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Archiv "Gruppenegoistische Ellenbogentüchtigkeit: Berliner KV-Szenario" (28.01.1988)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

Gruppenegoistische Ellenbogentüchtigkeit

Berliner

KV-Szenario

Seit Jahren versuchen einige aufbegehrende Kassenärzte, das Feuer kollegialer Unzufriedenheit mit Benzin zu löschen. Im Stile ver- baler Revoluzzer forderten sie erst einen Laborstreik, dann die Annul- lierung ordnungsgemäß gefaßter Be- schlüsse, jetzt die Kündigung aller Verträge — immer aber mehr Geld.

Weil es jedoch so schwer ist, an das der anderen zu kommen, soll nun- mehr der Berliner Senat Steuergel- der bereitstellen, „mit denen die Differenz der auf 10-Pfennig-Punkt- werten errechneten Honorare zu den tatsächlich rechnerisch gemin- derten Honoraren an die Ärzte aus- geschüttet wird".

Diese Forderung wird in dem Briefe der „Schutzgemeinschaft für Kassenärztliche Rechte GbR"

(SfKR) vom 27. Oktober 1987 an den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin und an den

„Herrn Senator für Gesundheit und Soziales als aufsichtsführende Be- hörde Berliner Ärztekammer" er- hoben; sie umfaßt allein für den Be- reich der Allgemeinen Ortskranken- kasse Berlin für 1986 eine Summe von 30 Millionen DM.

Um ihren Forderungen eine breite Basis zu verschaffen und nach dem Vorbild der kommerziellen 60 000-DM-Ärztekammer-Wahl- kampfwerbung in diesem Jahr durch eine Änderung des KV-Wahlrechts auch in der Vertreterversammlung (VV) den Machtwechsel herbeizu- führen, lud die von den Dres. Hans- Georg Fritz und Roderich Nehls ge- gründete SfKR die Berliner Ärzte zu einer zur „Vollversammlung" de- klarierten Protestveranstaltung ge- gen die etablierte KV-Spitze in das Auditorium maximum der Techni- schen Universität (TU) Berlin. In der Pressekonferenz in der interni- stischen Praxisgemeinschaft Dr.

Fritz/Nehls/Lindow (25 Angestellte) erläuterten Nehls und Fritz ihre Mo-

tive und Ziele, ihre Strategie und Taktik.

Bei den Vorarbeiten für die

„Vollversammlung" seien sie auf die Ideen der liberalen Gesundheits- ökonomen gestoßen und hätten sich dazu durchgerungen, „die Öffnung des Marktes für alle Beteiligten des Gesundheitswesens" auf ihre Fah- nen zu schreiben. Um gehobenen Ansprüchen zu genügen, versahen sie ihre Einladungen zur Vollver- sammlung mit einem dem Grimm- schen Märchen „König Drossel- bart" entlehnten, „auf das dialekti- sche Begriffspaar ,Topf und Markt' zusammengequetschten Motto" so- wie mit dem schönen „Symbolbild des in die Töpfe reitenden Husa- ren", dazu „ein bißchen Grübel- stoff" , ohne zu bedenken, daß sich diese Bezüge analog nur auf Kassen- ärzte anwenden ließen, die als Bett- ler erscheinen und erst nach demüti- genden Prüfungen als Könige er- kannt werden.

Vorgeplänkel zur KV-Wahl?

Fritz und Nehls wollten zwar ih- re Aktion nicht direkt als Auftakt zum KV-Wahlkampf 1988 gedeutet wissen, bekannten jedoch, zunächst eine Initiative zur Änderung des KV-Wahlrechts in Gang gesetzt zu haben, der sie eine Chance einräu- men. Zugleich mit anderen Initiativ- gruppen sollen provokatorische Testläufe, z. B. gegen das starre Werbeverbot, das Berufsrecht auf- lockern. Das von Dr. Ulrich Möbius besorgte „Rechtstelegramm" in den

„ärztlichen Widerstandsnestern"

soll mit Lokalredaktionen versehen und „die kassenärztlichen Einzel- kämpfe", die alle Beteiligten ge- nervt hätten, künftig „einheitlich und gemeinschaftlich" ausgetragen werden, und zwar „so lange, bis sich in den KVen wirklich tut, was wir wünschen".

Sollte dieses Ziel nicht auf An- hieb erreicht werden, wollen sich die SfKR-Initiatoren mit Störmaßnah- men gehörigen Respekt verschaffen.

