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Archiv "Proximale spinale Muskelatrophien" (26.06.1998)

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pinale Muskelatrophien (SMA) umfassen eine klinisch und ge- netisch heterogene Gruppe erblicher neuromuskulärer Erkran- kungen, die nach heutiger Vorstel- lung durch einen selektiven, chro- nisch progredienten Untergang von Vorderhornzellen im Rückenmark und zum Teil auch der motorischen Hirnnervenkerne des Hirnstamms charakterisiert ist.

Die autosomal rezessiven spina- len Muskelatrophien stellen mit ei- ner Inzidenz von mindestens 1 : 10 000 Geburten die zweithäufigste autoso- mal rezessiv erbliche Erkrankung dar.

Die häufigste autosomal rezessive Erkrankung ist die zystische Fibro- se.

Je nach anatomischer Lokalisa- tion des Manifestationsschwerpunk- tes werden proximale und distale Muskelatrophien unterschieden; dar- über hinaus existieren Formen mit anderen, speziellen Verteilungsmu- stern (zum Beispiel progressive Bulbärparalysen, Formen mit bevor- zugter Beteiligung des Schultergür- tels) und Sonderformen mit Beteili- gung anderer Strukturen (zum Bei- spiel spinale Muskelatrophien mit Stimmbandlähmung, spinale Muskel- atrophien mit Mikrozephalie und gei- stiger Behinderung).

Klinisches Bild

Das klinische Bild der proxima- len spinalen Muskelatrophien umfaßt ein breites Spektrum von Formen mit intrauterinem Beginn bis zu einem Krankheitsbeginn im Erwachsenenal- ter. Der weitaus größte Teil wird je- doch im Neugeborenen- oder Kindes- alter klinisch manifest (Abbildungen 1a und b) (29, 33).

Die klinischen Diagnosekriterien für die proximale spinale Muskelatro- phie sind im Textkasten aufgelistet (10). Die klinische Zuordnung einer proximalen SMA ist in vielen Fällen problemlos und basiert auf dem typi- schen klinischen Bild, charakteristi- schen elektrophysiologischen und muskelbioptischen Befunden in Kom- bination mit normalen oder nur ge- ringgradig erhöhten CK-Werten. Ty- pische Veränderungen der genannten Untersuchungen können bei sehr frühem Krankheitsbeginn bezie- hungsweise in frühen oder sehr späten Krankheitsstadien weniger eindeutig sein. Bei der akuten infantilen SMA ist deshalb vor allem das klinische Bild eines „floppy infant“ mit Zun-

genfibrillationen und Handtremor, der für Patienten mit einem Krank- heitsbeginn nach dem dritten Lebens- monat sehr charakteristisch ist, dia- gnostisch richtungsweisend.

Elektrophysiologische Befunde entsprechen denjenigen anderer Vor- derhornzellerkrankungen. Der Ver- lust von Aktionspotentialen bei zu- nehmender Kontraktion und der Nachweis pathologischer Spontan- aktivität (Fibrillationspotentiale) sind typische Befunde. Während das ge- lichtete Interferenzmuster sowie die Amplitudenerhöhung sowie Verlän- gerung der Dauer von Aktionspoten- tialen weitgehend konstante Merk- male sind (Grafiken 1a und b), wer- den Fibrillationspotentiale nicht im- mer nachgewiesen. Sie finden sich vor allem bei Personen mit späterem Krankheitsbeginn. Faszikulationen sind im Kindesalter seltener als bei Erwachsenen mit Vorderhornerkran- kungen. Die motorischen und sen- siblen Nervenleitgeschwindigkeiten (NLG) liegen in der Regel im Norm- bereich, jedoch kann es in Fällen mit schweren Verlaufsformen der SMA I Hinweise auf eine periphere Neuro- pathie geben.

In der Muskelbiopsie läßt sich als typische Folge der akuten Denervie- rung weitgehend unabhängig vom

Proximale spinale Muskelatrophien

Klaus Zerres Sabine Rudnik-Schöneborn Brunhilde Wirth

Stichwörter: Spinale Muskelatrophie (SMA), proximale Form, autosomal rezessive SMA, molekulargenetische Diagnostik

Die spinalen Muskelatrophien (SMA) stellen eine klinisch und genetisch heterogene Krankheitsgruppe dar, deren ge- meinsame pathogenetische Basis der selektive Untergang motorischer Vorderhornzellen des Rückenmarks ist. Das klinische Bild ist äußerst variabel und umfaßt schwerste Formen bei Neugeborenen mit drastisch herabgesetzter Le-

benserwartung bis zu milderen For- men im Erwachsenenalter. Neben der

großen Gruppe der proximalen Formen gibt es zahlreiche Entitäten mit unterschiedlichem Verteilungsmuster betroffe- ner Muskeln. Die molekulargenetische Diagnostik erlaubt die klinisch-genetische Zuordnung von mehr als 90 Prozent der Fälle mit autosomal rezessiver SMA des Kindes- und Ju- gendalters (SMA I bis III) und hat erhebliche Konsequen- zen für die Risikoeingrenzung und die pränatale Diagno-

ZUSAMMENFASSUNG

Key words: Spinal muscular atrophies (SMA),

proximal form, autosomal recessive SMA, genetic testing The spinal muscular atrophies represent a clinically and gen- etically heterogeneous group of neuromuscular disorders.

