• Keine Ergebnisse gefunden

Die Zukunft ist nicht ohne Risiko zu haben

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Die Zukunft ist nicht ohne Risiko zu haben"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

6

MaxPlanckForschung 2 | 11

BLICKPUNKT

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte des Wagemuts – ohne ihn wäre unsere Spezies wohl kaum so weit gekom- men. Homo sapiens hat seinen Ursprung in Afrika genommen und besiedelt heute die ganze Welt. Dabei müssen wir keine kilome- terlangen Fußmärsche mehr unternehmen – inzwischen ist der Mensch motorisiert un- terwegs, ja, tatsächlich hat er sogar fliegen gelernt. Entdecker- und Erfindergeist haben uns weit gebracht. Wo würden wir heute stehen, hätte es nicht immer wieder Men- schen gegeben, die Neues gewagt, Unvor- stellbares in Angriff genommen haben.

„Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts.“ Wir Deutschen tun uns schwer mit dieser Regel, die der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel so einfach wie prägnant formuliert hat. Das ließ sich nach der Reaktorkata- strophe von Fukushima wieder einmal be- obachten: In der deutschen Medienbericht- erstattung musste man fast den Eindruck gewinnen, nicht das Erdbeben und der Tsu- nami hätten Tausende Opfer gefordert, son- dern das Reaktorunglück. Das Ausland dia- gnostiziert angesichts solcher Reaktionen eine altbekannte Krankheit: die „German Angst“ – die kollektive panische Reaktion auf potenzielle Bedrohungen wie die Schwei- negrippe, einen Vulkanausbruch oder aktu- ell den Krankheitserreger Ehec: Schlagzeilen wie „Todeskeime auf dem Vormarsch“ schü- ren dabei die Angst. Dass in Deutschland al- lein an der normalen Grippe jedes Jahr 8000 bis 11 000 Menschen sterben, bleibt in den Medien hingegen unerwähnt.

Auch Fukushima löste bei uns weit hef- tigere Reaktionen aus als andernorts. Der gerade beschlossenen Laufzeitverlänge- rung der Atomkraftwerke folgt nun die ab- rupte Kehrt-, sprich Energiewende. Auch wenn die Experten der Nationalen Akade- mie davon ausgehen, dass wir in zehn Jah- ren abschalten können, so geben sie doch

zu bedenken, dass wir damit einen kurzfris- tigen CO2-Anstieg in Kauf nehmen. Genau das wollten wir verhindern! Denn um die globale Erwärmung bis Ende des Jahrhun- derts auf maximal zwei Grad zu begrenzen, müssen wir die Kohlendioxidemissionen in den kommenden 40 Jahren halbieren und bis 2100 auf null reduzieren – so die aktuel- len Berechnungen des Max-Planck-Instituts für Meteorologie.

In der eng verwobenen Problematik Energie/Klima sind wir bereit, dem kurzfris- tigen Risiko eines Atomunfalls eine höhere

Priorität einzuräumen als dem langfristigen Risiko der globalen Erwärmung. Der Risiko- forscher Gerd Gigerenzer vom Berliner Max- Planck-Institut für Bildungsforschung er- klärt das wie folgt: „Wir bekommen schnell Angst, wenn viele Menschen auf einmal sterben könnten. Sind hingegen viel mehr Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg in Lebensgefahr, scheint uns das we- niger bedrohlich. Das mag ein Relikt unse- rer Evolutionsgeschichte sein, als Menschen noch in kleinen Horden lebten. Denn beim Tod mehrerer ihrer Mitglieder war schnell das Überleben der ganzen Gruppe in Gefahr.“

Doch in unserem globalen Dorf brau- chen wir andere Denkmuster. Dazu gehört, nicht nur für die kommenden Jahre zu pla- nen, sondern auch die Bedürfnisse unserer Kinder und Enkel zu berücksichtigen. Und wir müssen – gerade in der Energiefrage – die globale Dimension betrachten. Der Be- darf Deutschlands mag mit Einsparungen und dem Ausbau regenerativer Energien in den kommenden Jahren zu decken sein. Foto: Axel Griesch

Die Zukunft ist nicht ohne Risiko zu haben

In unserem globalen Dorf brauchen wir andere Denkmuster

Dieser Beitrag erschien am 9. Juni 2011 im Tagesspiegel.

