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Archiv "Die Beratung der Schwangeren und Stillenden zum Medikamentenrisiko" (16.10.1998)

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rzneimittel mit einem repro- duktionstoxischen Potential werden tierexperimentell mit gewisser Wahrscheinlichkeit schon vor der Marktzulassung identifiziert („ha- zard identification“). Die tatsächliche schädigende Potenz beim Menschen kann hingegen erst nach Marktein- führung ermittelt werden. Einzelfall- berichte über einen pathologischen Schwangerschaftsausgang helfen hier allerdings nicht weiter. Diese können lediglich einen Verdacht begründen, belegen aber keinen Kausalzusam- menhang zwischen pränataler Medi- kamentenexposition und einer be- obachteten Entwicklungsanomalie (Textkasten Kriterien). Erforderlich sind Kohortenuntersuchungen mit größeren Zahlen exponierter Schwan- gerer. Solche Daten sind allerdings nicht so leicht verfügbar. Einer- seits verbieten es ethische Gründe, Schwangere nur zu Studienzwecken Medikamenten zu exponieren. Ande- rerseits ist eine flächendeckende Er- fassung von Arzneianwendungen oder -verordnungen in der Schwanger- schaft, gekoppelt mit pädiatrischem Befund des Neugeborenen, zu auf- wendig, um seltene, potentiell riskante Medikamente aufzuspüren. Mit dieser Vorgehensweise dokumentiert man vor allem die zahlenmäßig überwie-

genden „Bagatellbehandlungen“, die nicht mehr Gegenstand wissenschaftli- chen Interesses sind. Einen Lösungs- weg bieten hier die Follow-up-Daten aus Beratungsstellen für Medikamen- te in der Schwangerschaft. Diese In- stitutionen sind durch ihren Aufga- benbereich prädestiniert, die eher sel- ten angewendeten und (hypothetisch) problematischen Arzneistoffe zu er- fassen, da gerade die diesen exponier- ten Schwangeren beziehungsweise de- ren behandelnde Ärzte solche Ein- richtungen konsultieren.

Die drei in Deutschland etablier- ten Beratungsstellen dieser Art in Ber- lin, Jena und Ulm kooperieren zusam- men mit 30 anderen europäischen Zentren im 1990 gegründeten Euro- pean Network of Teratology Informa- tion Services (ENTIS). ENTIS hat in- zwischen mehrere prospektive Kohor- tenstudien durchgeführt, beispielswei- se zu neueren Gyrase-Hemmstoffen, Antidepressiva, Antiepileptika, „Co- nazol“-Antimykotika, Vitamin A in hoher Dosis, Gelbfieberimpfung, Me- floquin und PUVA-Therapie bei Pso- riasis (3, 5, 7). Einen anderen Weg der Riskoabschätzung bieten Daten aus

Fehlbildungsregistern, mit denen in Fall-Kontroll-Studien Hypothesen zur teratogenen Wirkung geprüft werden können. Voraussetzung ist allerdings, daß verläßliche Angaben zur Me- dikamenteneinnahme während der Schwangerschaft erhoben wurden. Die in der EUROCAT (European Regi- stry of Congenital Anomalies and Twins) oder im ICBDMS (Internatio- nal Clearinghouse for Birth Defects Monitoring Systems) kooperierenden Fehlbildungsregister haben kürzlich mit ENTIS eine gemeinsame Exper- tengruppe etabliert. Diese soll eu- ropäische Richtlinien erarbeiten für ein Frühwarnsystem zum Aufdecken neuer Teratogene und für den Umgang mit sogenannten Mißbildungs-Clu- stern. Von deutscher Seite ist die Ber- liner Beratungsstelle für Embryonal- toxikologie an dem Projekt „Long- term Strategy for Prevention of Birth Defects“ beteiligt.

Risikoklassifizierung von Arzneimitteln

Verschiedentlich ist versucht worden, Arzneimittel hinsichtlich ih- res entwicklungstoxischen Potentials zu kategorisieren. In der Roten Liste wird zur Zeit eine Einteilung in elf

Die Beratung der

Schwangeren und Stillenden zum Medikamentenrisiko

Christof Schaefer Ingrid Koch

Informationen in der Roten Liste und auf Beipackzetteln vermitteln häufig den Eindruck eines Risikos für den Fetus oder für das gestillte Kind. Dies gibt nicht selten Anlaß zu Fehlentscheidungen wie den Abbruch einer gewünschten Schwangerschaft oder das Abstillen. Einschlägige Fachli- teratur oder eine Beratungsstelle für Medikamente in der

Schwangerschaft sollten vor einer solchen traumatisierenden Interven-

tion wie der Abtreibung ebenso konsultiert werden wie bei Planung einer Therapie.