Dr. Rodenhoff: „Wenn wir uns alle ärztlich vorbildlich verhalten, jeden ins Krankenhaus schicken, der muß und will, dann ist nach drei Monaten das System am Ende." Für Nehls gehört dieser Vorschlag „in den Ka- talog, der von uns im Hinterkopf be- wegten Streikmaßnahmen. Selbst- verständlich, wir können auch ,Dienst nach Vorschrift' machen, das wird nicht billiger." Die bisheri- gen Aufwendungen in Höhe von 12 000 DM für alles hatten Fritz und Nehls verauslagt und hofften, diese durch Spenden in der „Vollver- sammlung" zurückzuerhalten; denn sie rechneten mit mindestens 800 Teilnehmern.

Es kam jedoch nur die Hälfte, davon drei Viertel Ärzte, die ihre Spendierhosen zu Hause gelassen hatten, zumeist Neugierige und Un- zufriedene. Sie erwarteten Antwor- ten auf die von den Veranstaltern struktierten Fragenkomplexe: „Was wollen wir nicht mehr?" Und: „Was wollen wir künftig?"

Die Erwartungen blieben uner- füllt. Statt dessen argumentierte die SfKR mit gruppenegoistischer El- lenbogentüchtigkeit, „zeigte jeder mit dem Finger auf andere", dro- schen Gebietsärzte auf Allgemein- ärzte und beide gemeinsam auf die Kollegen im Krankenhaus ein. Die Akteure waren meist keine für die Problematisierung berufspolitischer ärztlicher Konflikte geeigneten Per- sönlichkeiten, sondern verbal agie- rende Heißsporne mit zu geringen Spannungen ihrer Vernunft- und Verstandessicherungen.

Die meisten Diskussionsredner ließen gar nicht erst den Verdacht aufkommen, als gehe es ihnen nicht nur um Geld, sondern ein wenig auch noch um ihre Patienten; einige sprachen nur von der „Klientel", andere davon, wie möglichst alles, was an ärztlichen Leistungen irgend- wie denkbar ist, auch tatsächlich ho- norarmäßig maximal realisiert wer- den könnte.

Nachdenkliche Teilnehmer fan- den die Litaneien bald „langweilig

und uninteressant", andere warnten

davor, die ärztliche Einkommenssi- tuation zu „bejammern". Als die Abwanderung begann, wurden eilig vorbereitete Resolutionen mehrheit- Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28. Januar 1988 (19) A-135

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lich verabschiedet, in denen die

„Kündigung aller Deckelungs- und Pauschalierungsverträge", Abschaf- fung des Punktwertes und der Aus- schlußkataloge, Rückkehr zur Ein- zelleistungsvergütung sowie eine in- nerhalb von drei Monaten durchzu- führende „Urabstimmung" über vorgezogene KV-Wahlen gefordert wurden.

Betroffenheit

Erst nach dem Referat des Mün- chener Gesundheitsökonomen Prof.

Dr. Günter Neubauer, der erläuter- te, was Markt im Gesundheitswesen letztlich bewirkt, wurde Betroffen- heit spürbar, flackerte hier und da die Einsicht auf, daß auch Kassen- ärzte als abstraktes Rechtssubjekt wirtschaftlich anfällig und nur soweit autonom sind, wie sie sowohl den Maximen des Erwerbslebens als auch der flächendeckenden kassen- ärztlichen Versorgung genügen und das Notwendige vernünftig tun. Die Visionen eines Gesundheitsmarktes, in dem „Praxen zugemacht werden, wenn sie nicht mehr wirtschaftlich und bedarfsgerecht arbeiten", in dem die „Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des Patienten" entschei- det und Zulassungen nur befristet erteilt, ihre qualitativen Vorausset- zungen jedoch regelmäßig streng überprüft werden, schreckten nach- haltiger als die auf Dauer unzumut- bare Praxis weiterhin unentwegt zu- gunsten anderer „durchleuchtet, transparent gemacht, gedeckelt und getöpft zu werden".

Die Kritik an der Berliner KV- Spitze relativierte der Kölner Neu- rologe und Psychiater Dr. med.

Winfried Schorre mit der Bestäti- gung, daß die KV Berlin, „was ei- nen gewissen Bereich des Wirt- schaftlichen anbelangt, gut bedient"

sei. Die Berliner Kassenärzte waren bei der Vorbereitung des EBM „in der glücklichen Lage", voll infor- miert zu sein; ihr Vorstand verfahre offenbar „sehr liberal" — für die In- itiatoren und ihre Heißsporne eine kalte Dusche, in der auch das Feuer kollegialer Unzufriedenheit langsam verglimmte .. .

