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Archiv "Russisches Gesundheitssystem: Mit Fallpauschalen aus der Krise?" (27.12.2010)

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A 2552 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 51–52

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27. Dezember 2010

RUSSISCHES GESUNDHEITSSYSTEM

Mit Fallpauschalen aus der Krise?

Die russische Regierung will das Gesundheitssystem reformieren.

Vor allem in den Krankenhäusern liegt einiges im Argen. Viele sind alt und baufällig, Stellen von Ärzten und Pflegekräften bleiben unbesetzt.

E

rneut bemüht sich die russi- sche Regierung, das Gesund- heitswesen nachhaltig zu reformie- ren. Das ist dringend nötig, denn das System krankt an unzureichen- den Strukturen und einer misera- blen Finanzausstattung. Zwar si- chert die Verfassung den 142 Mil- lionen Bürgerinnen und Bürgern der Russischen Föderation das Recht auf eine kostenlose medizini- sche Versorgung, die im Rahmen einer Pflichtversicherung geleistet wird. De facto handelt es sich aber eher um eine löchrige Hülse, so dass die steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen nur unzurei- chend befriedigt werden kann.

Während es Anfang der 1990er Jahre zunächst ernstzunehmende Bestrebungen nach einer weitgehen- den Liberalisierung und Privatisie- rung des Gesundheitswesens gab, er- lahmten diese relativ schnell. Statt- dessen wurde 1993 der sogenannte Fonds der obligatorischen Kranken- versicherung (FOMS) gegründet, eine staatliche Einrichtung, die al - lerdings außerhalb des regulären Staatshaushalts budgetiert wird. Ge-

speist wird das System durch Ver - sicherungsbeiträge der Arbeitgeber, durch staatliche Haushaltsmittel und sonstige Einnahmen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer priva- ten Zusatzversicherung, die die Ar- beitgeber häufig im Rahmen eines Sozialpakets für ihre Mitarbeiter ab- schließen.

Viele Patienten resignieren Trotz vieler Reformansätze in den vergangenen Jahren blieben die Grundstrukturen des Gesundheits- systems seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend erhal- ten – und damit zahlreiche Mängel und Defizite: lange Wartezeiten, ei- ne veraltete Technik, eine unbefrie- digende Versorgung mit Arzneimit- teln und ein Mangel an Personal.

Angesichts dieser Umstände scheinen viele Patienten zu resignie- ren. So suchen bei einer Erkrankung nach einer Umfrage des Meinungs- forschungsinstituts WZIOM vom April 2009 lediglich 51 Prozent der Befragten eine staatliche, kosten- freie Gesundheitseinrichtung auf, acht Prozent gehen direkt in eine pri-

vate Klinik, und 33 Prozent versu- chen es mit Selbstheilung. Entspre- chend schlecht sind im internationa- len Vergleich die Morbiditäts- und Mortalitätsziffern. Die Lebenserwar- tung beträgt bei Frauen 67 Jahre und bei Männern 61 Jahre. Sie liegt da- mit deutlich unter dem Durchschnitt in der Europäischen Union. Dagegen liegt die Säuglingssterblichkeit je 1 000 Lebendgeburten bei elf und damit erheblich höher als in west - europäischen Ländern (Deutschland 3,9). Auch lange überwunden ge- glaubte Krankheiten sind in Russ- land wieder weit verbreitet. 2006 wurden je 88 000 Erkrankungen mit Syphilis und Tripper sowie 102 000 Fälle von Tuberkulose registriert.

Besonders prekär scheint die Si- tuation in den russischen Kranken- häusern zu sein. Selbst in Moskau seien, erläutert der Geschäftsführer eines deutschen Medizintechnikher - stellers, zwei Drittel aller Kliniken in einem „unterirdischen“ Zustand:

alt, nicht selten baufällig und von in- ternationalen Hygienestandards weit entfernt. Ausländischen Medizinern zufolge sind in vielen Einrichtungen weder Desinfektionsmittel noch Ein- weghandschuhe noch Gesichtsmas- ken ausreichend vorhanden. Zudem fehlen Ultraschall-, Dialyse- und EKG-Geräte, CT und MRT sind Aus- nahmen, Krankenzimmer mit vier bis zehn Betten dagegen die Regel.