They are characterized by a selective loss of motor neurons in the spinal cord. The clinical picture is highly variable and includes severely affected infants who do not survive the first years of life as well as milder forms of neurogenic atrophy in

youth or adulthood. In clinical practice, prox- imal SMA predominates while other forms with

non-proximal involvement of muscles or additional organ involvement are rare. Molecular genetic advances allow a reliable diagnosis of more than 90 percent of cases with autosomal recessive SMA starting in childhood or youth (SMA type I to III) and have major implications for genetic risk calculation and prenatal diagnosis.

SUMMARY

S

Institut für Humangenetik (Direktor: Prof.

Dr. med. Peter Propping) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

(2)

Krankheitsbeginn die Gruppenatro- phie nachweisen (Abbildungen 2a und b). Daneben werden Muskelfasern von normalem beziehungsweise hy- pertrophiertem Kaliber (vorwiegend Typ-1-Fasern) gefunden. Bei den atro- phischen Fasern handelt es sich so- wohl um Typ-I- als auch Typ-II-Fa- sern. Bei milderen Verläufen

wird das Bild eher durch ei- ne Fasertypengruppierung als Folge von Reinnervations- vorgängen sowie durch se- kundär myopathische Verän- derungen bestimmt. Die hi- stologischen Befunde korre- lieren insgesamt jedoch nur wenig mit dem klinischen Bild und können praktisch nicht als prognostisch weg- weisend betrachtet werden.

Im Rückenmark ist die Zahl der motorischen Vorderhorn- zellen sowie im Hirnstamm der Hirnnervenkerne redu-

ziert. Vorhandene Zellen zeigen un- terschiedliche degenerative Verände- rungen.

Die biochemischen Untersu- chungen des Serums zeigen in der Re- gel keine typischen Auffälligkeiten. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die Creatinphosphokinase-Aktivität (CK) im Serum allenfalls geringgradig erhöht (22).

Klinische Klassifikation und Prognose

Die klinische Klassifikation der proximalen spinalen Muskelatrophie ist bis heute Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Ursache für die Vielfalt existierender Klassifikationssysteme ist das breite Spektrum klinischer Ma- nifestationen. Die klinische Variabi- lität spricht nach heutigem Erkennt- nisstand gegen die Existenz klar unter- scheidbarer Subtypen. Es wird viel- mehr ein weitgehend kontinuierliches Manifestationsspektrum für die For- men mit Beginn im Kindes- oder Ju- gendalter angenommen. Unterschied- lich lange Phasen mit fehlender oder nur minimaler Progredienz kann es vor allem bei milden Verlaufsformen geben. Eine von uns vorgeschlagene Klassifikation beruht im wesentlichen auf der Definition erworbener Funk-

tionen (freies Sitzen, Gehen) und ver- zichtet weitgehend auf die Angabe fester Altersangaben zu Erkrankungs- beginn und Lebenserwartung. Für die Praxis ist die Kenntnis der Variabilität und die Beschreibung des Verlaufs wichtiger als die Zuordnung zu den zum Teil unterschiedlich definierten

Typen der in der Literatur verwende- ten Klassifikationen. Die Tabelle zeigt die Typendefinition sowie die Überle- benswahrscheinlichkeit für Patienten mit SMA I und II beziehungsweise für SMA II die Wahrscheinlichkeit, nach einem bestimmten Krankheitsinter- vall noch gehen zu können (29, 33).

Der sehr variable Krankheitsver- lauf erlaubt keine Vorhersage der in-

dividuellen Prognose, die auch bei frühem Krankheitsbeginn oft zu un- günstig eingeschätzt wird. Eine ausge- prägte respiratorische Insuffizienz be- ziehungsweise rezidivierende Pneu- monien oder Ernährungsprobleme bis hin zu einer erforderlichen Sondie- rung in den ersten Lebensjahren kön- nen jedoch als prognostisch ungünsti- ge Zeichen gedeutet werden.

Vererbung der

spinalen Muskelatrophien des Kindesalters

Unterschiedliche Erbgänge sind bei der proximalen spinalen Muskel- atrophie bekannt und sprechen für die Beteiligung unterschiedlicher Gene.

Eine Zuordnung des klinischen Bildes des Einzelfalls zu einem bestimmten Erbgang ist nicht möglich.

Die autosomal dominanten For- men mit proximal betonter Muskel- atrophie sind im Kindesalter eine Ra- rität (Häufigkeit < 1 : 200 000), ma- chen jedoch zirka zwei Drittel der Fäl- le mit einem Erkrankungsbeginn im Erwachsenenalter aus (17, 32). Die dominante spinale Muskelatrophie wird generell in eine juvenile und eine adulte Form eingeteilt, obgleich diese strikte Zweiteilung wegen der großen Variabilität heute nicht mehr auf- rechtzuerhalten ist (19). Der Verlauf ist im allgemeinen milde mit lang er- haltener Gehfähigkeit der Betroffe- nen. Die Erkrankungswahrscheinlich- keit für Kinder einer betroffenen Per- son liegt bei 50 Prozent. Unter den sporadischen Fällen mit spätem Krankheitsbeginn ohne Familien- anamnese befinden sich wahrschein- lich ebenfalls autosomal dominante Neumutationen. Eine molekularge- netische Diagnostik steht für die do- minante SMA noch nicht zur Verfü- gung, der für die rezessive SMA ver- antwortliche Genort auf Chromosom 5q konnte durch Kopplungsanalysen ausgeschlossen werden (11).

Die autosomal rezessiv erblichen Formen sind unabhängig vom Er- krankungsalter genetisch wahrschein- lich einheitlich. Patienten mit einer autosomal rezessiv erblichen SMA sind homozygot für zwei SMA-Muta- tionen, welche sie im allgemeinen von ihren gesunden (heterozygoten) El- Abbildung 1a: Zehn Monate altes Mädchen mit spinaler Muskel-

atrophie Typ I (Werdnig-Hoffmann). Typische Stellung der Beine bei generalisierter Muskelhypotonie, Thoraxdeformität, wacher Blick.

