Deutsches Ärzteblatt
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Heft 36|
10. September 2010 A 1699GRAFIK
Post-hoc-Analyse („as treated“)
Rehabilitation allein (n = 36) Rehabilitation plus frühe Kreuzbandplastik (n = 60) Rehabilitation plus Kreuz - bandplastik verzögert (bei Bedarf) (n = 23)
Monate nach Behandlung KOOS4 Score
Frauen mit frühem Mammakarzi- nom werden heute in der Regel brusterhaltend operiert, gefolgt von einer Bestrahlung und eventuell ei- ner adjuvanten Chemotherapie. Weil 90 % aller Lokalrezidive im selben Quadranten auftreten wie der ur- sprüngliche Tumor, könnte es rei- chen, statt einer mehrere Wochen dauernden externen Radiotherapie
der ganzen Brust einmalig während der Operation nur das Tumorbett zu bestrahlen (Targeted intraoperative radiotherapy, TARGIT). Dieser An- satz wurde in der TARGIT-A-Studie (Phase-III-Studie) untersucht.
1 119 Patientinnen (Alter > 44 Jahre) mit Tumoren unter 3,5 cm Größe wurden in neun Ländern auf eine konventionelle Radiotherapie
nach Maßgabe des jeweiligen Zen- trums randomisiert. Bei 1 113 Pa- tientinnen hingegen wurde nach Entfernung des Tumors die Ober- fläche des Tumorbetts intraoperativ mit dem Intrabeam-Applikator über 20 bis 35 Minuten mit 20 Gy be- strahlt, was aus radiobiologischen Gründen einer fraktionierten Dosis von 70 Gy gleichkommt. Patientin- nen mit vorab definierten Risiko- faktoren wie lobulären Karzinomen konnten zusätzlich extern bestrahlt werden, in dieser Studie 14 %.
FRÜHES MAMMAKARZINOM
Radiotherapie intraoperativ so gut wie die klassische Methode
STUDIEN IM FOKUS
Verschiedene Therapieformen der Kreuzbandruptur sind von schwe - disch-dänischen Forschern vergli- chen worden. Hierfür wurden 121 Patienten (18 bis 35 Jahre) mit kom- pletten Rupturen des vorderen Kreuz - bands in zwei Gruppen randomi- siert: Rehabilitation plus frühe Re- konstruktion durch Kreuzbandplas- tik (Patellarsehne oder „Hamstring“) im Zeitraum bis 10 Wochen nach Verletzung oder Physiotherapie und
Operation nur dann, wenn sich mit konservativem Vorgehen kein zu- friedenstellendes Ergebnis erzielen lässt („wait and see“). Es resultier- ten drei Gruppen mit letztlich 119 nach Protokoll behandelten Patien- ten: Rehabilitation allein, Reha plus frühe Kreuzbandplastik, Reha plus verzögerte Operation (Grafik). Die Effektivität wurde binnen zwei Jah- ren mit Hilfe des Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS,
schlechtestes bis bestes Ergebnis 0 bis 100 Punkte) evaluiert. Darin gehen Schmerzen, andere Sympto- me, Kniefunktion und mit dieser ei- ne assoziierte Lebensqualität ein.
Von 59 Patienten aus der Gruppe
„wait and see“ wurden 23 verzögert operiert (im Durchschnitt 11,6 Mo- nate nach Randomisierung), 36 ka- men mit Rehabilitation allein aus (62 %). Der KOOS verbesserte sich um durchschnittlich 39,2 Punkte bei früher Operation, und um 39,4 bei der Strategie „wait and see“ (p = 0,96 bei 95%-KI).
Fazit: Bei körperlich aktiven Pa- tienten ist die frühe chirurgische Intervention der Kreuzbandruptur nicht effektiver als die Rehabilita - tion plus verzögerter Operation.
Möglicherweise ließen sich bei diesem Vorgehen mehr als 60 % der Kreuzbandplastiken vermeiden.
Prof. Dr. med. Peer Eysel (Univer- sität zu Köln) möchte das Ergebnis wie folgt einschränken: „Die Studie geht nicht auf die individuellen Be- dürfnisse hinsichtlich Belastbarkeit des Patienten ein. So profitieren auch junge sportliche Patienten von einer operativen Rekonstruktion des Kreuzbands durch die erhöhte Stabilität des Kniegelenks.“
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Frobell RB, Roos EM et al.: A randomized trial of treatment for acute anterior cruciate liga- ment tears; NEJM 363; 2010: 331–42.
KREUZBANDRUPTUR
Frühe Kreuzbandplastik nicht effektiver als verzögerte
modifziert nach: Frobell RB, NEJM 363; 2010: 338
M E D I Z I N R E P O R T
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10. September 2010 Nach vier Jahren waren bei 1,2 %der intraoperativ und bei 0,95 % der extern bestrahlten Frauen ein loka- les Rezidiv aufgetreten (Differenz 0,25 %; p = 0,41). Für die Nichtun- terlegenheit der neuen Technik war eine Grenze von 2,5 % definiert wor - den. Komplikationen und Toxizitä- ten waren in beiden Armen gleich häufig (3,3 versus 3,9 %, p = 0,44);
in der intraoperativ bestrahlten Gruppe gab es mehr aspirations- pflichtige Wundserome, aber weni- ger Strahlentoxizitäten vom RTOG- Grad 3–4 (0,5 vs. 2,1 %, p = 0,002).