Jede zweite Arztstelle in Kran- kenhäusern ist laut Expertenberich- ten nicht besetzt. Die vorhandenen Ärzte und Pflegekräfte gehören nach wie vor zu den am schlechtes- ten bezahlten Berufsgruppen. Von daher können Berichte über Ärzte, die erst dann zum wirksamen Arz- neimittel, zum Skalpell oder zum feineren Faden greifen, wenn eine

„Spende“ des Patienten oder seiner Angehörigen geleistet wird, nicht wirklich verwundern.

Chefsache:

Premierminister Wladimir Putin, hier beim Besuch des Re- gionalkrankenhauses

von Iwanowo, will das Gesundheits -

system finanziell besser ausstatten.

Foto: action press

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 51–52

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27. Dezember 2010 A 2553 Im internationalen Vergleich

weist der Krankenhausbereich eine hohe Bettendichte auf, wobei viele Betten von älteren, chronisch kran- ken Patienten belegt sind, mit ent- sprechend langen Verweildauern.

Im Durchschnitt liegt diese bei 13 Tagen im Vergleich zu sechs bis acht Tagen in anderen europäischen Ländern. Die Finanzierung der Krankenhausleistungen erfolgt über die wirtschaftlich unterschiedlich starken lokalen und regionalen Re- gierungen und ist weitgehend ab- hängig von deren Steuereinnahmen.

Nach Aussagen der deutschen Han- delskammer in Moskau sind diese im Jahr 2009 zum Teil drastisch eingebrochen.

Erfahrungen aus Deutschland Kann die Einführung eines DRG (Diagnosis Related Groups)-Sys- tems dabei helfen, die enormen Pro- bleme der russischen Krankenhäuser zu lösen? Mit dieser Frage beschäf- tigten sich kürzlich auf einem Strate- gie-Workshop in Moskau zahlreiche russische Ärzte, Krankenhausdirek- toren und Politiker sowie deutsche und türkische DRG-Experten. Ein- geladen hatte der mit dem Deut- schen Bundesrat vergleichbare Rus- sische Föderationsrat.

Grundsätzlich neu ist die Thema- tik in Russland nicht, da sich Exper- tengruppen in verschiedenen Re- gionen, allen voran Irkutsk, bereits seit einigen Jahren damit auseinan- dersetzen. Über die deutschen Er- fahrungen sprach Rudolf Henke.

Die deutsche Ärzteschaft, sagte der Marburger-Bund-Vorsitzende, habe den Prozess der Entwicklung und Einführung des Fallpauschalensys- tems von Anfang an intensiv, kri- tisch, letztlich aber auch konstruk- tiv begleitet. Insbesondere habe man darauf hingewiesen, dass ein mehrjähriger Einführungsprozess mit kontinuierlichen Korrektur- möglichkeiten zwingend notwendig sei und eine 100-prozentige Finan- zierung aller Leistungen durch Fall- pauschalen dem komplexen Leis- tungsspektrum nicht gerecht werde.

Gemessen an den von der Politik formulierten Zielen seien eine Ver- kürzung der Verweildauer und eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit

sowie eine erhöhte Transparenz der Krankenhausleistungen erreicht wor- den. Verfehlt wurde nach Ansicht von Henke das Ziel einer nach - haltigen Kostensenkung. Ob es zu der gewünschten Qualitätsverbes- serung oder im Gegenteil eher zu einer Verschlechterung der Qualität gekommen sei, lasse sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen.

