daß bei den meisten medi- zinischen Ausbildungen das Ge- wicht viel zu stark auf der Seite des Alten liegt und daß der Student viel zu wenig lernt, selbständig zu lernen, viel zu wenig angeregt wird, eine Einstellung zu entwik- keln, die ihn veranlaßt, dauernd weiterzulernen."

Keine neuen Wege?

Sosehr die Ergebnisse dieser Lehr- versuche die Teilnehmer an die- sem Symposium auch beeindruck- ten, den meisten ging es um prakti- sche Fragen. Sie waren nicht nach Berlin gekommen, um Theorien der Didaktik, der Gruppendynamik oder eine neue Krankheitslehre zu

*) Der Begriff ist nicht identisch mit der Pathologie an deutschen Universitäten!

*") Der Wortlaut des Referates von Dr.

Horst Bourmer ist auf Seite 1213 des vorliegenden Heftes veröffentlicht, so daß sich weiteres Referieren an dieser Stelle erübrigt. DÄ

analysieren, sie erwarteten kein

„Konzept aus der Retorte", son- dern erhofften Hinweise auf neue Verfahren, neue praktikable Model- le; sie wünschten klare Anleitun- gen und solche Hilfen für ärztliche Fortbildungsveranstaltungen, die eine erhöhte nachprüfbare Effekti- vität gewährleisten.

Doch in diesem Sinne boten auch die übrigen sechs Referate nur all- seits bekannte, mit nuancierten Va- riablen mehr oder weniger häufig praktizierte Modelle — aber keine

„neuen Verfahren" für die ärztliche Fortbildung.

Mehr Aufmerksamkeit erheischten Dr. Horst Bourmers „Übergeord- nete Gedanken für die Zukunft der ärztlichen Fortbildung".

Dr. Bourmer befand, das Fortbil- dungsangebot für Ärzte reiche aus, und empfahl, sich in diesem Rah- men auch mit den Formen des ärztlichen Gesprächs zu befassen, weil der Arzt in seiner Aus- und Weiterbildung darüber zu wenig er- fahre. Ein stärkerer Rückkoppe- lungseffekt könne bewirken, daß sich das Angebot stärker an den Bedürfnissen der Lernenden orien- tiere. Die meisten Ärzte seien fort- bildungswillig. Nach einer Umfrage seien fast Zweidrittel der Ärzte be- reit, sich einer Kontrolle ihres Wis- sensstandes in noch zu entwickeln- den Formen, die die Individual- sphäre des zu Prüfenden wahren, zu unterziehen**).

„Berufsfeldforschung"

„Neues" bot eine Podiumsdiskus- sion „Ärztlicher Beruf — Berufs- feldforschung und Ausbildungsfra- gen" unter Leitung von Prof. Dr. F.

Edding vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Er gab Auf- schluß über die neuere Berufsfeld- forschung und fragte, inwieweit sich die Ärzte einer solchen Analy- se stellen würden: „Bis man eine solche Gruppe, die man untersu- chen will, dazu bringt, sich der For- schung zu exponieren, das ist schwierig. Auch Sie würden es

1226 Heft 17 vom 24. April 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Im freien Europa laufen demokrati- sche Bräuche auf Hochtouren.

Kein Monat vergeht, ja kaum eine Woche, an denen nicht irgendwo zur freien und geheimen Wahl auf- gerufen wird. Wahlschlachten wer- den geschlagen. Der Kampf wird mit Plakaten, Stimmbändern und Druckerschwärze ausgetragen. Zur Geldinflation gesellt sich die Wahl- inflation. Wahlen aber gehören zu den vornehmsten Zeichen der De- mokratie, auf die wir so stolz sind.

Sie setzen voraus, daß jeder Wahl- berechtigte ein voll mündiger Bür- ger ist, der mit dem Stimmschein für seine politische Überzeugung eintritt. Wahlen sind also ein tief- ernster Akt, mit dem wir den Gang der Geschichte beeinflussen wol- len. Der Staat erfährt durch den Stimmzettel die zuverlässige Aus- kunft über den Willen seiner Bür- ger, den er als verpflichtenden Auf- trag durchzuführen hat. Es geht ja ums Vaterland, das bekanntlich im- mer ein zu rettendes ist.

Dem Wähler wird eine folgen- schwere Entscheidung in die Hand gelegt, die Besinnung verlangt.

