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olekularpathologische Verfah- ren, mit denen das Verhalten von Tumoren bislang in der Grundlagenforschung untersucht wur- de, könnten schon bald schnelle und einfache Methoden für die pathologi- sche Routinediagnostik liefern. Wichti- ge Voraussetzungen seien vor allem in den letzten zwei Jahren geschaffen wor- den, erklärte Prof. Heinz Höfler, Vorsit- zender der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, auf der 84. Jahrestagung der Gesellschaft in Kiel. So konnten be- stimmte molekulare Tests an formal- infixierten, paraffineingebetteten Ge- websproben für die zyto- oder histologi- sche Routinediagnostik bis vor kurzem nur mit begrenzter Aussagekraft einge- setzt werden.Neue Technologien erlauben nun auch hier zuverlässige quantitative Aus- sagen, selbst in 20 Jahre altem Archiv- material und mit minimalen Zell- und Gewebsmengen (mindestens 50 Zel- len). Rasche Sequenzierungsmethoden und Gewebechips wurden entwickelt, sodass bislang teure und aufwendige Verfahren wie die Genamplifikation und quantitative Genexpression, etwa in der Tumordiagnostik, heute an meh- reren Tausend Gewebsproben gleich- zeitig untersucht werden können.
„In Diagnostik und Therapie stehen wir an der Schwelle eines neuen Zeital- ters“, formulierte Prof. Axel Ullrich vom Max-Planck-Institut für Bioche- mie in Martinsried. Er wies auf das be- eindruckende Potenzial der Chip- und Array-Technologie für die Gewebedia- gnostik hin. Da jedes Gen gewebebezo- gen und in einem spezifischen zeitlichen Kontext exprimiert wird, erlaubt die Genexpressionsanalyse Einblick in Zu-
stand und Eigenschaften einer Zelle (im physiologischen wie im pathologi- schen Bereich) bis hin zur Erstellung von pathologischen Fingerprints. Bis- her nicht charakterisierte Gene können durch Vergleich ihres Expressionspro- fils mit bekannten Genen auf ihre mög- liche Funktion untersucht werden. Mit den heutigen Makroarrays werden bis zu 2 000 Gene, mit den DNA-Mikro- chips sogar bis zu 100 000 Gene gleich- zeitig analysiert.
Es gibt viel versprechende Ansätze, molekulare Verfahren etwa in der früh- zeitigen Diagnostik von Tumoren oder zur Entwicklung von Markern für die Dignität einzusetzen. Prof. Adi F. Gazdar (University of Texas Southwestern Med- ical Center, Dallas) fand bei gesunden Rauchern, früheren Rauchern und Pati- enten mit kleinzelligem Bronchialkarzi- nom sequenzielle, mit dem Malignitäts- grad quantitativ korrelierende moleku- lare Veränderungen von der morpholo- gisch gesunden Bronchialepithelzelle über Hyper- und Metaplasie bis hin zur Malignität.
Die bereits bei gesunden Rauchern extensiven molekularen Veränderun- gen ließen sich bei Nichtrauchern nicht nachweisen. Frühe molekulare Diagno- stik von morphologisch noch nicht er- kennbaren Veränderungen könnte, so Gazdar, nicht nur eine Prädisposition für malignen Verlauf bestimmen lassen, sondern auch eine Chemoprävention ermöglichen.
Weitere Chancen liegen in der mole- kularen Klassifizierung und Subtypi- sierung bestimmter Tumor-Phänotypen.
Von der Assoziation molekularer Pa- rameter mit klinischen Endpunkten werden wichtige Erkenntnisse über voraussichtlichen Verlauf und Thera- pie-Response von Tumorerkrankungen erwartet. Dies würde wiederum die Aussicht auf Entwicklung von maßge- schneiderten und damit prognosebes- sernden Therapieverfahren eröffnen.
Die Möglichkeiten der molekularen Charakterisierung von disseminierten Tumorzellen, deren prognostische Re- levanz bislang noch strittig und erst bei einigen Tumorformen nachgewiesen ist, erläuterte Prof. Gert Riethmüller (Institut für Immunologie, München).
