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Archiv "Klinik und Therapie des Morbus Wilson (hepatozerebrale Degeneration)" (16.06.1977)

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 24 vom 16. Juni 1977

Die klinische Symptomatik des Morbus Wilson (Kupfer- speicherkrankheit) bestim- men hepatische, hämatologi- sche, endokrinelogische mehr bei Kindern- sowie neu- rologische und psychiatrische Erscheinungsbilder- häufiger bei Erwachsenen. Die frühzei- tige Diagnose bei präsympto- matischen Fällen ist deshalb anzustreben, weil die Thera- pie mit D-Penicillamin - trotz ihrer Risiken --die Lebensaus- sichten deutlich verbessert.

Klinik und Therapie des Morbus Wilson

(hepatozerebrale Degeneration)

Manfred Mörl und Waldtraud Küntzel

Aus der Stoffwechselklinik der Landesversicherungsanstalt Würt- temberg, Bad Mergentheim

(Leitender Arzt: Professor Dr. med. Leo Wannagat)

Der Morbus Wilson stellt eine chro- nische Kupferintoxikation des Orga- nismus dar, die zu einer exzessiven Kupferspeicherung in der Leber, später nach Überschreiten des Spei- chermaximums zu einer Beteiligung anderer Organsysteme führt. Die Stoffwechselerkrankung wird auto- somal rezessiv vererbt. Sie kommt ausschließlich bei homozygoten Merkmalsträgern vor, die je ein de- fektes Allel der normal vorhandenen Kupferbilanz-Gene beider Elterntei- le geerbt haben. Nach Schätzungen von Sternlieb und Scheinberg dürfte die Krankheit in den USA einmal un- ter 100 000 bis 200 000 Einwohnern vorkommen.

Ätiologie und Pathogenese Die intestinale Resorption von Kup- fer erfolgt bei Normalpersonen, he- terozygoten und homozygoten Merkmalsträgern in gleichem Aus- maß. Der entscheidende Defekt beim Morbus Wilson ist praktisch der fehlende Einbau des Kupfers in das Polypeptid Zäruloplasmin, das Enzymeigenschaften hat und des- sen biologische Funktionen noch nicht ganz aufgeklärt sind. Zärulo- plasmin ist elektrophoretisch in mehrere Fraktionen auftrennbar, von denen wahrscheinlich nur eine für den Kupfereinbau zuständig ist.

Das nicht einzubauende Kupfer wird in immer größer werdendem Über- schuß in den Hepatozyten gespei- chert und führt im Laufe eines jahre- langen, klinisch oft stummen La- tenzstadiums zu Verfettung und Fettleber, periportaler Fibrose, chro- nischer Hepatitis und schließlich Le- berzirrhose. Nach Erschöpfung der Speicherkapazität der Leber wird der Organismus mit Kupfer über- schwemmt. Die ausufernde Kupfer- speicherung setzt sich in folgenden Organen und Organsystemen fest:

..,.. Zentralnervensystem (Corpus striatum, Putamen, Globus pallidus, Cerebellum)

..,.. Kornea (Kayser-Fieischerscher Ring)

..,.. Niere

..,.. Myokard (in geringerem Maße).

Klinisches Bild

Die angeborene Krankheit wird frü- hestens im Kindes- oder Jugendli- chenalter manifest, nie vor dem 6.

Lebensjahr, nur ausnahmsweise nach dem 50. Lebensjahr. Zu Beginn der klinischen Manifestation fallen bei Kindern meistens hepatische Symptome auf, bei Erwachsenen da-

1587

(2)

(d)

60.000 -

Morbus Wilson

Pat W.K., e, 39J.

3

2

F-71 Hepatische Neurologische

Psychiatrische Nen Hämatologische

Renale

Endokrinologische

10 15 20 25 30 35 40

Alter

Darstellung 1:

Häufigkeit organbezogener Symptome bei 155 Patienten mit Morbus Wilson. Aus Sternlieb, I. (3)

15

cio

c 5

80.000

(c) (e)

(b)

Thrombocyten /mni(d)

(c)

• • •111

ll zwo es • "

• •

Bilirubin mg/100 ml (b)

4 4

Kupferpg/100 ml (a)

1975 1976

• • ••• • • •

PTZ %

Darstellung 2:

Konstellation der Laborwerte bei 39jährigem Patienten mit grobknotiger Wilson-Zirrhose (derselbe Patient wie Abbildung 2) 40.000-

20.000-

1974 1973

100-100.

90- 90.

80- 80- 70, 70

.

60- 60

.

50 50

-

40- 40.

30- 30•

20. 20.

10. 10-

BI • • •

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin.

Morbus Wilson

gegen neurologische und psychia- trische Symptome. Darstellung 1 zeigt in einer Übersicht die vielfälti- ge klinische Symptomatik in Abhän- gigkeit vom Lebensalter. Bei Kin- dern wird zuerst eine akute oder chronische Lebererkrankung faß- bar, meistens unter der Maske einer

infektiösen Hepatitis, eines Pfeiffer- schen Drüsenfiebers oder einer ju- venilen Zirrhose mit Splenomegalie

und Ösophagusvarizen. Häufige, in die Irre führende Komplikationen sind: Hämolytische Krisen und ful- minante Hepatitis bis zum Leberzer- fallskoma.

