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Archiv "Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie" (27.06.1997)

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iemand möchte sich durch ei- nen mißratenen Unterrichts- versuch blamieren; zu schnell ruft das Versagen des Experi- mentators Mißtrauen gegen das Fach hervor, für das er einsteht. Besonders schlimm ist es, wenn das widerspensti- ge Experiment als Schlüssel für das ganze Fach gilt. Otto Loewis Entdeckung der neurohumoralen Übertragung wurde erst dann aner- kannt, als Zweifler seine Experimente am Froschherzen wiederholt hatten.

Auch am Anfang der Homöopa- thie steht ein Schlüsselexperiment, nämlich Hahnemanns oft zitierter Selbstversuch (1). Er dient bis heute als Beleg, daß Homöopathie eine Er- fahrungsheilkunde sei (14). Hahne- mann beschreibt ihn ausführlich:

„Schon im Jahr 1790 . . . machte ich mit der Chinarinde den ersten reinen Versuch an mir selbst . . ., und mit die- sem ersten Versuch ging mir zuerst die Morgenröthe zu der bis zum hellsten Tag sich aufklärenden Heillehre auf“

(7). Als Fußnote (2) gibt er zu Proto- koll:

„Ich nahm des Versuches halber etliche Tage zweimahl täglich jedes- mahl vier Quentchen gute China ein;

die Füse, die Fingerspitzen u.s.w. wur- den mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und ge- schwind; eine unleidliche Ängstlich- keit, ein Zittern (aber ohne Schau- der), eine Abgeschlagenheit durch al- le Glieder; dann Klopfen im Kopfe, Röthe der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber ge- wöhnlichen Symptomen erschienen nacheinander, doch ohne eigentlichen Fieberschauder. Mit kurzem: auch die mir bei Wechselfieber gewöhnlichen besonders charakteristischen Sym- ptomen, die Stumpfheit der Sinne, die Art von Steifigkeit in allen Gelenken, besonders aber die taube widrige Empfindung, welche in dem Periosti- um über allen Knochen des ganzen Körpers ihren Sitz zu haben scheint – alle erschienen. Dieser Paroxysm dauerte zwei bis drei Stunden jedes-

mahl, und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht.

Ich hörte auf, und ich war gesund.“

Die neue „Heillehre“ war das Simileprinzip, nach dem die Homöo- pathie benannt ist. Cortex chinae war als Heilmittel bei Wechselfieber bekannt, aber – so der Versuch – es erzeugte eine Arzneimittelkrank- heit, die dem Wechselfieber ent- sprach. Hahnemann zog den Schluß:

Wenn ein Arzneimittel ein bestimm- tes Krankheitsbild erzeugt, dann kann es eine natürliche Krankheit mit vergleichbaren Symptomen auch heilen.

Experimentelles

Der simple Versuch sollte sich ohne sonderlichen Aufwand an Zeit und Material in die Gießener Vorle- sung (E. H.) über „besondere Thera- pierichtungen“ einbauen lassen. Also maß der Hochschullehrer (70 Jahre, 64 kg) Körpertemperatur (oral) und Puls vor und nach der Vorlesung. Er demonstrierte den Studenten pulveri- sierte Cortex chinae (3); beiläufig stellte er die Droge als Phytopharma- kon mit großer Geschichte vor. Dann suspendierte er die zuvor abgewoge- ne Menge (1,6 g entspricht 1 neuem Quentchen) in einem Glas Wasser, rührte kräftig mit einem Kaffeelöffel und trank. Er mußte gut nachspülen, um auch die Reste aus dem Glas zu gewinnen und vor allem den widerlich bitteren Geschmack los zu werden.

Der Umrechnungsfaktor (1,66 g = 1 Quentchen) galt erst ab 1858; Hahne- mann mag ein Quentchen höher ver- anschlagt haben, vermutlich 3,64 g (9). Seine Dosierung lag im damals üblichen therapeutischen Bereich (1), eine „Arzneimittelkrankheit“ oder Vergiftung war eigentlich nicht zu be- fürchten.

Träfe Hahnemanns Beschrei- bung zu, dann sollte die Vorlesung

binnen kurzem ihr Ende finden. Aber es passierte nichts Berichtenswertes, außer daß sich der Vortragende wie eine redende Flasche Tonic Water fühlte. Die Körpertemperatur hatte sich nicht verändert (35,8 °Celsius vor der Vorlesung, 36,15° danach); der Puls blieb unauffällig. Für die Studen- ten (nicht unbedingt für den Vortra- genden) war der Versuch vergnüglich und dürfte in dauernder Erinnerung bleiben. Eine Verdoppelung der Do- sis änderte nichts am Ergebnis.