(2)

2 | 11 MaxPlanckForschung

7

Weltweit sieht das völlig anders aus: Ange- sichts der Entwicklung vor allem in den Schwellenländern wird der Energiebedarf in den kommenden Jahrzehnten weiter steil ansteigen. Nach Berechnungen des interna- tionalen Energy Modeling Forum wird sich allein der Strombedarf bis Ende dieses Jahr- hunderts versechsfachen. Wollte man die- sen Zuwachs mit Sonnen- oder Windener- gie decken, müsste man in den nächsten 90 Jahren jeden Tag 25 große solarthermische Kraftwerke bauen – oder alle zehn Minuten ein Windrad.

Seien wir ehrlich: Unsere bisherigen Möglichkeiten greifen zu kurz. Um über- haupt die Voraussetzungen für eine nach- haltige Energieversorgung bis zum Jahr 2100 zu schaffen, brauchen wir eine For- schungsoffensive, die völlig neuen Techno- logien einen Weg bahnt. Und dabei ist ein langer Atem gefragt. Beispiel: Am Max- Planck-Institut für Plasmaphysik forschen Wissenschaftler daran, die wissenschaftli- chen und technischen Hürden für Fusions- kraftwerke zu überwinden. Damit ließen

sich große Mengen Strom klimaneutral, Ressourcen schonend und sicher produzie- ren. 2050 könnte dieses Ziel erreicht sein, al- lerdings nur, wenn Deutschland und Europa massiv in die Fusionsforschung investieren.

Biokraftstoffe könnten zukünftig aus Li- gnozellulose gewonnen werden, dem Grund- baustein von Stroh, Holz und vielen Pflan- zenabfällen, und würden damit nicht mehr mit der Erzeugung wichtiger Nahrungs- pflanzen wie Getreide, Mais und Zuckerrohr konkurrieren. Fortschritte in der Biotechno-

logie könnten es ermöglichen, Mikroorga- nismen herzustellen, die den in der Ligno- zellulose gespeicherten Zucker in Ethanol umwandeln. Auf diese Weise könnten wir wirklich nachhaltigen Biosprit erzeugen.

Zentral für die Energieversorgung der Zukunft sind auch neue Energiespeicher und natürlich die Bindung von Kohlendioxid. Die zugrunde liegenden chemischen Reaktio- nen lassen sich großtechnisch bislang kaum beherrschen. Die Max-Planck-Gesellschaft baut daher ihre Aktivitäten in diesem Be- reich in einem Max-Planck-Institut für che- mische Energiekonversion aus. Die Forscher dort werden vor allem untersuchen, auf wel- che Weise elektrischer Strom oder Sonnen- licht in speicherbare Energieträger, wie Me- than und Methanol, umgewandelt werden können. Wenn das gelingt, können wir uns neue Leitungsnetze, Elektrotankstellen etc.

sparen und einfach auf die bereits vorhande- ne Logistik, wie Gasleitungen und Tankstel- len, zurückgreifen. Volkswirtschaftlich wäre das ein immenser Gewinn.

Grundlagenforschung liefert – das zei- gen diese Beispiele – neue Technologieplatt- formen. Je technologisch fortgeschrittener ein Land ist, umso mehr sollte seine Regie- rung deshalb in die Grundlagenforschung investieren. Und da man Steuergeld nur ein- mal ausgeben kann, sollten wir uns hüten, damit die Produktion industrieller Güter zu subventionieren. Kurzfristig betrachtet, mag uns das einen Startvorteil bescheren, doch langfristig ist dieser Weg eben nicht geeignet, will man an der Spitze des tech- nologischen Fortschritts marschieren.