Schlüsselwörter: Schwangerschaft, Stillen, Medikamenten- risiko, teratogene Wirkung

ZUSAMMENFASSUNG

Information of Pregnant and Breastfeeding Women about Risks of Drug Therapy

Termination of pregnancy or of breastfeeding is rarely indi- cated because of drug treatment. However, information on packet leaflets and in pharmacopoeias is often misleading.

Prescribing doctors should use only relevant literature or contact teratology information services (TIS) when looking

for a drug of choice or characterizing the risk of a past treatment. Apart from their goals to pre-

vent birth defects and unjustified terminations of wanted pregnancies, TIS provide a unique chance to improve risk information by studying exposed pregnancies.

Key words: Pregnancy, breastfeeding, drug risk, teratogenic effect

SUMMARY

A

Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen und Embryonaltoxikologie (Leiter: Matthias Brockstedt), Berlin

(2)

mit „Gr“ (Gravidität) bezeichneten

„Chiffren“ benutzt. Zu den meisten Arzneimitteln liegen keine ausrei- chenden Daten zur pränatalen Ver- träglichkeit beim Menschen vor, so daß die ersatzweise zu Hilfe genom- menen tierexperimentellen Ergebnis- se eine Zuordnung zu Gr 4 bis Gr 6 begründen. Man kann davon ausge- hen, daß die überwiegende Mehrheit dieser Pharmaka keine nennenswer- te embryotoxische Potenz beim Men- schen besitzt. Versuche, in der Eu- ropäischen Union Arzneimittel ein- heitlich zu klassifizieren, sind bisher fehlgeschlagen.

Solche Klassifizierungen dürfen aufgrund ihrer formelhaften Ver- kürzung nicht für eine individuel- le Risikoabschätzung herangezogen werden. Hierfür sind differenzierte, ausformulierte Bewertungen vorzu- ziehen, die strikt zwischen Thera- pieempfehlung einerseits und Bewer- tung einer bereits zurückliegenden Exposition andererseits unterschei- den.

Die in Packungsbeilagen, Fir- menmitteilungen und Roter Liste üb- lichen Informationen sind, unter an- derem aus Gründen der Produkthaf- tung, zu allgemein gehalten und nicht selten irreführend. Inkonsistenzen zwischen Produkten mit gleichen Wirkstoffen sind häufig.

Substanzen, die heute als em- bryo- oder fetotoxisch beim Men- schen angesehen werden, sind in Ta- belle 1zusammengefaßt. Ein derarti- ges toxisches Potential impliziert kei- neswegs, daß jedes exponierte Kind geschädigt wird. Andererseits darf aus dieser Zusammenstellung nicht ge- schlossen werden, daß alle anderen Wirkstoffe unbedenklich sind.

Regeln für die Planung einer Arzneitherapie

Bei jeder Arzneitherapie im gebärfähigen Alter muß mit einer Schwangerschaft gerechnet werden.

Daher sollten primär nur solche Me- dikamente verordnet werden, die schon seit vielen Jahren erprobt sind.

Neue Arzneimittel bergen ein unwäg- bares Risiko; oft handelt es sich oben- drein um Pseudoinnovationen ohne erwiesenen therapeutischen Vorteil.

Erwiesene Teratogene, insbe- sondere solche mit langer Halbwert- zeit (zum Beispiel Retinoide), erfor- dern eine zuverlässige Kontrazeption.

Spätestens nach Feststellen ei- ner Schwangerschaft ist jede medika- mentöse Behandlung kritisch zu prü- fen.Monotherapie ist anzustreben.

Die Dosis eines Medikaments ist so niedrig wie therapeutisch mög- lich zu wählen.

Im Zeitraum zwischen dem 15.

und 60. Tag nach der Befruchtung ist das Risiko für eine teratogene Schädi- gung der embryonalen Entwicklung am größten.

Gravierende Erkrankungen wie Asthma bronchiale, Epilepsie oder Infektionen müssen auch in der Schwangerschaft behandelt werden, weil sonst Mutter und Fetus gefährdet sein können (Textkasten Ursachen).

Für einige häufige Behandlungsindi- kationen sind in Tabelle 2Arzneimit- tel der Wahl zusammengestellt, die im therapeutischen Dosisbereich als nicht embryo-/fetotoxisch angesehen werden.