Hier liegen Chancen für spezifische an- tikörperbasierte Therapiekonzepte zur Verhinderung der Metastasierung. Mög- licherweise, so Riethmüller, seien ruhen- de Tumoreinzelzellen am ehesten für eine Immuntherapie zugänglich. Kon- sequenzen für die Praxis sind jedoch frühestens in einigen Jahren zu erwar- ten.
Ein vielbeachteter Schritt in diese Richtung war die Entwicklung des an- tionkogenen Wirkstoffs Trastuzumab (Herceptin®) als neue Therapieoption beim Mammakarzinom. Nach Zulas- P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 28–29½½½½17. Juli 2000 AA1951
Pathologie
Umwälzungen durch neue Techniken
Molekularbiologische Verfahren wie die Chip- und
Array-Technologie ermöglichen eine schnelle und präzise Beurteilung selbst von kleinsten Gewebsproben.
DNA-Mikrochips können bis zu 100 000 Gene gleichzeitig analysieren. Foto: Glaxo Wellcome
Medizinreport
sung in den USA und der Schweiz wird die Substanz in Deutschland voraus- sichtlich im Herbst zur adjuvanten Im- muntherapie des metastasierten Mam- makarzinoms bei Überexpression des HER2-(human epidermal growth fac- tor receptor-)Proteins zur Verfügung stehen. Studien laufen auch bei anderen Tumorarten, so etwa eine internationa- le Zulassungsstudie zum nichtkleinzel- ligen Bronchialkarzinom.
Einen festen Platz haben molekular- pathologische Methoden schon heute in der Diagnostik bestimmter Erkrankun- gen. Sie erlauben beispielsweise beim Rhabdomyosarkom eine eindeutige und therapeutisch relevante Subtypisie- rung, die mit herkömmlichen Verfahren nur mit circa 80-prozentiger Sicherheit möglich ist. Bis die neuen Technologien umfassend den Alltag jedes Pathologen prägen werden, so Prof. Günter Klöp- pel (Kiel), neu gewählter Vorsitzender der Gesellschaft für die Amtszeit 2001/2002, sind jedoch weitere Unter- suchungen zur Korrelation und Kombi- nation mit konventionellen Verfahren und die Einführung von Standards zu fordern.
Schnellschnittdiagnose via Telekommunikation
Klöppel wies auf die Bedeutung der räumlichen und möglichst auch perso- nellen Einheit von Molekularpatholo- gie und Pathologie hin. Einige spezielle molekularbiologische Untersuchungen sind zwar bisher wenigen Kompetenz- zentren vorbehalten, jeder Pathologe sollte jedoch in der Indikationsstellung und Interpretation der Ergebnisse ver- siert und die Zuweisung zu diesen Zen- tren ausschließlich Aufgabe des Pri- märpathologen sein.
Die Integration der Molekularpa- thologie auch in die Ausbildung forder- te Prof. Werner Schlake als Vorsitzen- der des Berufsverbandes Deutscher Pa- thologen. Mit der Molekularpathologie müsse der künftige Pathologe von der ersten Stunde an vertraut sein.
In Diskussion ist nicht nur die Dia- gnostik auf kleinstem Raum – auf mole- kularer Ebene –, sondern auch die Dia- gnostik rund um den Erdball. Die Tele- pathologie – definiert als diagnostische
Tätigkeit über eine Entfernung unter Nutzung der Telekommunikation – wird nach Schlake künftig erheblichen Ein- fluss auf den beruflichen Alltag des Pa- thologen haben. Grundsätzlich akzep- tiert sind digitale Kommunikationstech- niken in Fort- und Weiterbildung und studentischer Lehre. Im Fluss sind je- doch die Telekonsultation (Einholen ei- ner zweiten Meinung) und vor allem die Schnellschnittdiagnostik via Bildkom- munikation. Beide Verfahren ermögli- chen dem Pathologen, zeitversetzt be- ziehungsweise zeitgleich auf elektroni- schem Weg zu diagnostizieren, ohne das histologische oder zytologische Präpa- rat physisch vor sich zu haben.