Die Zukunft liegt also auf der Hand – es gilt, die richtigen Prioritäten zu setzen: In den 1980er-Jahren hat Deutschland die Aus- gaben für Energieforschung stark zurückge- fahren und in den vergangenen 20 Jahren auf niedrigem Niveau belassen. Während 1982 noch knapp 1,5 Milliarden Euro in die- sen Bereich flossen, waren es 15 Jahre später

nur noch gut 400 Millionen Euro im Jahr.

Zum Vergleich: Für Kohlesubventionen hat die Bundesrepublik zwischen 1997 und 2006 fast neunmal so viel Geld ausgegeben wie für Energieforschung.

Auch das Votum der Deutschen fällt nicht uneingeschränkt zugunsten der For- schung aus. Eine jüngst von der Frankfur- ter Allgemeinen Zeitung in Auftrag gege-

bene Allensbach-Umfrage stellt fest, dass zwei Drittel der Befragten Forschungsrich- tungen verbieten möchten, wenn daraus ge- fährliche Ergebnisse hervorgehen können.

Dieser Befund ist alarmierend, denn er zeigt, dass ein großer Teil der Gesellschaft Nicht- wissen dem Wissen vorzieht. Mit der Einstel- lung „Innovationen ja, aber bitte keine Risi- ken!“ wagen wir Wohlstandsbürger daher besonders viel. Denn hinter unseren jetzigen Lebensstandard will ja keiner zurück! Und bei der Frage, ob man eher Geld für den wis- senschaftlichen Fortschritt oder für die Ver- besserung der sozialen Sicherheit ausgeben soll, will nur weniger als ein Drittel im Zwei- fel lieber den wissenschaftlichen Fortschritt fördern. Auch das ist nicht sehr mutig – und greift darüber hinaus schlicht zu kurz. Denn unsere soziale Sicherheit fußt auf dem wirt- schaftlichen Wohlstand, und der wiederum resultiert wesentlich aus dem Wissen und den Innovationen, die wir heute generieren.

Peter Gruss,

Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss,

Grundlagenforschung liefert neue

Technologieplattformen

Unser Wohlstand fußt auf Wissen und

Innovationen

PETER GRUSS

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Agroscope leistet einen bedeutenden Beitrag für eine nachhaltige Land- und Ernährungs- wirtschaft sowie eine intakte Umwelt und trägt damit zur Verbesserung der Lebensqua- lität

Schulz warnt vor der hierzulade typischen Einstellung: „Der in Deutschland so ausgeprägte Zukunftspessimismus ist auf Dauer eine gefährliche Hal- tung: Um wirklich voranzukommen,

Die ersten PTA waren übrigens sehr viele Apothe- kenhelferinnen, die in dieser Ausbil- dung eine Chance sahen, sich beruf- lich weiterzuentwickeln..

Aber auch die PTA haben in dieser Zeit den Wandel im Gesundheitswe- sen mitgetragen und ihr Tätigkeits- feld hat sich in den vergangenen Jahren sehr geändert.. Das Berufsge- setz

5.2 Probleme mit der Beurteilung mittels Beurteilungssystem 116 5.3 Erkenntnisse aus der empirischen Forschung 117 5.4 Der praktische Nutzen von Vorlesungsbeurteilungen

So haben die Minister, um Einigkeit zu demonstrieren, nicht über einen Vorschlag der am wenigsten entwickelten Länder abgestimmt, der unter anderem auf speziellen Marktzugang für

16 Insofern ist eine Reduzierung der Investitions risiken (das sogenannte „Derisking“) entscheidend für die Beschaffung der notwendigen Investitionen aus dem Privatsektor für

 Kraftwerke der KMW werden in Folge der Energiewende nur noch strommarktgeführt betrieben und können nicht mehr als Reserve für das Hochspannungsnetz berücksichtigt werden..