• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Überforderung durch die Schule?: Streß ist nicht so groß" (23.10.1980)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Überforderung durch die Schule?: Streß ist nicht so groß" (23.10.1980)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Aufsätze - Notizen

Schulprobleme

keitsverteilungen der Intelligenz) nicht in seine Überlegungen einbe- ziehen oder gar als unnötig abtun.

Gerade der Autor, als Professor ei- nes Faches, das der naturwissen- schaftlich-mathematischen Metho- dik nahesteht, sollte doch wissen, daß Ausdrücke wie „Spitzengehirn",

„kontinuierliches Wissensgefälle seit der Jahrhundertwende", „der Stamm unserer Lehrer war gesund"

usw. ohne jeden objektiven Wert bei der Lösung schulischer Probleme sind. Ein kurzer Legerbrief mit den Kernsätzen von Professor Güttich hätte gereicht, um sich über die Stimmung in einem Teil der Leser- schaft des DÄ zu informieren. Gera- de bedeutende Vertreter des „Bil- dungsbürgertums" der Jahrhundert- wende, wie der Dichter Paul Heyse (Nobelpreisträger von 1910), haben uns so eindrucksvoll gezeigt, daß das Bewahren gewisser bürgerlicher Ideale (Güttich: „Liebe . . . Ehre und Anstand") geradezu voraussetzt, daß man sich von veralteten Bil- dungsinhalten trennen kann. Mir ist daher klargeworden, daß man nicht die Liberalen und Sozialisten, son- dern gerade die Verfechter bürgerli- cher Ideale vor Prof. Güttich in Schutz nehmen muß...

Professor Dr. med. K. Löffelholz Altkönigblick 10

6239 Eppstein-Bremthal

Polemik

gegen den Fortschritt

Auf inhaltliche Widersprüche des Ar- tikels will ich nur kurz eingehen.

Güttich geht es darum, die Begabten zu fördern. Es gibt, verfolgt man die Geistesgeschichte, kaum ein Bei- spiel, daß die Schule alter oder neu- er Prägung die Genies erkannt oder gefördert hätte. Das Gegenteil ist eher der Fall. Albert Einstein hatte in Mathematik eine Fünf! Die wirklich Begabten sind oft auch die Sensibel- sten, die nicht selten in der Schule leiden oder an ihr scheitern. Wie soll es einer Schule auch gelingen, die Begabung eines Ferdinand Sauer- bruch zu erkennen? Als Schüler war er abgeschrieben, als Chirurg groß- artig in seiner Kreativität. Kein

Schulsystem dieser Welt kann bei einem Zehn- bis Neunzehnjährigen voraussagen, ob er später besonde- re Fähigkeiten entwickeln wird. Ich zitiere: „Man halte sich nicht mit den Lebensgeschichten der neuen deut- schen Nobelpreisträger von Ossietz- ky und Brandt auf." Sind wir bereits so weit, daß wir erklärte Antifaschi- sten mit einer abfälligen Bemerkung abtun dürfen? War nicht nach dem Kriege das Bekenntnis und der Mut solcher Männer der letzte Kredit, den die Deutschen nach zwölf Jah- ren Schreckensherrschaft noch im Ausland hatten? Ist es wieder eine Schande, gegen Hitler und sein Sy- stem gekämpft — und wie Ossietzky — sein Leben gelassen zu haben? Güt- tichs Argumente haben System. Es geht ihm darum, die Prinzipien von Gehorchen, Zucht und Ordnung (S. 214) zu erhalten oder wieder ein- zuführen. Wer sich ihnen widersetzt, dessen Lebensgeschichte zu lesen ist Zeitverschwendung. Noch deutli- cher wird die Menschenverachtung an anderer Stelle. Ich zitiere: „. . sie (die Drogenabhängigen) hindern die Begabten und sind in Schulen unnö- tiger Ballast." (S. 214) (Dazu Wahrig:

Deutsches Wörterbuch: wertlose Fracht ... ). Die Entwertung eines Menschen kann nicht weiter gestei- gert werden. Die Verachtung für Kranke und Schwache, deren sich Ärzte eigentlich anzunehmen haben, kann eindeutiger nicht zum Aus- druck gebracht werden. Ich möchte mich in aller Form von den zitierten Äußerungen des Kollegen Güttich distanzieren und feststellen, daß ich mich durch Artikel dieser Art inner- halb der deutschen Ärzteschaft nicht repräsentiert fühle.

