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Archiv "Kleine Migof-Analyse" (26.02.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen FEUILLETON

Phantastische Wucherungen des Organischen, jeder Anatomie spot- tend, überzogen von Farbhäuten eines kupfrigen Violetts bis zu ei- nem Türkis des Verwesens, Schrunden verdeckend, aggressive Tentakeln gebärend, die in Blüten sich verwandeln, denen Blühen und Verwesen eine Einheit sind.

Zertrümmerte Lebensträume bau- meln an Schnüren, farbige Schreie in den torkelnden Raum sendend, wo Erstarrtes und Flüssiges sich ein Collage aus feindlichen Zungen schneidet. Die Allesverwertungs- maschine speit indessen Gift ins Barock der Behäbigkeit, Zerset- zung zu schaffen, eine neue Einheit

Bernard Schultze: „Le Labyrinthe du Baukunst-Galerie Köln

zu schöpfen aus dem Bodensatz der Erfahrungen, den knisternden Vokabeln des Unrats und den Ge- schwürsnarben unserer Seelen.

Soweit einige Assoziationen und Beschreibungsversuche zu den Mi- gofs, jenen Zeichnungen, Gemäl- den und Plastiken von Bernard Schultze, dem Künstler selbst teil- weise rätselhaften Gebilden.

Bernard Schultze, geboren am 31.

Mai 1915 in Schneidemühl (West- preußen), studierte nach dem Ab- itur von 1934 bis 1939 an den Kunsthochschulen in Berlin und Düsseldorf und war danach sechs Jahre als Soldat in Rußland und

Malone", 1962, 190 x 200 x 55 cm, Besitz:

Foto: Jean-Pierre Sudre, Paris

Afrika. Nach dem Krieg malte Schultze, gleichsam im Nachholbe- darf, surrealistisch. 1951 kam er dann zusammen mit Götz, Greis und Kreutz (Gruppe Quadriga) in Paris mit den ersten informellen Arbeiten (Wols, Matthieu, Riopelle) in Berührung. In der Folgezeit kam es zu jener für Schultze noch heute typischen Agglutination der aus dem Surrealismus und dem In- formel gewonnenen Erfahrungen.

Er war auf der II. und III. Documen- ta in Kassel vertreten, erhielt meh- rere Kunstpreise, u. a. 1970 den großen Kunstpreis der Stadt Köln, in der er jetzt lebt.

Seit knapp zwanzig Jahren betitelt Schultze seine Arbeiten als „Mi- gofs". Ein Phantasiename für die Bilder und Plastiken, auf denen beim nur oberflächlichen Hin- schauen ein Chaos beziehungslo- ser Formen und Details herrscht.

Vertieft sich der Betrachter in das Werk, taucht er also in die Sub- strukturen ein, erkennt er die hin- ter der zerbrochenen Oberfläche (das ist bei Schultze ganz real ge- meint) liegende homogene Schicht, die ozeanische Matrix, wo es zu ei- ner schöpferischen Vereinigung der Widersprüche kommt, sich eine vom Chaos zu unterscheidende

Undifferenziertheit findet.

Sie wird erreicht, indem „B. S." mit der Regel bricht, einen Entwurf im voraus anzufertigen, an einer Kon- zeption festzuhalten. Statt dessen setzt er in einem vom Intellekt wei- testgehend unkontrollierten Pri- märprozeß Visionen aus den tief- sten Schichten der Psyche frei — seiner Psyche oder auch unserer aller Psyche im Sinne des kollekti- ven Unbewußten nach C. G. Jung?

Alle sich aufdrängenden Ketten von Machensabläufen werden schon im Gedanklichen zerstört, an ihre Stelle tritt ein labyrinthischer Ablauf von Assoziationen, eine Ad- dition hervorquellender Einfälle.

Immer aber ist der kontrollierende Intellekt bereit, um, je mehr sich

Kleine Migof-Analyse

Hartmut Kraft

606 Heft 9 vom 26. Februar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Kleine Migof-Analyse

der Schaffensprozeß seinem Ende nähert, in einem Sekundärprozeß kontrollierend einzugreifen, das geförderte Material zu ordnen und auch in formaler Hinsicht zu einer Gesamtkomposition zusammenzu- fügen.