Abbildung 1b: Sieben Jahre altes Mädchen mit SMA Typ II. Ausgeprägte Skoliose bei hochgradiger Mus- kelatrophie. Gelenkkontrakturen, Spitzfußstellung.

a

b

(3)

tern erben. Das Wiederholungsrisiko für Geschwister eines betroffenen Kindes liegt bei 25 Prozent. Formalge- netische Befunde zeigen jedoch, daß vor allem für die chronische spinale Muskelatrophie des Kindes- und Ju- gendalters die Zahl der betroffenen Geschwister von der Annahme auto- somal rezessiver Vererbung abweicht (23). Vor allem für Nachkommen von Patienten mit milden Formen, die kei- ne spezifischen molekulargenetischen Veränderungen aufweisen, muß je- doch von einem Risiko für die Geburt eines Kindes mit SMA unter Annah- me autosomal dominanter Vererbung ausgegangen werden.

Molekulargenetik

Für die autosomal rezessive pro- ximale SMA des Kindesalters wurde 1990 eine Kopplung mit genetischen Markern auf Chromosom 5q (5q12,2 –13) nachgewiesen, die sich entge- gen der ersten Erwartung sowohl für die akuten als auch milderen Formen des Jugendalters bestätigte (3, 7, 14, 15). Ein weiterer wichtiger Schritt war die Identifizierung hochpoly- morpher, eng gekoppelter Mikrosa- tellitenmarker (C212 und Ag1-CA) (Grafik 2) sowie der Nachweis soge- nannter „large scale deletions“ mit dem heterozygoten Verlust der ge- nannten Mikrosatellitenmarker bei Patienten (16). Derartige Deletio- nen finden sich in unseren Proben nur bei zirka 15 Prozent der SMA- Typ-I- und 6 Prozent der -Typ-II-Pa- tienten, jedoch nicht bei SMA Typ III (27).

Kandidatengene

Zu Beginn des Jahres 1995 wur- den gleichzeitig von mehreren Arbeits- gruppen mögliche Kandidatengene für die SMA identifiziert, die sich offenbar in einer zirka 500 kb großen Region befinden, die dupliziert und wahr- scheinlich invertiert ist (Grafik 2).

Hierbei handelt es sich um die eng be- nachbarten Gene „survival motor neu- ron“ (SMN)-Gen (13) und das „neuro- nal apoptosis inhibitory protein“

(NAIP)-Gen (21). Das SMN-Gen kommt in zwei funktionellen Kopien vor, die sich im 3’-Ende (Exons 7 und

8) unterscheiden, während das NAIP- Gen eine einzige intakte Kopie und mehrere Pseudogene innerhalb der Region aufweist. Deletionen im Be- reich beider Gene konnten bei SMA- Patienten nachgewiesen werden, sind bisher jedoch nur im homozygoten Zustand nachweisbar. Es ist mittels

Deletionsscreening alleine daher nicht möglich, heterozygote Anlageträger von gesunden Kontrollpersonen zu un- terscheiden. Die Analyse des SMN- Gens erfolgt zur Zeit mittels Einzel- strangkonformationspolymorphismus (SSCP) beziehungsweise durch Re- striktionsverdau der PCR-Endproduk- te der Exons 7 und 8 (Grafik 3).

Jüngste immunhistochemische Analysen zeigen, daß das SMN-Pro- tein mit einem weiteren Protein, dem sogenannten SIP1(SMN-interacting-)- Protein einen Komplex bildet, an dem wahrscheinlich weitere Proteine be- teiligt sind. Weitere Funktionsstudien werden hier neue Einsichten erwarten lassen.

Befunde bei SMA I bis III Molekulargenetische Untersu- chungen ergeben bei 90 bis 98 Prozent aller SMA-Patienten homozygote Deletionen des SMN-Gens, die sich durch Verlust der Exons 7 und 8, selte- ner auch nur an Exon 7, in der telome- rischen Kopie des SMN-Gens nach- weisen lassen. Patienten mit einer schwer verlaufenden SMA I zeigen in zirka 98 Prozent der Fälle eine SMN- Deletion; der Anteil der deletierten Patienten ist fast so hoch bei der SMA II (95 Prozent), wogegen die Studien, die eine nach SMA-Formen getrennte Analyse vorgenommen haben, zu dem Schluß kommen, daß von den Pa- tienten mit einer milde verlaufenden SMA III möglicherweise bis zu zehn Prozent keine Deletion im SMN-Gen zeigen (34). Von den insgesamt 6 bis 10 Prozent der Patienten mit zweifels- freier klinischer Diagnose einer proxi- malen SMA, bei denen keine homo- zygoten Deletionen vorliegen, wur- den bislang lediglich bei 10 bis 20 Pro- zent der Einzelfälle Mutationen im SMN-Gen beschrieben (9).

Während der Nachweis einer De- letion im SMN-Gen mithin ein ent- scheidendes Instrument für die Dia- gnosesicherung einer SMA darstellt, ist noch ungeklärt, welche Verände- rungen letztlich für die erhebliche kli- nische Variabilität der SMA verant- wortlich sind.