Dr. med. Dieter Becker Eleonore-Sterling-Straße 3 6000 Frankfurt 50

Unqualifizierte Beschimpfungen

Der Artikel des Kollegen Güttich strotzt vor Unterstellungen, falschen Beispielen sowie unqualifizierten Beschimpfungen, so daß es unmög- lich ist, darauf im einzelnen sachlich einzugehen. Offenbar will das der

Verfasser auch nicht: Er ist emotio- nal engagiert und verstrickt sich deshalb in lauter Widersprüche. So sollen z. B. „die Sozialisten" die Be- gabten verdummen (wie macht man das?), doch müßten ihm die extre- men Leistungsforderungen soziali- stischer Staaten bekannt sein. Er stellt Leistungsverfall fest, anderer- seits geht es in der Schule nur mit massiver Hilfe von Müttern. Er be- klagt Nivellierung und Gleichmache- rei, fordert sie aber selbst in Form von kollektivem Drill zu „Zucht und Ordnung". Die Klagen über den Ver- fall der Sitten, Verdorbenheit der Ju- gend und Schuld der schlechten Lehrer sind gut 2000 Jahre alt. Auch Sokrates wurde als „jugendgefähr- dender Lehrer" — nicht nur zu Be- rufsverbot — verurteilt. Nach Güttich sicher auch so ein Sozialist, der das (deutsche!) Volk verderben wollte.

Dr. med. Gerhard G. Kloska Marsdorfer Straße 62 5000 Köln 40

Streß ist nicht so groß

Ich habe nichts gegen Leistung und ihre gerechte Bewertung in der.

Schule, auch halte ich den Streß für nicht so groß, wie er oft dargestellt wird. Im übrigen aber fühle ich mich verpflichtet, das Sammelsurium von Curiosa, gemischt mit unbeweisba- ren Behauptungen und glatten Un- wahrheiten, wenigstens ansatzweise richtigzustellen.

1. Ihre (Güttichs) Behauptungen be- züglich der Lehrer sind z. B. für Stu- dienreferendare (2 Jahre) und Stu- dienräte z. A. (2 bis 5 Jahre) absolut nicht zutreffend. Im Gegensatz zur Situation noch vor zehn Jahren ste- hen heute den Stellenangeboten er- heblich mehr Referendare gegen- über, so daß der Arbeitgeber (Staat) Auswahl treffen kann, und zwar nach fachlichen und pädagogischen Gesichtspunkten. Sie schreiben:

„Als man im vergangenen Jahrhun- dert die Schulpflicht einführte, ge- schah das, um den Kindern eine Grundbildung, die sie später zu Ent- scheidungen befähigen sollte, zu vermitteln." Wissen Sie, Herr Profes-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

2564 Heft 43 vom 23. Oktober 1980

(2)

Aufsätze • Notizen Schulprobleme

sor, daß in Preußen ausgediente Un- teroffiziere Volksschullehrer wur- den, die — selbst nur mit Mühe des Lesens und Schreibens mächtig — die Kinder mit Schlagstock und im Kasernenhofton drillten? Eigene Entscheidungen wurden auf diese Art und Weise jedenfalls nicht geför- dert.