Drei mögliche Einwände waren auszuräumen:

1 Der Proband sei ungeeignet.

Er sei zu alt und stünde überdies un- ter Antihypertensiva (Betablocker und Diuretikum). Auch könne er als Hochschullehrer der Pharmakologie voreingenommen sein, wenn es um Homöopathie geht, und daher die

„Arzneimittelkrankheit“ wie ein In- dianer am Marterpfahl überstehen.

1 Die Dosis sei zu niedrig, eine Beobachtungszeit von 45 Minuten zu kurz.

1 Die Daten seien unzurei- chend.

Daher wurde der Vorlesungsver- such mit höherer Dosis unter Laborbe- dingungen durch einen unabhängigen Kollegen wiederholt. Der Arzt H. J. (37 Jahre, 80 kg) maß sich drei- mal im Abstand von 30 Minuten Blut- druck, Puls und Temperatur. Dann nahm er in einem Experiment 3,3 g, in einem anderen 8 g Cortex chinae und wiederholte die Messungen viermal im Abstand von 30 Minuten. Weder die unter Cortex chinae gemessenen Da- ten noch die Befindlichkeit wichen von der Norm ab. Die Zahlen für die stärk- ste Exposition seien kurz angeführt.

Hier lag der Puls unmittelbar vor der Droge bei 89/Minute mit maximalen Abweichungen von ± 5 über zwei Stunden. Die Temperatur blieb bei 36,5° Celsius mit maximalen Abwei- chungen von + 0,2° Celsius und 20,5°

Celsius. Auch der Blutdruck des Pro- banden (140/80) änderte sich nicht.

Dieser Versuch wurde in einer gekürz- ten (40 Minuten) Version, aber mit

A-1811

M E D I Z I N KURZBERICHT

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 26, 27. Juni 1997 (51)

Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie

Hans-Joachim Krämer Ernst Habermann

Klinische Pharmakologie, Klinikum der Justus- Liebig-Universität Gießen

(2)

grundsätzlich gleichen Ergebnissen, auch in der Vorlesung des Sommerse- mesters 1997 demonstriert.

Diskussion

Wir sind nicht sicher, ob der Ver- such von Hahnemann selbst oder von wem auch sonst unter Originalbedin- gungen, das heißt mit Cortex chinae in hoher Dosis, jemals wiederholt wurde. Prüfungen mit Chinin, bereits 1841 angestellt, erbrachten nicht das erwartete Ergebnis (1). Der Greifs- walder Pharmakologe Schulz, sicher kein Gegner der Homöopathie (8), fand unter niedrigen Dosen Chinin (5 bis 10 mg, äquivalent etwa 100 mg Rohdroge) die Körpertemperatur ge- sunder Probanden unverändert (13).

Hahnemann selbst hatte noch kein Fieberthermometer. Entsprechend der damaligen Definition setzte er Fieber mit beschleunigtem Puls gleich (4). Daher rechnete er auch sehr star- ken Kaffee oder Branntwein neben Ignazbohne, Arsenik und Pfeffer zu den fiebererzeugenden, das Wechsel- fieber spezifisch hemmenden Sub- stanzen (2). Änderungen der Herzak- tion durch China-Alkaloide sind be- kannt (5), desgleichen Rötung der

Haut; beide Kreislaufreaktionen wur- denn auch von Hahnemann regi- striert. Aber daß sich die Bedeutung des Wortes Fieber seither gewandelt hat, ist manchem Vertreter der Homöopathie unbekannt (14).

Hahnemanns Epigonen ist eine weitere Erklärung eingefallen. Ihr Meister verbrachte 1777 kurze Zeit in Siebenbürgen, wo es damals Malaria gab. Aus seiner Erlanger Zeit (11) und auch aus dem Jahr 1808 (6) stam- men Berichte, die auf gelegentliche Anfälle von Malaria schließen lassen.