Risikoabschätzung nach einer zurückliegenden Behandlung

Die Risikoabschätzung nach be- reits erfolgter Exposition erfordert sowohl bei der Interpretation ein- schlägiger Literaturangaben als auch im Umgang mit der Patientin ein an- deres Vorgehen als die Planung einer Therapie. Die Schwangere ist häufig besorgt wegen einer möglichen Schä- digung ihres Kindes. Die üblichen Fachinformationen vergrößern eher die Angst einer werdenden Mutter, statt aufklärend und beruhigend zu wirken. Tierexperimentelle Ergebnis- se, Kasuistiken zu Fehlbildungen und Ergebnisse einzelner Studien (mit ei- nem relativen Risiko über 1) dürfen im Patientengespräch nicht als Beleg für ein teratogenes Potential präsen- tiert werden.

Zu tragischen Fehlentscheidun- gen kommt es, wenn die Klassifi- zierung eines Medikamentes als „un- zureichend untersucht“, „tierexperi- mentell verdächtig“ oder „kontrain- diziert in der Schwangerschaft“ zum

Anlaß genommen wird, eine er- wünschte und intakte Schwanger- schaft abzubrechen. Die Autoren er- leben es gelegentlich, daß schwangere Frauen noch nach Einweisung zum Schwangerschaftsabbruch auf eigene Initiative anfragen, ob der Eingriff denn wirklich unumgänglich sei.

In den meisten Fällen zeigt sich, daß selbst nach Einnahme kontrain- dizierter Medikamente keineswegs zwangsläufig eine Indikation zum Abbruch einer im übrigen unkompli- zierten und erwünschten Schwanger- schaft besteht. Im Patientengespräch ist die Quantifizierung des teratoge- nen Risikos von erheblicher Bedeu- tung, da Schwangere selbst nach harmlosen Medikamenten ihr indivi- duelles Mißbildungsrisiko oft stark überhöht wahrnehmen. Der unkriti- sche Hinweis auf ein embryotoxi- sches Potential, ob tierexperimentell oder beim Menschen, wird leicht mit einer individuellen hundertpro- zentigen Schadenswahrscheinlich-

Kriterien für einen kausalen Zusammenhang

zwischen einer äußeren Einwirkung und angeborenen

Entwicklungsstörungen*

1. Eine spezifische Mißbildung tritt plötzlich gehäuft auf.

2. In derselben Region ist gleichzei- tig die vermehrte Einnahme eines Medikamentes in der Schwanger- schaft zu beobachten.

3. Der Expositionszeitraum stimmt zeitlich mit der Entwicklungspha- se des Organs überein, an dem der angeborene Defekt aufgetreten ist.

4. Die Schwangere ist gleichzeitig keinem anderen embryotoxi- schen Einfluß ausgesetzt. Dies könnte zum Beispiel die Erkran- kung sein, die Anlaß für die Medi- kation war.

5. Mehrere, voneinander unabhän- gig durchgeführte epidemiologi- sche Untersuchungen kommen zu gleichen Ergebnissen eines deut- lich erhöhten relativen Risikos.

* nach Shepard, 1994

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keit gleichgesetzt. Insofern ist es un- erläßlich, nach Erläuterung des für alle Schwangeren gültigen Hinter- grundrisikos (zwei bis drei Prozent grobstrukturelle, bei der Geburt sichtbare Anomalien) verständlich zu machen, daß selbst die meisten er- wiesenen Teratogene, zum Beispiel

Antikonvulsiva, bei einer Mono- therapie lediglich eine Verdopplung bis Verdreifachung des Hintergrund- risikos bewirken. Das heißt, daß auch nach einer solchen Therapie im sen- siblen Zeitraum der Embryogenese über 90 Prozent der Kinder gesund geboren werden.

Im Einzelfall können zusätzli- che Vorsorgeuntersuchungen wie bei- spielsweise die Ultraschallfeindia- gnostik (etwa in der 20. Woche) oder die a-Fetoprotein-Bestimmung im mütterlichen Serum (zum Beispiel zum Ausschluß von Neuralrohrde- fekten bei antikonvulsiver Behand-

lung mit Valproinsäure oder Carba- mazepin) indiziert sein. Zum Pro- gramm der erweiterten Diagnostik nach Einnahme potentiell terato- gener Substanzen gehören primär kei- ne invasiven Maßnahmen wie zum Beispiel die Amniozentese, weil ein embryotoxischer Schaden nicht durch

eine Chromosomenanalyse festge- stellt werden kann.