2. Ist es denn wirklich heute noch erstrebenswert, ein Kind in der Schule „zum Gehorchen, zu Zucht und Ordnung" zu erziehen? Das sind doch Ideale des 19. Jahrhun- derts, deren Verfechter ein ganz ein- deutiges politisches Ziel vor Augen hatten, nämlich den Untertanengeist zu produzieren und zu fördern. Hal- ten Sie das in einer Demokratie (und diese bekämpfen Sie doch wohl nicht, Herr Professor!) für die wich- tigste Aufgabe der Schule? Wo blei- ben eigene Entscheidungsfähigkeit, Kritikfähigkeit und soziales Verant- wortungsgefühl? Zur Ordnung wer- den schließlich auch Flöhe im Floh- zirkus gebracht.

3. Auch zu Ihren „Genies" ist etwas zu sagen: Der Geschichtsunterricht ist an Ihnen, Herr Professor, offen- bar ohne Hinterlassung wesentli- cher Spuren vorübergegangen, sonst wüßten Sie, das das „gequälte napoleonische Deutschland" nicht vor 1806 bestand — und zu diesem Zeitpunkt war das von Ihnen er- wähnte Genie Schiller schon ein Jahr tot und das Genie Goethe hatte den „wahrhaft schöpferischen" Le- bensgipfel von 40 Jahren bereits seit 17 Jahren überschritten. Diese bei- den Großen der deutschen Geistes- geschichte würden sich sicher ge- gen die einseitige Würdigung ihres

„Spitzengehirnes" wehren. Zu Recht. Denn wo bleibt bei dem gan- zen Gefasel um die magischen 60 Spitzengehirne eigentlich der Rest- Mensch, der doch Ihren eigenen Worten zufolge „zur Liebe erzogen"

werden soll?

4. Zum Abschluß nur noch Kritik in Stichworten: Forschungsarbeit „läßt man in den USA machen", weil dort die Spitzengehirne nicht in elitären Alleingängen persönliche Lorbeeren verdienen wollen, sondern weil die Forschungsarbeit im Team (engl., zu

deutsch: Gruppe) effektiver ist. Ihr Bild der Frau als Mutter und des Mannes als Verdiener ist unzeitge- mäß und lächerlich. Auch der Vater erzieht, auch die Mutter ist in der Lage, etwas anderes zu tun, als sich dauernd um ihr (wieso eigentlich nur ihr?) Kind zu kümmern. Mutter und Vater gehören dem Kind — und die beiden sind bei ausreichender Hirnfunktion auch fähig, sich die Aufgaben nicht einseitig zu teilen!

Zu der glatten Unverschämtheit, Atomkraftgegner (also auch Profes- sor Dr. Robert Jungk) als Besitzer eines „leistungsschwachen Ge- hirns" zu diffamieren, erübrigt sich wohl jeder Kommentar.

cand. med. Stefanie Knab Am Kaisergraben 17 8950 Kaufbeuren

Zynismus über alles!

Ja, er hat recht! Man muß es den Deutschen sagen, es ihnen immer wieder einhämmern! Wir sind dabei, ein Volk der Dummen zu werden, und das „seit der Jahrhundertwen- de"! Seither siecht Deutschland un- ter dem schleichenden Gift des So- zialismus dahin, ein Schicksal, dem selbst die Zeiten politischen Inge- niums zwischen 1933 und 1945 auf die Dauer keinen Einhalt gebieten konnten. Es kann einen frösteln, wenn man daran denkt, welch geisti- ges Ödland unsere Kinder betreten und daß sogar im freien Unterneh- mertum „ein gut funktionierendes Gehirn heute dort keine echte Zu- kunftsmöglichkeit mehr sieht". Zum Glück läßt uns Kollege Güttich mit unseren Ängsten nicht allein. Nein, noch ist Zeit, das Schlimmste abzu- wenden. Lassen wir uns von unse- ren Güttichen beschirmen, denn ir- gendwann werden ihre Parolen zün- den, wird Deutschland erwachen, werden jene Traditionen wieder le- bendig, die zu verschütten die „Bil- dungsplaner" und ihre „Auftragge- ber" angetreten sind . . .