In Erlangen, wo er 1779 promovierte, vertrug er die beim Selbstversuch an- gewandte Dosis anstandslos. Zur Er- klärung dieser Unstimmigkeit wurde unterstellt (1), daß Hahnemann zwi- schen 1779 und 1790 überempfindlich gegen Chinin oder einen anderen In- haltsstoff von Cortex chinae gewor- den sei. Aber das „Arzneimittelbild“, wie es Hahnemann mit erfreulicher Deutlichkeit beschreibt, paßt nicht recht zu den Symptomen, die man bei einer Überempfindlichkeit gegen Chinin erwarten würde (5). Und vor allem: Wer das Schlüsselexperiment an einer Allergie Hahnemanns fest- machen möchte, entwertet es.

Bayr (1) meint schließlich: Hah- nemann entdeckte das Similia simili-

bus, weil er ein wissenschaftlich feh- lerhaftes Experiment homöopathisch richtig interpretierte. Führte man Bayrs Gedanken weiter, dann wäre Homöopathie keine Erfahrungs-, son- dern eine Irrtumswissenschaft. Dieser Geburtsfehler besteht fort: Wenn sich ein Schlüsselexperiment als fehlerhaft erweist und nicht widerrufen wird, ge- deiht kein Fortschritt. Die seitherige Geschichte der Homöopathie (10, 12) ist dafür ein Lehrstück.

Ärzte, die unsere Befunde über- prüfen wollen, sind zu weiteren Selbst- versuchen, vor allem solchen mit höhe- rer Dosis, in unserem Labor herzlich eingeladen. Reisekosten innerhalb Deutschlands werden erstattet.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-1811–1812 [Heft 26]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Ernst Habermann Klinische Pharmakologie

Justus-Liebig-Universität Gießen Gaffkystraße 11c

35385 Gießen

A-1812

M E D I Z I N KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT

(52) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 26, 27. Juni 1997 Kardiovaskuläre Erkrankungen

zeichnen bei einem Großteil der Pati- enten mit nicht insulinabhängigem Diabetes mellitus (NIDDM) für Morbidität und Mortalität verant- wortlich. Die Assoziation von Hy- perglykämie und Mikroangiopathie ist in zahlreichen Untersuchungen unstrittig belegt, die Beziehung des Diabetes mellitus zur Makroangio- pathie wird jedoch kontrovers disku- tiert. Amerikanische Diabetologen und Kardiologen untersuchten des- halb bei 1 539 NIDDM-Patienten, ob die Qualität der Stoffwechselkon- trolle mit dem Auftreten von kardio- vaskulären Erkrankungen korreliert.

Das mittlere Alter der zur Hälfte aus Frauen bestehenden Studienpati- enten lag bei 63 Jahren, der Diabetes

mellitus bestand durchschnittlich neun Jahre und war bei 48 Prozent der Patienten mit Sulfonylharnstoffen, bei 35 Prozent mit Insulin eingestellt.

Die HbA1c-Werte (glykolisiertes Hä- moglobin) lagen im Mittel bei 10,6 Prozent. 51 Prozent der Patienten wiesen entweder eine koronare Herz- erkrankung, eine periphere arterielle Verschlußkrankheit oder eine zere- brovaskuläre Insuffizienz auf. Über- raschenderweise zeigte sich bei allen Patienten eine konstante Prävalenz der kardiovaskulären Erkrankungen unabhängig vom HbA1c-Wert, die auch nach Multiregressionsanalyse für andere Risikofaktoren bestehen blieb. Eine Assoziation ließ sich nur mit den etablierten Risikofaktoren Alter, arterielle Hypertonie, Nikotin-

abusus und Gesamt-/HDL-Choleste- rin-Quotient nachweisen. Einzig die Dauer der Diabeteserkrankung kor- relierte mit dem Auftreten kardiovas- kulärer Erkrankungen.

Die Autoren vertreten die An- sicht, daß die Prävalenz kardiovas- kulärer Erkrankungen nicht von der Güte der Stoffwechseleinstellung des NIDDM-Patienten abhängt. Unab- hängig vom Diabetes mellitus sind etablierte Risikofaktoren für kardio- vaskuläre Erkrankungen verantwort- lich und eignen sich somit besser als Ziel für etwaige Interventionen als die Blutzuckereinstellung selbst. acc Meigs JB et al.: Metabolic control and prevalent cardiovascular disease in non-insulin-dependent diabetes mellitus (NIDDM): The NIDDM patient out- comes research team. Am J Med 1997;

102: 38–47.

JB Meigs, MD, General Internal Medicine Unit S 50–9, Massachusetts General Hos- pital, Boston, MA 02114, USA.

Kardiovaskuläre Erkrankungen bei

nicht insulinabhängigem Diabetes mellitus

Referenzen

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