Fragen nach einem ursächlichen Zusammenhang zwischen einer beim Neugeborenen diagnostizierten Ent- wicklungsanomalie und einer erinner- ten Medikamenteneinnahme sollten ebenfalls sehr sorgfältig beraten wer- den, da die unkritische Bestärkung ei- nes verständlichen Kausalitätsbedürf- nisses zu anhaltenden Schuldgefühlen führen kann.

Häufige Fragestellungen mit hoher Risikoerwartung

Tetrazykline wirken, heute üb- liche Dosierung vorausgesetzt, nicht teratogen. Ab der 16. Schwanger- schaftswoche sind sie kontraindiziert, weil eine Verfärbung der Milchzähne nicht auszuschließen ist. Der Abbruch einer Schwangerschaft aus Sorge vor einer embryotoxischen Schädigung ist in keiner Phase indiziert. Dies gilt übrigens auch für Sulfonamide und Cotrimoxazol.

Die Therapie eines Asthma bronchiale kann auch in der Schwan- gerschaft entsprechend dem aktuel- len Therapie-Stufenplan durchgeführt werden.

Unkompliziert verlaufende Narkosen sind ebenso wie die Anwen- dung von Lokalanästhetika ohne Risi- ko für den Embryo. Letzteres gilt auch für Zubereitungen mit Adre- nalin.

Phenprocoumon kann als Cumarinderivat die bekannte War- farinembryopathie auslösen. Wird die Behandlung aber bis zur sechsten Woche nach Konzeption abgebro- chen, scheint das Fehlbildungsrisiko nicht erhöht zu sein. Ein Schwanger- schaftsabbruch aus embryotoxischer Indikation ist in solchen Fällen nicht erforderlich.

Ist versehentlich mit hohen Dosen Vitamin A (über 10 000 IE/Tag) in die Schwangerschaft hin- ein behandelt worden (wofür es kaum eine rationale Indikation gibt), erfordert auch dies keinen Schwan- gerschaftsabbruch. Zwar wurden kürzlich in einer kleinen Fallsamm- lung einige ZNS-Anomalien be- schrieben. Dies konnte durch andere Untersucher, zum Beispiel in einer Tabelle 1

Arzneimittel, Chemikalien und Genußmittel mit embryo-/fetotoxischem Potential beim Menschen

Noxe (Leit-)Symptome

ACE-Hemmstoffe Anurie

Alkohol Embryofetales Alkoholsyndrom

Androgene Maskulinisierung

Antimetabolite Multiple Fehlbildungen

Benzodiazepine (hohe Dosis präpartal Floppy-Infant-Syndrom bzw. Langzeittherapie)

Blei Kognitive Entwicklungsverzögerung

Carbamazepin1 Spina bifida, Dysmorphien der Endphalangen etc.

Cumarinderivate Warfarin-Syndrom

Diethylstilbestrol Scheidenkarzinome

Ionisierende Strahlen Multiple Fehlbildungen, Leukämie

Jodüberdosierung Passagere Hypothyreose

(ZNS-Reifungsstörung?)

Kokain ZNS-, Intestinal-, Nierenschädigung

Lithium Herz-/Gefäßfehlbildungen*2

Methylquecksilber Zerebralparesen, mentale Retardierung Misoprostol (zur versuchten Möbius-Sequenz

Aborteinleitung)?

Polychlorierte Biphenyle Mentale Retardierung, Hautveränderungen

Penicillamin Cutis laxa

Phenobarbital/Primidon1 Multiple Fehlbildungen (antikonvulsive Dosis)

Phenytoin1 Multiple Fehlbildungen

Retinoide Ohr-, ZNS-, Herz-Kreislauf-,

Skelettfehlbildungen Tetrazykline (nach 15. SSW) Verfärbung der Milchzähne

Thalidomid Extremitätenfehlbildungen

Trimethadion Multiple Fehlbildungen

Valproinsäure1 Spina bifida, multiple Fehlbildungen Vitamin A3(> 25 000 IE/die) Wie Retinoide (?)

1Bei antikonvulsiver Behandlung möglichst Monotherapie, Kombinationen erhöhen teratogenes Risiko überproportional.

2Nach neueren Publikationen scheint das teratogene Risiko für eine Ebstein-Anomalie sehr gering zu sein.

3Substitution > 10 000 IE/die meiden. Provitamin A = Beta-Carotin ist unproblematisch.