Trotz der großen Bedeutung des SMN-Gens für die Entstehung der SMA gibt es Belege für die Annahme, daß das SMN-Gen nicht mit dem SMA-Gen identisch ist. Es gibt zum Beispiel seltene Beobachtungen ein- zelner gesunder Geschwister oder El- ternteile, meist von SMA-III-Patien- ten, die ebenfalls eine homozygote Deletion des SMN-Gens aufweisen, ohne an einer SMA zu erkranken (4, 8, 26). Die Tatsache, daß die SMN- Deletion bei Patienten mit sehr unter- schiedlichem Schweregrad auftritt, betroffene Geschwister jedoch meist einen ähnlichen Krankheitsverlauf aufweisen, legt nahe, daß weitere ge- netische Faktoren für die Entstehung der SMA verantwortlich sind.

Die Analyse des NAIP-Gens hat in der klinischen Praxis eine allenfalls untergeordnete Bedeutung, weil ei- nerseits der Anteil der im SMN- Diagnostische Kriterien

proximaler spinaler Muskelatrophien (Internationale SMA-Kooperation zur Diagnostik

spinaler Muskelatrophien, [10]) Einschlußkriterien:

I. Muskelschwäche:

1symmetrisch 1proximal > distal 1Beine > Arme 1Rumpf- und

Interkostalbeteiligung II. Denervation:

1im EMG

1in der Muskelbiopsie 1Faszikulationen Ausschlußkriterien:

1ZNS-Beteiligung 1Arthrogryposis

1Beteiligung anderer Organe (z. B. Ohren und Augen) 1Sensibilitätsstörungen 1Augenmuskelbeteiligung 1deutliche Gesichtsmuskel-

beteiligung 1CK-Aktivität

> 10fach der oberen Norm 1motorische Nervenleitgeschwin-

digkeit < 70 Prozent der Norm

(4)

Gen deletierten Patienten wesentlich höher ist als derjenigen, die eine Dele- tion im NAIP-Gen zeigen (zirka 20 bis 25 Prozent je nach SMA-Typ), und weil alle Patienten mit einer Deletion im NAIP-Gen immer auch eine Dele- tion im SMN-Gen aufweisen. Ande- rerseits wurde auch deutlich, daß die Deletion im NAIP-Gen alleine nicht zur Entwicklung einer SMA aus- reicht, da bei zirka zwei Prozent der heterozygoten Eltern ebenfalls homo- zygote NAIP-Gen-Deletionen gefun- den werden können.

Seltene schwere Manifestatio- nen einer kongenitalen SMA Mit Hilfe der Möglichkeit des Nachweises von Deletionen im SMN- Gen konnten einzelne Patienten be- ziehungsweise betroffene Geschwi- ster identifiziert werden, die neben den klassischen Manifestationen ei- ner SMA zusätzliche Auffälligkeiten, wie Arthrogryposis, externe Ophthal- moplegie, zerebrale Atrophie sowie axonale Veränderungen, aufwiesen.

Weitere systematische Daten sind hier jedoch notwendig (5, 12).

Befunde bei der adulten proximalen SMA (Typ IV) Die autosomal rezessiv erbliche adulte proximale spinale Muskelatro- phie (SMA IV) mit einem Krank- heitsbeginn jenseits des 30. Lebens- jahres ist bisher gegenüber der proxi- malen SMA des Kindes- und Jugend- alters (SMA I bis III) als eigene Enti- tät eingestuft worden. Bei den Patien- ten mit einer SMA IV konnten wir bisher in keinem Fall eine Deletion des SMN-Gens nachweisen (30). An- dere Studien kommen zu weitgehend gleichen Ergebnissen (6), wohingegen sich bei Patienten mit einem Krank- heitsbeginn zwischen dem 20. und 30.

Lebensjahr zum Teil eine spezifische Deletion findet (2), wodurch das Spektrum der SMA mit Lokalisation auf Chromosom 5q möglicherweise auch diese milden Verlaufsformen mit einschließt. Die genetische Basis der Fälle mit einem Beginn nach dem 30.

bis 40. Lebensjahr bleibt derzeit unge- klärt.

In Familien mit erkrankten Per- sonen in zwei Generationen konnten

wir in vier von sechs Familien die spe- zifische Deletion im SMN-Gen bei dem betroffenen Elternteil und dem erkrankten Kind nachweisen, wo- durch autosomal rezessive Vererbung auf der Basis von drei verschiedenen Mutationen bestätigt werden konnte (25).

In diesen Fällen liegt Pseudodo- minanz mit einem Wiederholungsri- siko von 50 Prozent vor. Im Unter-

schied zur autosomal dominanten Form kann diesen Familien jedoch bei entsprechendem Wunsch eine präna- tale Diagnostik angeboten werden.

Daneben gibt es Stammbäume mit gleichem klinischem Bild, die keine Deletion zeigen und für die die geneti- sche Basis zunächst ungeklärt bleibt.

Autosomal dominante Vererbung kann in diesen Fällen jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Differentialdiagnose

Die systematische Differential- diagnose wird zunächst durch den un- scharfen Gebrauch der historischen Begriffe wie „Myatonia congenita“

oder „Amyotonia congenita“, die zum Teil heute noch verwendet wer- den, erschwert. Diese Bezeichnungen gelten heute als obsolet, der überwie- gende Teil dieser Patienten dürfte der

Gruppe der proximalen spinalen Muskelatrophien zuzuordnen sein.

Im Kindesalter kommt die um- fangreiche Differentialdiagnose des

„floppy infant“ in Betracht, hier soll- te vor allem an kongenitale Mus- keldystrophien, die kongenitale myo- tonische Dystrophie, Strukturmyopa- thien, das Prader-Willi-Syndrom so- wie die hypotone Zerebralparese ge- dacht werden.