Bei Jugendlichen und bei Erwachse- nen bis zum 5. Dezennium treten stärker die neurologischen Sympto- me hervor: Sprach- und Schriftstö- rungen, Intentionstremor, Rigidität, Störungen der Mimik und des Schluckens, vermehrter oder ver- minderter Speichelfluß. Die mannig-

1588 Heft 24 vom 16. Juni 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 1: Kayser-Fleischerscher Kornealring (Universitätsaugenklinik Er- langen, Direktor: Professor Dr. med. Schreck)

Abbildung 2: Laparoskopisches Bild des rechten Leberlappens (derselbe Pa- tient wie Darstellung 2). Bildmitte: grobknotige Leberzirrhose mit blau getön- ten Regeneratknoten. Links: große atonische, steinfreie Gallenblase. Rechts:

Insertion des stark vaskularisierten Ligamentum teres hepatis an der Leber- pforte mit rekanafisierter Nabelvene (Cruveillhier-Baumgarten-Syndrom)

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faltige psychiatrische Symptomatik ist mitunter die Ursache dafür, daß die Diagnose Morbus Wilson zu sel- ten oder zu spät gestellt wird. Sie kann in Verwirrtheitszuständen, We- sensänderungen, Leistungsversa- gen, Affektausbrüchen bis zu kata- tonen Psychosen, Euphorie und De- menz bestehen.

Die Beteiligung der Nieren verläuft unter dem Bild der akuten Glomeru- lonephritis. Sie führt in fortgeschrit- tenen Fällen zur gesteigerten rena- len Ausscheidung von Aminosäuren, Harnsäure, Phosphat, Kalzium und Glukose.

Als besonderes Charakteristikum gilt der Kayser-Fleischersche Korne- alring (feinkörnige gold-grünliche Kupferablagerung in der Descemet- schen Membran), der nur mit der Spaltlampe zuverlässig erkennbar ist (Abbildung 1). Weniger häufig ist eine Sonnenblumenkatarakt.

Diagnose

Richtunggebend beziehungsweise beweisend sind nach Sternlieb für die Diagnose des Morbus Wilson fol- gende Kriterien:

• Nachweis des Kayser-Fleischer- schen Kornealringes mit der Spalt- lampe.

O Erniedrigung des Zäruloplasmin- spiegels im Serum auf weniger als 20 mg-% (Normalwert 25-45 mg-%).

Nur ausnahmsweise sind einige Fälle von Morbus Wilson mit norma- lem Zäruloplasminspiegel gefunden worden, bei denen eine Erniedri- gung der für den Kupfereinbau maß- geblichen Fraktion angenommen wird.

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Erhöhung des Kupfergehaltes auf 100-3000 µg/Gramm Trocken- gewicht der Leber (Normalwert we- niger als 50 µg/Gramm Leber).

• Erhöhung der Harnkupferaus- scheidung auf mehr als 100 ilg/24 Stunden nach Belastung mit 0,9 g D- Penicillamin (Normalwert weniger als 30 !Ig/24 Stunden).

Ein typisches klinisches Beispiel zeigt Darstellung 2 (Serumkupfer- Spiegel 53 Gamma-%, Zäruloplas- minspiegel 2,1 mg-%, Kupferaus- scheidung im Urin nach Belastung mit 0,9 g D-Penicillamin 2,91 mg/24 Stunden).

Die Indikation zur Laparoskopie sollte breit gestellt werden. Früh-

und Zwischenstadien zeigen die ge- läufigen Befunde von Fettleber und chronischer Hepatitis mit fortschrei- tender Umbautendenz. Spätstadien zeigen eine komplette klein- oder grobknotige Zirrhose mit auffälliger blauer Scheckung der Leberoberflä- che, die auf den Regeneratknoten betont hervortritt (Abbildung 2). Auf Grund der meist langsamen Progre-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 24 vom 16. Juni 1977 1589

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Tabelle 1: Wirkungen des D- Penicillamin (nach Sternlieb)

O Chelatbildung mit Schwer- metallen

• Spaltung von Makroglobu- linen

O Stabilisierung von Lysoso- men (in vitro)

O Hemmung der Kollagena- sen (?)

• Zysteinantagonismus

• Wachstumshemmung mancher tierischen Tumoren

Tabelle 2: Mögliche Neben- wirkungen des D-Penicill- amin (in Anlehnung an Sternlieb)

Gastrointestinale Unverträg- lichkeit

Hypo- und Ageusie

Thrombopenie, Leukopenie Hautsymptome (Exantheme, Bullae, Elastosis perforans serpiginosa, Aphthen, Gingivi- tis, Vulva-Ulzerationen) Nephrotisches Syndrom Goodpasture-Syndrom Lupus erythematodes syste- micus

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Morbus Wilson

dienz der Krankheit entstehen recht regelmäßig angeordnete Regenerat- knoten von oft halbkugeliger Gestalt.