Achtung: Eine Exposition mit einer der genannten Substanzen im sensiblen Zeitraum der Schwangerschaft kann das statistische Risiko einer Schädigung erhöhen. Eine hohe indivi- duelle Schadenswahrscheinlichkeit ist daraus aber nicht zwangsläufig abzuleiten!

(4)

größeren ENTIS-Studie, selbst mit deutlich höheren Dosen nicht repro- duziert werden. Beta-Carotin, also Provitamin A, ist unbedenklich. Der während der Schwangerschaft nicht empfohlene Verzehr von Leber birgt nach heutigem Wissen trotz hohen Vitamin-A-Gehalts von bis zu über 100 000 IE pro Portion offenbar kein erhebliches Risiko für die typischen Retinoidmißbildungen. Dies liegt möglicherweise daran, daß Vitamin A aus Leber schlechter verfügbar ist als aus pharmazeutischen

Zubereitungen.

Quecksilber aus Zahnamalgam führt nicht zur „Vergiftung“ des Em- bryo, auch wenn Konzen- trationen des Schwerme- talls in Abhängigkeit von der Plombenzahl sowohl im Blut der Mutter als auch in fetalen Geweben nach- weisbar sind. Eine „Entgif- tung“ mit Chelatbildnern ist daher keinesfalls indi- ziert. Weitere Suche nach unbedenklichen Ersatz- stoffen ist dennoch ange- zeigt.

Gyrase-Hemm- stoff-Antibiotika werden häufig für „banale“ Harn- wegs- und Atemwegsinfek- tionen verordnet, die mit besser erprobten Mitteln (Tabelle 2, auch Cotrimo- xazol) behandelt werden sollten. Bisherige Erfah- rungen deuten aber nicht auf ein erhebliches terato- genes Risiko oder eine pränatale Induktion von Knorpelschäden durch Ci- profloxacin, Norfloxacin und andere hin, so daß ein Schwangerschaftsabbruch nicht indiziert ist (7).

Eine Antidotbehandlung nach Überdosis, zum Beispiel von Eisen (mit Deferoxamin), Paracetamol (mit Acetylcystein) und Kohlenmonoxid (mit hyperbarer Oxygenierung) sollte nicht mit Rücksicht auf eine beste- hende Schwangerschaft unterbleiben, weil dies Mutter und Fetus gefährden könnte.

Röntgen-Computertomogra- phien des Unterbauchs bedeuten

weitaus größere Organdosen für die Fruchthöhle (durchschnittlich 20 bis 30 mSv) als konventionelle Röntgen- untersuchungen. Wenn irgend mög- lich, sollten derartige Untersuchun- gen nur in der ersten Zyklushälfte vorgenommen werden, da die mit

„nein“ beantwortete Frage nach ei- ner vorliegenden Schwangerschaft zumindest eine Frühgravidität bis drei Wochen nach Konzeption erfah- rungsgemäß nicht ausschließt. Ist dennoch tomographiert worden, muß

eine exakte Dosisberechnung erfol- gen; bisherige Erkenntnisse geben keinen Hinweis auf ein erhöhtes Miß- bildungsrisiko.

Nach einer zytostatischen oder immunsuppressiven Behandlung des Vaters sollten zwei bis drei Spermato- genesezyklen (etwa ein halbes Jahr) bis zu einer Konzeption abgewartet werden. Entsteht eine Schwanger- schaft schon früher, sind nach heuti- gem Kenntnisstand keine paternal in-

duzierten Mißbildungen zu erwarten.

Es gibt bisher keine väterliche Expo- sition, die es begründet, eine Chromo- somenanalyse beim Fetus zu veranlas- sen.

Medikamente in der Muttermilch

Der Übergang von Fremdstoffen in die Muttermilch wird durch gute Fettlöslichkeit, geringe Molekular- masse (unter 200), alkalische Reakti- on und niedrige Eiweißbindung be- günstigt. Die dem Säugling zukom- mende Medikamentenmenge errech- net sich als Produkt aus der Arznei- konzentration der Milch und der Still- menge pro Tag (CMx VM) und kann mit einer therapeutischen (Kinder-) Dosis verglichen werden. Präzise An- gaben zur kindlichen Exposition un- ter Berücksichtigung der Kumula- tion durch unreife Metabolisierungs- leistung und unvollkommene renale Exkretion in der Neugeborenenperi- ode sind nur durch Bestimmung des Arzneistoffes im Säuglingsplasma zu erhalten.