0,1 mV

100 ms

1 mV 100 ms Neurogene Atrophie Gesunder Muskel

2a 2b

Grafik 1

Schematische Darstellung der elektromyographischen Befunde am normalen Muskel (a) und bei neurogener Muskelatrophie (b). Im gesunden Muskel finden sich normale zweiphasige Aktionspotentiale. Durch das kom- plette Überlappen der motorischen Einheiten findet sich ein dichtes Interferenzmuster bei Maximalinnervation (a, unten). Bei neurogener Muskelatrophie sind die einzelnen Aktionspotentiale durch kollaterales Ausspros- sen der überlebenden Motoneurone verbreitert, hochamplitudig und oft polyphasisch (b, Mitte). Der Verlust motorischer Einheiten (Motoneuron mit gepunkteter Linie) führt zu einer Lichtung des Interferenzmusters bei zunehmender Aktivierung der Muskulatur (b, unten).

a b

(5)

Im Kindes- und Jugendalter soll- ten die Muskeldystrophien (Muskel- dystrophie Typ Becker oder Glieder- gürtel-Muskeldystrophien) differenti- aldiagnostisch in Betracht gezogen werden. Der Nachweis von Deletio- nen im Dystrophin-Gen bei einzelnen Patienten mit der Dia-

gnose einer SMA, die aufgrund neurogener Veränderungen in EMG oder Muskel- biopsie gestellt wurde, zeigt, daß im Einzelfall die Diagnosestellung mit Schwierigkeiten verbunden sein kann.

Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, bei männli- chen Patienten mit SMA-Verdacht, vor al- lem mit späterem Er- krankungsbeginn und gegebenenfalls erhöh- ter CK-Aktivität, rou-

tinemäßig ein Deletionsscreening des Dystrophingens oder eine Dystro- phinbestimmung zu veranlassen, wenn keine Deletion des SMN-Gens nach- gewiesen werden konnte. Es wurden weiterhin Konduktorinnen für die Muskeldystrophie Duchenne be- schrieben, die klinisch als spinale Mus- kelatrophie imponierten (28).

Obwohl sich Stoffwechselstörun- gen je nach zugrundeliegendem De-

fekt bei genauer Analyse klinisch in der Regel von denjenigen einer proxi- malen SMA unterscheiden, kann die Abgrenzung im Einzelfall Schwierig- keiten bereiten. Aus der Gruppe der denkbaren metabolischen Myopathi- en können Hexosaminidase-A-Defizi-

enz, GM2-Gangliosidose sowie der saure Maltase-Mangel genannt wer- den.

Schon mit der Möglichkeit der indirekten Genotypanalyse konnten Sonderformen der SMA mit unter- schiedlicher genetischer Basis defi- niert werden. Diese Befunde ließen sich dann für einige atypische Ver- laufsformen durch den Ausschluß einer SMN-Deletion bestätigen. Zu

diesen Formen zählen die SMA mit kongenitaler Arthrogryposis, die SMA mit zerebellärer Hypoplasie so- wie die SMA mit initialer respiratori- scher Insuffizienz (24).

Auch für die SMA mit nicht proximalem Verteilungsmuster sind

nach den bisherigen Daten andere genetische Ursachen verantwortlich (1, 32). Da die Genorte für diese nicht proximalen Formen bis auf eine autosomal distale SMA nicht be- kannt sind, kann die genetische Zu- ordnung derzeit nur nach der klini- schen Einordnung unter Berücksich- tigung der Familienanamnese erfol- gen. Von den zahlreichen Formen sollen zwei häufig gestellte Diagno- sen speziell erwähnt werden. Als Muskelatrophie Typ Vulpian-Bern- hardt wird eine neurogene Atrophie mit bevorzugter Beteiligung des Schultergürtels und als Typ Duchenne- Aran mit Betonung der Handmus- kulatur bezeichnet. Es besteht heute kein Zweifel, daß es sich bei diesen Krankheitsgruppen nicht um Entitäten, sondern allenfalls um neu- rogene Atrophien mit speziellem Verteilungsmuster handelt. Im Ein- zelfall sind unter diesen Bezeichnun- gen distale SMA-Formen, facio- scapulo-humerale Muskeldystrophi- en, Polymyositis, Frühstadien der ALS und weitere Krankheitsbilder zusammengefaßt. Die Existenz einer scapulo-humeralen SMA wird kon- trovers diskutiert, da ein Teil der Pa- tienten der facio-scapulo-humeralen Muskeldystrophie zugeordnet wer- den mußte. Ricker und Hertel haben bereits 1986 im Zusammenhang mit Abbildungen 2a und b: Muskelbiopsie bei spinaler Muskelatrophie. Neuropathologische Befunde. Vier Monate altes Kind mit spinaler Muskelatrophie Typ I (Werdnig-Hoffmann). a) Große Felder aus stark atrophischen runden Fasern neben kompensatorischer Hyper- trophie. Fast keine Fasern im Normbereich erkennbar. Deutlich endo- und perimysiale Fibrose. HE, x 80. b) Faserhypertrophie aus- schließlich vom Typ 1 (blau), Atrophie vom Typ 1 (blau) und Typ 2 (braun). NADH-Tr/ATPase pH 9,4.