Besonnenheit reift in der Stille, im Kämmerlein. Eine wahrhaft demo- kratische Wahlpropaganda müßte die Aufgabe haben, diese stille Be- sinnung zu fördern. Tut sie das?

Da feuern zum Beispiel urige Trachtenkapellen, hopsende hüb- sche Balletteusen die Stimmung

für den Wahlredner an. Jede unse- rer Parteien beruft sich auf ihre Weltanschauung und deren sittli- che Kraft. Eigentlich müßte es ih- nen peinlich, wenn nicht unerträg- lich sein, dank dieses Wahlrum- mels Stimmen zu ergattern. Demo- kratie ist doch eine viel zu ernste Sache. Gewisse Parteien bedienen sich sogar gewerblicher Institute, die sich sonst dem Absatz von Tex- tilien, Autos usw. widmen, um mit verbalen oder bildlichen Lockmit- teln die Stimmzahlen zu mehren.

Behandelt man so voll mündige Wähler? Ist es zu verantworten, daß mit Drohungen, Verdächtigun- gen und Verängstigungen der Kon- kurrent madig gemacht wird? Daß dem Wähler das Blaue vom Him- mel versprochen wird?

Der nachdenkliche Zeitgenosse ist beunruhigt, weil er fürchtet, darin Zeichen einer niedergehenden De- mokratie zu sehen. Aus vielfältiger Erfahrung sucht er deshalb Rat in der Vergangenheit, die so oft Hilfe gewährt. Antike Berichte haben oft nichts an Aktualität eingebüßt. Vor rund 2000 Jahren fand eine demo- kratische, geheime und freie Wahl statt, über deren Wahlkämpfe wir durch einen glücklichen Umstand gut unterrichtet sind. Diese Wahl geschah am grünen Holz der De- mokratie, gewissermaßen in ihrer Kindheit. Cicero bewarb sich im nicht gerne sehen, wenn da ein As-

sistent von mir käme und Sie um die Erlaubnis bäte, Ihnen einige Wo- chen mit Tonband und Notizblock folgen zu dürfen, um festzustellen, was Sie nun eigentlich tun, und nach seinen Kriterien zu systemati- sieren, welche Art von Anforderun- gen auf Sie zukommt."

Man habe Topmanager und Mini- sterialbeamte dazu gebracht, sich diesen Methoden zu stellen, weil nur sie Aufschluß geben, was in der Praxis gefordert, in der Ausbil- dung gelernt und in der Weiter- und Fortbildung nachgeholt und er- gänzt werden müsse. Bei Topma- nagern sei festgestellt worden, daß in der Praxis „sehr breite Gebiete, die in der Ausbildung eine Rolle spielten, nur minimal oder über- haupt nicht vorkamen. Sollte es das im ärztlichen Beruf auch ge- ben?" (Zustimmung)

Der Gedanke einer „Ehe-intim"

zwischen Arzt und Forscher schreckte die Diskutanten nicht.

Sie reihten Fragen an Fragen, die unbeantwortet blieben. Einigkeit bestand aber darin, daß es für die Fortbildung wichtig sei, einem sol- chen Forschungsergebnis entneh- men zu können, was in der Fortbil- dung „universal" verschiedenen Gruppen von Ärzten an Wissen an- geboten werden müsse. Auf jeden Fall müsse von dem gut fortgebil- deten Arzt verlangt werden, auch sozialmedizinisch so weit „up to date" zu sein, daß „er einen Pa- tienten in seiner Gesamtsituation verstehen könne".

Viele

offene Fragen

Prof. Heim resümierte: „Ich finde es gut, daß man von einer Tagung mit vielen Fragen nach Hause fährt." Zum Ergebnis der Suche nach „neuen Verfahren" befand Prof. Heim: „Ich glaube, einige Dinge haben wir gefunden, vieles bleibt offen." Deshalb soll das Ge- spräch über neue Verfahren für die ärztliche Fortbildung fortgesetzt und erweitert werden. zel/DÄ

Die Wahlkampftips für Herrn Cicero sel.

Bernhard Fleiß

In diesen Monaten wird in der Bundesrepublik allenthalben gewählt.

Politiker suchen sich gegenseitig und vor allem natürlich die Wäh- ler zu umgarnen. So neu ist das natürlich gar nicht. Nehmen wir den Brief, den der 63 a. Chr. n. wahlkämpfende Cicero von seinem Bruder erhielt ...

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1975 1227

Referenzen

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