Negativ zu Buche schlägt Henke zufolge die hohe Arbeitsbelastung für Ärzte und Pflegepersonal auf- grund kürzerer Verweildauern und steigender Patientenzahlen, des ho- hen Dokumentations- und Bürokra- tieaufwands sowie des steigenden ökonomischen Drucks. Insgesamt ge- be es jedoch inzwischen eine relativ hohe Akzeptanz des Systems.

Die russischen Workshop-Teil- nehmer sahen als Stärken des DRG- Systems eine realistischere Darstel- lung der tatsächlichen Kostensitua- tion einzelner Krankenhäuser, einen möglichen Bettenabbau, eine Stei-

gerung der Zufriedenheit des Perso- nals und eine höhere Transparenz.

Gefahren sah man darin, dass das Prinzip „gleiches Geld für gleiche Leistung“ angesichts der unter- schiedlichen Ausgangssituation der Krankenhäuser mit Blick auf die Personalausstattung und Infrastruk- tur zum Bankrott vieler Häuser füh- ren könnte. Intensiv diskutiert wur- de auch die Problematik einer zu- nehmenden Bürokratisierung, die Anfälligkeit des Systems für Mani- pulationen sowie die Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung.

Letztlich bestand Konsens darüber, dass zunächst mehr Medizintech- nik, mehr Personal und mehr Geld in das System fließen müssen, be- vor ein neues Abrechnungssystem eingeführt werden kann.

Darüber hinaus gibt es allerdings keinen Zweifel an der Entschlos- senheit der russischen Regierung, das Gesundheitssystem zu refor- mieren und finanziell besser auszu-

statten. So ist das im Jahr 2005 ge- startete nationale Projekt „Gesund- heit“ zur Chefsache geworden. Im April dieses Jahres konstatierte Pre- mierminister Wladimir Putin im Rahmen seines Rechenschaftsbe- richts vor dem russischen Parla- ment, dass sich das Gesundheits- system in einem „miserablen Zu- stand“ befinde und Russland ein ef- fizientes Gesundheitssystem nur bei einer entsprechenden Finanz- ausstattung verwirklichen könne.

Seit 2006 fließen jährlich zwei bis drei Milliarden Euro zusätzlich in das Gesundheitssystem. Damit sollen unter anderem Hightechzen- tren für Onkologie und Immuno - logie sowie 22 regionale Peri - natalzentren errichtet werden. Ein deutsches Unternehmen erhielt den Auftrag für den Bau von 14 Spezial kliniken für Neurochirurgie, Kardiologie und Traumatologie.

Anlässlich seines Besuchs in ei- nem der neuen Perinatalzentren in

der Region Tver machte Putin – wie man seiner Website entnehmen kann – aber auch deutlich, wel- che Hindernisse es für die geplante Entwicklung weiterhin gibt: Die Arbei- ten werden nicht nach Zeitplan ausgeführt und sind nicht immer ordnungsgemäß organisiert.

Zudem gibt es offenbar Schwierig- keiten mit der Kofinanzierung durch die Regionen, die den verabredeten Anteil von 50 Prozent nicht oder nur unzureichend beisteuern.

Mehr Geld für die Versorgung Um den Umgestaltungsprozess des Gesundheitswesens zu beschleuni- gen, ist nunmehr vorgesehen, das System der Krankenversicherung umfangreich zu reformieren und weitere Finanzmittel in Höhe von zwölf Milliarden Euro für die nächs- ten zwei bis drei Jahre bereitzustel- len. Die Gelder sollen zum Teil durch eine Erhöhung des Arbeitge- berbeitrags zur Pflichtversicherung von 3,1 auf 5,1 Prozent aufgebracht werden. Unter vielen anderen Punk- ten steht dabei auch eine bessere Entlohnung für Ärztinnen und Ärzte

auf dem Programm. ■

Dr. Magdalena Benemann

Das Ziel, die Kosten durch die Einführung der DRGs nachhaltig zu senken, wurde verfehlt.

Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes

T H E M E N D E R Z E I T

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