Tabelle

Klassifikation und prognostische Parameter der autosomal rezessiven proximalen SMA, Daten nach Kaplan-Meier-Überlebenskurven auf der Basis von 445 Patienten (nach Zerres et al., 1995 [29])

SMA Typ Definition Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter in Prozent

2 4 10 20 40 Jahre

I Sitzen nicht möglich 32 18 8 0 0

II Sitzen erlernt; freies

Gehen nicht möglich 100 100 98 77 –

Wahrscheinlichkeit für den Erhalt der Gehfähigkeit nach Erkrankungsbeginn in Prozent

2 4 10 20 40 Jahre

IIIa Gehen möglich,

Beginn <3 Jahre 98 95 73 44 34

IIIb Normale Entwicklung,

Beginn 3–30 Jahre 100 100 97 89 67

IV Beginn > 30 Jahre (Daten nicht verfügbar)

a b

(6)

der Bezeichnung Muskelatrophie Vulpian-Bernhardt sehr deutlich dar- auf hingewiesen, daß unter diesem Begriff heterogene Krankheitsbilder zusammengefaßt werden. Sie führen weiter aus: „Trotzdem wird diese

überflüssige Bezeichnung von Lehr- buch zu Lehrbuch mitgeschleppt wer- den, als handle es sich um eine eigen- ständige Krankheitsform“ (18).

Möglichkeiten der molekulargenetischen Diagnostik

Diagnosestellung bei klinischem Verdacht

Der Nachweis der homozygoten Deletion der Exons 7 beziehungswei- se 7 und 8 der telomerischen Kopie des SMN-Gens (SMN-Deletion) be- weist bei klinischem Verdacht die Diagnose einer proximalen spinalen Muskelatrophie. Eine weiterführen- de invasive Diagnostik ist in diesen Fällen nicht mehr notwendig. Der Nachweis der SMN-Deletion sichert autosomal rezessive Vererbung, wo- durch die Basis für eine Risikozuord- nung in betroffenen Familien gege- ben ist.

In den seltenen Fällen, in denen eine Punktmutation in der telomeri- schen Kopie des SMN-Gens nachge- wiesen werden kann, ist bei typi- schem klinischem Bild die Diagnose einer proximalen SMA ebenfalls gesi- chert.

Der fehlende Nachweis einer SMN-Deletion schließt das Vorliegen

einer SMA nicht aus, sollte jedoch bei untypischer Symptomatik an der Dia- gnose zweifeln lassen. Eine SMN-De- letion kann derzeit bei insgesamt mehr als 90 Prozent aller Patienten nachgewiesen werden, wobei der An-

teil der nicht deletierten Fälle bei mil- deren Verlaufsformen zunimmt. De- letionen finden sich in zirka 98 Pro- zent bei SMA Typ I, 95 Prozent bei SMA Typ II sowie zirka 80 bis 90 Pro- zent bei SMA Typ III. Die genetische Basis nicht deletierter Fälle ist bisher mit Ausnahme derjenigen Fälle mit nachgewiesenen Punktmutationen unklar.

Eine molekulargenetische Dia- gnostik steht derzeit weder für die überwiegende Zahl der SMA-plus- Formen des Kindesalters noch für die autosomal dominante SMA oder For- men mit nicht proximalem Vertei- lungsmuster zur Verfü- gung.

Prädiktive Diagnostik Da ein sehr kleiner Teil klinisch unauffälli- ger Geschwister von SMA-Patienten (bisher vorwiegend Typ III) ebenfalls eine homozy- gote SMN-Deletion aufweist, sollte der Nachweis einer SMN- Deletion in diesen Fäl- len ohne klinischen Hinweis auf eine SMA nicht zur prädikativen Diagnostik ver- wendet werden.

Heterozygotentest

Ein Heterozygotentest ist bisher nur mit Hilfe einer indirekten Geno- typanalyse bei Verwandten betroffe- ner Personen möglich; ein direkter Test befindet sich in der Erprobung, Abbildungen 2c und d: Erwachsener mit spinaler Muskelatrophie Typ III (Kugelberg-Welander). c) Gruppen und Felder von angulär-atro-

phischen Fasern neben kompensatorischer starker Hypertrophie. Fibrose, Lipomatose. HE, x 32. d) Deutliche Fasertypengruppierungen als Ausdruck einer Reinnervation. Typ-I-Fasern hell. Texturstörungen im Sinne von Targets in mehreren Typ-I-Fasern. NADH-Tr, x 50. (Mit freundlicher Genehmigung von Frau Priv.-Doz. Dr. E. Neuen-Jacob, Institut für Neuropathologie der Universität Düsseldorf).

A31(D5S823) 97T-CA

zentromerische Kopie

˜

500 Kb

telomerische Kopie

˜

500 Kb

ψNAIP SMN AG1-CA C212 C212 AG1-CA SMN NAIP 5qter 5qcen

1 2a 2b3456 7 8 1 2a 2b3456 7 8

cenSMN telSMN

T A C G

SMA-Region (5q11.2-q13.3)

Grafik 2

SMA-Genregion, schematische Darstellung. Es existiert ein duplizierter und wahrscheinlich invertierter Bereich von zirka 750 kb, der jeweils telomerische und zentromerische Kopien der SMN(survial motor neuron)- sowie NAIP(neuronal apoptosis inhibitory protein)-Gene sowie zahlreiche Marker enthält. Unterschiede der Basen- sequenz im Bereich der Exons 7 und 8 zwischen der telomerischen und zentromerischen Kopie des SMN-Gens ermöglichen den Nachweis der für die spinale Muskelatrophie charakteristischen Deletion.

c d

(7)

dessen Zuverlässigkeit derzeit noch nicht sicher abgeschätzt werden kann.

Die molekulargenetische Kopplungs- analyse setzt meist die Einbeziehung weiterer Personen aus der Verwandt- schaft (Eltern und Geschwister von Patienten) voraus.

Ein Heterozygoten- screening in der Bevölke- rung steht für die SMA nicht zur Verfügung.