Symptome beim gestillten Kind

Sowohl eigene Beobachtungen als auch publizierte Erfahrungen an- derer Autoren sprechen dafür, daß therapiebedürftige oder gar bedrohli- che Symptome beim Kind durch Me- dikamente in der Muttermilch eine Rarität sind. In einer kanadischen Veröffentlichung wird von 838 Müt- tern mit Arzneitherapie berichtet. Et- wa elf Prozent gaben (leichte) Sym- ptome beim Säugling an, die mögli- cherweise medikamenteninduziert waren. Folgende Assoziationen wur- den beobachtet (4):

Diarrhoe bei Antibiotika Sedierung bei Analgetika, Narkotika, Sedativa, Antidepressiva, Antiepileptika

Unruhe und Übererregbar- keit bei Antihistaminika

Sorgfältige Medikamentenwahl vorausgesetzt (10), gibt es kaum Gründe, vom Stillen abzuraten. Nur selten ist eine Stillpause nach Appli- kation indiziert (10). In solchen Fäl- Ursachen angeborener

Entwicklungsstörungen beim Menschen*

Hereditäre Ursachen 20%

Chromosomale Aberrationen 5%

Uterine Faktoren 3%

wie anatomische Anomalien Zwillingsschwangerschaften Oligohydramnion

Äußere Einflüsse 3%

wie Arzneimittel

Genußmittel (insbesondere Alkohol) Mütterliche Erkrankungen 3%

wie zerebrale Krampfleiden

Diabetes mellitus (nicht normoglykämisch) Endemische Hypothyreose

Phenylketonurie HIV

Listeriose Lues Ringelröteln Röteln Toxoplasmose Varizellen Zytomegalie

Unbekannte Ursachen 66%

Spontane Entwicklungsstörungen Polygenetische Ursachen

Kombinationen mit exogenen Faktoren

* Spielmann et al., 1998

(5)

len können durch Abwarten von ein bis zwei Halbwertszeiten, zum Bei- spiel bei abendlicher Einnahme nach der letzten Stillmahlzeit, Konzentra- tionsspitzen umgangen werden. Ab- pumpen der Milch als „Dekontami- nationsmaßnahme“ ist nicht sinnvoll, da im allgemeinen ein Konzentrati- onsausgleich zwischen Milch und Plasma stattfindet und das „mütterli- che Reservoir“ ohnehin viel größer als das Milchvolumen ist. Leider müssen wir immer wieder erleben, daß voreilig der Rat zum Abstillen gegeben wird und es dann der Stillen- den, ihrem Kinderarzt oder einer Laktationsberaterin überlassen ist, das tatsächliche Risiko zu klären.

Empfehlungen zum Abstillen basie- ren entweder auf einer Überschät- zung des Arzneirisikos oder einer Unterschätzung des Eingriffs in die Mutter-Kind-Beziehung. Newman (6) aus dem Hospital for Sick Child- ren, Toronto, pointiert die Leichtfer- tigkeit vieler Kollegen, mit der zum Wechsel auf Flaschennahrung im Falle einer Arzneitherapie geraten wird, folgendermaßen: „I believe it is time we start considering infant for- mula a drug.“

Fazit

Für fast alle Behandlungsindika- tionen lassen sich Arzneimittel fin- den, deren Einsatz in Schwanger- schaft oder Stillzeit vertretbar ist.

Die Auswahl muß jedoch sorgfältig anhand hierfür qualifizierter Litera- tur erfolgen (zum Beispiel [10]). Ein- schlägige Hinweise in der Roten Liste und im Beipackzettel sowie die zur Zeit gebräuchlichen Risikokategori- sierungen sind für eine vergleichende Risikobewertung nicht geeignet und potentiell irreführend. Der Abbruch einer erwünschten und unkomplizier- ten Schwangerschaft und das Abstil- len sind extrem selten aus Gründen einer Arzneitherapie erforderlich und dürfen nicht vorschnell aus ver- meintlichen Haftungsgründen emp- fohlen werden. Eine Therapieumstel- lung und (in der Schwangerschaft) gegebenenfalls erweiterte, nichtinva- sive vorgeburtliche Diagnostik kön- nen jedoch bei manchen Konstella- tionen indiziert sein. Beratungsstel- Tabelle 2