Hierin liegt der Unterschied zu der sogenannten psychopathologi- schen Kunst: Bewußtsein und Ich- persönlichkeit werden von Inhalten aus dem Unbewußten überflutet, gehen darin unter, das Material kann nicht wie bei „B. S." in einem Sekundärprozeß (nach dem Pri-

Bernard Schultze: „Mannequin-Migof cadavereux et florissant", 1970, Mate- rialien: eine Schaufensterpuppe, Draht, Plastik, Textil, Öl sowie ein Metall-Tel- ler Foto: Christel Hesse

märprozeß der Gewinnung) bear- beitet und geordnet werden.

Aus dem Neben- und Übereinan- der, den gegenseitigen Überlap- pungen und Verdeckungen heben sich einige Strukturen und Details deutlicher heraus als andere, ohne jedoch eine klare Hierarchie zu bil- den, eher einen vibrierenden Tanz der Akzente. Die abgebildeten Ge- genstände, Körperteile, Tiere, usw.

geben sich nicht bis zur Eindeutig- keit zu erkennen, jedoch engen sie das Assoziationsfeld des Betrach- ters ein, lenken die Gedanken mehr oder weniger in eine Rich- tung. So wird man bei den Arbeiten von Bernard Schultze immer wie- der an Fäulnis und Zerfall, an mor- bide Strukturen, an ein Verblühen erinnert. Manchmal trägt die Phan- tasie den Betrachter bis an den Rand des Ekels, ohne diesen je- doch wirklich auszulösen.

Die Migofs locken und verschrek- ken, sie umgarnen den Betrachter und stoßen ihn im nächsten Mo- ment von sich. Nicht jeder kann die erforderliche Ambiguitätstoleranz aufbringen, um diesen Zwiespalt zu ertragen und gleichzeitig an seiner Bewältigung zu arbeiten. Auf diese Weise schulen die Migofs die Fä- higkeit, Beziehungen zwischen vor- her ungezogenen Erfahrungen zu finden, die sich in der Form neuer Denkschemata als neue Erfahrun- gen, Ideen und Produkte ergeben;

sie fordern also zu einer kreativen Beschäftigung heraus. Ideen und Assoziationen geraten in Fluß, überstürzen sich, werden geprüft, verworfen, neu aufgegriffen und miteinander kombiniert.

Es ist ein Abenteuer, die Migof- schöpfungen nachzuempfinden:

Von einem Detail ausgehend, das Bild oder die Plastik mit den Augen zu erwandern, von Detail zu Detail zu ziehen, den roten Faden aufspü- rend, bis mit zunehmender Kennt- nis des Werkes die freien Valenzen der Phantasie sich zunehmend ver- ringern, vergleichbar den immer geringer werdenden Möglichkeiten des Künstlers gegen Ende des Schaffensprozesses.

Betrachtet man eine größere Zahl von Migofs, sieht die Anklänge an Arme, Beine und sonstige mensch-

liche Körperteile, sieht die Verwen- dung von Schaufensterpuppen als Migof-Grundgerüst, stellt sich die Frage: Wie anthropomorph sind die Migofs? Sind sie Bild gewordene Zeichen der tiefsten Schichten un- seres Unbewußten, oder sind sie Materie gewordene Ängste, sind sie Abbild des heutigen Menschen oder seine Zukunftsvision, sind sie Stätten des Zerfalls oder drohen- des Inferno?

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hartmut Kraft Kapfenbergerstraße 4 5020 Frechen

Konzert

des Ärzteorchesters in Grado

Beim internationalen Fortbil- dungskongreß der Bundes- ärztekammer in Grado (30.

Mai bis 12. Juni 1976) wird das Ärzteorchester am Dienstag, 8. Juni, wieder ein Konzert geben. Es soll dies- mal als ökumenische Feier- stunde gestaltet werden. Alle Teilnehmerinnen und Teil- nehmer an diesem Kongreß mit Familienangehörigen, die ein Instrument spielen kön- nen, sollten dieses mit nach Grado nehmen. Das Ärzteor- chester hat in Grado immer einen großen Anklang gefun- den. Es wäre deshalb sehr wünschenswert, wenn die Mitglieder des Orchesters in diesem Jahr auf eine stattli- che Zahl anwachsen würden.

Wer Lust hat, mitzumachen, der wende sich an Frau An- neliese Druxes, Rosenstraße 1, 4777 Soest. Frau Druxes, die die Proben und das Or- chester leitet, sendet Noten zum Üben. Dr. H. Braun

608 Heft 9 vom 26. Februar 1976 DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT

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