Fazit: Beim frühen Mammakarzi- nom, das brusterhaltend operiert werden kann, ist die einmalige in- traoperative Bestrahlung des Tu- morbetts (gegebenenfalls mit exter- ner Nachbestrahlung) durchaus ei- ne Alternative zur mehrwöchigen externen Radiatio. Damit lassen
sich Wartezeiten zwischen Operati- on und Bestrahlung vermeiden, und auch die Mitbestrahlung intrathora- kaler Strukturen wie Herz, Lunge und Ösophagus entfällt weitge- hend. Den Autoren zufolge könnte die neue Strategie wegen der einfa- cheren und zeitsparenden Applika- tion der Bestrahlung auch Kosten senken.
„Das Konzept der einmaligen in- traoperative Bestrahlung ist innova- tiv und radikal“, kommentiert Prof.
Dr. med. Jürgen Dunst (Lübeck).
Geändert wurden gegenüber der Standardbehandlung das Zielvolu- men (Teilbrust- statt Ganzbrustbe- strahlung), die Fraktionierung (bei adjuvanter Bestrahlung ist eine fraktionierte Bestrahlung bislang Pflicht) und die Dosishomogenität (bisher gilt eine Dosisinhomogeni- tät von etwa 15 % als akzeptabel, in der TARGIT-Studie beträgt sie phy-
sikalisch 300 %, biologisch über 600 %). Die bisherigen Daten ergä- ben keinen Nachteil gegenüber der Standardmethode, aber der Effekt der Radiotherapie zeige sich bei Frauen mit Tumoren, bei denen Lo- kalrezidive spät auftreten, erst nach 5 bis 10 Jahren, so Dunst. Sollten sich die Ergebnisse im weiteren Verlauf der Studie bestätigen, könn- te die einmalige intraoperative Be- strahlung des Tumorbetts (gegebe- nenfalls mit zusätzlicher externer Nachbestrahlung) eine Alternative zum bisherigen Standard sein. Für Deutschland seien Einsparungen unwahrscheinlich, weil die ambu- lante externe Bestrahlung relativ schlecht vergütet werde. Josef Gulden
Vaidjy JS et al.: Targeted intraoperative radio- therapy versus whole breast radiotherapy for breast cancer (TARGIT-A trial): an internatio- nal, prospective, randomised, non-inferiority phase 3 trial. Lancet 2010; 376: 91–102.
Bislang war nicht bekannt, ob sich mit einer um einen Sensor ergänz- ten Insulinpumpe die Stoffwechsel- einstellung bei Patienten mit Dia- betes mellitus Typ 1 verbessern lässt, wenn trotz täglich mehrfacher Insulininjektionen das Therapieziel nicht erreicht wird. Die Frage wur- de in einer multizentrischen rando- misierten Studie über ein Jahr un- tersucht.
Bei der mit einem Sensor ergänz- ten Insulinpumpe wird mit Hilfe ei- nes unter der Haut eingepflanzten
Glukosesensors alle fünf Minuten die Blutzuckerkonzentration ge- messen. Der Messwert wird draht- los an einen Glukosemonitor gesen- det, und der Patient appliziert sich mit der Pumpe die entsprechende Insulindosis. In der STAR-3-Studie (Sensor-Augmented Pump Therapy for A1C Reduction) wurde bei 329 Erwachsenen und 156 Kindern mit nicht ausreichend kontrolliertem Typ-1-Diabetes die Wirksamkeit ei- ner sensorergänzten Pumpenthera- pie mit einer konventionellen Insu- lintherapie mit täglich mehrmali - gen Injektionen verglichen. Der HbA1c-Wert sank mit der Pumpen- therapie von 8,3 auf 7,5 %, während er in der Kontrollgruppe nur von 8,3 auf 8,1 % abnahm (p < 0,001) (Grafik). Schwere Hypoglykämien waren mit 13,31 vs. 13,48 pro 100 Personenjahre in beiden Gruppen ähnlich häufig.
In einem begleitenden Editorial wird darauf hingewiesen, dass die STAR-3-Studie damit – wie auch einige andere randomisierte Studi- en – den Wert der kontinuierlichen
Blutzuckermessung belegt hat: ver- besserte Einstellung des Diabeti- kers ohne Erhöhung des Hypogly- kämierisikos. Allerdings ist die Umsetzung dieser Technik in den klinischen Alltag nicht so einfach.
Neben Kostenaspekten ist eine sorgfältige Schulung des Patienten zum Selbstmanagement seiner Er- krankung erforderlich. Die Technik stellt an den Patienten erhöhte An- forderungen: Er muss mit dem Sen- sor umgehen und auf eventuell auf- tretende Störungen richtig reagie- ren können, und er muss ein zusätz- liches Gerät am Körper tragen.
Fazit: Die moderne Technik der mit einem Sensor ausgestatteten Insu- linpumpentherapie kann schlecht eingestellten Typ-1-Diabetikern helfen, die Blutzuckereinstellung zu verbessern. Sie erfordert jedoch eine umfangreiche Schulung des Patienten und eine hohe Bereit- schaft zur Mitarbeit.
Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
1. Bergenstal RM et al.: Effectiveness of sensor- augmented insulin-pump therapy in type 1 diabetes. NEJM 363; 2010: 311–20.
2. Wolpert HA: Continuous glucose monitor - ing––coming of age. NEJM 363; 2010:
383–4.
GRAFIK
Glykiertes Hb in Abhängigkeit von der Therapie DIABETES MELLITUS TYP 1
Insulinpumpentherapie mit kontinuierlicher Blutzuckerbestimmung
HbA1c-Wert (%)
Monate
Injektionstherapie
Pumpentherapie
modifiziert nach: Bergenstal RM, NEJM 363; 2010: 315