Arzneimittel der Wahl

Schwangerschaft Stillzeit

Antibiotika

Penicilline Penicilline

Cephalosporine Cephalosporine

Erythromycin Erythromycin

Malaria-Prophylaxe

Chloroquin Chloroquin

Proguanil Proguanil

Analgetika/Antirheumatika

Paracetamol Paracetamol

Acetylsalicylsäure (Einzeldosen) Ibuprofen (cave ab 30. Woche) Ibuprofen

Migränemittel

Paracetamol (+ Codein) Paracematol (+ Codein)

Dihydroergotamin Dihydroergotamin

Dimenhydrinat Dimenhydrinat

Antihypertensiva

Dihydralazin Dihydralazin

a-Methyldopa a-Methyldopa

Metoprolol Metoprolol

Oxprenolol

Propranolol Propranolol

ggf. andere b-Rezeptoren-Blocker Labetalol

(Nifedipin) Nifedipin

Antiasthmatika

b2-Sympathomimetika (per inhal.) b2-Sympathomimetika (per inhal.)

Glukokortikoide Glukokortikoide

(per inhal., ggf. auch systemisch)

Cromoglicinsäure Cromoglicinsäure

Theophyllin Theophyllin

Antitussiva

Dextromethorphan Dextromethorphan

Codein Codein (in Einzeldosen)

Mukolytika

Acetylcystein Acetylcystein

Antiallergika/Antiemetika erprobte Antihistaminika

wie Dimenhydrinat Dimetinden

Diphenhydramin Triprolidin

Clemastin Meclozin

Meclozin Cetirizin

Sedativa

erprobte Antihistaminika Diphenhydramin

wie Diphenhydramin Lormetazepam (kurzzeitig) Diazepam (kurzzeitig, cave sub partu)

Antacida

Magaldrat Magaldrat

Hydrotalcit Hydrotalcit

Sucralfat Sucralfat

Anthelmintika

Pyrviniumembonat Pyrviniumembonat

Mebendazol Mebendazol

Niclosamid Niclosamid

Läusemittel

Pyrethrumextrakt Pyrethrumextrakt Skabies

Benzylbenzoat Benzylbenzoat

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len für Medikamente in der Schwan- gerschaft tragen durch Öffentlich- keitsarbeit und individuelle Beratung dazu bei, die Anzahl äußerlich indu- zierter Mißbildungen zu senken und Abbrüche von Schwangerschaften aufgrund falscher Risikoannahmen zu verhindern. Darüber hinaus bie- ten die von ihnen dokumentierten Schwangerschaftsverläufe eine ein- malige Chance, mit geringem Auf- wand die Risikoabschätzung von Me- dikamenten zu verbessern und einen Beitrag als „Frühwarnsystem“ zur Aufdeckung neuer Teratogene zu lei- sten.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-2637–2642 [Heft 42]

Literatur

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492–493.

4. Ito S, Blajchman A, Stephenson M, Elio- poulos C, Koren G: Prospective follow-up of adverse reactions in breast-fed infants exposed to maternal medication. Am J Obstet Gynecol 1993; 168: 1393–1399.

5. McElhatton PR, Garbis HM, Elefant E et al.: The outcome of pregnancy in 689 wo- men exposed to therapeutic doses of anti- depressants. A collaborative study of the European Network of Teratology Infor- mation Services (ENTIS). Reprod Toxicol 1996; 10: 285–294.

6. Newman J: When brestfeeding is not con- traindicated. Breastfeeding Abstracts 1997; 16: 27.

7. Schaefer C, Amoura-Elefant E, Vial T et al.: Pregnancy outcome after prenatal qui- nolone exposure. Europ J Obstet Gynecol Reprod Biol 1996; 69: 83–89.

8. Schardein JL: Chemically induced birth defects, 2. Auflage. New York: Marcel Dekker Inc., 1993.

9. Shepard, TH: Letter: “proof” of teratoge- nicity. Teratology 1994; 50: 97.

10. Spielmann H, Steinhoff R, Schaefer C, Bunjes R: Arzneiverordnung in Schwan- gerschaft und Stillzeit, 5. Auflage. Stutt- gart, Jena, New York: G. Fischer, 1998.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Christof Schaefer

Abteilung für Embryonaltoxikologie der Beratungsstelle für Vergiftungs- erscheinungen

Spandauer Damm 130 14050 Berlin

Eine Infektion mit dem Hepati- tis-C-Virus verläuft in der Regel chro- nisch und führt unbehandelt bei vie- len Patienten zu einer Leberzirrhose mit der Gefahr einer Leberinsuffizi- enz oder der Entwicklung eines hepa- tozellulären Karzinoms. Die derzeit übliche Therapie mit a-Interferon be- wirkt nur bei etwa 20 bis 40 Prozent eine Normalisierung der erhöhten Transaminasewerte und ein Ver- schwinden von HCV-RNA; nach Ab- setzen der Therapie kommt es häufig zu einem Rezidiv.

