A2138 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 3027. Juli 2007
M E D I Z I N
Niedermolekulares Heparin nicht zugelassen
Die Autoren schlussfolgern, „dass die überbrückende Antikoagulantienbehandlung mit niedermolekularem Heparin (NMH) mindestens ebenso sicher und wirk- sam ist wie mit unfraktioniertem Heparin (UFH)“. In ihrem „Fazit für die Praxis“ übersehen die Autoren je- doch eine rechtliche Problematik, wenn sie schreiben:
„Die Verwendung von NMH anstelle von UHF ist we- gen der wesentlich kürzeren Hospitalisierungsdauer bei Weitem kostengünstiger, was – entsprechend dem generellen Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB-V – bei der Erstattung der Arzneimittelkosten berücksichtigt werden muss.“
Unterstellt man eine kostengünstigere Therapie, so verbleibt für den betroffenen Arzt die Frage, ob er als
„Fazit für die Praxis“ das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB-V derart erfüllen muss beziehungsweise darf, dass er für das „Bridging“ ein Arzneimittel einsetzt, das nach Aussage der Autoren für diese Indikation nicht zugelassen ist. Denn ein solches Vorgehen führt zu rechtlichen Problemen:
cKrankenkassen müssen (und dürfen) nur Arznei- mittel bezahlen, die für die jeweilige Indikation zugelassen sind. So besteht eine Regressgefahr, weil §12 SGB-V hier nicht zutrifft.
cDer Arzt muss aufklären und der Patient einwilli- gen, dass mit einem für diese Indikation nicht zu- gelassenen Medikament, nämlich NMH, behan- delt wird; vorab muss die Alternative UFH aufge- zeigt werden. Andernfalls drohen gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen.
cBei Komplikationen hat der Arzt die Beweislast, dass die Therapie mit dem für diese Indikation nicht zugelassenen NMH wirksam war.
Es sind daher Zulassungen zu fordern, bevor Ärzten im Deutschen Ärzteblatt ein derartiges „Fazit für die Praxis“ von Meinungsbildnern empfohlen wird. Es wä- re besser gewesen, wenn die Autoren die pharmazeuti- schen Unternehmen, die NMH in den Verkehr bringen, aufgefordert hätten, entsprechende Zulassungsanträge zu stellen.
Anschrift für den Verfasser Dr. rer. nat. Dr. med. Michael Kroll Hermannstraße 10
47533 Kleve
Schlusswort
Wir sind Herrn Kollegen Kroll für diese explizite Nach- frage sehr dankbar, weil sie den Kern der praktischen Problematik trifft:
c Zulassungsanträge der pharmazeutischen Indu- strie für bestimmte Indikationen setzen zulassung- staugliche Studien voraus. Diese existieren für die Bridging-Situation leider nicht, auch nicht für un- fraktioniertes Heparin (UFH).
c Die diesbezügliche Zulassung von unfraktionier- tem Heparin (UFH) ist vielmehr formale Folge ei- ner den heutigen Anforderungen nicht mehr ent- sprechenden früheren Zulassungspolitik.
c Vielfache Anregungen – auch der Autoren – Zulas- sungsstudien mit niedermolekularen Heparinen (NMH) durchzuführen, wurden nicht umgesetzt, allerdings auch mit nachvollziehbaren Argumen- ten: die Komplikationsraten der Bridging-Thera- pie sind so niedrig, dass zum Beweis einer Nicht- Unterlegenheit von NMH gegenüber UFH in jeden Studienarm circa 1 000 bis 2 000 Patienten rando- misiert eingeschlossen werden müssten. Dies lässt sich nicht realisieren, zumal die UFH-Patienten allein aus Studiengründen hospitalisiert werden müssten, was mehrheitlich bei Bridging nicht mehr notwendig ist.
c Die Erstattungsfrage müsste im Fall einer Regress- forderung letztlich vor Gericht geklärt werden.
Unserer Kenntnis nach verfolgen die Kostenträger diesen Punkt derzeit nicht mehr, weil sie erkannt haben, dass NMH dem generellen Wirtschaftlich- keitsgebot weit mehr entsprechen als UFH.
c Die Aufklärungspflicht und -dokumentation wur- de in unserem Artikel erwähnt. Sie betrifft die mit einer blutungsgefährdenden Intervention bei prin- zipieller Notwendigkeit zur Antikoagulation ver- bundenen Risiken, aber auch die Empfehlung ei- nes spezifischen Medikaments und die verschiede- nen Alternativen. Ein zusätzliches schriftliches Einverständnis des Patienten zum Einsatz von NMH ist unseres Erachtens nicht erforderlich.
c Die wissenschaftlichen Daten für beide Therapie- formen wurden von uns ausführlich geschildert.
Sie belegen die umfangreiche Datenlage sowie gleichermaßen die Wirksamkeit und Sicherheit des Bridging mit NMH. Gerade in diesem – für den klinisch und wissenschaftlich denkenden Arzt – wichtigsten Feld ist der Boden bereitet und bela- stungsfähig.
Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Rupert M. Bauersachs
Medizinische Klinik IV, Max Ratschow-Klinik für Angiologie, Klinikum Darmstadt Heidelberger Landstraße 379, 64297 Darmstadt-Eberstadt
E-Mail: Rupert.Bauersachs@klinikum-darmstadt.de
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
zu dem Beitrag
Überbrückung der oralen Antikoagulation bei interventionellen Eingriffen
von Prof. Dr. med. Rupert M. Bauersachs, Prof. Dr. med. Sebastian Schellong, Prof. Dr. med. Sylvia Haas, PD Dr. med. Wiebke Gogarten, Prof. Dr. med. Hanno Riess, Prof. Dr. med. Heyder Omran, in Heft 18/2007