Als weltweit einmaliges Projekt in der Telepathologie zur Verbesserung der morphologischen Krebsdiagnostik bezeichnet Prof. Manfred Dietel (Hum- boldt-Universität zu Berlin) das Tele- pathologie-Konsultationszentrum der Union Internationale Contre le Cancer (UICC), das am 3. Juli seine Tätigkeit aufgenommen hat. Es wird Schnittstelle sein zwischen Rat suchenden Kollegen einerseits und weltweit bisher 60 Exper- ten andererseits, die in schwierigen Fäl- len konsultiert werden können.
Faszinierender noch ist die Vision, dass Kompetenzzentren künftig abge- legenen Kliniken die elektronische Schnellschnittdiagnostik anbieten könn- ten. Livebildübertragung aus Operati- onsmikroskop oder Endoskop, Fern- steuerung von Makroskop und Mikro- skop durch den weit entfernten Patho- logen – machbar ist vieles schon jetzt.
Ob die finanziell und personell aufwen- dige Methodik zur Routine werden könnte, sollen kontrollierte Studien, insbesondere zur Kongruenz von Bild- schirmdiagnose und klassischer Mikro- skopie, zeigen.
Grundsätzlich könnte man pathologi- sche Präparate heute nach Digitalisie- rung durch einen Präparatscanner nicht nur elektronisch diagnostizieren, son- dern auch archivieren, zum Beispiel im DICOM-Format (Digital Imaging and Communication in Medicine). Der Nachweis, dass es sich tatsächlich um das Originalpräparat eines bestimmten Pati- enten handelt (DNA-Fingerprint), ist al- lerdings nur im Paraffinschnitt möglich.
Ob die schillernden neuen Technologien Herkömmliches in großem Stil ersetzen
werden, ist laut Dietel nicht entschieden.
Technische Lösungen müssen verbes- sert, Finanzierung der Geräte und Ab- rechnung von teilweise fachfremd durch- geführten Leistungen geklärt werden.
Second-Opinion-Kultur und optimale Einpassung der Methodik in den Ar- beitsablauf stellen ebenso wie Haf- tung und Datensicherheit umfassende Anforderungen an Pathologen, Fachge- sellschaften, Hersteller und Kranken- kassen. Nicht zuletzt muss sich die Tele- pathologie ungeachtet der raschen tech- nischen Entwicklung am Goldstandard des Materialzuschnitts durch den Patho- logen und der direkten Untersuchung des Präparats unter dem Mikroskop messen. Dr. med. Birgitta Reimers P O L I T I K
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A1952 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 28–29½½½½17. Juli 2000
Positive Einstellung zur Gentechnik in der Medizin nimmt zu
Deutlich mehr als die Hälfte der Be- völkerung (61 Prozent) würde nach ei- ner aktuellen Umfrage von EMNID ohne größere Bedenken rekombinante Arzneimittel anwenden. „Damit stieg die Akzeptanz dieser innovativen Prä- parate gegenüber 1998 mit 57 Prozent und 1997 mit 50 Prozent signifikant an“, erklärte die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimit- telhersteller (VFA), Cornelia Yzer. Der VFA hatte in den vergangenen Jahren mehrfach die Einstellung der Bevölke- rung zur Bedeutung der Gentechnik in der Medizin überprüft.
Bei der Krebstherapie erwarten 62 Prozent der Befragten entscheidende Fortschritte durch den Einsatz gentech- nisch hergestellter Arzneimittel (1997:
45 Prozent, 1998: 53 Prozent). Am zweithäufigsten wurde Aids mit 31 Pro- zent genannt. Die steigende Akzeptanz der Gentechnik beruht laut Yzer dar- auf, dass 62 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass mögliche Risiken der Gentechnologie weitgehend durch gesetzliche Maßnahmen begrenzt wer- den könnten (1998: 58 Prozent). Der- zeit sind in Deutschland bereits 60 gentechnisch hergestellte Präparate
zugelassen. EB