In Japan wird seit über 20 Jahren Glycyrrhizin zur Behandlung der chronischen Hepatitis eingesetzt. In kontrollierten Studien konnte dabei gezeigt werden, daß Glycyrrhizin zu

einer Abnahme der Serum-Amino- transferasen und zu einer Verbesse- rung der Leberhistologie führt. Lang- zeitstudien machen es wahrscheinlich, daß Glycyrrhizin vor der Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms bei chronischer Hepatitis C schützt. Der Wirkmechanismus der Substanz ist nicht bekannt, Nebenwirkungen um- fassen einen Pseudohyperaldostero-

nismus. w

Van Rossum TGJ, Vulto AG, de Man RA, Brouwer JT, Schalm SW: Glycyrrhi- zin as a potential treatment for chronic hepatitis C. Aliment Pharmacol Ther 1998; 12: 199–205.

Departments of Hepatogastroentero- logy & Internal Medicine, Erasmus University Hospital, Dijkzigt, 3000 CA Rotterdam, Niederlande.

Langdauernde Einnahme von ACE-Hemmern kann möglicherweise vor Krebs schützen. Darauf weisen die Ergebnisse einer retrospektiven Ko- hortenstudie hin. Bei der Analyse wurden die Krankenakten von insge- samt 5 207 Patienten, die im Zeitraum von 1980 bis 1995 die Blutdruck-Kli- nik in Glasgow besucht hatten, mit Daten aus zwei schottischen Krebsre- gistern verbunden. Nicht einbezogen wurden 584 Patienten, die keine medi- kamentöse Behandlung erhalten hat- ten. Im Vergleich zu den 3 648 Perso- nen, die andere Antihypertensiva wie Kalziumkanalblocker, b-Blocker oder Diuretika einnahmen, verringerte sich das relative Risiko für das Auftre-

ten einer Krebserkrankung sowie Tod durch Krebs bei den 1 559 Hochdruck- Kranken signifikant, die mit ACE- Hemmern therapiert wurden. Die Ri- siken sanken am deutlichsten bei Frauen und bei Patienten, die länger als drei Jahre ACE-Hemmer einge- nommen hatten. Um die Ergebnisse zu überprüfen, empfehlen die Auto- ren nun randomisierte, kontrollierte Medikamentenstudien. silk Lever AF et al.: Do inhibitors of angio- tensin-I-converting enzyme protect against risk of cancer? Lancet 1998; 352;

179–184.

Prof. Anthony F. Lever, Department of Medicine and Therapeutics, University of Glasgow, Western Infirmary, Glasgow G11 GNT, Großbritannien.

Verändern ACE-Hemmer das Krebskrisiko?

Helicobacter hepaticus kann bei Tieren eine persistierende Hepatitis auslösen und bei Mäusen zu Lebertu- moren führen. Die Autoren aus Chile berichten über Untersuchungen bei Patienten mit chronischer Cholezysti- tis, wobei man Helicobacter-Spezies mittels PCR in 13 von 23 Galleproben und in 9 von 23 Gewebsproben aus der Gallenblase nachweisen konnte.

Hierbei handelte es sich in fünf Fällen um Helicobacter bilis, in zwei Fällen um Flexispira rappini und in einem Fall um Helicobacter pullorum. Si- cher ist es noch zu früh, auf Grund

dieser Daten zu spekulieren, ob Er- krankungen der Gallenblase auf eine Infektion mit Helicobacter-Spezies zurückzuführen sein können oder ob Helicobacter für die Entwicklung ei- nes Gallenblasenkarzinoms verant- wortlich zu machen ist. w Fox JG, Dewhirst JE, Shen Z, Feng Y et al.: Hepatic Helicobacter species identi- fied in bile and gallbladder tissue from Chileans with chronic cholecystitis. Ga- stroenterology 1998; 114: 755–763.

Division of Comparative Medicine, Mas- sachusetts Institute of Technology, Cam- bridge, 77 Massachusetts Avenue, 45-106 Cambridge, MA 02139-4307, USA.

Helicobacter bei chronischer Cholezystitis

Glycyrrhizin bei chronischer Hepatitis C

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