Zur Einordnung von ge- netischen Risiken und zur Frage der pränatalen Dia- gnostik, auch bei entfernte- ren Anverwandten von Be- troffenen, sollte in jedem Falle eine humangenetische Beratung in Anspruch ge- nommen werden.

Pränataldiagnostik Eine Pränataldiagnostik ist dann sicher möglich, wenn bei einem betroffenen Kind in der Geschwisterschaft die SMN-Deletion nachgewie- sen werden konnte. Ist der Indexpatient bereits verstor- ben, sollte versucht werden, DNA aus eventuell noch vor- handenem Material zu ge- winnen (Muskelbiopsat, Par- affin-Blöcke, mikroskopi- sche Schnitte, Guthrie-spot und andere).

Zeigt die DNA des un- tersuchten Patienten keine SMN-Deletion (beziehungs- weise Punktmutation), sollte diesen Familien nach dem heutigen Kenntnisstand kei- ne Pränataldiagnostik ange- boten werden.

Sollte kein Material des Indexpatienten mehr zur Verfügung stehen, kann eine Pränataldiagnostik nur dann in Erwägung gezogen wer- den, wenn die klinische Dia- gnose zweifelsfrei gesichert ist. In diesen Fällen verbleibt

jedoch auch bei schweren Verlaufsfor- men eine diagnostische Unsicherheit, die statistisch je nach SMA-Typ zwi- schen 2 Prozent (Typ I) und 10 bis 20 Prozent (Typ III) liegt.

Die Möglichkeit einer Pränatal- diagnostik zum Ausschluß einer SMA

bei niedrigem Ausgangsrisiko (zum Beispiel bei Schwangerschaften von nahen Verwandten betroffener Perso- nen wie Onkel, Tanten, Geschwistern oder Betroffenen selbst) sollte mög- lichst vor Eintritt einer Schwanger-

schaft diskutiert sowie je nach Famili- ensituation durch Heterozygotendia- gnostik weiter eingegrenzt werden.

Voraussetzung für eine vorge- burtliche Diagnostik ist in jedem Falle eine humangenetische Beratung. Die Frage nach der Inanspruchnahme ei-

ner Pränataldiagnostik ist immer mit der grundsätzlichen Akzeptanz bezie- hungsweise Ablehnung eines Schwan- gerschaftsabbruches verbunden. Nach einer 1991 durchgeführten Befragung von 51 älteren SMA-Patienten und 72 Eltern meist jüngerer Patienten halten etwa 90 Prozent der Eltern und zirka zwei Drittel der Patienten einen Schwangerschaftsabbruch bei präna- taler Diagnose einer SMA für vertret- bar (20). Die Möglichkeiten einer Prä- nataldiagnostik stellt in Anbetracht der von Betroffenen selbst und deren Familien beschriebenen Schwere der Erkrankung für viele Familien einen gangbaren Weg dar.

Therapeutische Möglichkeiten Eine kausale Therapie der SMA steht nicht zur Verfügung. Aufgrund der zum Teil sehr spezifischen Proble- matik sollten therapeutische Maßnah- men in enger Absprache mit speziali- sierten Zentren erfolgen (31).

Therapeutischer Aktionismus, der leider eher die Regel als die Aus- nahme darstellt, muß vermieden wer- den. Die gelegentlich angewandte Elektrostimulation kann als Thera- pie allgemein nicht empfohlen wer- den.

Zur Vermeidung von Hypoglyk- ämien sind kleinere Mahlzeiten tags- über und eine kohlenhydrat- und pro- teinreiche Mahlzeit am späteren Abend empfehlenswert. Kinder mit SMA sollten zur Vermeidung von In- fektionskrankheiten die normalen Impfungen erhalten. Die Grunder- krankung birgt keine erhöhten Narko- serisiken (zum Beispiel im Sinne einer malignen Hyperthermie), die Opera- tionsfähigkeit kann jedoch durch eine respiratorische Funktionsstörung ein- geschränkt sein.

Physiotherapie

Bei schwer eingeschränkten Pati- enten mit frühem Beginn (in der Re- gel SMA I) sollte jede schmerzhafte oder als unangenehm empfundene Physiotherapie vermieden werden.

Aktive Physiotherapie ist bei milden Verlaufsformen sinnvoll, isometri- sches Krafttraining wird von den mei- sten Patienten zur Verbesserung der Mobilität und Koordination als hilf-

622 623

622 623 624 626 625 622 623 624 626 625

SMN Exon 7 SMN Exon 8

624 626 625

Grafik 3

Stammbaum einer Familie mit SMA III. Das Ergebnis des SMN-Dele- tionsscreenings mittels SSCP zeigt beim Patienten 626 eine homo- zygote Deletion (Pfeil) sowohl in Exon 7 als auch in Exon 8 des telSMN-Gens. Über eine Kopplungsanalyse mit Chromosom-5q- Markern wurden die für die SMA verantwortlichen Haplotypen (grau-gepunktete beziehungsweise schwarze Balken) ermittelt. Der jüngere Bruder 625 ist wie seine Eltern heterozygot und zeigt bei der Analyse des SMN-Gens die gleichen Banden für Exons 7 und 8 wie der homozygot gesunde Bruder 624.

(8)

reich eingestuft. Eine krankengymna- stische Behandlung sollte bis zu drei- mal wöchentlich erfolgen.

Orthopädische Maßnahmen Rollstühle mit einer Hebefunkti- on sind auch für die psychologische Unterstützung der Kinder wertvoll.

