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ollte es Gottes Wille sein, dass 70 Prozent der Zellen nicht geboren werden?“ fragte der Berliner Theo- logieprofessor Richard Schröder pro- vozierend die 120 Delegierten, die auf der Synode der Evangelischen Kir- che in Deutschland (EKD) im Ostsee- bad Timmendorfer Strand das diesjäh- rige Schwerpunktthema „Was ist der Mensch?“ behandelten. „Und werden wir irgendwann kaum nachweisbare Zellen beerdigen?“ Solche absurden Fragen möchte er sich auch in Zukunft nicht stellen. Schröder sprach sich vor dem höchsten „gesetzgebenden“ Gremi- um der EKD, das 26,6 Millionen evange- lische Christen in Deutschland vertritt, für einen gestuften Embryonenschutz aus. Zwar gehe jeder Mensch aus einer befruchteten Eizelle hervor, fügte er hin- zu, aber nicht aus jeder befruchteten Ei- zelle werde ein Mensch. Dagegen warnte Wolfgang Huber, Bischof in Berlin- Brandenburg und Mitglied im Nationa- len Ethikrat, in der Diskussion über den vorbereiteten Entwurf davor, aus dem Abgehen natürlich gezeugter Zellen auf bioethische Grundsätze zu schließen, und forderte, „gerade die Beziehung zu dem Wesen, das wir in der Petrischale herstellen, sehr ernst zu nehmen“.Ethischer Fundamentaldissens, der die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens berührt, oder Aus- druck des Pluralismus, wie er innerhalb der Kirche akzeptiert werden kann?
Die Protestanten sind sich in der Be- urteilung des schwelenden Konfliktes selbst nicht einig. Im Eingangsreferat hatte sich Wilfried Härle,Theologiepro- fessor in Heidelberg und als Experte an der „Kundgebung“ genannten Stellung- nahme beteiligt, eindeutig für den Schutz des beginnenden Lebens von
der Befruchtung an ausgesprochen und damit die Diskussion angestoßen. „In diesem Prozess der Entwicklung als Mensch gibt es keine Zäsur, an der aus einem bloßen Zellhaufen erst ein Mensch würde“, betonte Härle.
Aber auf bioethische Fragen wollten die Synodalen ihr Schwerpunktthema nicht reduzieren.Anregen ließen sich die Kirchenparlamentarier für ihre Diskus- sion von der Mei-
nungsforscherin Renate Köcher.
Die Leiterin des Instituts für De- moskopie Allens- bach brachte eine nüchterne Analyse heutiger Einstel- lungen, Wünsche und Ängste. Der Mensch denke in individuellen Ko- sten-Nutzen-Kate- gorien, nicht so sehr in ethischen
Dimensionen, konstatierte sie. Eine tie- fer gehende Auseinandersetzung mit ethischen oder religiösen Themen fände nicht statt, und wenn, dann nur in eng begrenzten Zirkeln. Vielmehr meinten die Bürger, dass der medizinische Fort- schritt in den nächsten Jahren bahnbre- chende Erfolge zeitigen werde. „Wenn ein gravierender Nutzen zu erwarten ist, zum Beispiel Erfolge bei der Bekämp- fung schwerer Krankheiten, dann wiegt das für die meisten schwerer als andere Bedenken“, sagte die Meinungsforsche- rin. So plädierten laut Köcher knapp zwei Drittel dafür, die Forschung zu for- cieren, bei der Eingriffe in die Erbanla- gen zur Bekämpfung von Erbkrankhei- ten vorgenommen werden.
In der dann folgenden Debatte zeigte sich, wie schwer fassbar das Thema ist.
Letztlich verabschiedeten die Synodalen mit großer Mehrheit ein Papier, das phi- losophisch und theologisch fundiert be- sonders auf den Schutz der Menschen- würde abhebt. Ob in der Forschung, im Zusammenleben, bei der Pflege, bei Be- hinderten oder im Wirtschaftsleben, die EKD sieht derzeit in vielen Lebensberei- chen die Würde des Menschen gefährdet.
Zwar bejaht die Erklärung aus- drücklich medizinische Forschung, die der Minderung oder Vermeidung von unnötigem Leiden, der Suche nach neuen Heilungsmöglichkeiten und der Verbesserung der menschlichen Le- bensqualität dienen könnten, lehnt aber alle Methoden der Forschung oder Therapie ab, „durch die Menschen bloß als Mittel für die Heilungschancen anderer gebraucht werden“. Verän- dernde Eingriffe in das Erbgut des Menschen dürfe es nicht geben.
Menschen mit Be- hinderung müssten auch in Zukunft einen anerkannten Platz in der Gesellschaft ha- ben, fordern die Synodalen. Anlass zu großer Besorgnis gibt ihnen, dass eine auf- grund von vorge- burtlicher Diagnostik festgestellte Behin- derung inzwischen fast selbstverständlich zum Grund für einen Schwangerschaftsab- bruch werde. Die Erklärung spricht sich dezidiert gegen Schritte in Richtung auf eugenische Selektion – etwa aufgrund einer Präimplantationsdiagnostik – aus.
Ein klares Nein zu niederländischen Verhältnissen bringt das Papier in Sa- chen Sterbehilfe. Hospizbewegung und Palliativmedizin sollten unterstützt und gefördert werden. „Dazu gehört auch die ärztliche Weisheit, die erkennt, wann es geboten ist, im Einvernehmen mit Patienten und Angehörigen auf medizinisch noch mögliche Maßnah- men zur Lebensverlängerung zu ver- zichten“, so die Erklärung. Die strittige Frage, wann das Menschsein und damit die Schutzwürdigkeit beginnt, lässt der Text offen. Dorthe Kieckbusch P O L I T I K
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A3066 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4615. November 2002
EKD-Erklärung „Was ist der Mensch?“
Das Wesen in der
Petrischale ernst nehmen
Die Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands legt eine Erklärung vor. Umstritten bleibt nach wie vor die Frage des Embryonenschutzes.
Wilfried Härle sprach sich für den Schutz des beginnenden Lebens von der Befruch- tung an aus. Foto: epd-bild