Differentialdiagnose

Bei langfristig bestehender Cholo- stase aus verschiedener Ursache (Medikamente, Alkohol) und bei pri- mären und sekundären biliären Zir- rhosen können ein Kayser-Flei- scherscher Kornealring, eine Erhö- hung des Kupfergehaltes der Leber und eine erhöhte Harnkupferaus- scheidung vorliegen. Der histoche- mische Nachweis von Kupfer im Le- berpunktat ist unzuverlässig, besser eignet sich die Atomabsorptions- spektralfotometrie für eine quantita- tive Bestimmung, die auch nach- träglich in formalinfixierten Präpara- ten möglich ist.

Besonders wertvoll ist der Nachweis von Mallory bodies, die nur bei weni- gen anderen Leberkrankheiten zu beobachten sind (primäre biliäre Zirrhose, Alkoholschäden, Eiweiß- mangelzirrhosen in Indien). Typi- sche lichtmikroskopische Hinweise für Morbus Wilson sind nicht be- kannt. Entscheidende Hinweise gibt die Elektronenmikroskopie, die überdies einen Behandlungserfolg in vielen Fällen nachzuweisen vermag.

Für alle Grenzfälle bieten sich kineti- sche Untersuchungen mit Radio- kupfer an, die insbesondere eine Unterscheidung zwischen homozy- goten und heterozygoten Merkmals- trägern zulassen (1).

Therapie

Das beste Behandlungsergebnis bringt die leider noch auf Einzelfälle beschränkte Lebertransplantation, die offenbar den erblichen Enzym- mangel ersetzt und zu einer anhal- tenden Normalisierung des Kupfer- und Zäruloplasminspiegel im Serum und der Kupferausscheidung im Urin führt. Die Substitution von menschlichem Zäruloplasmin ist nicht wirksam.

Das Medikament der Wahl ist gegen- wärtig D-Penicillamin, dessen che- latbildende und fibroblastenhem- mende Wirkung ausgenützt wird (4).

Tabelle 1 zeigt eine Zusammenstel- lung der Wirkungsmechanismen von D-Penicillamin.

Die Therapie sollte nach Möglichkeit lebenslang durchgeführt werden mit Tagesdosen zwischen 0,6 und 1,2 Gramm D-Penicillamin (Trolovol, Metalcaptase) in Verbindung mit 40 mg Vitamin B 6 . Präsymptomatische Fälle sind in derselben Weise zu be- handeln. Unter dieser Therapie ist durch Erzielung einer überschießen- den Kupferausscheidung im Harn eine Abnahme der Kupferspeiche- rung in Leber und Kornea nach- weisbar.

Die Kenntnis der zum Teil bedrohli- chen Nebenwirkungen ist essentiel- ler Bestandteil der Behandlung (Ta- belle 2). Sofern keine lebensbedroh- liche Komplikation vorliegt, genügt meistens eine Dosisreduktion zur Weiterbehandlung. Wenn auch nicht in allen fortgeschrittenen Verläufen eine Besserung erzielt werden kann, so sollte doch in allen gesicherten Fällen ein genügend lange ausge- dehnter Behandlungsversuch unter- nommen werden (6 bis 12 Monate).

Wesentlich günstiger sind die The- rapieaussichten bei präsymptomati- schem Morbus Wilson, der deshalb bei allen kindlichen Fettlebern .un- klarer Genese, juvenilen Zirrhosen und ungeklärter Splenomegalie bei Jugendlichen und Erwachsenen be- dacht werden sollte.

Literatur

(1) Bearn, A. G., and Kunkel, H. 0.: "Localisa- tion of 64 Cu in serum fractions following oral administration: Alteration in Wilson's disease", Proc. Soc. exp. Biol. (N. Y.) 85 (1954), 44 — (2) Lange, J.: „Hepatozerebrale Degeneration (Morbus Wilson)", in: Klin. Gastroenterologie, Bd. 2 (Hrsg. L. Demling), Thieme, Stuttgart 1973 — (3) Sternlieb, I.: „Die Wilsonsche Krank- heit und D-Penicillamin-Therapie", in: „Toxi- sche Leberschäden" (Hrsg. L. Wannagat), Thieme, Stuttgart 1976 — (4) Sternlieb, I.: "The Beneficial and Adverse Effects of Penicillami- ne", in: "Collagen Metabolism in the Liver"

(Ed. H. Popper, K. Becker), Stratton, New York 1975 — (5) Wilson, S. A. K.: "Progressive lenti- cular degeneration: familial nervous disease associated with cirrhosis of the liver", Brain 34 (1912), 295

Anschrift der Verfasser:

Oberarzt Dr. med. Manfred Mörl Oberärztin Waldtraut Küntzel Stoffwechselklinik

der Landesversicherungsanstalt Württemberg

6990 Bad Mergentheim

1590 Heft 24 vom 16. Juni 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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