Milde Kontrakturen sollen durch pas- sive Mobilisierung und Streckung be- handelt werden. Patienten, die eine stehende Position einnehmen kön- nen, sollen durch geeignete Maßnah- men (Schienen oder Swivvel-walker) unterstützt werden. Operative Kor- rekturen von Kontrakturen der unte- ren Extremität können für den mög- lichst langen Erhalt einer Gehfähig- keit sinnvoll sein. Die Entwicklung ei- ner Skoliose ist das Hauptproblem bei rollstuhlpflichtigen Patienten und soll- te sehr früh im Krankheitsverlauf mit einem spezialisierten Orthopäden dis- kutiert werden; gegebenenfalls muß sie operativ behandelt werden.

Assistierte Beatmung

Die Frage der Beatmung wird bei SMA-I-Patienten mit ungünstiger Pro- gnose kontrovers diskutiert und sollte in jedem Fall mit betroffenen Eltern ausführlich besprochen werden. Pati- enten mit chronischen Krankheitsver-

läufen, die eine respiratorische Insuffi- zienz entwickeln, sollte alle denkbare Hilfe zur Verfügung stehen. Frühes Flötespielen beziehungsweise Bal- lonaufblasen ist als Atemtraining sinn- voll. Bei Verschlechterung der Atem- funktion, zum Beispiel im Rahmen von Infekten, kann eine intermittierende Beatmung notwendig werden.

Ausblick

Die dargestellten Möglichkeiten und Grenzen sollen die Komplexität der neuen diagnostischen Verfahren deutlich machen, welche uns zum ver- antwortungsvollen Umgang zwingen.

Jeder direktiven Einflußnahme oder Automatisierung einer molekularge- netischen Diagnostik muß entschieden entgegengewirkt werden. Die Erfor- schung von Struktur und Funktion des SMA-Gens ist Gegenstand inten- siver nationaler und internationaler Bemühungen und wird in der Zukunft mit der Identifizierung der Erbanlage selbst eine weitergehende Diagnose- stellung und Testung von Anlageträ- gern ermöglichen. Dies wird auch un- ser Verständnis für die Pathogenese der Erkrankung erweitern, wodurch auch die Chancen zukünftiger Thera- pieansätze besser beurteilt werden können. Die Betreuung von Familien

mit spinaler Muskelatrophie wird je- doch auch in der Zukunft eine interdis- ziplinäre Aufgabe bleiben. Für betrof- fene Personen beziehungsweise deren Familien ist der Kontakt zur Deut- schen Gesellschaft für Muskelkranke e. V. in Freiburg mit einer Vielfalt von Informationen und Kontaktmöglich- keiten besonders wertvoll. Die Ein- schätzung der Belastung durch die Krankheit kann in einzelnen Familien sehr unterschiedlich sein, wie die fol- genden zwei Zitate stellvertretend an- deuten sollen: „Ich denke, daß ich als Behinderte kein ,schweres Schicksal‘

habe, sondern eine wichtige Aufgabe.“

„Es war die schwerste, aber auch die glücklichste Zeit unseres Lebens.“

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1667–1674 [Heft 26]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Klaus Zerres Institut für Humangenetik der Universität Bonn

Wilhelmstraße 31 53111 Bonn

Mittel der Wahl bei der Therapie der endoskopisch verifizierten Re- fluxösophagitis sind in der heutigen Therapie Protonenpumpenblocker.

Offensichtlich bestehen Unterschie- de hinsichtlich der Erfolgsraten zwi- schen den verschiedenen Protonen- blockern Omeprazol, Lanzoprazol und Pantoprazol bei schweren Re- fluxösophagitiden.

Die Autoren aus Fulda und De- troit berichten über die Ergebnisse von 36 Patienten mit Ösophagitis Grad IV, die mit 20 mg Omeprazol, 30 mg Lanzoprazol oder 40 mg Pan- toprazol nach Ausheilung der ero- siv/ulzerösen Defekte in eine Lang- zeittherapie übergeführt wurden. In

Remission blieben unter Omeprazol 90 Prozent, unter Lansoprazol 20 Prozent und unter Pantoprazol 30 Prozent der 30 von 36 Patienten, die unter einer vierwöchigen Behand- lung mit zweimal 20 mg Omeprazol und wöchentlicher Bougierung zur Ausheilung gebracht werden konn-

ten. w

Jaspersen D, Diehl KL, Schoeppner H, Geyer P, Martens E: A comparison of omeprazole, lansoprazole and pantopra- zole in the maintenance treatment of se- vere reflux oesophagitis. Aliment Phar- macol Ther 1998; 12: 49–52.

Abteilung für Gastroenterologie, Aka- demisches Lehrkrankenhaus Fulda, and Department of Internal Medicine, Henry Ford Hospital, 2799 West Grand Blvd., Detroit, MI 48202-2689, USA.

Welcher Protonenpumpeninhibitor

bei schwerer Refluxösophagitis? Literaturverzeichnisse

Aus Platzgründen können Litera- turverzeichnisse nur dann veröffent- licht werden, wenn sie nicht mehr als 15 Zitate umfassen. Alle Autoren wer- den bereits beim Einreichen des Ma- nuskriptes auf diese Regelung hinge- wiesen und gebeten, bevorzugt Schlüs- selpublikationen auszuwählen, die den Weg zur weiterführenden Literatur weisen. Auf Wunsch der Autoren kann ein dem genannten Umfang ent- sprechendes Literaturverzeichnis mit dem Zusatz versehen werden „Weiter- führende Literatur beim Verfasser“.

Umfangreichere Literaturverzeichnis- se sind über den Sonderdruck erhält- lich und außerdem im Internet unter der Adresse http://www.ärzteblatt.de abrufbar. Ins Internet werden Litera- turverzeichnisse mit dem Erschei- nungstag des Heftes eingestellt.

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