Karl-Heinz Wenzel, Berlin

Ärzteverbände:

Ost-West-Begegnung

Zum zweiten Mal trafen sich Vertreter der Weltgesundheitsorga- nisation (WHO) mit den west- und osteuropäischen Ärzteverbänden.

Das erste Treffen hatte 1986 in Wien stattgefunden. Diesmal war Paris Austragungsort einer interessanten Ost-West-Begegnung.

Vier Themen standen auf der Tagesordnung: AIDS, eine Aktion gegen den Tabakkonsum, die Rolle des Arztes in der Epidemiologie und bei der Krebsbekämpfung sowie ein Erfahrungsaustausch über die Auf- gaben der Ärzteverbände und ihren Einfluß auf die Gesundheitspolitik.

Bei der Diskussion zum letzten The- ma hielten sich die Vertreter Osteu- ropas auffällig zurück; gibt es doch in den sozialistischen Staaten keine Ärztekammern oder eigenständigen ärztlichen Verbände. Am Rande der Sitzungen war jedoch zu hören, daß einige liberalere Ostblockstaaten den Versuch unternehmen wollen, eigenständige ärztliche Berufsorga- nisationen einzuführen. Motor sind hier die bereits existierenden medi- zinisch-wissenschaftlichen Gesell- schaften.

Die bundesdeutsche Delega- tion, die unter Leitung von Dr. med.

Klaus Goder (Bundesärztekammer) stand, konnte Kontakte zu Vertre- tern der DDR knüpfen. Möglicher- weise kommt die von der Bundes- ärztekammer seit Jahren angebote- ne Zusammenarbeit nun doch vor- an, etwa durch Literaturaustausch, Einladungen zum Deutschen Ärzte- tag und gegenseitige Besuche von Delegationen.

Die Sachthemen des Tages

In der Diskussion über den Ta- bakkonsum wurde die Bedeutung der Person des Arztes als Nichtrau- ber und somit Vorbildfunktion be- tont. Die WHO forderte die Ärzte- verbände auf, ihre Mitglieder zum Nichtrauchen anzuhalten. Beim sta- tistischen Vergleich des Anteils der Nichtraucher unter den Ärzten zum

Nichtraucheranteil der allgemeinen Bevölkerung stand die Bundesrepu- blik noch im guten Mittelfeld. über- legt wurde, die nationalen Flugge- sellschaften aufzufordern, auf Flü- gen Rauchverbot zu erlassen. Auf allen ärztlichen Veranstaltungen sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, nicht zu rauchen. Das Aufstel- len von Zigarettenautomaten und der Verkauf von Tabak an Jugendli- che soll weitestgehend einge- schränkt werden.

Das Thema AIDS wird auch in den Ostblockstaaten inzwischen nicht mehr negiert. Prof. Luc Mon- tagnier, Leiter des Pariser Pasteur- Instituts und weltweit einer der be- deutendsten AIDS-Forscher, warnte vor zu hohen Erwartungen an die schnelle Entwicklung eines geeigne- ten Impfstoffes. Dieser ist in den nächsten Jahren nicht in Sicht.

Nachdem anfängliche Erwartungen getrogen haben, müsse man nun ein- kalkulieren, daß nach der Entwick- lung eines Vaccines im Labor noch zusätzlich mindestens vier Jahre ein- geplant werden müssen, bevor ein solcher Impfstoff breite Anwendung finden könnte. Um so wichtiger sei- en Aufklärung und Anwendung epi- demiologischer Erkenntnisse. Das Institut von Prof. Montagnier wird in Kürze einen Test in den Handel bringen, mit dem gleichzeitig das HIV 1- und HIV 2-Virus nachgewie- sen werden kann. Interessant war, daß sich auch die osteuropäischen Vertreter, zumindest auf der Sit- zung, gegen Zwangstestung, Diskri- minierung oder Kündigung von HIV-infizierten Arbeitnehmern aus- sprachen.

Das WHO-Programm „Ge- sundheit für alle bis zum Jahre 2000" spielte auf der Tagung eine eher untergeordnete Rolle. Heraus- gegriffen wurden einige realistische Einzelpunkte, die sich mit den na- türlichen Aufgabenstellungen der Ärzteschaft decken. Auch in diesem Punkt wurde die gleichartige ärzt- liche Mentalität bei den Ärztevertre- tern Westeuropas und der Ostblock- staaten deutlich. Vereinbart wurde, WHO-Tagungen dieser Art weiter- hin einmal jährlich stattfinden zu lassen; der Austragungsort für 1988 steht noch nicht fest. BÄK A-136 (20) Dt. Ärztebl. 85, Heft 4, 28. Januar 1988

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