Dr. med. G. Mehrle

Facharzt für Augenkrankheiten Stuttgarter Straße 54

7120 Bietigheim-Bittingen

Geistiges Kapital mobilisieren

Ich gratuliere Ihnen zu dieser groß- artigen Zuschrift. Hier wird fundiert offengelegt, was sich an unseren weiterbildenden Schulen heute alles tut.

Ihre Meinung ist absolut kein Einzel- fall, den man mit dem üblichen Mehrheitengeschwätz geringschät- zig abtun könnte. Ich meine jenes Geschwätz, das von den angeblich demokratisch legitimierten Refor- mern als sozial verkauft wird. Unser Staat kann nur bestehen, wenn Lei- stung gefordert und auch honoriert wird. Macht man sich die Mühe, hin- ter die geistigen und persönlichen Kulissen jener Schwätzer zu schau- en, dann erlebt man in fast allen Fällen eine herbe Enttäuschung.

Pseudogescheite Formulierungen wirken nur auf die dumme Masse, und diese bringt die Stimmen.

Deshalb meine Frage, wann endlich die durchaus noch vorhandenen Schichten unseres Mittelstandes ihr geistiges Kapital mobilisieren, um zu retten, was noch zu retten ist. Es gibt noch gute Schulen, man müßte sie nur unterstützen, aber das bereitet manchmal Ärger und macht Arbeit.

Dipl.-Ing. Hermann Lied I Hahnhofer Weg 18 8501 Moosbach

Schlußwort

Nun stehe ich mit meinem „schmet- ternden Potenzgeschrei" (Dr. G.

Mehrle) in der nationalsozialisti- schen Ecke. Auch das ist bei uns seit 35 Jahren üblich. Deshalb: 1945 überlebte ich als 24jähriger die Kapi- tulation. Ich war in den 1000 Jahren weder Partei- noch HJ-Mitglied ge- wesen. Das war — bei Ariernachweis

— in jenen Tagen selten. Damals wur- de ich ein Feind des Sozialismus in allen seinen Spielarten.

Fast alle Massentötungen unseres Jahrhunderts fanden im sozialisti- schen Gefolge statt. Es sind 140 Mil-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1980 2565

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ich nehme an, daß das Reste eines gesunden Ge- wissens sind, weil sich die vielen Studiendirektoren, Oberstudienräte und Gymnasialprofessoren darüber klar sind, daß diese Titel

Ich möchte mich in aller Form von den zitierten Äußerungen des Kollegen Güttich distanzieren und feststellen, daß ich mich durch Artikel dieser Art inner- halb der

Auch im Ostblock wird juriert Die Medikinale Marburg Internatio- nal ist nicht der einzige Filmwett- streit der Medizin in der Welt!. In Var- na am Schwarzen Meer wird

Hat nun dieser Aufsatz vorzugsweise zum Zweck, gewisse Angriffe abzuwehren, welche gegen früher veröffentlichte Anschauungen des Herrn Professors über agrare

* 56 » Bericht über die Arbeitstagung der deutschen Orientalisten fältige Beobachtungen gesicherte Gleichzeitigkeit dieser Steinwerkzeuge mit sabäischen Inschriften ist nicht nur

Sie haben geglaubt, Sie seien ein Journalist, und nun entdecken Sie dank des Wartens auf Ihren Arzt, daß Sie das eigentlich gar nicht sind, sondern daß mit ,der Gesell-

Es ist mit einer der größten Stressfaktoren in der Promotion und auch immer wieder später in der wissenschaftlichen Kar- riere: der Druck ein gutes Ergebnis zu

Auch Meer läßt mich eher an nicht auszuweichenden, immer näher herankommende Flu- ten und verrostete Rollstühle denken, deren Felgen unter knirschen- dem Sand ihr